Warnung vor der reinen Verhaltensprävention

http://www.aerztezeitung.de/news/article/804617/betriebsaerzte-gesundheitscoaches.html

… Immer mehr psychisch Erkrankte in den Betrieben – jetzt sollen Betriebsärzte ihre Patienten coachen.
Alexander Gunkel von der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) und Dr. Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW), haben deshalb vor wenigen Tagen in Salzgitter eine gemeinsame Erklärung zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz unterschrieben.
Darin haben sie den Betriebsärzten eine Schlüsselstellung zugewiesen, und zwar als neutrale Berater und Lotsen beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM).
“Arbeitgeber und Betriebsärzte sind sich der Bedeutung des Themas Psychische Gesundheit im Betrieb bewusst”, heißt es in der Erklärung. “Die Gefährdungsbeurteilung ,Psychische Belastung‘ sollte in ein funktionierendes Arbeitsschutzmanagement (…) integriert sein.
Der Betriebsarzt muss eine zentrale Rolle als neutraler Berater und Lotse beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) einnehmen. Arbeitgeber und Betriebsärzte sehen gemeinsamen Handlungsbedarf.”
Die Betriebsärzte würden immer wichtiger, “in den Betrieben zum Thema Psyche kompetent zu informieren, bei betrieblichen Analysen und Lösungen mitzuwirken, Risiken zu erkennen, (…) und das Thema insgesamt zu enttabuisieren.” Die Ärzte sollen betroffene Mitarbeiter dabei individuell beraten und coachen, um sie wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. …

Die Eingliederung in den Arbeitsprozess ist ja wohl nicht die Hauptaufgabe von Betriebsärzten. Ein Coaching brauche wohl vor Allem die vielen Arbeitgeber, die es für legitim halten, die Vorschriften des Arbeitsschutzes nicht zu beachten. Die praktischen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnisse für Betriebsärzte machen es diesen vielleicht auch nicht immer leicht, wirklich neutral zu bleiben.
Es ist fast schon frech, wie die BDA versucht, den Fokus von der Verantwortung der Arbeitgeber zu den Mitarbeitern zu verlagern. So sieht Agenda Setting aus. Die BDA arbeitet intensiv daran, das Problem der psychischen Fehlbelastungen am einzelnen Mitarbeiter festzumachen, der gerne auch schon psychisch erkrankt sein darf. Gesundheit ist aber mehr, als nur die Abwesenheit von Krankheit.
Nun die gute Nachricht: In diesem Artikel der Ärztezeitung gibt es immerhin einen heute leider immer noch seltenen Hinweis:…

Allerdings warnt Professor Frank Jacobi vom Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden in einem Interview des VDBW vor einer reinen “Verhaltensprävention”. Ein einfaches Kommunikationstraining für Mitarbeiter etwa genüge nicht.
“Auch die Verhältnisprävention, wie strukturelle Maßnahmen zur Vermeidung von arbeitsbedingten psychischen Risiken, muss im Blick gehalten werden”, sagt Jacobi. Wichtig sei: “Die schnelle Lösung gibt es hier nicht!” …

Das ist schon einmal ein Fortschritt.

Mit dieser Berufsgenossenschaft stimmt etwas nicht

http://www.bghw.de/aktuelles/nachrichten/raus-aus-der-stressfalle

… Hier finden Beschäftigte anschauliche Beispiele für die häufigsten Ausprägungen psychischer Belastung mit exemplarischen Beschreibungen schwieriger Arbeitssituationen sowie eine Vielzahl von Tipps und Übungen, mit denen man der Stressfalle entkommt.

Ratschlag: Sind sie Arbeitnehmer, dann wählen Sie eine Arbeitnehmervertretung, die den Arbeitgeber kräftig motiviert, Stressfallen zu eliminieren. Es hilft nicht, den Mitarbeitern den Schwarzen Peter zuzuschieben. Sieben von zehn Unternehmen lassen den Einbezug seelischer Belastungen in den Arbeitsschutz schleifen. Sie greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf. Nicht Einsicht und Verantwortungsbewusstsein, sondern gesetzliche Verpflichtungen sind der stärkste Motivator für Unternehmen, sich mit psychosozialen Risiken zu befassen. Betriebsräte müssen sich damit auskennen.
Im Arbeitsschutz ist der Arbeitgeber für die Vermeidung schädlichen Stresses verantwortlich. Zwar haben auch die einzelnen Beschäftigten in den Betrieben eine Verantwortung für sich selbst, aber Arbeitgeber, die psychische Belastungen nicht ordentlich in den Arbeitsschutz einbeziehen, verlieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie an die Eigenverantwortung von Mitarbeitern appellieren ohne zuvor ihre vorgeschriebenen Hausaufgaben gemacht zu haben. Der Großteil der Unternehmen in Deutschland hat hier versagt.
Mängel beim Arbeitsschutz müssen offen angesprochen werden können. Das ist schwer, wenn sich nicht einmal eine Berufsgenossenschaft (s.u.) traut, deutlicher die Tatsache anzusprechen, dass die Mehrheit der Unternehmen die Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes noch immer ungestraft missachten darf. Die Aufsichtspersonen der BGHW sucht nicht proaktiv nach leicht feststellbaren Regelverstößen. Das ist keine Aufsicht. Dafür gibt die Berufsgenossenschaft den Mitarbeitern jedoch schlaue Ratschläge, wie sie Belastungen besser aushalten können.
Auch dieBerufsgenossenschaft soll erst einmal ihre Arbeit machen und bei ihren Firmenbesuchen genauer und kritischer hinsehen. Speziell die Überprüfung des Gefährdungsbeurteilungsprozesses ist ganz einfach. Wenn es einen mitbestimmten Einbezug der psychisch wirksamen Belastungen in solch einen Prozess nicht gibt oder wenn das Unternehmen nur so tut, als ob es ihn gäbe, dann müsste man sich schon kräftig anstrengen, das nicht zu bemerken. Was bedroht/motiviert die BG, hier Mängel durchgehen zu lassen?
Hier läuft irgendetwas sehr falsch.
Mehr dazu in Stephan Lists Blog, das mich auf das Handbuch aufmerksam gemacht hat: http://www.arbeitstattstress.de/2012/02/bghw-handbuch-psychische-belastungen-am-arbeitsplatz/

Wenn Hitler oder Jesus nicht mehr helfen

“Zur Not halfen immer Hitler oder Jesus …” als Heilmittel gegen sinkende Auflagen, so die Einleitung eines Artikels in der Süddeutsche Zeitung vom 13.1. (S. 15)zur Burn-out-Thematisierung in den Medien. Eine Nummer kleiner geht’s wohl nicht, wenn Werner Bartens auch etwas zum Burn-out schreibt: “Burn-out als Wunderwaffe: Wie eine Modediagnose die Auflage der Magazine schöner macht“. Zur Mode gehören dann auch Leute, die Übertreibungen mit Übertreibungen kritisieren, zur Pflege der Auflage der SZ gerne auch mit Hitler oder Jesus als origineller Einleitung.
Bartens meint, Burn-out sei ein so schickes Thema, weil die “Modediagnose” die Ursachen für eine Depression der Überarbeitung und der Umgebung des Betroffenen zuweise. Dass Bartens von dem Thema nicht so viel versteht, sieht man daran, dass ihm eine wesentliche Gemeinsamkeit der Thematisierung des Burn-outs in Magazinen nicht auffällt: Dort dominieren Ratschläge zur persönlichen Verhaltensprävention. Die Magazine empfehlen also überwiegend individuelle Verhaltensanpassungen. Der in den Unternehmen bis heute kaum umgesetzte Arbeitsschutz interessiert in den von Bartels genannten Magazinen nicht. Sie machen es sich so leicht, wie Bartens selbst und unterschlagen die Weigerung der Mehrheit der Arbeitgeber, die seit 1996 geltenden Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes auch im Bereich der psychisch wirksamen Beklastungen zu beachten. In diesen Regeln stellen nicht die Medien, sondern der Gesetzgeber die Verhältnisprävention über die Verhaltensprävention.
Ist es sowohl für die von Werner Bartens genannten Magazine wie auch für Bartens selbst schon zu realitätsfremd, die jahrelange Missachtung von Schutzgesetzen zu kritisieren? Sind die Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes zu langweilig, um auch damit die Seiten der Magazine und der SZ schöner machen zu können?
Im Arbeitsschutz geht es nicht darum, Arbeitgeber zum Sündenbock zu machen. Sondern es geht unter Anderem darum, Unternehmen erst einmal dazu zu bewegen, psychische Belastungen (ein neutraler Begriff) überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft zu bewerten. Weil es aber Einstellungen wie die von Werner Bartens gibt, ist hierbei Aufsicht nötig: Dr. med. Werner Bartens ist Leitender Redakteur im Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung. Er hat vermutlich Führungsverantwortung. Es wird vielleicht Zeit, dass etwas genauer überprüft wird, wie in seinem Verantwortungsbereich das Arbeitsschutzgesetz und die Bildschirmarbeitsverordnung umgesetzt werden.
Siehe auch zur Bereicherung der Seiten der SZ: http://quiz.sueddeutsche.de/quiz/2081640121-stress-test

Schlag nach im Arbeitschutzgesetz

Bei Otto haben sie’s wohl noch nicht ganz begriffen: Individuelle Schutzmaßnahmen sind im Arbeitsschutz nachrangig zu allen anderen Maßnahmen. Verhältnisprävention hat Vorrang vor Verhaltensprävention. Bevor man Mitarbeitern fürsorglich beibringt, wie sie eigenverantwortlich Burn-out vermeiden, muss erst einmal der Arbeitgeber seine Hausaufgaben machen. Weiter geht es hier: http://www.arbeitstattstress.de/2011/11/artikel-so-koennen-arbeitgeber-bei-burn-out-helfen/. Dr. List hat in seinem Blog die Hoffnung, dass diese Mitarbeiterbetreuung nur eine unter den vielen Maßnahmen ist, die auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung ergriffen worden sind. Vielleicht hat er ja recht und ich habe zu unrecht über Otto gemeckert.

Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2010

http://osha.europa.eu/fop/germany/de/statistics/statistiken

Der Bericht [der Bundesregierung] bietet neben grundlegenden arbeitsweltbezogenen Daten zu Bevölkerung und Erwerbstätigkeit insbesondere Daten der Unfallversicherungsträger zu Arbeits- und Wegeunfällen und Berufskrankheiten. Darüber hinaus werden auch das Verrentungsgeschehen und Arbeitsunfähigkeitsdaten analysiert. Abgeleitet aus letzteren werden volkswirtschaftliche Kosten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abgeschätzt. Weitere Daten zu den Unfallversicherungsträgern und zur Gewerbeaufsicht runden den Überblick über die Entwicklungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz ab. Zusätzlich werden Daten aus der Schülerunfallversicherung ausgewertet.
Im diesjährigen Schwerpunkt befasst sich der Bericht mit dem Öffentlichen Dienst. Neben der Beschreibung der Personalstruktur werden die physischen und psychischen Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst mit denen in Industrie, Handwerk und Dienstleistungsbereich verglichen. Auch auf gesundheitliche Beschwerden, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten wird kurz eingegangen. Darüber hinaus wird das Restrukturierungsgeschehen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen dargestellt.

http://osha.europa.eu/fop/germany/de/statistics/statistiken/suga/suga2010
S. 22


Arbeitsprogramm: Gesund und erfolgreich arbeiten im
Büro
Ziel des Arbeitsprogramms ist eine Verringerung der Häufigkeit und Schwere von Muskel-Skelett-Erkrankungen von Beschäftigen an Büroarbeitsplätzen durch die Etablierung und Stärkung der Präventionskultur in den Unternehmen. Die systematische Wahrnehmung des Arbeitsschutzes soll gefördert und die psychischen Belastungen sollen verringert werden. [Wieder der populäre Fehler. Richtig muss es heißen: psychische Fehlbelastungen sollen verringert werden.] Im Fokus steht zudem die Förderung der Gesundheitskompetenz der Mitarbeiter hinsichtlich psychischer Belastungen, um langfristig MSE [Muskel-Skelett-Erkrankungen] zu reduzieren.

S. 24


Gemeinsame Leitlinie

Als ein weiteres Thema für eine gemeinsame Leitlinie sieht die Nationale Arbeitsschutzkonferenz Beratung und Überwachung zu psychischen Belastungen vor. In 2010 hat hier eine aus Vertretungen aller drei GDA-Träger [Träger der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie] und der Sozialpartner zusammengesetzte Arbeitsgruppe ein „Konturenpapier“ zum gemeinsamen Grundverständnis von Beratung und Überwachung zum Thema psychische Belastungen entwickelt.

S. 25


Nationale Arbeitsschutzkonferenz

Darüber hinaus hat die NAK [Nationale Arbeitsschutzkonferenz] erste grundlegende Beschlüsse zum Zeitplan und der Umsetzung des Zielableitungsprozess für die GDA-Periode ab 2013 getroffen. Weiterhin hat sie die Erarbeitung eines gemeinsamen Grundverständnisses bei Überwachung und Beratung zum Thema ‚Psychische Belastungen‘ beauftragt.

S. 26


Gemeinsamer Jahrestätigkeitsbericht der deutschen Arbeitsaufsichtsbehörden

Neben der Aufgabenwahrnehmung in der GDA erfolgte eine Koordinierung der Aktivitäten der Arbeitsschutzaufsichtsbehörden der Länder durch den Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI). So haben die Länder unter anderem neben den gemeinsamen Länderpositionen zur Arbeitsschutzorganisation, Systemkontrolle und zu psychischen Belastung beschlossen, Konzepte für ein gemeinsames Grundverständnis über Qualitätskriterien der staatlichen Aufsicht, risikoorientierte Aufsichtstätigkeiten sowie Grundelemente der Steuerung der Aufsichtstätigkeit zu entwickeln.

(Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingefügt)
In dem Bericht gibt es auch noch einige interessante Tabellen und Grafiken.
Interessant ist auf S. 22 der Satz “Im Fokus steht zudem die Förderung der Gesundheitskompetenz der Mitarbeiter hinsichtlich psychischer Belastungen, um langfristig MSE zu reduzieren.” Ich bin mir hier nicht sicher, ob “psychisch” mit “physisch” verwechselt wurde. Wie auch immer, es geht darin um Verhaltensprävention, d.h. um das Verhalten von Mitarbeitern. Betriebsräte und Personalräte müssen hier darauf achten, dass im Arbeitsschutz die Verhältnisprävention Vorrang hat. Da aber Verhaltensprävention und Verhältnisprävention im Gesundheitsmanagement durchaus zusammengehören und sich auch sinnvoll ergänzen, benötigen Betriebsräte Kompetenz und Durchsetzungsvermögen in beiden Bereichen. Sie haben hier ein Mitbestimmungsrecht, zu dessen Ausübung sie das Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet: Nach dessen § 87 kann die Arbeitnehmervertretung nicht nur mitbestimmen, sondern sie hat mitzubestimmen.

Gleichstellung: Berliner Erklärung

http://www.berlinererklaerung.de

… Deshalb treten wir in einem ersten Schritt für eine Quote bei den Aufsichtsräten der börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen ein, die zunächst mindestens 30 Prozent betragen soll. Damit die Maßnahme Wirkung entfaltet, wollen wir flankierend Fristen und empfindliche Sanktionen regeln. Die Quote für Aufsichtsräte kann aber nur der Anfang sein!
Die gleiche Beteiligung von Frauen an Entscheidungsgremien ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. In gemischten Führungsgremien können Frauen und Männer zu besseren Entscheidungen kommen, gemischte Teams steigern den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen. Das belegen nationale und internationale Studien. …

Frauen haben das Recht, es genau so zu vermasseln, wie Männer. In den Aufsichträten wird sich mit oder ohne Quote nicht viel ändern. Auf dieser Ebene ist es ohnehin egal, ob sich nun Männlein oder Weiblein bis dorthin hochgearbeitet haben. Aber die Quote kann wenigstens dazu beitragen, dass mit unserem Grundgesetz ein kleines bisschen weniger frivol umgegangen wird.

Kaum ein Unternehmen handelt

http://www.arbeitssicherheit.de/de/html/nachrichten/anzeigen/696/Burnout/

Stressbedingte Arbeitsausfälle | 07.12.2011
Burnout: Kaum ein Unternehmen handelt
Betrachtet man den Schaden, den Burnout nicht nur Betroffenen, sondern auch den Firmen und der deutschen Wirtschaft verursacht, stellt sich die Frage, warum nicht aktiver gegen die stressbedingte Erkrankung vorgegangen wird. Ein möglicher Grund: Es gibt zu wenig Therapeuten!

Gefahr erkannt, aber nicht gebannt
Da stellt sich die Frage, warum nicht aktiver gegen die psychische Belastung angegangen wird, und zwar dort wo sie ursächlich entsteht: am Arbeitsplatz. Denn für Burnout machen Experten schließlich schlechte Arbeitsbedingungen verantwortlich. Doch die Resonanz ist gering. Einer Studie der EU-Osha zufolge sind zwar vier von fünf europäischen Managern besorgt angesichts des steigenden Stressaufkommens in den Unternehmen. Dagegen unternehmen tun aber nur weniger als ein Drittel der Firmen. Im europaweiten Vergleich schneidet Deutschland schlechter ab. Nur etwa 15 Prozent der Firmen sind in Sachen Burnout aktiv, in Europa immerhin 26 Prozent im Schnitt.

Unternehmen stehen in der Pflicht
Unterdessen empfiehlt die Prüfgesellschaft Dekra, dass Unternehmen stärker gegen eine stressbedingte Belastung am Arbeitsplatz vorgehen. Denn das Krankheitsbild de Burnouts entwickle sich zunehmend zum »modernen Arbeitsunfall«. Betriebe schenkten der Gesundheitsprävention ihrer Angestellten einfach zu wenig Aufmerksamkeit.

Hervorhebung nachträglich eingefügt
In dem Artikel wird die Kritik an mangelnder Verhältnisprävention mit mangelnder Patienten-Versorgung vermischt. Und Burnout wird wieder als Krankheit dargestellt, dabei sind in der Regel die daraus resultierenden Depressionen die Krankheit. Aber leider findet das Thema anscheinend nur dann Aufmerksamkeit, wenn “Burnout” gerufen wird.
Im Kern trifft der Artikel den Punkt: Die große Mehrheit der Unternehmen ignoriert ihre Pflichten. Wenn man die Verantwortlichen daraufhin anspricht, reagieren sie auch noch beleidigt oder lenken vom Problem mit Wohltaten irgend eines auf Vorzeigbarkeit hingetrimmten “Gesundheitsmanagements” ab, die nichts mit der vorgeschriebenen Verhältnisprävention zu tun haben. Die betreffenden Unternehmen scheinen sich das leisten zu können, obwohl ihre Missachtung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes eindeutiger belegbar ist, als ein in vielen Fällen (jedoch nicht in allen Fällen) bestehender Zusammenhang zwischen psychischer Fehlbelastung und Erkrankung. Anscheinend ist der Verstoß gegen die Regeln eines vollständigen Arbeitsschutzes bei den heutigen Möglichkeiten von Unternehmen, ziemlich unbehelligt Recht zu brechen, nicht aufsehenerregend genug, um in den Medien so häufig thematisiert zu werden, wie die unüberraschenden Folgen des Rechtsbruchs, der “Burnout”.

Prävention im Wandel der Arbeitswelt

http://www.dnbgf.de/fileadmin/texte/Downloads/uploads/dokumente/2011/Praevention_im_Wandel_der_Arbeitswelt_-_Programm.pdf

Prävention im Wandel der Arbeitswelt
Mensch – Organisation – Technik
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie in Hessen
RKW-Arbeitskreis „Gesundheit im Betrieb“
Donnerstag, 1. März 2012, 9:30 bis 17 Uhr
Kongresszentrum Darmstadtium, Schlossgraben 1, 64281 Darmstadt

 
Hier stimmt das Gleichgewicht:


Workshop 7: Betriebliche Verantwortung und Eigenverantwortung für Gesundheit
Sicherheit und Gesundheit sind ein Ergebnis äußerer Einflüsse, zu denen die Arbeitsbedingungen zählen, als auch das Ergebnis des persönlichen Lebensstils. Beide wirken zusammen auf die Gesundheit der Beschäftigten. So entsteht ein Spannungsfeld, in dem die Verantwortung des Betriebs und die Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre Gesundheit zu bestimmen sind. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: Soll und kann der Betrieb die Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre Gesundheit fördern? Welche Voraussetzungen erfordert eigenverantwortliches Handeln im Betrieb?
Statt einer Kontroverse über einseitige Verantwortungszuschreibung wird das Spektrum betrieblicher und individueller Möglichkeiten der Gesundheitsförderung aufgezeigt. Erfolg versprechend ist die angemessene Kombination aus persönlicher Eigenverantwortung und betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Zu klären sind deshalb die Beiträge, die von beiden Seiten erwartet werden können.
Moderation: Hans Günter Abt (Unfallkasse Hessen),
Dr. Werner Scherer (Vereinigung der hessischen Unternehmensverbände)
Beiträge von: Dr. Martin Kern (Infraserv Höchst)

Bei der Moderation fehlt das Gleichgewicht möglicherweise. Wo ist die Arbeitnehmerseite?

Übung: Wo ist der Fehler?

Hochschule Bremen – Verhältnisprävention
https://www.hs-bremen.de/internet/de/hsb/projekte/gesundheitsmanagement/verhaeltnispraevention/


Maßnahmen zur Verhältnisprävention sind etwa:

  1. betrieblicher Umweltschutz
  2. ergonomische Gestaltung der Arbeitsumgebung und Arbeitsmittel,
  3. Abbau belastender Arbeitsbedingungen,
  4. Verbesserung des Arbeitsklimas und Erweiterung von Handlungsspielräumen,
  5. Personalverantwortliche in gesundheitsorientierter Führung fortbilden
  6. Stärkung der individuellen Stresskompetenz und der Ressourcen
  7. lebensphasenorientierte Gestaltung der Arbeit


Ein Punkt ist falsch. Ein Abbau belastender Arbeitsbedingungen bedeutet, dass es keine Arbeit gibt. Ziel ist jedoch Abbau fehlbelastender Arbeitsbedingungen.
Einer zweiter Punkte gehört nicht zur Verhältnisprävention, sondern ist eher der Verhaltensprävention zuzurechnen. Welcher Punkt ist das? (Hier ist die Lösung)

Moderne IT-Arbeitswelt gestalten

Eine lesenswerte Studie mit neuen und in der Gesundheitsförderung nutzbaren Ergebnissen und Anregungen:
Wieland, R., Klemens, S., Scherrer, K. & Timm, E. (2004).
Moderne IT-Arbeitswelt gestalten ? Anforderungen, Belastungen und Ressourcen in der IT-Branche
(Veröffentlichungen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement der TK, Band 4).
Hamburg/Wuppertal: Techniker Krankenkasse und Transfer- und Kooperationsstelle für Arbeitsgestaltung an der Bergischen Universität Wuppertal.

http://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/215850/Datei/48146/Moderne_IT-Arbeitswelt_gestalten.pdf
(Unter der obigen URL nicht mehr verfügbar)

 
Inhaltsverzeichnis:

Vorwort 7
Zusammenfassung 9
Vier-Felder-Schema betrieblicher Gesundheitsförderung 11
1. Informationstechnologie als Forschungsfeld 12
1.1 Aktueller wirtschaftlicher Stand der IT-Branche 13
1.2 Die IT-Branche – ein heterogenes Arbeitsfeld 15
1.2.1 Qualifikationsspektrum und Entwicklung der Beschäftigung 15
1.2.2 Neue Anforderungen und Risiken 17
1.3 Stand der Forschung bzgl. Belastungen und Ressourcen 18
2. Ausgangslage und Forschungskonzept 20
2.1 Was heißt betriebliche Gesundheitsförderung in der IT-Arbeitswelt? 20
2.1.1 Gibt es zuviel Entscheidungsspielräume und Freiheitsgrade? 20
2.2 Verhaltensprävention und Verhältnisprävention 21
2.3 Eine erweiterte Perspektive: Kulturelle und strukturelle Prävention 23
2.4 Kriterien für Messverfahren zur Erfassung und Bewertung von Anforderungen, Belastungen und Ressourcen 24
2.5 Theoretische Verankerung von Verfahren in arbeitspsychologischen Wirkungsmodellen 26
2.5.1 Arbeitspsychologische Wirkungsmodelle zum Belastungs-Beanspruchungsprozess 26
2.5.2 Das Demand-Control-Modell 27
2.5.3 Das Konzept der Beanspruchungsoptimalität 29
2.6 Die Rolle der Ressourcen 32
2.6.1 Das Konzept der Salutogenese 34
2.7 Konzept zur Analyse von IT-Tätigkeiten 36
2.8 Analysemodell 38
3. Untersuchungsdesign und Untersuchungsmethoden 41
3.1 Design der Studie 41
3.2 Stichprobe 42
3.3 Eingesetzte Verfahren in der Studie 42
3.4 Durchführung der Studie 46
4. Ergebnisse 47
4.1 Personen und Unternehmensmerkmale 47
4.1.1 Merkmale der befragten Personen 47
4.1.2 Unternehmensmerkmale 50
4.2 Arbeitszeit als wichtige Rahmengröße53
4.3.1 Kerntätigkeiten innerhalb der Tätigkeitsklassen 55
4.3.1.1 Kerntätigkeiten für traditionelle Bildschirmarbeitsplätze 55
4.3.1.2 Kerntätigkeiten für IT-Fachkräfte56
4.3.1.3 Kerntätigkeiten für Fachkräfte für Marketing und Vertrieb 57
4.3.1.4 Kerntätigkeiten für Mitarbeiter/innen in Telekommunikationsdiensten 58
4.3.2 Demographische Merkmale innerhalb der Tätigkeitsklassen 58
4.4 Das Beanspruchungspotenzial der IT-Branche im Vergleich 60
4.4.1 Beanspruchungsbezogenes Benchmarking 60
4.4.2 Die Unternehmensgröße als kritischer Faktor? 61
4.4.3 Arbeitszeit – je länger desto schlimmer? 63
4.4.4 Leistungs- und Zeitdruck 64
4.4.5 Tätigkeitsklassen 65
4.4.6 Schlussfolgerungen 67
4.5 Beanspruchungs- und Risikopotenzialanalyse 67
4.5.1 Risikomaßzahlen 67
4.5.2 Ergebnisse der Risikoanalyse 69
4.5.2.1 Burnout 69
4.5.2.2 Allgemeine Gesundheit 72
4.5.2.3 Arbeitsbezogene Beanspruchungszustände 73
4.5.3 Zusammenfassender Überblick über die Risikoanalyse 76
4.6.1 Führungsstil in Kleinst- und Großbetrieben 78
4.6.1.2 Führungsstil und Geschlecht 80
4.6.1.3 Führung und arbeitsbezogene Beanspruchungszustände 81
4.6.1.4 Führung und berufliche Selbstwirksamkeit 82
5. Gestaltung von IT-Arbeitsplätzen – Betriebliche Prävention und Gesundheitsförderung 84
5.1 Unternehmen I: Gesundheitsförderung in einem Großunternehmen 85
5.1.1 Beanspruchungspotenzial durch Regulationsbehinderungen 85
5.1.2 Verhaltens- und Verhältnisprävention: Psychische Belastung und Beanspruchung bei älteren Beschäftigten 88
5.2 Unternehmen II: Gesundheitsförderung in kleinen bzw. mittleren Unternehmen 90
5.2.1 Abhängigkeit vom Auftraggeber 91
5.2.2 Hohe Flexibilität 92
5.2.3 Kommunikationsstrukturen und Arbeitsorganisation 93
6. Ausblick 95
7. Literatur 98

 
S. 11:

… Das … „Vier-Felder-Schema“ (VFS) der betrieblichen Gesundheitsförderung kann als Grundlage dafür dienen, empirisch fundiert und theoretisch begründet Aussagen darüber zu treffen, unter welchen Bedingungen verhaltensorientierte (Verhaltensprävention), verhältnisorientierte Maßnahmen (Verhältnisprävention) oder eine Kombination aus Verhältnis-und Verhaltensprävention angebracht ist. Das VF-Schema der betrieblichen Gesundheitsförderung bietet dabei zugleich eine Orientierungshilfe, um die Einzelbefunde, über die hier berichtet wird, im Spannungsfeld von Verhältnis- und Verhaltensorientierung (bzw. – prävention) zu verorten. …

 
S. 31 (Erratum): Der fehlende (oder im PDF-Ausdruck nicht lesbare) Text in Abbildung 3 (unterer Kasten) lautet:

Belastbarkeit/Stresstoleranz
Persönlichkeitsmerkmale