Dauerstress: Wenden Sie sich zuerst an den Betriebsrat

http://www.mittelstanddirekt.de/content/f0906-0/internet/website/home/versichern_und_vorsorgen/nachrichten/psychische-belastungen-arbeitsplatz.html

[…] TÜV-Empfehlung: Beratung durch den Betriebsarzt
Die TÜV-Arbeitsmediziner raten Arbeitnehmer andauernden psychischen Stress am Arbeitsplatz sowie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch ernst zu nehmen und sich an ihren Arbeitgeber zu wenden. Dieser muss im Zuge seiner gesetzlichen Fürsorgepflicht für die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter sorgen und den Betriebsarzt verständigen. Den medizinischen Grund der Anfrage muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht offen legen. Der Betriebsarzt stellt im Rahmen einer Arbeitsplatz- und Gefährdungsbeurteilung sowie individuellen Untersuchung des Beschäftigten die Ursachen für eine psychische Belastung fest. Ziele der Beratung sind gezielte individuelle Lösungen zur Suchtprävention und Stressabbau. […]

Es gibt genug Fälle, in denen sich Mitarbeiter an den Arbeitgeber wenden und dann ein niedrigeres Einkommen “angeboten” bekommen. Ich rate fehlbelasteten Arbeitnehmern dringend, sich zuerst an den Betriebsrat zu wenden und zu besprechen, welche Prozesse zur Bearbeitung von Meldungen über fehlbelastenden Dauerstress zwischen dem Betriebsrat und der Betriebsleitung vereinbart worden sind.
Betriebsärzte können durchaus die richtige Adresse für solche Fehlbelastungsmeldungen sein, aber wenn es aus Sicht des Betriebsrates neben der individuellen Beratung durch den Betriebsarzt keinen ordentlichen und vorrangig verhältnispräventiven Arbeitsschutz mit einem mitbestimmten und auditierbaren Prozess für Gefährdungsbeurteilungen gibt, dann könnte das ein Zeichen sein, dass das Unternehmen Fehlbelastungen gleich von Anfang an den Mitarbeitern zuschreiben möchte.
Problematisch wird es natürlich, wenn auch der Betriebsrat keine Ahnung hat und keine ordentlichen Prozesse zur Bearbeitung von Fehlbelastungsmeldungen vereinbart wurden, denn wer bei Fehlbelastungen zu verständigen ist und wie solche Fälle bearbeitet werden, hat im Rahmen der Arbeitsschutzregeln in Betrieben mit Arbeitnehmervertretungen mitbestimmt entschieden zu werden. Zunächst geht es nicht um die fürsorgliche Belagerung von Arbeitnehmern, sondern um den Arbeitsschutz und um die Beurteilung der Arbeitsplätze möglicherweise fehlbelasteter Mitarbeiter.
Hinsichtlich der “individuellen Untersuchung des Beschäftigten” stellen der TÜV bzw. mittelstdanddirekt.de die Prioritäten des Arbeitsschutzes falsch dar. Im Arbeitsschutz ist ganz klar vorgeschrieben, dass individuelle Maßnahmen nachrangig zu allen anderen Schutzmaßnahmen sind. Warum verkehren der TÜV und mittelstanddirekt.de die Prioritäten? Inzwischen sollten sie es wirklich besser wissen: Zunächst sitzten bei der Beurteilung der Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen auf der Couch und nicht die Arbeitnehmer.
Meine Empfehlung für einen ersten Besuch beim Betriebsarzt: Nehmen Sie ein Mitglied des Betriebsrats zu dem Gespräch mit. Wenn Betriebsärzte das mit Hinweis auf die Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient ablehnen wollen, dann weisen Sie darauf hin, dass Sie kein Patient sind. Da bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen persönliche Daten kein Thema sind, gibt es auch keine Vertraulichkeitsprobleme. Die Beurteilung von Arbeitsbedingungen ist kein Geheimnis.
Testen Sie, wie Betriebsärzte sich gegenüber dem Arbeitgeber verhalten: Vertrauen Sie keinen Betriebsärzten, die sich bei Mängeln in der Gefährdungsbeurteilung beim Arbeitgeber nicht für eine wahrheitsgemäße Gefährdungsbeurteilung einsetzen.

Fehlbelastungsmeldung: Der Betriebsrat hilft

Pressemeldung des TÜV (TÜV-Arbeitsmediziner vom Arbeitskreis Arbeitsmedizin beim Verband der TÜV e. V. (VdTÜV),
http://www.presseportal.de/pm/65031/2548073/psychische-belastungen-am-arbeitsplatz-nicht-warten-bis-es-zu-spaet-ist):

[…] Die TÜV-Arbeitsmediziner raten Arbeitnehmer andauernden psychischen Stress am Arbeitsplatz sowie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch ernst zu nehmen und sich an ihren Arbeitgeber zu wenden, der im Zuge seiner gesetzlichen Fürsorgepflicht für die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter sorgen muss. Der Mitarbeiter sollte den Arbeitgeber beauftragen, den Betriebsarzt anzurufen. Den medizinischen Grund der Anfrage muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht offen legen. Der Betriebsarzt stellt im Rahmen einer Arbeitsplatz- und Gefährdungsbeurteilung sowie individuellen Untersuchung des Beschäftigten die Ursachen für eine psychische Belastung fest. Ziele der Beratung sind gezielte individuelle Lösungen zur Suchtprävention und Stressabbau. Generell sollte der Schutz vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz so selbstverständlich sein, wie der Schutz vor Lärm oder Chemikalien. Die TÜV- Arbeitsmediziner betonen, dass Betriebsärzte gegenüber den Arbeitgebern der Schweigepflicht unterliegen, sodass betroffene Mitarbeiter keine Konsequenzen zu befürchten haben. Die Kosten des Betriebsarztbesuchs hat der Arbeitgeber zu tragen.
Die Arbeitsmediziner der TÜV-Unternehmen kümmern sich in Betrieben und Organisationen um die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, unabhängig von der Berufsgruppe und Hierarchieebene. Sie beraten Arbeitnehmer individuell am Arbeitsplatz und -umfeld sowie Arbeitgeber im Rahmen ihrer gesetzlichen Führsorgepflichten in Bezug auf die Sicherheit der Mitarbeiter im Unternehmen. […]

So könnte es theoretisch laufen. Praktisch gibt es Betriebsärzte (und Arbeitsschutzverantwortliche), die den fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung und ihren Betrieben jahrelang nicht angesprochen haben.
Arbeitnehmer sollten sich also zunächst an den Betriebsrat wenden und dort besprechen, an wen sie sich wenden könnten. Wenn der Betriebsrat aber schon mit den Begriffen “Belastung”, “Fehlbelastung”, “Beanspruchung”, “Verhältnisprävention” und “Verhaltensprävention” nichts anfangen kann, dann wird er seinen Klienten nicht gut helfen können. Ein Warnsignal ist auch, wenn Betriebsräte nicht einmal sicherstellen können, dass ihre eigene Belastungssituation in der Gefährdungsbeurteilung zu ihren Arbeitsplätzen ordentlich beschrieben wird. Solche Betriebsräte verstehen nicht, welche Pflichten der Arbeitgeber jenen Mitarbeitern gegenüber hat, die im sehr konfliktbehafteten Bereich des Personalwesens arbeiten. Wie soll der Betriebsrat Andere schützen, wenn er sich selbst nicht schützen kann?
Wichtig: Der Betriebsrat sollte auch wichtige Prioritäten kennen, die das Arbeitsschutzgesetz festschreibt. Gemäß Arbeitsschutzgesetz gilt: Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen. Zunächst muss der Arbeitgeber also versuchen, den Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Priorität wird in der Pressemeldung des TÜV nicht so recht deutlich.

Publikationen der Unfallversicherung

 
2014-06-16: Die DGUV hat umgeräumt: http://blog.psybel.de/dguv-raeumt-um/. Einige Links in diesem Artikel funktionieren nicht mehr.
 


Die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung bietet sehr gutes Informationsmaterial:

 
Stress und psychische Belastungen am Arbeitsplatz:

 
Neuerscheinungen der DGUV allgemein:

 
Auch der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (LASI) bietet Informationsmaterial für Aufsichtspersonen.

"Gute Arbeit" im Bundesrat

343/13 (neu)
Entschließung des Bundesrates “Gute Arbeit – Zukunftsfähige und faire Arbeitspolitik gestalten”
Datum der Herausgabe: 26. April 2013
Länderbeteiligung: Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein
 
327/13
Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge
Datum der Herausgabe: 25. April 2013
Ausschusszuweisung: AS (fdf) – G – Wi

[…] Arbeitsmedizinische Vorsorge kommt bei allen Tätigkeiten, die die Gesundheit gefährden können, in Betracht. Wenn Beschäftigte zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen einer psychischen Störung und ihrer Tätigkeit vermuten, ist der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin für sie eine erste Anlaufstelle. […]

[…] Klargestellt wird weiterhin beispielsweise, dass der Gesundheitsbegriff sowohl die Physis als auch die Psyche umfasst. […]

Treiber ist hier die Bundesregierung.
Es gibt leider Betriebsärzte, die nichts unternehmen, wenn der Arbeitgeber seine Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz missachtet. Solchen Ärzten sollten sich Beschäftigte, die einen Zusammenhang zwischen einer psychischen Störung und ihrer Tätigkeit vermuten, nicht anvertrauen. Hier ist (wenn vorhanden) die Arbeitnehmervertretung eine erste Anlaufstelle. Aber leider haben auch hier nicht alle Arbeitnehmervertreter genügend Kompetenz.
 
315/13
Entwurf einer Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit
Datum der Herausgabe: 24. April 2013
Länderbeteiligung: Antrag der Länder Hamburg, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein
Ausschusszuweisung: AS (fdf) – G – Wi
Bemerkungen: Vorlage des BR nach Art. 80 Abs. 3 GG
Siehe auch: 909. Sitzung des Bundesrates

Dieter Hundts Rede

http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/files/529AA52F50736C79C1257B02003C93FB/$file/Rede_DH-Psychische-Gesundheit-in-der-Arbeitswelt.pdf (2013-01-29)

[…] In vielen Gesprächen mit Unternehmensvertretern und deren Betriebsärzten wird deutlich, dass hier etwas geschehen muss. Es ist nicht hinzunehmen, dass sich Betriebe über externe Anbieter Beratung und die Vermittlung schneller Versorgung für ihre Mitarbeiter teuer einkaufen müssen, weil das Gesundheitswesen nicht die entsprechenden Voraussetzungen schafft. […]

Dieter Hundt versteht den Arbeitsschutz nicht. Darin geht es nur um solche Erkrankungen, die durch (schlechte) Arbeit entstehen. Es geht nicht darum, dass Arbeit schlechthin krank mache. Viele Menschen verstehen diesen Unterschied recht gut. Weiterhin geht es nicht um bereits Erkrankte, sondern um die Vermeidung arbeitsbedingter Erkrankungen. Hundt überspringt die Prävention und jammert dann, dass psychische Erkrankungen den armen Arbeitgebern Kosten verursachen.
Hundt spricht sicherlich für viele Unternehmensvertreter. Aber ich bezweifele sehr, dass er “deren” Betriebsärzte richtig verstanden hat.

Psychische Belastung bei Daimler

http://www.daimler.igm.de/news/meldung.html?id=58230

BRennglas 01 / 2013
[…]
Psychische Belastung: Was kann ich tun?, Seite 6
[…]

 
http://www.daimler.igm.de/downloads/artikel/attachments/ARTID_58230_0ZoQkP?name=info.pdf, S. 6:

Psychische Belastung: Was kann ich tun?
Der BR im Erfahrungsaustausch mit den Verantwortlichen der Sozialberatung Frau Braun und dem Werksarzt Dr. Ickler.
Zu dem Thema Psychische Belastung und Burnout hat der „neue“ Suchtberater des Betriebsrates Stefan Pilz einige Fragen […]

[…]
Pilz: Der Leistungsdruck verlangt den Beschäftigten einiges ab! Durch die „Vitale Fabrik“ bietet Daimler verschieden Möglichkeiten Stressfaktoren abzubauen. Was raten Sie unseren KollegInnen präventiv zu tun?
Fr. Braun/Dr. Ickler: Betriebliche Aktivitäten, wie z. B. gemeinsames Wandern in der Natur, sind auf jeden Fall positiv für die Stressreduzierung. Nutzen der Achstiv-Angebote, wie z. B. Rückenschule oder Spinning. Sport ist im Allgemeinen sehr gut zum Stressabbau. Dabei spielt auch die soziale Einbindung eine wichtige Rolle.

Was ist das denn für ein Interview? Schläft der Betriebsrat bei Daimler? Ein Betriebsrat könnte gerade den Werksarzt und die Sozialberatung fragen, wie sie darauf achten, dass es zu den Arbeitsplätzen der Betroffenen ordentliche Gefährdungsbeurteilungen gibt.
Was können Mitarbeiter tun, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz psychische Fehlbelastungen vermuten? Wenn sie sich nicht an ihre Führungskraft wenden möchten, dann können sie den Betriebsrat bitten, mit ihnen zusammen die Gefährdungsbeurteilung für die Arbeitsplatzgruppe zu überprüfen, zu der ihr Arbeitsplatz gehört. Muss die Gefährdungsbeurteilung aktualisiert werden? Bevor überhaupt individuell verhaltenspräventiv wirkenden Maßnahmen ergriffen werden, muss die Verhältnisprävention überprüft werden. Im Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht aber die Mitarbeiter.
Auch in nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben geht es erst einmal um die Beurteilung der Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen bevor überhaupt daran gedacht werden darf, sich mit den Befindlichkeiten einzelner Mitarbeiter zu befassen: Sind Vorfälle und Gefährdungen in der betroffenen Arbeitsplatzgruppe gemäß OHSAS 18001 ordentlich erfasst und dokumentiert worden? Sind die internen Audits nach OHSAS 18001 glaubwürdig? Das kann ein Betriebsrat schon einmal fragen, ohne die Mitarbeiter individuell zu benennen. Dazu braucht man kompetente und aufgeweckte Betriebsräte.

Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes: Kosmetik?

Wie geht es eigentlich den vorgesehenen Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes?
Ohne eine Verbesserung der Ressourcen der Gewerbeaufsicht für die Kontrolle des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz wären die vorgesehenen Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes nur Kosmetik.
Außerdem müssten die Ressourcen und Durchsetzungsmöglichkeiten der Akteure im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzbeauftragte, Betriebsärzte, Personaler, Arbeitnehmervertretungen) so gestaltet werden, dass sie dem komplexen Thema der psychischen Belastungen auch gerecht werden können.

Expertengespräch zu psychischen Erkrankungen

Wieder mal etwas Interessantes in Stephan Lists Blog: http://www.arbeitstattstress.de/2013/03/expertengespraech-zu-psychischen-erkrankungen-im-betrieb/.
21 Minuten Video. Fast schon ein Lehrvideo. Von der Buchmesse in Leipzig? Ausgewogene und kompetente Moderation durch Stephan Rohn. Gut, mit Michael Vollmer auch mal einen Betriebarzt zu sehen, der Mängel bei der Gefährdungsbeurteilung beschreibt. Die Gefährdungsbeurteilung ist auch für Dirk Windemuth ein wichtiges Instrument.
Wichtig: Das Thema ist “psychische Erkrankungen”, nicht nur “psychische Belastung”. Diese Themen werden gut getrennt, die Zusammenhänge aber gut dargestellt.

Ministerium nimmt Personalvertretungen und Betriebsärzte in die Pflicht

Auf eine Anfrage hin hat mir das Bayerische Staatsministerium für Arbeit- und Sozialordnung, Familie und Frauen (Referat II 3; Arbeitsmedizin, Arbeitsschutzorganisation, sozialer Arbeitsschutz) eine freundliche und ehrliche Antwort geschickt.

Vielen Dank für Ihre E-Mail vom 18. Februar 2013 an Staatsministerin Christine Haderthauer, in der Sie über Probleme bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Einbeziehung psychischer Belastungen berichten. Frau Staatsministerin hat uns, als das für die Arbeitsmedizin zuständige Fachreferat, mit der Beantwortung Ihrer E-Mail beauftragt.
Seit dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) im Jahre 1996 hat der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit zu treffen. Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitgeber auch die Gefährdung durch „psychische Belastungen“ mit einbeziehen.
Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) hat auf seiner 54. Sitzung im September 2009 in Kiel die Veröffentlichung der LV 52 „Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden“ beschlossen. Basierend auf dieser LASI-Publikation wird künftig in Bayern durch technisches und ärztliches Personal der Gewerbeaufsicht die Beratung zu und die Überwachung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz in den Unternehmen von Seiten der Arbeitsschutzbehörden erfolgen. Diese Handlungshilfe wird es dem Aufsichtspersonal in der Praxis ermöglichen, grob orientierend Anhaltspunkte für psychische Fehlbelastungen in Betrieben zu erkennen und erforderliche betriebliche Maßnahmen anzustoßen.
Derzeit werden die bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamtinnen und -beamten entsprechend geschult.
Zentraler Ansatzpunkt ist die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung. Allerdings ist festzustellen, dass es für die Gewerbeaufsicht oft nur sehr schwer möglich sein wird, auch bei vorhandener Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Belastungen, im Rahmen einer Betriebsüberprüfung zu erkennen, ob (in bestimmten Bereichen) erhöhte psychische Belastungen vorliegen und ob ausreichende Maßnahmen getroffen wurden, diesen entgegenzuwirken. Einfacher wird es sein in Branchen, in denen es bekannter Weise zu erhöhten psychische Belastungen kommt.
Deshalb und in Anbetracht der sehr limitierten Personalressourcen wird es den bayerischen Arbeitsschutzbehörden nur möglich sein, die Unternehmen für die Belange psychischer Belastungen zu sensibilisieren und eine „Anstoßberatung“ durchzuführen. Kontrollen werden nur in Ausnahmefällen in die Tiefe gehen können.
Es steht außer Frage, dass Gefährdungsbeurteilungen auch in Hinblick auf psychische Belastungen „gelebt“ werden müssen. Die Verantwortung dafür trägt der Arbeitgeber. Sollte es hier Mängel geben, so gibt es ja gerade in großen Betrieben die Möglichkeit Probleme intern, über eine starke Personalvertretung oder den Betriebsarzt anzugehen. Die Behörde wird tätig, sobald ihr Defizite bekannt werden.

(Link und Hervorhebungen nachträglich in den Text eingetragen)
Die “Burnout Detektive” der Ministerin Haderthauer waren dann wohl eher eine Erfindung der Presse.
Es geht vermutlich nicht nur um Ressourcenprobleme, sondern auch um eine Gewerbeaufsicht, die sich gegenüber den Unternehmen nicht wirklich durchsetzen darf. Noch Anfang 2012 traute sich die Gewerbeaufsicht, zu schreiben:

[…] Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest. […]

Der Text ist inzwischen verschwunden.
Die Überforderung der Gewerbeaufsicht ist übrigens kein ausschließlich bayerisches Problem, sondern sie gefährdet die Arbeitnehmer bundesweit.
 


Vier Anmerkungen zu dem Brief:
Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte in der Pflicht: Die offene und ehrliche Antwort des Staatsministeriums ist hilfreich, denn sie zeigt eine Lösung auf: Die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte werden in die Pflicht genommen. Diese Lösung gibt es natürlich schon seit es das Betriebsverfassungsgesetz und das heutige Arbeitsschutzgesetz gibt! Aber es ist gut, wenn sich Betriebs- und Personalräte auch einmal von einer eher konservativen Staatsregierung anhören müssen, dass die Gewerbeaufsicht ohne engagierte Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte auf einem verlorenen Posten steht. Wenn diese Akteure zu schüchtern und zu schlecht ausgebildet sind und die Gewerbeaufsicht nicht auf Defizite hinweisen, dann funktioniert die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung nicht.
Mehrbelastung von Arbeitnehmervertretern und Betriebsärzten: Hier sind Aufgaben auf die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte (aber auch auf die Fachkräfte des Arbeitsschutzes) zugekommen, denen möglicherweise existierende Richtlinien zur Budgetierung nicht mehr gerecht werden. Sie müssen ja nun die Ressourcenprobleme der Behörden kompensieren. Für mutige Arbeitnehmervertretungen ist das kein unlösbares Problem: Zwar gilt weiterhin ein Betriebsverfassungsgesetz mit heute zu wenig Freistellungen, aber auch dank der ehrlichen Darstellung von behördlichem Ressourcenmangel durch Staats- und Bundesministerinnen werden Arbeitsrichter die Ressourcenprobleme der Personal- und Betriebsräte, der Betriebsärzte und der Fachkräfte für den Arbeitsschutz besser verstehen. Allerdings gibt es leider auch Arbeitnehmervertretungen, die zu schwach und zu kleinmütig sind, angemessene Ressourcen (z.B. Weiterbildung, externe Auditoren und Experten usw.) für sich durchzusetzen und Freistellungszeiten über das gesetzlich garantierte Mindestmaß hinaus auszudehnen.
Arbeitnehmervertreter zuständig für die Beurteilung der Arbeitsschutzqualität: Die Antwort des Staatsministeriums erlaubt noch eine weitere Schlussfolgerung: Gibt es nach einer Kontrolle durch die Gewerbeaufsicht keinen Mängelbericht, dann können Betriebe (in Bayern, aber wohl auch in anderen Ländern) trotzdem nicht behaupten, dass die Gewerbeaufsicht ihnen bestätigt habe, dass sie psychische Belastungen pflichtgemäß in den Arbeitsschutz einbeziehen. Das Ministerium verweist uns hier an die Arbeitnehmervertretungen und an die Betriebsärzte.
        Von den beiden genannten Akteuren im Arbeits- und Gesundheitsschutz haben nun wiederum die Arbeitnehmervertretungen die besseren Durchsetzungsmöglichkeiten. (Für die Fachkräfte der Arbeitsschutzes in den Betrieben ist das nicht so einfach.) Wehe den Mitarbeitern der Betriebe, in denen die Betriebsräte oder der Personalräte zu schüchtern oder/und zu schlecht ausgebildet sind, um Ihrer Mitbestimmungspflicht im Arbeitsschutz gerecht zu werden!
Falsches Verständnis von vertrauensvoller Zusammenarbeit: Angesichts der Bedeutung der Betriebs- und Personalräte für die Kontrolle des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es besonders bedenklich, wenn der Arbeitgeber und die Arbeitnehmervertretung vertrauensvolle Zusammenarbeit falsch verstehen und gemeinsam bei Besichtigungen durch Auditoren, durch die Gewerbeaufsicht und durch die Berufsgenossenschaft jene Vorfälle und Gefährdungen verheimlichen, die als arbeitsbezogene Ereignisse auftraten oder auftreten können, obwohl diese Vorfälle und Gefährdungen zum Beispiel physische und psychische Verletzungen oder Erkrankungen (bei OHSAS 18001 ohne Berücksichtigung der Schwere!) zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. (Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert.)
        Solche Arbeitnehmervertretungen sind vielleicht sogar gefährlicher als gar keine Arbeitnehmervertretungen, denn sie nehmen den von ihnen vertretenen Mitarbeitern grundlegende Rechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ein ziemlich entsetzliches Beispiel: Von konkreten Fällen starker psychischer Fehlbelastung betroffene Mitarbeiter werden alleine gelassen, damit die harmonische Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat bei gemeinsamen Projekten nicht gestört wird.
        Betriebsräte, die (vielleicht in guter Absicht) einer Betriebsleitung helfen, Fälle psychischer Fehlbelastngen und das Fehlen wirklich wirksamer Beurteilungen psychischer Belastungen unter den Teppich zu kehren, werden am Ende zum Dank auch noch über den Tisch gezogen: Wenn der Arbeitgeber sich nach geschickter Vorbereitung und Vertuschungsarbeit in kleinen und unauffälligen Schritten sicher genug fühlt, wird er behaupten, dass sein Arbeitsschutz schon lange ganzheitlich gewesen sei, denn der Betriebsrat hätte ja in der Vergangenheit bei Besuchen der Gewerbeaufsicht die Aufsichtspersonen pflichtgemäß auf Defizite aufmerksam machen können. “Offensichtlich” habe es aber keine Defizite gegeben. Zum Schluss können der Arbeitgeber und die Gewerbeaufsicht den schwarzen Peter so zum Betriebsrat schieben – und zwar zu Recht!
Andererseits: Auch Betriebsräte können ausbrennen.
Noch einmal der Hinweis: LASI-Veröffentlichungen