Tabuthema Arbeitsschutz

Die Arbeitgeber haben die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass psychische Fehlbeanspruchungen möglichst vermieden werden. Die folgende Veröffentlichung erhellt die Strategie der Arbeitgeber, von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken und statt dessen ihre Mitarbeiter in die Pflicht zu nehmen. Alexander Gunkel hat sich richtig Mühe gegeben, das Wort Arbeitsschutz zu vermeiden. Auch die Presse findet den Arbeitsschutz zu langweilig, obwohl erst die Zwänge des modernen Arbeitsschutz die Arbeitgeber dazu gebracht haben, das Thema der psychischen Belastungen nicht mehr ignorieren zu können.
Arbeitgeber sprechen lieber von “Gesundheitsmanagement” und “Gesundheitsförderung” als von “Arbeitsschutz”. Bei letzterem haben sie sich nach dem Arbeitsschutzgesetz zu richten. Damit haben die Arbeitgeber aber seit 1996 Schwierigkeiten, wie selbst Ursula von der Leyen feststellte:
http://fazjob.net/ratgeber_und_service/beruf_und_chance/fuehrungskraefte/?em_cnt=120637

… Die Ministerin will dazu nicht die Gesetze verschärfen, vielmehr müssten Arbeitgeber die geltenden Arbeitsschutzgesetze besser einhalten: Sieben von zehn Unternehmen ließen das Thema “aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit” schleifen, sagte von der Leyen …

Außerdem hat im Arbeitsschutz die Verhältnisprävention Vorrang. Das erschwert es, die Ursachen für psychische Erkrankungen vorwiegend bei den individuellen Mitarbeitern zu verorten. Der Arbeitsschutz aber fragt nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen.
Offen Stellen die Arbeitgeber das Arbeitsschutzgesetz nicht in Frage. Wirksamer scheint es zu sein, die schon bisher so hilfreiche “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” nicht nur zu pflegen, sondern auch noch zu verstärken:
http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/files/125D79C3512AFB0FC12579A5002CE46B/$file/Statement%20Gu-Salzgitter.pdf

(Es gilt das gesprochene Wort.)
Statement im Pressegespräch:
Psychische Gesundheit – Abgestimmtes Handeln im Unternehmen schafft Handlungssicherheit und Erfolg
Rede von Alexander Gunkel
(Erstellungsdatum der Datei: 2012-02-14)

Meine Damen und Herren,
noch immer wird der Begriff Gesundheit vor allem mit einem gesunden Körper verbunden. Dabei ist das psychische Befinden für Gesundheit ebenso wichtig.
Den Betrieben ist die Bedeutung der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter seit langem bewusst. Psychische Gesundheit entscheidet ganz maßgeblich darüber, wie einsatz-, leistungs- und belastungsfähig ein Arbeitnehmer ist. Fehlt sie, drohen häufige lange Fehlzeiten und ggf. sogar das vorzeitige Ausscheiden der Arbeitnehmer aus dem Beruf.

Der großen Mehrheit der Betriebe ist spätestens seit 2005 bewusst, dass sie Bestimmungen zum Schutz der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter missachten.

Deshalb ist der Erhalt gerade auch der psychischen Gesundheit der Beschäftigten ein ganz wichtiges Anliegen der Arbeitgeber. Viele Betriebe engagieren sich daher mit großem Einsatz, um die psychische Gesundheit ihrer Arbeitnehmer zu stärken, z. B. mit Schulungen zu Zeitmanagement, sportlichen Aktivitäten oder Training von Entspannungsübungen. Sie versuchen die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass psychische Fehlbeanspruchungen möglichst vermieden werden. Zudem gehört es inzwischen zu jeder guten Führungskräfteschulung, dass Sensibilität für die wichtige Frage der psychischen Gesundheit geweckt wird. 

Zwar ist darum der Erhalt gerade auch der psychischen Gesundheit der Beschäftigten ein ganz wichtiges Anliegen der Arbeitgeber, aber die Notwendigkeit, Vorschriften befolgen zu müssen, ist das Hauptmotiv der Arbeitgeber.

  • Verhaltensprävention: Viele Betriebe engagieren sich daher mit großem Einsatz, um die psychische Gesundheit ihrer Arbeitnehmer zu stärken, z. B. mit Schulungen zu Zeitmanagement, sportlichen Aktivitäten oder Training von Entspannungsübungen. Wenn dabei die Freizeit und das Geld der Arbeitnehmer in Anspruch genommen wird, dann können diese Maßnahmen jedoch nicht als ein Beitrag zur Befolgung der Arbeitsschutzbestimmungen dargestellt werden.
  • Verhältnisprävention: Die Arbeitgeber haben die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass psychische Fehlbeanspruchungen möglichst vermieden werden. Zudem gehört es inzwischen zu jeder guten Führungskräfteschulung, dass Sensibilität für die wichtige Frage der psychischen Gesundheit geweckt wird. Schulungen, die als im Arbeitsschutz vorgeschriebene Unterweisungen gelten sollen, sind mitbestimmt.

Das Engagement der Betriebe kann dazu beitragen, aber niemals allein sicherstellen, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer psychisch gesund ist und bleibt. Psychische Gesundheit hängt von sehr viel mehr ab als von betrieblichen Faktoren, z. B. von den jeweiligen persönlichen Voraussetzungen, vom Selbstwertgefühl, dem eigenen Verhalten, von Einstellungen und Erwartungen, dem persönlichen Umfeld und von den sozialen Kontakten. Auf all diese Faktoren haben Betriebe jedoch keinen Einfluss.

Dass das Engagement der Betriebe dazu beitragen, aber niemals allein sicherstellen kann, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer psychisch gesund ist und bleibt, wird gerne von Arbeitgebern betont, um den Anschein zu erwecken, als ob ihnen eine Verantwortung zugewiesen wird, die sie nicht haben.
Da psychische Gesundheit nicht nur von betrieblichen Faktoren abhängen, interessiert sich der Arbeitsschutz eben gerade nicht für die jeweiligen persönlichen Voraussetzungen, für das individuelle Selbstwertgefühl, für das individuelle Verhalten, für individuelle Einstellungen und Erwartungen, für das persönlichen Umfeld und und für individuelle soziale Kontakte. Statt dessen richtet der Arbeitsschutz den Blick auf die Belastungen, die vom Arbeitsplatz ausgehend auf das Individuum wirken. Nur für diese Belastungen sind die Arbeitgeber verantwortlich und haftbar. Keiner verlangt von ihnen, für Belastungen verantwortlich zu sein, auf die Arbeitgeber keinen Einfluss haben.
Obwohl der Arbeitsschutz die Arbeitgeber für die von ihnen nicht beeinflussbaren Faktoren eben gerade nicht verantwortlich macht, weisen sie gerne immer wieder darauf hin, dass Betriebe auf all diese Faktoren keinen Einfluss haben. Möchten sie davon ablenken, dass sie genau dort, wo sie Einfluss haben, seit vielen Jahren nachhaltig gegen die Pflicht verstoßen, psychisch wirksame Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen?
Beispiel: Eine Gefährdungsbeurteilung nicht durchzuführen oder sogar darin falsche Angaben zu machen (z.B. Behauptung der Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung ohne Angabe, dass es die in der Verordnung geforderte Beurteilung psychischer Belastungen nicht gibt) ist eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Pflichtverletzung, für die weder die böse Umwelt noch weichliche Mitarbeiter verantwortlich gemacht werden können. Kurz: Das Fehlen einer Beurteilung psychischer Belastungen führt selbst schon zu einer Erhöhung des Gefährdungsrisikos für die Mitarbeiter. Dafür ist der rechtswidrig handelnde Arbeitgeber verantwortlich, nicht seine Mitarbeiter und nicht der Wettbewerb oder ein anderer außerhalb des Unternehmens liegender Faktor.
Es gibt sogar Fälle, in der diese Pflichtverletzung monatelang aufrecht erhalten wurde, obwohl die Arbeitnehmervertretung eine Korrektur verlangt hatte. Solch eine vorsätzliche Pflichtverletzung hat doch auch nichts mit der individuellen seelischen Verfasstheit einzelner Mitarbeiter zu tun. Und umweltbedingt ist der Wille des Arbeitgebers zur Missachtung seiner Pflichten auch nicht. Allerdings hat der Wille, sich über das Gesetz zu stellen, durchaus mit individuellen Einstellungen zu tun: Es geht hier um die individuelle seelische Verfasstheit von Top-Managern.

Deshalb bleibt jeder einzelne Beschäftigte gefordert, selbst dazu beizutragen, psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Wer will, findet dabei inzwischen vielfältige, gut geeignete Unterstützung. Eine nützliche Handlungshilfe für Beschäftigte hat z. B. das Deutsche Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung zur Verfügung gestellt.

Weil die Arbeitgeber ihre Pflichten verletzen, bleiben die Beschäftigten gefordert, selbst dazu beizutragen, psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Hallo?!

Für uns Arbeitgeber ist vor allem eins wichtig: Die Probleme mit psychischen Erkrankungen lassen sich nur im gemeinsamen Zusammenwirken aller Beteiligten lösen. Die Betriebe sind dabei ebenso gefordert wie die Betroffenen selbst. Und genauso wichtig ist eine gute medizinische Versorgung sowie vor allem ein gutes Versorgungsmanagement. Hier sind gerade auch die Sozialversicherungsträger in der Pflicht. Wie wir gleich noch an einem guten Beispiel erfahren können, sind die Kranken- und Rentenversicherung dabei auch zunehmend aktiv.

Alexander Gunkel, der für ihre Pflichten verletzende Arbeitgeber spricht, verteilt hier Pflichten an die Sozialversicherungsträger.

Die Betriebe sind bei ihrem Engagement zur Vorbeugung, zur Vermeidung und beim Umgang mit psychischen Erkrankungen auf fachliche Unterstützung angewiesen. Wir sehen dabei die Betriebs- und Werksärzte als unsere ersten Ansprechpartner. Die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Betriebsärzten hat sich über viele Jahrzehnte hinweg bewährt. Sie kann und muss aber noch im Bereich der psychischen Gesundheit optimiert werden. Betriebsärzte, da sind wir gemeinsam überzeugt, können zwei ganz wichtige Aufgaben übernehmen:

  • Zum einen können sie dem einzelnen Beschäftigten durch gezielte individuelle Beratung helfen, Belastungen bei der Arbeit besser zu bewältigen.
  • Zum anderen können die Betriebsärzte die Arbeitgeber vor allem dann unterstützen, wenn es darum geht, mögliche negative Belastungsfaktoren zu vermeiden, und sie können den Arbeitgebern bei der Frage des Umgangs mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern helfen.

Um hierfür zu werben und künftig noch besser von den Betriebsund Werksärzten unterstützt werden zu können, wollen wir, BDA und VDBW, mit unserer heutigen Erklärung den Handlungsrahmen für künftige gemeinsame Aktivitäten abstecken.

(Vergleiche dazu: Position von IGM und VDBW.)
Alexander Gunkel führte eigentlich drei Punkte auf:

  • Zum einen sollen Betriebsärste dem einzelnen Beschäftigten durch gezielte individuelle Beratung helfen können, Belastungen bei der Arbeit besser zu bewältigen.
  • Zum anderen sollen die Betriebsärzte die Arbeitgeber vor allem dann unterstützen können, wenn es darum geht, mögliche negative Belastungsfaktoren zu vermeiden,
  • und sie können den Arbeitgebern bei der Frage des Umgangs mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern helfen.

Was für ein Glück, dass Ärzte den Eid des Hippokrates geschworen haben – und dass wir daran glauben.

Wie viel sich durch ein konzertiertes Zusammenwirken von Arbeitgebern, Betriebsärzten und Sozialversicherungsträgern erreichen lässt, zeigt das erfolgreiche Modell der Salzgitter AG, das zu geringeren Fehlzeiten und einer besseren Wiedereingliederung vormals psychisch Erkrankter geführt hat.
Anstrengungen, wie sie hier unternommen wurden, lohnen sich nicht nur für die Sozialversicherung, sondern helfen auch den Betrieben, indem sie die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter erhalten. Arbeitgeber, Betriebsärzte und Sozialversicherung verbindet bislang vor allem das gemeinsame Interesse, die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
Jetzt geht es darum, auch gemeinsam zu handeln. Ein Universalmittel gegen psychische Störungen gibt es nicht. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass das Zusammenwirken verschiedener Akteure, wie wir es Ihnen heute präsentieren, viel dazu beiträgt, um auf diesem schwierigen Feld erfolgreich zu sein.

Das Universalmittel gegen psychische Störungen gibt es nicht, aber auf die Idee, das die Verstöße der Mehrheit der Arbeitgeber gegen den Arbeitsschutz das Risiko von psychischen Störungen erhöhen können, kam Alexander Gunkel in seiner Pressearbeit nicht zu sprechen.
Auch scheint ihn die Mitbestimmung nicht zu interessieren. Eine gute Mitbestimmung durch die Beschäftigten erhöht die Resilienz dieser Beschäftigten. Ohne Respekt für die Mitarbeiter und die Arbeitnehmervertreter wird die fürsorgliche Betreuung von Mitarbeitern zur fürsorglichen Bevormundung der Mitarbeiter.
 
Gemeinsame Positionen vom VDBW mit

 
Siehe auch: http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_Search?open=&l=DE&t=All&q=psychisch

Salzgitter: Reha ohne ganzheitlichen Arbeitsschutz?

In einer Pressemappe der BDA zu einer gemeinsamen Erklärung der BDA und der VDBW (2012-02-09) geht es auf den Seiten 29 bis 36 in einem Artikel von Birgit Leinweber (Fachärztin für Allgemeinmedizin, Leiterin des BKK MedPlus Centers ) auch um die Salzgitter AG:

Das Betriebliche Rehabilitationskonzept der Salzgitter AG
Netzwerkarbeit, die wirkt
Mit einem kompetenten Netzwerk gegen die Probleme des demographischen Wandels zu arbeiten und gegen Ressourcenverluste durch Schnittstellenprobleme anzugehen – das ist das Ziel der Netzpartner, die an dem Betrieblichen Rehabilitationskonzept (BeReKo) der Salzgitter AG beteiligt sind. Gesteuert wird das Konzept maßgeblich durch die BKK Salzgitter, die sich seit Jahren beim Aufbau und der Entwicklung geeigneter Maßnahmen engagiert hat. Die große Akzeptanz unter den Teilnehmern ermuntert nicht nur zur Fortsetzung, sondern auch zur Ausweitung des Angebots. Birgit Leineweber

EFL-Test
Die ,,Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit” (EFL) wurde in den USA entwickelt und hat sich dort außerordentlich bewährt.

PACT-Test
Der PACT-Test (Performance Assessment and Capacity Testing) wurde für die Selbsteinschätzung der körperlichen Fähigkeiten entwickelt.

Nach drei Monaten Training wird es spannend: Dann werden nämlich die drei Testverfahren erneut durchgeführt. Die Leistungssteigerung wird vermerkt und der Versicherte erhält einen neuen Trainingsplan aufgrund der aktuellen Befunderhebung.

Modul C. Dieses Modul gilt den „Sorgenkindern“ – das sind die Versicherten mit langen AU-Zeiten, schweren Beeinträchtigungen mit Komorbiditäten und einer fraglichen weiteren Einsatzfähigkeit im Betrieb.

Medizinische Wirbelsäulenanalyse ,,DAVID-Test”

AVEM-Test [siehe auch AVEM in der BAuA-Liste]
Das Testverfahren ,,Arbeitsbezogenes Verhaltens und Erlebensmuster” (AVEM) ist ein mehrdimensionaler persönlichkeitsdiagnostischer Test

(Anmerkung in eckigen Klammern und Links nachträglich eingefügt)
Die freiwillige Verhaltensprävention (individuelle Maßnahmen) und gesetzlich vorgeschriebene Verhältnisprävention (arbeitsorganisatorische Maßnahmen) ergänzen sich, aber individuelle Schutzmaßnahmen sind im Arbeitsschutz nachrangig zu allen anderen Maßnahmen.
Im Artikel der BKK geht es um verhaltenspräventiv orientierten Verfahren zum Test von individuellen Mitarbeitern. Es geht dabei eher um Leistungsfähigkeit (siehe auch ISO 10667) als um Gesundheit, nicht jedoch um die Arbeitsbedingungen und die dort zu messenden psychischen Belastungen (siehe auch ISO 10075). Ohne die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Beurteilung der Arbeitsbedingungen macht das keinen Sinn. Wo ist die Schnittstelle zum gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz? Wo ist die Schnittstelle zu den mitbestimmenden Arbeitnehmern?
Es ist bedenklich, wie sich hier eine Krankenkasse und eine Betriebsärztin auf die Wiederherstellung und Messung der Arbeitsfähigkeit konzentrieren und dabei die Prävention völlig vernachlässigen. Dass “Rehabilitation” das Thema ihres Artikels ist, entschuldigt dieses unverantwortliche Desinteresse an der Verhältnisprävention nicht. Ohne Überprüfung beispielsweise der Arbeitssituation von zu rehabilitierenden Mitarbeitern kann nicht verstanden werden, welchen Einfluss diese Arbeitssituation auf die Erkrankung haben könnte. Für eine nachhaltig gelingende Rehabilitation ist die funktionierende Verhältnisprävention eine entscheidende Voraussetzung.
Im BKK-Artikel finden sie keinen Hinweis auf eine funktionierende Verhältnisprävention als Vorraussetzung für die Verhaltensprävention. In der Pressemappe finden Sie Hinweise mit der Suche nach “Gefährdungsbeurteilung” und “IMPULS”. In Zukunft gestalten – 5 Jahre Generationen-Offensive 2025 (Salzgitter AG, S. 37-70) hat es die Salzgitter AG aber geschafft, das Wort “Gefährdungsbeurteilung” zu vermeiden, obwohl das IMPULS-Verfahren Daten dafür liefern soll. Wie der Betriebsrat mitbestimmt, wird nicht deutlich. Ein vielleicht nicht ganz ausgeschlafener Gesamtbetriebsratsvorsitzender (Christian Schwandt) hat die Broschüre trotzdem unterschrieben.
(geändert: 2012-02-23)

Bereitschaft und die Eigeninitiative der Betroffenen

Noch ein Blog-Beitrag zur Erklärung von der BDA und des VDBW zur Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb. (Interessant ist der Vergleich mit dem gemeinsamen Positionspapier von IG Metall und VDBW vom Mai 2009.)
Hier ist die gesamte Pressemappe der BDA: http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/res/Pressemappe_Psychische_Gesundheit_im_Betrieb_090212.pdf/$file/Pressemappe_Psychische_Gesundheit_im_Betrieb_090212.pdf

  • Programm [S. 2]
  • Pressemitteilung [S. 4]
  • Gemeinsame Erklärung [Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb, S. 7]
  • BDA kompakt: Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit [Mai 2009, S. 10]
  • VDBW-Leitfaden: Psychische Gesundheit im Betrieb [S. 12]
  • Interview mit Professor Frank Jacobi (TU Dresden) [S. 24]
  • Die BKK (01/2011): Das betriebliche Rehabilitationskonzept der Salzgitter AG [Netzwerkarbeit, die wirkt, S. 29; siehe auch den Blogartikel dazu]
  • Salzgitter AG: Zukunft gestalten – 5 Jahre Generationen-Offensive 2025 [S. 37]
  • Deutsche Rentenversicherung: Medizinische Rehabilitationsleistungen im Zeitverlauf (Infografik) [S. 71]
  • DRV Braunschweig-Hannover: Konzeptpapier zum beruflichen Rehabilitationsmanagement [S. 72]
  • Arbeitgeberservice-Infoflyer DRV Bund [S. 99]

(Der Link und die Anmerkungen in eckigen Klammern wurden nachträglich eingefügt.)
Auszug (S. 5/100):

… Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der BDA, unterstrich den exemplarischen Charakter des „Salzgitter-Modells“: „Für uns Arbeitgeber ist vor allem wichtig: Die Probleme mit den wachsenden Fehlzeiten und Frühverrentungen auf Grund psychischer Störungen lassen sich nur im gemeinsamen Zusammenwirken aller Beteiligten lösen. Die Arbeitgeber sind gefordert, Risiken für die psychische Gesundheit im Rahmen der gesetzlichen Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsplätze zu berücksichtigen und die Arbeitsgestaltung und Unternehmenskultur so anzupassen, dass psychische Fehlbelastung möglichst vermieden, zumindest aber begrenzt werden. Aber allen muss klar sein, dass sich psychische Erkrankungen, weil sie meist maßgeblich durch außerberufliche Umstände bedingt sind, dadurch allein nicht hinreichend lösen lassen. Wir brauchen vor allem auch die Bereitschaft und die Eigeninitiative der Betroffenen sowie ein verbessertes Zusammenwirken der Sozialversicherungen und eine bessere Koordination ihrer Aktivitäten zur Versorgungsoptimierung. Ein abgestimmtes Zusammenwirken der Unternehmen mit den Sozialversicherungsträgern trägt dazu bei, Mitarbeiter mit psychischen Störungen vor Erkrankungen und Frühverrentung zu schützen und kann die Erfolgschancen bei der Re-Integration in den Arbeitsprozess erheblich verbessern.“ …

Die Pressemappe hat 100 Seiten. Die Arbeitgeber investieren hier viel Arbeit. Daran erkennt man die Brisanz des Themas. Die Auseinandersetzung damit ist sicherlich interessant. Ich habe dafür schon einmal ein Stichwort eingerichtet.
 
“Wir brauchen vor allem auch die Bereitschaft und die Eigeninitiative der Betroffenen.” Wer sind die “Betroffenen”? Ich höre oft von Arbeitgebung auch die Forderung nach mehr “Eigenverantwortung” der Mitarbeiter für ihre Gesundheit. Tatsächlich ist Eigenverantwortung wichtig. Aber Arbeitgeber, die ihrer eigenen Verantwortung nicht gerecht werden und seit 1996 versuchen, die Pflicht zum den Einbezug der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz zu ignorieren, haben kein Recht, bei ihren Mitarbeitern Verantwortung einzufordern.
“Aber allen muss klar sein, dass sich psychische Erkrankungen, weil sie meist maßgeblich durch außerberufliche Umstände bedingt sind, [durch die Gefährdungsbeurteilung] allein nicht hinreichend lösen lassen.” Im Folgenden spreche ich zwei Argumente an, die Arbeitgeber häufig anführen:

  • Die Gefährdungsbeurteilung allein könne Probleme nicht lösen.
  • Psychische Erkrankungen seien meist maßgeblich durch außerberufliche Umstände bedingt.

Gefährdungsbeurteilung: Niemand behauptet, die Gefährdungsbeurteilung “alleine” könne “psychische Erkrankungen hinreichend lösen”. Gunkel impliziert wider besseren Wissens, dass solch eine Ansicht genug Bedeutung habe, dass man ihr widersprechen müsse. Das ist ein uralter Argumentationstrick. Gunkel weiß natürlich, dass die Gefährdungsbeurteilung nur einer von mehreren Schritten von in einem Kreislauf von Arbeitsschutzmaßnahmen ist. Beispiel:

  1. Gefährdungsbeurteilung
  2. Unterweisung
    (nach Schritt 1, AG und AN können aber auch andere Zeitpunkte vereinbaren)
  3. Festlegung von Maßnahmen gegen Fehlbelastungen
  4. Umsetzung der Maßnahmen
  5. Prüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen (danach wieder Schritt 1)
  6. Dokumentation (begleitend zu den Schritten 1 bis 5)

Außerberufliche Umstände: Unsinnig ist es, die Gefährdungsbeurteilung mit dem Hinweis auf “außerberufliche Umstände” abzuwerten. Ich nehme an, dass Alexander Gunkel das sogar weiß.
Um die Bedeutung verschiedener Ursachen für psychische Erkrankungen beurteilen zu können, muss man Belastungen außerhalb und innerhalb des Betriebes ersteinmal beurteilen wollen. Die Mitglieder der BDA weigerten sich jedoch jahrelang, mögliche arbeitsbedingte “Umstände” in der vorgeschriebenen Weise zu beurteilen – und tun nun so, als ob sie beurteilen könnten, welche Bedeutung diese “Umstände” im Verhältnis zu “Umständen” außerhalb ihres Verantwortungsbereichs hätten. Das ist dreist.
“Außerberufliche Umstände” gibt es, aber sie geben den Arbeitgebern ganz sicher nicht das Recht, ihre Pflicht zur Beurteilung “arbeitsbedingter Umstände” zu vernachlässigen. Dieses Recht hat sich die Mehrheit der Mitglieder der BDA seit 1996 jedoch einfach genommen und sich damit über das Gesetz gestellt. Die Arbeitgeber haben also nicht einmal ihre eigenen Hausaufgaben gemacht. Und nun wollen sie Lehren zur Gesundheit in den Betrieben erteilen. So sieht Chuzpe aus.

Warnung vor der reinen Verhaltensprävention

http://www.aerztezeitung.de/news/article/804617/betriebsaerzte-gesundheitscoaches.html

… Immer mehr psychisch Erkrankte in den Betrieben – jetzt sollen Betriebsärzte ihre Patienten coachen.
Alexander Gunkel von der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) und Dr. Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW), haben deshalb vor wenigen Tagen in Salzgitter eine gemeinsame Erklärung zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz unterschrieben.
Darin haben sie den Betriebsärzten eine Schlüsselstellung zugewiesen, und zwar als neutrale Berater und Lotsen beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM).
“Arbeitgeber und Betriebsärzte sind sich der Bedeutung des Themas Psychische Gesundheit im Betrieb bewusst”, heißt es in der Erklärung. “Die Gefährdungsbeurteilung ,Psychische Belastung‘ sollte in ein funktionierendes Arbeitsschutzmanagement (…) integriert sein.
Der Betriebsarzt muss eine zentrale Rolle als neutraler Berater und Lotse beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) einnehmen. Arbeitgeber und Betriebsärzte sehen gemeinsamen Handlungsbedarf.”
Die Betriebsärzte würden immer wichtiger, “in den Betrieben zum Thema Psyche kompetent zu informieren, bei betrieblichen Analysen und Lösungen mitzuwirken, Risiken zu erkennen, (…) und das Thema insgesamt zu enttabuisieren.” Die Ärzte sollen betroffene Mitarbeiter dabei individuell beraten und coachen, um sie wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. …

Die Eingliederung in den Arbeitsprozess ist ja wohl nicht die Hauptaufgabe von Betriebsärzten. Ein Coaching brauche wohl vor Allem die vielen Arbeitgeber, die es für legitim halten, die Vorschriften des Arbeitsschutzes nicht zu beachten. Die praktischen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnisse für Betriebsärzte machen es diesen vielleicht auch nicht immer leicht, wirklich neutral zu bleiben.
Es ist fast schon frech, wie die BDA versucht, den Fokus von der Verantwortung der Arbeitgeber zu den Mitarbeitern zu verlagern. So sieht Agenda Setting aus. Die BDA arbeitet intensiv daran, das Problem der psychischen Fehlbelastungen am einzelnen Mitarbeiter festzumachen, der gerne auch schon psychisch erkrankt sein darf. Gesundheit ist aber mehr, als nur die Abwesenheit von Krankheit.
Nun die gute Nachricht: In diesem Artikel der Ärztezeitung gibt es immerhin einen heute leider immer noch seltenen Hinweis:…

Allerdings warnt Professor Frank Jacobi vom Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden in einem Interview des VDBW vor einer reinen “Verhaltensprävention”. Ein einfaches Kommunikationstraining für Mitarbeiter etwa genüge nicht.
“Auch die Verhältnisprävention, wie strukturelle Maßnahmen zur Vermeidung von arbeitsbedingten psychischen Risiken, muss im Blick gehalten werden”, sagt Jacobi. Wichtig sei: “Die schnelle Lösung gibt es hier nicht!” …

Das ist schon einmal ein Fortschritt.

Psychische Erkrankungen: BDA und VDBW

Dieser Beitrag betrifft die gemeinsame Erklärung von der BDA und des VDBW zur Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb,
http://www.google.de/search?q=VDBW+BDA+%22Bedeutung+der+psychischen+Gesundheit+im+Betrieb%22.
Am 9. Februar gab es in Salzgitter einen Kongress zu psychischen Erkrankungen (das ist ein Unterschied zu psychischen Belastungen) am Arbeitsplatz. dpa/tmn berichteten (http://www.stern.de/wirtschaft/job/ausgleich-von-der-arbeit-suchen-1784493.html und http://www.news.de/wirtschaft/855270967/burnout-vorbeugen-ausgleich-von-der-arbeit-suchen/1/):

… Psychische Leiden sorgen immer öfter für Probleme im Beruf: So sind sie die häufigste Ursache für Frühverrentungen. 2010 sind laut der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bundesweit 70 000 Arbeitnehmer wegen einer seelischen Erkrankung frühzeitig aus dem Beruf ausgeschieden. Seelische Leiden verursachen zudem jeden achten Krankheitstag: Sie waren 2010 bei den Betriebskrankenkassen Grund für 12 Prozent aller Fehltage. …

Der Artikel wurde auch wieder mit ein bisschen Expertise gefüllt:

… Im Job könne auf Dauer nur derjenige Hochleistungen erbringen, der sich selbst regelmäßig Gutes tut. Das sagte die Ärztin Nadja Behling. So hat ein Burnout keine Chance. Gut zu wissen, denn das Leiden ist die häufigste Ursache für Frühverrentungen.
Um einem Burnout vorzubeugen, ist ein Ausgleich von der Arbeit wichtig. Das kann Sport sein, aber auch Treffen mit Freunden sind gut für das seelische Gleichgewicht, sagte Nadja Behling. Diesen Grundsatz ließen viele Burnout-Patienten jedoch außer Acht. …

Wieder einmal bekommen die Betroffenen den schwarzen Peter. Tun Sie sich etwas Gutes! Auch heute (15 Jahre nach Erlass des Arbeitsschutzgesetzes) fällt der Presse selten etwas Anderes ein, als Verhaltensprävention. Verhältnisprävention ist vorgeschrieben. Verhaltensprävention mögen die Arbeitgeber aber lieber. Die BDA hat leichtes Spiel: Die Missachtung des Arbeitsschutzes in der Mehrheit der Betriebe haben die Redaktionen nicht auf dem Radar. Im Arbeitsschutz hat jedoch die Verhältnisprävention Vorrang, auch wenn (und gerade weil) das den Arbeitgebern nicht so liegt.
Was sagt die BDA zu der Veranstaltung? http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_PI-BDA-VDBW:

Psychische Erkrankungen: Abgestimmtes Zusammenwirken unerlässlich

Psychische Gesundheit ist eine unverzichtbare Grundlage, um im modernen Arbeitsleben zu bestehen und sich fachlich und persönlich zu entfalten. Mehr denn je wird körperliche und geistige Gesundheit aber auch als zentrale Grundlage hoher Wettbewerbsfähigkeit verstanden. Die Zunahme an psychischen Erkrankungen und die damit verbundenen Fehlzeiten der Beschäftigten stellen Unternehmen und Betriebsärzte vor neue Herausforderungen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) sehen daher gemeinsamen Handlungsbedarf. Ihnen ist es ein zentrales Anliegen, das Thema Psychische Erkrankungen gezielt und umfassend, d.h. von der Prävention und Früherkennung über die Behandlung bis zur Wiedereingliederung, anzugehen und für nachhaltige betriebliche Lösungen zu werben. Voraussetzung hierfür ist eine gute Kooperation der Betriebs- und Werksärzte mit den anderen betrieblichen Akteuren.

(Link nachträglich eingefügt)
Es scheint so, dass nicht nur die BDA, sondern auch Ärzte auf die Früherkennung von Erkrankungen setzen und nicht auf die Früherkennung von Fehlbelastungen. Aber in diesem Fall täte man dem VDBW unrecht, wenn man ihm Einseitigkeit vorwürfe, denn es gibt auch eine Position von Betriebsärzten und Gewerkschaft, die sich psychischen Belastungen zuwendet.
Es handelt sich hier also um Positionen zu unterschiedlichen Bereichen:

  • Mitarbeiter mit psychischen Problemen: BDA und VDBW widmen sich psychische erkrankten Beschäftigten in den Betrieben, die gerne auch als “auffällige” Mitarbeiter bezeichnet werden. Hier wird ein Modell der Salzgitter AG beworben. Anja Grocholewski beschreibt das in „Drei unter einem Dach“ – Das IV-Konzept von TU Braunschweig, BKK Salzgitter und Salzgitter-AG für Mitarbeiter mit psychischen Problemen. Jahrbuch 2012 “Psychiatrie in Niedersachsen”. “IV” steht dabei für “integriertes Versorgungskonzept”. Der Schwerpunkt liegt auf der Verhaltensprävention und der Versorgung bereits erkrankter Mitarbeiter. (Da entsteht natürlich Neugier, mit was für einer Betriebsvereinbarung der Betriebsrat der Salzgitter AG den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz geregelt hat.) Arbeitgeber kamen mit der fürsoglichen Zuwendung zu einzelnen und als erkrankt darstellbaren Mitarbeitern bisher besser zurecht, als mit der gesetzlich vorgeschriebenen Verhältnisprävention.
  • Psychische Probleme verursachende Arbeitsplätze: Gewerkschaft und VDBW widmen sich psychischen Belastungen, also “auffälligen” Arbeitsplätzen. Hier empfehle ich, von der SICK AG zu lernen. Die Verhältnisprävention kommt hier nicht zu kurz. Für viele Arbeitgeber ist dieser Ansatz immer noch ungewohnt. Die SICK AG gehört eher zu der kleinen Gruppe fortschrittlicher Arbeitgeber.


Das Schweigen der Betriebsärzte
Die BDA weiß, dass die Mehrheit ihrer Mitglieder gegen die Bestimmungen des Arbeitsschutzes verstößt. Seit 2005 fällt es schwer, das noch als Versehen zu entschuldigen. Vor diesem Hintergrund wird ein Glaubwürdigkeitproblem von Arbeitgebern (z.B. BDA Geschäftsfüherer Alexander Gunkel) und Betriebsärzten (z.B. Bernhard Koch, Betriebsarzt der Salzgitter AG) deutlich. In einem dpa-Artikel Die Seele kann im Rücken und im Magen wehtun schreibt Anita Pöhlig (2012-02-09):

… Die Salzgitter AG mit rund 25 000 Beschäftigten hat bereits reagiert. «Wir hatten schon immer ein Projekt für Muskel- und Skelettprobleme. In den vergangenen Jahren gab es eine wachsende Anzahl von Mitarbeitern, denen wir trotz guter Physiotherapie und Sportangeboten nicht helfen konnten, das hat unser Interesse geweckt», sagt Betriebsarzt Bernhard Koch. Schnell sei klar geworden, das psychische Probleme dahinter stehen.
Bei Vorsorgeuntersuchungen versuchen Koch und seine sieben Kollegen nun, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Typische Beschwerden wie Schlafstörungen oder Gereiztheit werden abgefragt und wie es mit dem persönlichen Eindruck der Leistungsfähigkeit stehe. …

“Typische Beschwerden wie Schlafstörungen oder Gereiztheit werden abgefragt und wie es mit dem persönlichen Eindruck der Leistungsfähigkeit stehe.” Ohne den von den Arbeitnehmern mitbestimmten Einbezug der psychischen belastungen in den Arbeitsschutz ist diese Art von fürsorglicher Belagerung ein die Mitarbeiter noch zusätzlich gefährdender Angriff auf ihre Persönlichkeit und ihre Rechte. Betriebsärzte sind ein Teil des Problems, wenn sie den Beschäftigten mit Vorsorgeuntersuchungen zu Leibe rücken, aber nicht eingreifen, wenn Arbeitgeber ganz offen die Pflicht zur Verhältnisprävention (d.h. zur an den Arbeitsbedingungen ansetzenden Vorsorge) vernachlässigen. Es ist eine verkehrte Welt: Ausgerechnet Ärzte trugen seit 1996 mit ihrer Toleranz gegenüber dem Rechtsbruch der Mehrheit der Arbeitgeber dazu bei, dass die Unternehmen den Arbeitsschutz ungestraft missachten durften. Das Schweigen der Betriebsärzte verletzte die von ihnen betreuten Mitarbeiter. Und heute helfen noch zu viele Betriebsärzte den Unternehmen, die Verhaltensprävention über die Verhältnisprävention zu stellen und damit den ganzheitlichen Arbeitsschutz zu unterlaufen.
Ratschlag an Arbeitnehmer vor dem Besuch beim Betriebsarzt: Trauen sie keinem Arzt, der nicht mit Ihnen zusammen überprüft, ob es zu ihrem Arbeitsplatz eine ordentlich und mitbestimmt erarbeitete Gefährdungsbeurteilung gibt. Das ist nicht vertraulich, denn es geht nicht um ihr persönliches Seelenleben, sondern um Ihre Arbeitsbedingungen. Darum können Sie sich bei der Diskussion der Gefährdungsbeurteilung von einem Betriebsratsmitglied begleiten lassen.
 
Gemeinsame Positionen vom VDBW mit …

Position von Betriebsärzten und Gewerkschaft

In dem folgenden Positionspapier von Betriebsärzten und Gewerkschaft fand ich einen wichtigen Begriff: Primärprävention. Gemäß Arbeitsschutzgesetz hat Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention. Die Verhältnisprävention auf Basis der Gefährdungsbeurteilung ist die Primärprävention. “… Sowohl aus sozialer, ökonomischer als auch aus medizinischer Sicht spricht alles dafür, der Primärprävention eine zentrale Bedeutung zu geben. … Dazu kann auch die betriebliche Gesundheitsförderung beitragen. Sie ist eine wichtige ergänzende Maßnahme zur Primärprävention …”. Es steht nicht im Belieben irgendwelcher Arbeitgeber, hier die Prioritäten zu verändern. Aus meiner Sicht kann Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention die Arbeitnehmer sogar zusätzlich gefährden.
 
http://www.ak-sozialpolitik.de/dukumente/2009-05-28-igm-vdbw.pdf und http://www.vdbw.de/Aktuell-Detailansicht.27+M579eb13db28.0.html?&tx_ttnews[year]=2009

Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW
“Psychische Gesundheit in der Arbeit – eine gemeinsame Herausforderung der Arbeitswelt von morgen”
Angesichts dramatisch steigender Zahlen psychischer Erkrankungen und Beeinträchtigungen bei berufstätigen Menschen stehen die Betriebe vor großen Herausforderungen. Betriebsärzte und IG Metall setzen sich für die nachhaltige Verbesserung der psychischen Gesundheit in den Betrieben ein. Für die IG Metall und den Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e.V. (VDBW) ist dies zu einem Schwerpunktthema geworden.

  1. Veränderungen in der Arbeitswelt
    IG Metall und VDBW sehen Gründe dieser Gefährdungen auch in den neuen Belastungen in der Arbeitswelt. Diese werden angesichts der Krise noch verschärft. Permanente Reorganisationsprozesse in den Unternehmen, die Weitergabe des Markt- und Kostendrucks an die Beschäftigten, der Einsatz von Informationstechnologien, die eine permanente Erreichbarkeit der Beschäftigten gewährleisten, tragen zu einer Entgrenzung von Arbeitszeiten und Leistung bei. Sie erhöhen insbesondere auch in den indirekten Tätigkeitsbereichen und in den Büroberufen den arbeitsbedingten Stress. Gegen gesundheitsgefährdende Belastungen, vor allem viele psychische Belastungen, kann insbesondere das Management in den Betrieben eine Menge tun. Denn Personalpolitik, Führungsstile und eine Arbeitsorganisation, die Menschen weder unter- noch überfordert, humane Arbeitszeiten und damit die gesamte Unternehmenskultur sind zentrale Aufgaben unternehmerischer Entscheidungen.
    Das Arbeitsschutzgesetz enthält deshalb auch eine eindeutige Verpflichtung für die Arbeitgeber, nicht nur Arbeitsunfällen und anderen arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren vorzubeugen, sondern auch die Arbeit menschengerecht zu gestalten. Dazu gehört auch, sich den psychischen Belastungen in der Arbeitswelt zu stellen. Unbestritten ist, dass sowohl betriebliche als auch außerbetriebliche Faktoren Ursache für psychische und psychosomatische Erkrankungen sein können. Ob die eigenen Ressourcen der Beschäftigten ausreichen, die Belastungen zu bewältigen, hängt auch von der persönlichen Situation, vom Lebensstil und dem Freizeitverhalten ab. Gemeinsamer Ansatzpunkt von IG Metall und VDBW ist vor allem der Betrieb als gemeinsames Handlungsfeld. Neben diesen betrieblichen Aktivitäten muss es für Menschen in Arbeitslosigkeit spezifische Maßnahmen zum Erhalt der psychischen Gesundheit geben.
  2. Neue Volkskrankheit
    IG Metall und VDBW stellen mit großer Besorgnis fest, dass die Auswirkungen der tiefen Krise und die Bedrohung von Arbeitsplätzen zu einer zusätzlichen Belastung der psychischen Gesundheit der Beschäftigten werden. Schon in den letzten Jahren haben Erkrankungen wie Depressionen und Burnout erheblich zugenommen und die Ausmaße einer neuen ,,Volkskrankheit” angenommen. Dies stellt zugleich nur die Spitze eines Eisberges von Gesundheitsgefährdungen dar. Sieht man sich die Arbeitsunfähigkeitsstatistiken an, so ist eine deutliche Zunahme der Erkrankungen aus dem psychischen Bereich zu erkennen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei vielen somatischen Erkrankungen eine wesentliche Mitursache in der Psyche liegt.
    Sowohl aus sozialer, ökonomischer als auch aus medizinischer Sicht spricht alles dafür, der Primärprävention eine zentrale Bedeutung zu geben. Dies verhindert menschliches Leid, erspart sowohl betrieblich als auch gesellschaftlich hohe Kosten und verhindert, dass die Belastungen, die auf den Menschen einwirken, letztlich zu manifesten Erkrankungen werden. Für die Entwicklung psychischer und auch psychosomatischer Erkrankungen sind die chronischen Auswirkungen psychischer Fehlbelastungen entscheidend. Nur durch umfassende Prävention und frühzeitige Intervention kann einer weiteren bedrohlichen Entwicklung entgegen gewirkt werden.
  3. Gefährdungsbeurteilung
    IG Metall und VDBW sehen angesichts dieser bedrohlichen Entwicklung Handlungsbedarfe und Interventionsmöglichkeiten vor allem in folgenden Bereichen: 

    1. In den Unternehmen sind Frühwarnsysteme für psychische Fehlbelastungen zu entwickeln, die auf allen Ebenen geeignete Interventionsmöglichkeiten schaffen. Schon beim Vorliegen von Befindlichkeitsstörungen bei den Beschäftigten wie z.B. Erschöpfungsgefühle, Gereiztheit, Kopfschmerz oder innere Unruhe, sind Reaktionen erforderlich. Ziel dabei ist es, Fehlbelastungen zu beseitigen und individuelle Bewältigungsfähigkeiten und Ressourcen der Beschäftigten zu stärken. Hierbei kommt den Betriebsärzten, beispielsweise im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen eine wichtige Aufgabe zu.
    2. Wir setzen uns dafür ein, das Thema psychische Gesundheit in der Arbeit zu enttabuisieren. Über Risikofaktoren und Gesundheitsgefährdungen muss in den Betrieben offen geredet werden können. Betriebsklima und Unternehmenskultur müssen dies befördern.
    3. Stressprävention muss in alle betrieblichen Entscheidungen eingebaut und Teil einer präventiv gestalteten Arbeitsorganisation werden. Insbesondere eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung, die auch psychische und soziale Belastungen ermittelt, ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Einleitung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Die Gefährdungsbeurteilung ist die Basis – die individuelle Beratung muss dies ergänzen. An dieser Stelle sind die Betriebsärzte besonders gefragt.
    4. Um die individuellen Bewältigungsfähigkeiten der Beschäftigten im Umgang mit Belastungen zu entwickeln, ist eine Stärkung ihrer Gesundheitsressourcen eine wichtige Aufgabe. Dazu kann auch die betriebliche Gesundheitsförderung beitragen. Sie ist eine wichtige ergänzende Maßnahme zur Primärprävention und trägt der komplexen Verursachung von Gefährdungen der psychischen Gesundheit Rechnung. Hinweise an die Beschäftigten für ihr Freizeitverhalten und die Motivation zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil sind wichtige Bestandteile der ärztlichen Beratung und dürfen dabei nicht fehlen, um die Eigenaktivität der Menschen für Ihre Gesundheit zu stärken.
  4. Gute gesetzliche Basis
    In allen Fällen, in denen Beschäftigte länger erkranken, bietet das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84 SGB IX ein wichtiges Instrument, um Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, einer erneuten Erkrankung vorzubeugen und chronische Krankheiten zu verhindern.
  5. Betriebsärztliche Versorgung sichern
    Bei allen Beschäftigten, die ernsthaft psychisch erkrankt sind, ist eine fachliche Versorgung durch Betriebsärzte und andere Fachleute unabdingbar. Eine entsprechende Erweiterung der Qualifikation für alle Fragen der psychischen und psychosomatischen Faktoren ist dabei Voraussetzung.
    Wir stellen fest, dass die arbeitsmedizinische Betreuung an vielen Stellen derzeit nicht ausreichend ist und die ernste Gefahr besteht, dass das Niveau des Gesundheitsschutzes vor allem in kleinen und mittleren Betrieben weiter sinkt. Die Politik ist aufgefordert, die geeigneten rechtlichen Grundlagen zur Stärkung der betriebsärztlichen Vorsorge zu schaffen, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die arbeitsmedizinischen Lehrstühle auszubauen, anstatt einen weiteren Abbau zuzulassen .
  6. Zusammenarbeit notwendig
    Auf all diesen betrieblichen Handlungsfeldern halten IG Metall und VDBW eine gute Zusammenarbeit von Betriebs- und Werksärzten und den betrieblichen Interessenvertretungen der Beschäftigten für unerlässlich. Ohne eine gute Beratung, Information und Betreuung der Beschäftigten, ohne ihre aktive Einbeziehung in die Bewältigung der gestiegenen Anforderungen und die Nutzung ihrer Kompetenzen als ,,Experten ihrer eigenen Arbeit” werden die Probleme nicht zu lösen sein. Gerade bei dem sensiblen und nach wie vor tabuisierten Thema der psychischen Gesundheit ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Betriebs- und Werksärzten und betrieblichen Interessenvertretungen erforderlich. Da in der gegenwärtigen Krise die Gefahr droht, dass der Druck auf Kranke und weniger Leistungsfähige in den Betrieben steigen kann, treten VDBW und IG Metall für einen Schutz auch erkrankter Beschäftigter ein und setzen sich gemeinsam für eine Stärkung der Prävention ein.
    Medizinische Daten sind sensible und schützenswerte Informationen, deren Umgang geregelt ist. Betriebsärzte unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht in vollem Umfang; Verletzungen der ärztlichen Schweigepflicht sind nach § 203 Strafgesetzbuch strafbewehrt. Beschäftigte können sich darauf verlassen, dass Betriebsärzte mit den ihnen anvertrauten gesundheitlichen Informationen sorgfältig umgehen und diese nicht weitergeben.
  7. Krise als Chance
    Die psychische Gesundheit in der Arbeit ist nach Meinung von IG Metall und VDBW auch für Politik und Wissenschaft eine Herausforderung für die Gesellschaft von morgen. Das Ziel, Erkrankungen zu vermeiden und zum Erhalt psychischer Gesundheit in der Arbeit beizutragen, bedarf der politischen Unterstützung wie auch der Weiterentwicklung von Erkenntnissen über Zusammenhänge und wirksame Gegenstrategien.
    Mittlerweile werden auf europäischer Ebene wie auch hierzulande etwa im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) und der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) die Förderung der psychischen Gesundheit und die Prävention von psychischen Erkrankungen als wichtige Aufgaben betrachtet. Entsprechende Netzwerke und Kooperationen sind im Entstehen, benötigen aber ausreichende Ressourcen. Bei der jetzt von der Bundesregierung gestarteten Initiative ,,Neue Kultur der Arbeit” sollte das Thema ,,Psychische Gesundheit in der Arbeit” einen prominenten Stellenwert erhalten.
    Gerade in der aktuellen Situation muss an die Betriebe das Signal gehen, dass auch in Krisenzeiten die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen weiterhin eine hohe Priorität erfordern. Die Bewältigung der Krisenfolgen wird nur mit motivierten und kompetenten Beschäftigten möglich sein. Dazu muss man deren Interesse an gesundheitsförderlichen Arbeitsbedingungen ernst nehmen.

Karlsruhe/Frankfurt a.M., im Mai 2009

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