BARMER GEK vergisst den Arbeitsschutz

Die Celler Presse gibt auch nur einfach wieder, was die BARMER ihr zusteckt:
http://celler-presse.de/2016/01/13/psychische-belastung-im-job-immer-staerker-ueber-eine-million-fehltage/
Wie viele anderen Unternehmen, die sich anscheinend mit der Verhältnisprävention nicht so wohl fühlen, wirbt auch die BARMER GEK für Betriebliches Gesundheitsmanagement, ohne das bei der Mehrheit der deutschen Unternehmen immer noch rechtswidrige Fehlen eines Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz zu thematisieren. Wie sieht es wohl mit mitbestimmten Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen bei der BARMER GEK selbst aus? Offensichtlich setzt sich die BARMER GEK nicht dafür ein, dass die Unternehmen erst einmal das Arbeitsschutzgesetz beachten anstelle dem Mitarbeitern mit einem überwiegend verhaltenspräventiv Gesundheitsmanagement auf die Pelle zu rücken. Verhältnisprävention würde aber auch bei der BARMER dazu führen, dass kritischer über die Unternehmenskultur nachgedacht wird. Mag die Kasse das nicht?
Die BARMER GEK vergisst im Gesundheitsmanagement den Arbeitsschutz. Warum verlinkt die Kasse nicht zu ihren Seiten zum Arbeitsschutz und zu ihrer Broschüre “Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz” (mit einem Kapitel “Gesundheitsmanagement im Hinblick auf psychische Belastungen”)? Weil sie zu “Psychische Belastungen am Arbeitsplatz” (mit einem Kapitel “Arbeitsschutz im Hinblick auf psychische Belastungen”) wenig zu bieten hat?

Weil es dem Unternehmen gut tut, wenn es den Mitarbeitern gut geht
[…]
PSYCHISCHE GESUNDHEIT
Die Gesundheitskompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken, Stressbelastungen zu reduzieren und psychischen Erkrankungen auf diese Weise vorzubeugen, sind dabei besonders wichtige Ziele.
Aus dem Angebot:

  • Information und Beratung
  • Tagesworkshop »Self‑Care‑Training«
  • Präventionskurse zu verschiedenen Entspannungsmethoden, wie Progressive Muskelentspannung und Achtsamkeitstraining

[…]

“Self-Care”? Na toll.
Wie wirkt sich solch eine verkehrte Schwerpunktsetzung auf die Mitarbeiter der BARMER GEK selbst aus? Man kann bei der BARMER GEK nachlesen, was eine Gefährdungsbeurteilung ist, aber nicht, wie bei der Kasse selbst beispielsweise psychische Belastungen für die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen der eigenen Mitarbeiter mitbestimmt beurteilt werden. Bei der Bildschirmarbeit bleibt die dort schon vor vielen Jahren geforderte Beurteilung psychischer Belastungen unerwähnt.
Wenn die BARMER GEK tatsächlich ein “ausgezeichneter Arbeitgeber” sein will, warum beschreibt sie dann in ihrem schicken Webauftritt nicht, wie diese Kasse selbst das Arbeitsschutzgesetz verhältnispräventiv und mitbestimmt umsetzt, insbesondere bei der Gefährdungsbeurteilung von psychischen Belastungen, die von Arbeitsprozessen ausgehend auf die Mitarbeiter wirken? Das vorbildliche Einhalten der Arbeitsschutzvorschriften ist ja wohl das mindeste, was man von einer Krankenkasse erwarten kann, bevor sie für die freiwilligen Verhaltensprävention wirbt.
Zum “Achtsamkeitstraining”:

  • Diese Trainings haben kaum noch etwas mit den völlig unesoterischen Grundlagen der Achtsamkeitsmeditation zu tun: Mahásatipatthána Sutta (Dígha Nikáya, 22).
  • Im Arbeitsschutz bedeutet Achtsamkeit, bei Gefährdungsbeurteilungen genau hinzusehen. Aber ausgerechnet dort, wo Mitarbeiter buddhistisch angehauchte Achtsamkeit erlernen sollen, fehlt oft die Achtsamkeit des Arbeitgebers für die von seinen Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen ausgehenden Gefährdungen.

#Stressmanagement auf #Armlänge

Henriette Reker erntet jetzt viel Spott für ihre verhaltenspräventiven Vorschläge für bedrängte Frauen. Die Massenkriminaltät auf dem Kölner Bahnhofsplatz ist natürlich ein mediengerechteres Thema, als die Prävention psychischer Fehlbelastungen in der Arbeitswelt.
Wie wäre es für Resilienz-Trainings für Frauen? In der Arbeitswelt gibt es dafür leider kaum Spott. Hier dominiert auch in einem großen Teil der Öffentlichkeit immer noch die Ansicht, dass Arbeitnehmer zum Beispiel mit besserem individuellem Stressmanagement möglichen psychischen Fehlbelastungen am Arbeitsplatz begegnen sollten. Ich glaube zwar, dass im realen Alltag sowohl Verhaltensprävention wie auch Verhältnisprävention erforderlich ist, aber im Arbeitsschutzgesetz gibt der Staat zumindest auf dem Papier der Verhältnisprävention den Vorrang (individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen).
In der rauhen Wirklichkeit dürfen immer noch zu viele Arbeitgeber die in ihrer Verantwortung liegende Verhältnisprävention mit einer die einzelnen Mitarbeiter in die Verantwortung nehmenden Verhaltensprävention zu marginalisieren. Kein Bundesinnenminister beschwert sich hier über Gewerbeaufsichten, die hier nur überfordert und ziemlich tatenlos zusehen.
Den Medien ist das Thema “Verhaltensprävention versus Verhältnisprävention im Arbeitsschutz” natürlich zu kompliziert und zu unsexy.
Politiker, die jahrelang zuließen, dass sich bis 2012 etwa 80% der Betriebe über das Gesetz stellten und der Verhältnisprävention psychischer Belastungen auswichen, sollten sich jetzt mit Kritik an Henriette Reker besser ein bisschen zurückhalten. Das gilt auch für Journalisten, die sich bis heute von Firmen einlullen lassen, die mit Segnungen wie Stressmanagement-Trainings und individuellem Coaching Werbung betreiben, ohne gleichzeitig unbequemeren Pflichten im Arbeitsschutz nachzukommen. Nachdem des Thema der psychischen Belastungen nicht mehr aus den Betrieben herausgehalten werden kann, versuchen viele Unternehmer (und inzwischen auch viele Anbieter von Coachings für Mitarbeiter) nun, dem lästigen Thema mit Verhaltensprävention in den Griff zu bekommen. Wo bleibt der Spott?

Die DAkkS kommt in die Nachrichten

https://magazin.spiegel.de/SP/2015/53/140604225/index.html

Au­to­mo­bi­le
Voll­brem­sung
TÜV, Dekra und Co. könnten ihre Zulassung als Kfz-Prüfer verlieren. Das System der Hauptuntersuchung ist bedroht – mit Folgen für Werkstätten und Millionen Pkw-Halter.
[…]
Auf zwei Sei­ten führ­te DAkkS-Chef Nor­bert Barz auf, war­um sei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on ge­den­ke, den Prü­fern eine Ver­län­ge­rung der Ak­kre­di­tie­rung zu „ver­wei­gern“. Be­su­che vor Ort hät­ten er­ge­ben, dass „im er­heb­li­chen Um­fang“ Mess­ge­rä­te ein­ge­setzt wer­den, die nicht nach den „ein­schlä­gi­gen An­for­de­run­gen“ und dem „Stand der Tech­nik ka­li­briert sind“. […]

Die DAkkS traut sich was. Dass sie damit im Kfz-Bereich anfängt, hat mindestens zwei Gründe:
(1) Es ist jetzt wirklich schwer geworden, wegzusehen.
(2) Kalibrierungsmängel und andere technisch messbaren Abweichungen und Prozesse lassen sich ziemlich klar nachweisen. Hier kann die DAkkS leichter gegen die “Prüfkonzerne” (Originalton SPIEGEL) vorgehen, als z.B. bei schlampigen Prüfungen von Arbeitsschutzmanagementsystemen, bei denen Abweichungen nicht so klar nachweisbar sind.

[…] Was erlaubt sich dieser Berliner DAkkS den da? Das kleine Unternehmen, zu zwei Dritteln in Staatsbesitz, nahm erst 2010 die Arbeit auf und hatte in den ersten Jahren seiner Existenz nie spürbar aufgemuckt.[…]

Wann muckt die DAkkS gegen unkritische Zertifizierungen von Arbeitsschutzmanagementsystemen auf?
Der Vorgänger der DAkkS war übrigens der ebenfalls nicht allzu aufmüpfige Deutsche Akkreditierungsrat. Die Prüfkonzerne sind eben ziemlich stark und haben eine gute Lobby. Sie wiederum sind gerade so kritisch, wie nötig. Denn heute können sich die Geprüften den laschesten Prüfer aussuchen.

[…] Wenn es ums Prüfen geht, dann lassen sich die Deutschen nicht gerne von aneren übertreffen. […]

Die Prüferei in Deutschland war schon eine Farce, bevor es die DAkkS gab. Das gilt auch für die politisch kräftig ausgebremste behördliche Aufsicht: Lebensmittelsicherheit, Steuerfahndung (Hessen), Gewerbeaufsicht, Arbeitsschutz usw.
 
http://www.zeit.de/mobilitaet/2015-12/tuev-dekra-akkreditierung-entzug

[…] Die Deutsche Akkreditierungsstelle mit Sitz in Berlin bemängelt laut Spiegel die Arbeit von Organisationen wie Tüv, Dekra und GTÜ. […]

Wenigstens hier wacht die DAkkS auf, gezwungenermaßen.
 
http://www.focus.de/auto/news/nicht-an-vorgaben-gehalten-kfz-pruefern-droht-der-verlust-der-zulassung_id_5173609.html

[…] Im Sommer hatte der Chef der Akkreditierungsstelle, Norbert Barz, dem Bericht zufolge zahlreiche Verkehrsminister der Länder in einem Brief auf die Probleme hingewiesen. […]

Da ist noch ein anderer Brief zu schlechten Audits von Arbeitsschutzmanagementsystemen (AMS) fällig, den die Gewerbeaufsicht machen sich in Betrieben mit einem zertifizierten AMS die Arbeit leichter und müssen sich deswegen auf gute Audits verlassen können.
 
http://www.focus.de/auto/news/die-dakks-mal-wieder-nicht-an-vorgaben-gehalten-kommentar_id_7213120.html

Auch die DAkks ist letztendlich nichts anderes als eine privatwirtschaftlich geführte Organisation, […] Und ausgerechnet diese Organisation, die selber keiner Kontrolle unterliegt, will bestimmen, wer korrekt handelt und wer nicht?

Na ja, formal wird sie von ihren Geschäftsführern kontrolliert: Bundeswirtschaftsministerium, BDI, Bundesländer.
 
Leider ist das Thema Arbeitsschutz etwas komplexer und zieht nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber auch hier gibt es Schlampereien bei Audits von Arbeitsschutzmanagementsystemen z.B. nach OHSAS 18001. Es gibt da mindestens einen bei der DAkkS akkreditierten Auditierungsgroßmeister (natürlich auch privatwirtschaftlich geführt), bei dem die DAkkS meiner Ansicht nach immer noch nicht kritisch genug hinschaut.
Außerdem wird in den Redaktionen oft gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzes im Bereich der Arbeitsbelastungen verstoßen. Bei einer kritischen Berichterstattung über das Aufsichtsversagen im Arbeitsschutz müssten sich die Medienunternehmen mit ihren eigenen Problemen befassen.
 
Siehe auch:

Sarah Kempf schreibt über psychische Belastung: ver.di Umfrage

2. November 2015, Von Sarah Kempf,

Belastung am Arbeitsplatz
Jeder fünfte Arbeitnehmer fühlt sich überfordert

Eine Anti-Stress-Verordnung müsse her, fordern Gewerkschaften. Dabei liegt das Problem wohl nicht nur im Job.

Sarah Kempf arbeitet sich an der nicht existierenden Behauptung der Gewerkschaften ab, dass das Problem nur am Job läge. (http://www.sueddeutsche.de/karriere/belastung-am-arbeitsplatz-jeder-fuenfte-arbeitnehmer-fuehlt-sich-ueberfordert-1.2732094):

[…] Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte die Forderung [nach einer Anti-Stress-Verordnung] unterstützt und gesagt, es gebe einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme an psychischen Erkrankungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dem Gesetz im vergangenen Herbst aber vorerst eine Absage erteilt.
“Platte Behauptung”
Die Arbeitgeber dürfte das gefreut haben. Sie wollen, dass betriebliche Schutzmaßnahmen freiwillig bleiben. Dass Arbeitsstress die Ursache für psychische Krankheiten sein soll, bezeichnete Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft VBW, als “platte Behauptung”. […]

Anlass des Berichts sind wohl u.A. die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung durch TNS Infratest im Rahmen der ver.di-Aktionswoche 9.-13. November 2015 im Rahmen der Aktionswoche “Gute Arbeit ohne Druck” (2011-11-09). Es gibt dazu auch ein Artikel im Handelsblatt (2015-11-09), an dem sich die Süddeutsche Zeitung ein Beispiel nehmen könnte. Es gibt auch ein Beispiel für eine sehr gut recherchierte Berichterstattung in der SZ zum Thema der psychischen Belastung (Thomas Öchsner, 2012-07-24.)

  • Sara Kempf’s kleinerer Fehler: Eine Verordnung ist kein Gesetz.
  • Der größere Fehler ist, den Eindruck zu erwecken, dass die die Gewerkschaften die Ursache psychischer Krankheiten (nur) dem Arbeitsstress zugeordnen würden. Hier wird eristisch versucht, eine Behauptung zu widerlegen, die weder die Gewerkschaften noch Andrea Nahles machten. Auch Arbeitsschutzakteure verorten die Ursachen für psychische Erkrankungen in der Bevölkerung nicht ausschließlich in der Arbeitswelt. Es ist doch klar, dass psychische Erkrankungen eine Vielzahl von Ursachen haben können. Nur wurde der Bereich der arbeitsbedingten psychischen Belastungen seit 1997 in gesetzeswidriger Weise vernachlässigt. Das unzureichende Prüfungen ein Grund dafür sind, berichtete die Süddeutsche Zeitung schon im Juli 2012 (Thomas Öchsner, s.o.).
  • Sarah Kempf schreibt: Die Arbeitgeber “wollen, dass betriebliche Schutzmaßnahmen freiwillig bleiben.” Das ist der größte Fehler. Seit 1997 sind betriebliche Schutzmaßnahmen zur Vermeidung jeder Art von arbeitsbedingter Gesundheitsverschlechterung längst nicht mehr freiwillig, sondern sie sind verpflichtend im Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben.

Dass ein signifikanter Anteil psychischer Erkrankungen arbeitsbedingt ist, haben die Arbeitgeber längst begriffen. Das Problem: Wegen des in einer spürbar veränderten Arbeitswelt aus psychischen Fehlbelastungen resultierenden wirtschaftlichen Schadens möchten die Unternehmen derartige Fehlbelastungen zwar durchaus mindern, aber mit möglichst wenig Mitbestimmung und möglichst geringem Haftungsrisiko.
Hier bremsen die Rechtsabteilungen der Unternehmen ihre Arbeitsschutzbeauftragten und ihre HR-Abteilungen, denn um die von arbeitsbedingten psychische Belastungen verursachte Beanspruchung der Mitarbeiter zu verstehen, müssten psychische Belastungen zwar besser erfasst und beurteilt werden, als das bisher der Fall ist, aber solch eine Dokumentation könnte auch Haftungsansprüche der Arbeitnehmer begründen. Darum versuchen selbst nach OHSAS 18001 zertifizierte Betriebs, gegenüber ihren Mitarbeitern ihre Selbstverpflichtung zu verstecken, für den Arbeitsschutz relevant Vorfälle in zwölf Kategorien zu erfassen und zu beurteilen.
Zudem kann die offene und transparente Thematisierung psychischer Belastungen zu Diskussionen über Führungstile führen, an die sich Arbeitgeber möglicherweise nicht allzu bereitwillig gewöhnen möchten. Es geht hier an’s Eingemachte.
Sahra Kempf ist es (im Gegensatz zu Thomas Öchsner, s.o.) nicht aufgefallen, dass bis 2012 die große Mehrheit der Unternehmen sich für die vorgeschriebene Beurteilung psychischer Belastungen nicht interessiert hatte. Eine Journalisten sollte sich vielleicht doch ein bisschen aktiver für den Rechtsbruch interessieren, an den sich auch die Gewerbeaufsicht gewöhnt hatten. (Es gibt Zertifizierungsauditoren, die das tolerieren.)
Vor diesem Hintergrung lassen sich die Forderungen nach einer Anti-Stress-Verordnung leichter verstehen. Ob die Schlussfolgerung, dass hier eine Verordnung helfen lönnte, richtig ist, ist eine andere Frage. Es gab ja seit 1997 ein Gesetz über den ganzheitlichen Arbeitsschutz. Ohne eine Rückkehr zu Recht und Ordnung im Arbeitsschutz und im behördlichen Aufsichtshandeln würden den Arbeitgebern Verstöße gegen eine Anti-Stress-Verordnung genauso großzügig gestattet, wie die Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz.

Betriebssicherheitsverordnung 2002 und 2015

Die wegen eines unheimlich wichtigen Sommerloch-Themas noch einmal überarbeitete BetrSichV trat im Juli 2015 in Kraft:

Amazons Roboter

In “Amazons Roboter” schreibt der Markus Brauck über die Arbeitswelt bei Amazon. Aber er kann gerade nur das schreiben, was in das SPIEGEL-Format passt. Über das nachhaltige Versagen der Gewerbeaufsicht in Fällen wie diesem zu schreiben, wäre vermutlich für Markus Brauck nicht zu viel, aber mit einem uncoolen Arbeitsschutzthema möchte das Magazin seine Leser wohl lieber nicht unzeitgemäß überfordern.
Darum wissen die Leute auch weiterhin nicht, dass die Verhältnisse bei Amazon Gegenstand des Arbeitsschutzes sind und die Einhaltung des Arbeitschutzgesetzes hinsichtlich der Pflicht zur Vermeidung psychischer Fehlbelastungen von der Gewerbeaufsicht kontrolliert werden müsste. So etwas wie Arbeitsschutz ist aber heute wohl ein zu sperriges Thema. Also kann Amazon unter den Augen der Gewerbeaufsicht und trotz der im letzen Jahr erfolgten Klarstellungen im Arbeitschutzgesetz die Mitarbeiter weiterhin ungestört unter Druck setzen.

Peinlich! Gruner+Jahr vergisst Arbeitsschutz!

Humbug, 18.10.2014 – Viele Arbeitgeber sind es nicht gewohnt, im Arbeitsschutz die Gesetze beachten zu müssen. Ihnen fehlen im Arbeitsschutz auch heute oft noch die elementarsten Grundlagen des Wissens. Hierzu lieferte der Verlag Gruner+Jahr kürzlich ein peinliches Beispiel.
Durch das Heft “Wege aus dem Stress” der Reihe GEOkompakt (“Die Grundlagen des Wissens”) wurde die Gewerbeaufsicht Humbug nun auf gefährliche Wissenslücken auch beim Verlag Gruner+Jahr aufmerksam: In dem Unternehmen scheint die Pflicht des Arbeitgebers zur Minderung arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen völlig unbekannt zu sein. Es finden sich in dem immerhin neun Euro kostenden Heft keine Informationen über die Möglichkeiten der Arbeitgeber, durch das Befolgen des Arbeitsschutzgesetzes jenen Stress zu mindern, der schädlich ist.
Mit seinem Magazin zum Thema Burn-Out entblößte der Verlag unfreiwillig gefährliche Wissenslücken. Dadurch musste der Gewerbeaufsicht klar werden, dass in den vorgeschriebenen Unterweisungen die mindestens erforderlichen Grundlagen des Wissens über dein Einbezug psychischer Belasstungen in den Arbeitsschutz nicht ausreichend vermittelt wurden. Darum weiß bei G+J bis heute kein Mitarbeiter, wie der moderne Arbeitsschutz Wege aus dem Stress weist.
Sollte G+J zu den vielen Unternehmen gehören, denen die Gewerbeaufsicht bisher ermöglichte, straffrei gegen das Arbeitsschutzgesetz zu verstoßen, dann bringt die Panne, die G+J jetzt mit der Veröffentlichung ihres Magazins unterlaufen ist, auch die Gewerbeaufsicht in Humbug in große Verlegenheit.
[Diskussion]

Ist "Arbeitsschutz" ein Unwort?

http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/wirtschaft/artikel/was-infineon-fuer-die-gesundheit-tut/1042715/was-infineon-fuer-die-gesundheit-tut.html (2014-04-03)

Regensburg. In immer mehr Unternehmen setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Mitarbeiter nicht nur selbst für ihre Gesundheit verantwortlich sind. Weil Firmeninhaber und Manager wissen, dass auch die Rahmenbedingungen im Job mitverantwortlich für das Wohl und Wehe der Beschäftigten sind, implementieren sie firmeninterne Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. […]

Christine Hochreiter von der Mittelbayerischen Zeitung berichtet im Artikel “Was Infineon für die Gesundheit tut” über Gesundheitsförderung, aber über den Arbeitsschutz bei Infineon erfahren die Leser nichts. Weil Firmeninhaber und Manager wissen, dass sie gemäß Arbeitsschutzgesetz gesundheitschädigende Fehlbelastungen zu mindern haben, implementieren sie unter der Beachtung der Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter firmeninterne Maßnahmen zur Umsetzung der Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes.
Infineon hat sich seit einigen Jahren dazu verpflichten, schädliche “Vorfälle” zu mindern. Das sind arbeitsbezogene Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. Unter “Erkrankung” versteht Infineon einen erkennbaren, nachteiliger physischen oder mentalen Zustand, der durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation hervorgerufen und/oder verschlechtert wurde. Warum schreibt die Mittelbayerische Zeitung nichts über diese Selbstverpflichtungen von Infineon im Arbeitsschutz?

Werner Fürstenbergs Eristik

Problem Chef, DER SPIEGEL 45/2013, S.90 bis 92 (http://www.vdbw.de/fileadmin/01-Redaktion/05-Presse/02-PDF/Pressemitteilung/2013/SPIEGEL_Stressfaktor_Chef_Burnout_im_Büro.pdf):

[…] “Ich halte überhaupt nichts von einer Anti-Stress-Verordnung”, sagt Werner Fürstenberg, Geschäftsführer das Fürstenberg Instituts. Stress sei ein ernstzunehmenders Problem, “aber man untergräbt das Selbstbestimmungsrecht der Menschen, wenn man Stress per Verordnung verbieten will.” […]

Das ist wieder ein hübsches Beispiel für irreführende Eristik in der Diskussion um arbeitsbedingte psychische Belastungen. Weil ihm wohl nachvollziehbare Argumente fehlen, kritisiert Fürstenberg ein von ihm selbst konstruiertes Ziel, dass die Stressverordnung gar nicht hat. Als Institutsleiter weiß er natürlich, dass mit dieser Verordnung Stress nicht verboten werden soll (dann gäbe es keine Jobs), sondern es geht darum, einen ehrlichen und transparenten Umgang mit legitimen psychischen Belastungen einerseits und krank machenden Fehlbelastungen andererseits sicherzustellen.
Die “Anti-Stress-Verordung” richtet sich gegen eine rechtswidrige Fremdbestimmung von Arbeitnehmern durch ihre Arbeitgeber. Die Mehrheit der Arbeitgeber haben sich seit 1996 lange genug gegen ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen gewehrt, dabei geltendes Arbeitsschutzrecht gebrochen und das Selbstbestimmungsrecht auf Gesundheit ihrer Mitarbeiter untergraben. Die Antistressverordnung soll dieser Anarchie ein Ende setzen. Vorschriften, die nicht durchgesetzt werden, schaden auch dem Rechtsstaat.
 
Der SPIEGEL selbst setzt noch eine Falschdarstellung darauf:

[…] Stress im Job hätten die Parteien schon vor der Wahl gern per Gesetz verboten. […]

Wird so auch innerhalb des SPIEGEL über psychische Belastungen diskutiert? In dem Laden hat es ein Arbeitsschützer sicherlich nicht leicht. So wie DER SPIEGEL über das Thema der psychischen Belastung berichtet, sollte sich die Gewerbeaufsicht fragen, ob dieses Magazin auch als Arbeitgeber den heute geforderten Arbeitsschutz überhaupt verstanden hat. Wie geht es in den Redaktionen des SPIEGEL zu? Wie schützt dieser Arbeitgeber seine Mitarbeiter vor Fehlbelastungen? Welche Führungskultur herrscht beim SPIEGEL heute? Dürfen Redakteure das Thema der psychischen Belastung so kritisch angehen, dass das auch Fragen zum beim SPIEGEL praktizierten Arbeitsschutz aufwirft?
An die für den SPIEGEL zuständigen Gewerbeaufsichten: Bitte insbesondere die Qualität und die Mitbestimmtheit der nach § 12 ArbSchG vorgeschriebenen Unterweisung der SPIEGEL-Mitarbeiter überprüfen.