Wenn BGM zum Arbeitsschutz wird

http://www.bund-verlag.de/blog/betriebsrat/psychische-leiden-am-arbeitsplatz-nehmen-zu/?newsletter=BR-Newsletter%2F19.09.2017

AOK-Fehlzeiten-Report 2017
Psychische Leiden am Arbeitsplatz nehmen zu
18 Sep, 2017 Aktuelles ,Kategorie: Aktuelles ,Themen: Arbeitsschutz […]

Der Schwerpunkt liegt hier auf nicht-arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen, die sich natürlich auch am Arbeitsplatz auswirken. BGM (Betrieblisches Gesundheitsmanagement) hilft hier, aber der Umgang mit persönlichen Lebenskrisen ist erst nachrangig ein Arbeitsschutzthema.
Merke: Bei der Prävention im gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz geht es um die verhältnispräventive Minderung arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen.
Für Betriebsräte wichtig: BGM kann ein Rahmen für den Arbeitsschutz bieten. BGM kann aber auch dazu missbraucht werden, mitbestimmungspflichtige und nicht mitbestimmungsflichtige Maßnahmen miteinander zu verquirlen und damit die Mitbestimmung zu schwächen. Darum müssen Betriebsräte aufpassen: Alle Maßnahmen, die der Arbeitgeber der Gewerbeaufsicht und externen Auditoren (z.B. OHSAS 18001) als Beitrag zur Umsetzung der Vorschriften des Arbeitsschutz darstellt, sind mitbestimmungspflichtig.
Betriebsräte sollten deswegen mithören und mitlesen können, wie ein Unternehmen seinen Arbeitsschutz gegebnüber der behördlichen Aufsicht und externen Auditoren darstellt.

IGM muss noch dazulernen

Ich bin Mitglied der IGM und bat meine Gewerkschaft, mir Kollegen zu benennen, die sich mit OHSAS 18001 auskennen. Das ist ein Standard für Arbeitsschutzmanagementsysteme. Ich bekam keine Hilfe.
Währenddessen kenne ich inzwischen mehrere Mitglieder von Betriebsräten, die zeigen, wie man kompetent und professionell mit solchen Standards im Interesse der von Ihnen vertretenen Mitarbeiter umgehen kann. In einem Fall kennt sich das Betriebsratsmitglied besser mit dem Standard aus, als die zuständige SiFa. In einem anderen Fall (ein Tochteruntrenehmen von Daimler) haben das Betriebsratsmitglied, die SiFa und der Zertifizierungsauditor von Anfang an gut miteinender zusammengearbeitet. Es geht also. In beiden Fällen braucht man die Gewerkschaft dabei nicht, sondern nur Betriebsratsmitglieder, die sich persönlich Kompetenz (z.B. Befähigung zu internen Audits) erarbeitet haben.
Gewerkschaften, die eine Anti-Stress-Verordnung fordern, aber über von ihnen nicht verstandene Standards die Nase rümpfen und deswegen in zertifizierten Betrieben nicht einmal die Selbstverpflichtungen der Arbeitgeber nutzen können, müssen noch viel dazulernen.

ASA: Gefährlicher Ausschuss

Soweit in einer sonstigen Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist, hat der Arbeitgeber gemäß § 11 ASiG in Betrieben mit mehr als zwanzig Beschäftigten einen Arbeitsschutzausschuß (ASA) zu bilden.
(Bei der Feststellung der Zahl der Beschäftigten sind Teilzeitbeschäftigte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.)
Dieser Ausschuß setzt sich zusammen aus:

  • dem Arbeitgeber oder einem von ihm Beauftragten,
  • zwei vom Betriebsrat bestimmten Betriebsratsmitgliedern,
  • Betriebsärzten,
  • Fachkräften für Arbeitssicherheit und Sicherheitsbeauftragten nach § 22 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch.

Der Arbeitsschutzausschuß hat die Aufgabe, Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beraten. Der Arbeitsschutzausschuß tritt mindestens einmal vierteljährlich zusammen.
Der Ausschuss ist gefährlich, wenn sich die beiden Betriebsratsmitglieder dazu missbrauchen lassen, die Mitbestimmung des gesamten Betriebsrates zu umgehen, ohne dass der Betriebsrat das so richtig merkt. Schlaue Arbeitgeber können den ASA nutzen, die beiden Betriebsratsmitglieder im ASA mit Themen zu überraschen, auf die sie nicht vorbereitet sind. Sind die beiden Betriebsratsmitgglieder nicht erfahren genug, stimmen sie Vorschlägen des Arbeitgebers zu, ohne die Gelegenheit zu nutzen, diese Themen erst einmal in die entsprechenden Ausschüsse des Betriebsrates oder das Betriebsratsgremium zu tragen und dort besonnen zu beraten. Andernfalls kann der Arbeitgeber versuchen, die Entscheidungen der Beiden Betriebsrats-Mitglieder im ASA als Mitbestimmung durch des ganzen Betriebsrates darzustellen.
Betriebsräte sollten sich gut überlegen, mit welchen Befugnissen sie ihre beiden Kollegen in den ASA schicken. Die Entscheidungen, die im ASA heute insbesondere im Bereich der psychischen Belastungen getroffen werden, setzen eine gute Vorbereitung voraus. Es kann auch im Interesse der beiden Betriebsratskollegen im ASA sein, wenn sie verpflichtet werden, Entscheidungen nicht im ASA zu treffen, sondern sie in einen geeigneten Betriebsratsausschuss zu tragen und dort zu beraten. Alternativ kann auch sichergestellt werden, dass der Betriebsrat eine ausreichend detaiilierte Tagesordnung des ASA-Treffens erhält und vor der Sitzung des ASA entscheidet, wie welche Positionen des Betriebsrates im ASA vertreten werden sollen. Auch müssen die Betriebsrats-Mitglieder im ASA gewieft genug sein, unschlüssige Argumentationen des Arbeitgebers durchschauen zu können. Andernfalls besteht die Gefahr, dass schlecht vorbereitete Betriebsratsmitglieder von einem gut vorbereiteten Arbeitgeber im ASA über den Tisch gezogen zu werden.

GULMO webt besser

Das Forschungs- und Beratungsinstitut GULMO hat sich inzwischen viel besser ins Web verwoben, als zu den Zeiten, in denen ich Norbert Gulmo (ein promovierter Psychologe mit Betriebsratserfahrung und einer ungewöhnlichen Vita) kennenlernte. Das bedeutet allerdings auch, dass viele meiner “deep links” in die alten Seiten des früheren Webauftrittes nicht mehr funktionieren. Für’s reparieren der Links bin ich in meiner Pause zu faul, aber ein Hinweis auf das Institut ist diese kleine Pausenunterbrechung in jedem Fall wert.

Offensive betriebliche Mitbestimmung

Aus einer praxisnahen Mitbestimmungsperspektive wird mit interessenpolitischer Absicht in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung die gute Arbeit von Betriebsräten verdeutlicht. Diese Arbeit setzt aus Sicht der Stiftung das Zusammenwirken mit den Gewerkschaften im dualen System deutscher Arbeitsbeziehungen voraus. Gemeinsam mit dem DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften, gestützt auf Wissenschaft und externen Sachverstand, werden die Herausforderungen für die Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung beschrieben. Die Studie möchte den Betriebsräten eine wirksame praktische Unterstützung bieten, alle Akteure der Mitbestimmung zur Diskussion anregen und damit die konzeptionelle Weiterentwicklung der Mitbestimmung vorantreiben.
http://www.boeckler.de/pdf/p_betriebl_mitbestimmung_online.pdf, S. 26ff:

[…]
Betriebsräte gestalten gute Arbeit mit betrieblichen Vereinbarungen
Betriebsräte machen den Unterschied. Zu diesem Ergebnis kommt unter anderem eine repräsentative Beschäftigtenbefragung des DGB-Index „Gute Arbeit“ aus dem Jahr 2009. Danach gefragt, ob der Betriebsrat für die Beschäftigten wichtig oder sehr wichtig sei, antworteten 60 % der Arbeitnehmer mit „ja“. In Betrieben mit Betriebsrat beurteilten Beschäftigte insgesamt ihre Arbeitsbedingungen besser als in Betrieben ohne Betriebsrat. Im Einzelnen wird die Einkommenssituation mit Betriebsrat besser bewertet, ebenso die Arbeitsplatzsicherheit. In Betrieben mit Betriebsrat sei außerdem mehr Leistungsgerechtigkeit vorhanden und der Anteil von befristet Beschäftigten in niedrigen Lohngruppen sei deutlich geringer als in Betrieben ohne Betriebsrat.
[…]
Andere aktuelle Herausforderungen für die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen sind die verstärkte Arbeitsverdichtung, die zunehmend fließende Grenze zwischen der Privatsphäre und dem beruflichen Alltag sowie die wachsenden psychischen Belastungen. Diverse Befragungen ergeben, dass Stress, Zeitdruck und ständige Erreichbarkeit zu Fehlbelastungen führen. Deshalb müssen Wege gefunden werden, um Fehlbelastungen zu verringern und somit auch alter(n)sgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Relevant hierfür sind beispielsweise Gefährdungsbeurteilungen. Der Arbeitgeber muss sie durchführen, das ist seit 1996 gesetzlich geregelt. Doch bislang haben sehr viele Unternehmen und Verwaltungen keine Verfahren für aussagekräftige Gefährdungsbeurteilungen etabliert. Ein positives Beispiel ist im Container Terminal Tollerort des Hamburger Hafens zu finden. Dort befasst man sich auf der Basis eines Konzerntarifvertrages aus dem Jahr 2007 mit dem demografischen Wandel, mit globalem Wettbewerb und betrieblicher Sozialpolitik. Altersstrukturanalysen und Qualifizierungsbedarfe werden jährlich erhoben. Auf diese Weise wird erkannt, wie Arbeit organisiert, gestaltet und die Personalentwicklung aussehen muss. Hinzu kommen Arbeitszeitmodelle für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Pflege sowie ein ausgereiftes Präventionssystem zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Details werden in Betriebsvereinbarungen geregelt. Inzwischen gibt es auch Gefährdungsbeurteilungen für psychische Belastungen.
Ein weiteres Beispiel ist die Rheinbahn in Düsseldorf. Dort entwickelten Betriebsräte gemeinsam mit dem Arbeitgeber eine Dienstplanregelung zur Entlastung der Kolleginnen und Kollegen im Fahrdienst. Im vergangenen Jahr wurden sie vom Deutschen Betriebsrätepreis dafür mit dem Sonderpreis für Gute Arbeit ausgezeichnet. Überstunden, Krankenstand und demografischer Wandel waren die Auslöser für die Initiative. Im Zentrum steht eine „Belastungsampel“ für die Gestaltung des Dienstplanes. Für jede Schicht wird die Gesamtbelastung anhand eines Kriterienkataloges mit Punkten bewertet. Bereits in der Schichtplanung ist schnell ersichtlich welcher Dienst „rot“ und somit stark belastend ist. Ziel ist, die roten Schichten zu eliminieren. Zusätzlich konnte Personal eingestellt werden.
Viele aktuelle Ansatzpunkte für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen liegen im klassischen Feld der Arbeitszeitgestaltung. Gerade flexible Arbeitszeitmodelle (Arbeitszeitkonten, Arbeitszeitkorridore, Gleitzeiten, Rufbereitschaften, Wochenendarbeit etc.) sind Hauptgegenstand in Betriebsvereinbarungen. Vor allem die Rücksichtnahme auf private und nicht der ausschließliche Vorrang betrieblicher Belange ist regelmäßig umkämpftes Terrain. Aber heute ist nicht mehr nur die Arbeitszeit flexibel, sondern in zunehmendem Maß auch der Arbeitsort und selbst die Inhalte der Arbeit. Wachsende Digitalisierung und Vernetzung in die Arbeitswelt, Fragen des Datenschutzes sowie Stress und psychische Fehlbelastungen sind aktuelle „Begleiterscheinungen“ und neue Themenfelder. DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach (2012) mahnt daher einen Stresstest nicht nur für Bahnhöfe, Atomkraftwerke oder Banken an, sondern auch „für die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen.“ In diesem Zusammenhang machte im Dezember 2011 eine Nachricht hinsichtlich des Umgangs mit mobilen Endgeräten Schlagzeilen. Es ging um die Regelung zur zeitlichen Beschränkung der Smartphone-Nutzung für Tarifbeschäftigte bei
Volkswagen: „Das Smartphone wird grundsätzlich während der Anwesenheit im Betrieb genutzt, außerhalb der Anwesenheit im Betrieb sind die Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt. Während des Zeitfensters von 18.15 Uhr bis 7.00 Uhr und an Wochenenden steht die Telefonfunktion zur Verfügung, alle anderen Anwendungen nicht.“ Der Betriebsrat hatte diese Regelung durchgesetzt, um die ständige Erreichbarkeit einzudämmen.
Zentrale Handlungsfelder zur Verringerung von Stress sind Arbeitszeitregelungen und Arbeitsüberlastung, Gesundheitsschutz, Kompetenzentwicklung und Personalpolitik. Entsprechende Ideen von Betriebsräten werden in verbindlichen Regelungen mit dem Arbeitgeber vereinbart: der Zugriff auf das Firmennetz für die Zeit der betrieblichen Gleitzeit wird begrenzt. Andere Regelungen betonen die Freiwilligkeit und legen fest, dass Beschäftigte außerhalb ihrer Arbeitszeit nicht erreichbar sein müssen. Oder Vorgesetzte werden verpflichtet, der Erwartungshaltung einer ständigen Erreichbarkeit der Beschäftigten entgegenzuwirken. Weitere Regelungen befassen sich mit transparenten Vertretungsregelungen für den E-Mail-Verkehr bei Krankheit und Urlaub. In einigen Bereichen wird zusätzlich bezahlte und geplante Rufbereitschaft eingerichtet, verbunden mit Sonderurlauben. Neue Regelungen sehen Kompetenzschulungen für die mobile Arbeitswelt und den angemessenen Umgang mit mobilen Endgeräten vor. Derlei Regelungen müssen ein Mindestmaß an Schutz bieten und zugleich Bedürfnisse von sehr unterschiedlichen Beschäftigtengruppen berücksichtigen. Ein solches Dilemma ist nicht immer lösbar. Um Konflikte mit Beschäftigten zu vermeiden, ist deren Beteiligung an der Gestaltung von Regelungen und Verfahrensweisen wichtig.
Betriebsräte sorgen für gute Arbeit und Arbeitsbedingungen. Weil technologischer Fortschritt, Digitalisierung, Vernetzung und Mobilität das Arbeitsleben verdichten und beschleunigen, entstehen neue Handlungsfelder für die betriebliche Mitbestimmung beim Thema gute Arbeit. Das bedeutet auch Mitbestimmung im Datenschutz und bei Leistungs- und Verhaltenskontrollen.
Für viele Beschäftigte wachsen individuelle Freiräume. Aber nicht für alle verbessern sich auch ihre Arbeitsbedingungen. Für Betriebsräte entsteht eine Zwickmühle: Einerseits geht es um den Schutz vor zu viel Arbeitsverdichtung und überhöhten betrieblichen Flexibilitätsanforderungen. Andererseits müssen wichtige individuelle Freiräume erhalten bleiben für Arbeitsorganisation und Zeitarrangements.[…]
[…]
Betriebsräte kämpfen für internationale Standards guter Arbeit

Der Einsatz von Betriebsräten für gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen endet längst nicht mehr am Werkstor oder an den nationalen Grenzen. Immer wieder machen Unfälle durch verheerende Arbeitsbedingungen Schlagzeilen: z. B. der Großbrand in einer Textilfabrik in Bangladesh im November 2012. Bereits im September 2012 waren 289 Arbeiter in Pakistan in einer Textilfabrik verbrannt. Aus der zynischen Sicht mancher Unternehmen, die gern in Entwicklungsländern produzieren lassen, sind diese Nachrichten schlecht fürs Geschäft. Deshalb bekennen sich gerade große Bekleidungshersteller seit Jahren zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, ihrer Corporate Social Responsibility (CSR). Es ist die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen, sich im Kerngeschäft über das gesetzliche Maß hinaus für die Umsetzung sozialer und ökologischer Standards einzusetzen. Und in solchen Firmen es ist nicht selten der Druck von Betriebsräten, die aus Solidarität mit ihren Kollegen in den Entwicklungsländern vom eigenen Unternehmen eine wirkungsvolle Übernahme der Verantwortung für gute Arbeitsbedingungen vor Ort und bei den Lieferanten einfordern.
CSR ist seit Jahren in aller Munde: Die Bundesregierung hat 2009 ein „Nationales CSR-Forum“ eingerichtet. In der Europäischen Union gibt es Diskussionen, in den Geschäftsberichten neben finanziellen Kennzahlen auch Angaben zur sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung verpflichtend zu machen. Die Vereinten Nationen bieten mit Global Compact ein Programm an, bei dem sich Unternehmen auf eine sozial verantwortliche Unternehmensstrategie verpflichten können.
Beispiele wie in Bangladesh oder Pakistan zeigen jedoch, dass CSR oft nur auf dem Papier existiert und es ein weiter Weg von der Selbstverpflichtung zur konkreten Umsetzung ist. Gelingen kann die Umsetzung nur, wenn die Interessenvertretungen der Beschäftigten in diesen Prozess einbezogen sind. Auch die Betriebsräte in Deutschland können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Das haben viele Unternehmensleitungen inzwischen selbst erkannt. Seit einigen Jahren erklären sich mehr und mehr international tätige Unternehmen bereit, mit den globalen Gewerkschaftsverbänden internationale Rahmenvereinbarungen auszuhandeln, die Unternehmen auf die Einhaltung sozialer Mindeststandards verpflichten. Auch in Bangladesh haben die meisten großen Handelsketten im Mai 2013 eine Vereinbarung mit den Gewerkschaftsverbänden UNI Global und IndustriALL unterzeichnet, um Arbeitsbedingungen, Brandschutz und Gebäudesicherheit in den Fabriken verbessern zu müssen.
Grundbestandteil solcher Regelungen ist die Verpflichtung der Unternehmen auf die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation: Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Kollektivverhandlungen, Verbot von Zwangsarbeit und Kinderarbeit sowie das Verbot von Diskriminierung und die Pflicht zur gleichen Bezahlung für gleichwertige Arbeit für Männer und Frauen. Darüber hinaus enthalten sie im Idealfall konkrete Pflichten für den Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur Aus- und Weiterbildung, für Mindestlöhne und zur Vermeidung exzessiver Arbeitszeiten. Für die Umsetzung dieser Mindeststandards werden Verfahren zur Durchsetzung und Sanktionen geregelt sowie teilweise auch die Ausdehnung und Verpflichtung auf Zulieferer.
Aber auch bei diesen internationalen Rahmenvereinbarungen ergibt sich die Umsetzung nicht von selbst. Sie setzt voraus, dass an allen Standorten Personen existieren, die gegenüber der Konzernleitung für die Umsetzung verantwortlich sind, und auch eine Interessenvertretung der Beschäftigten vorhanden ist, die in die Umsetzung einbezogen ist. Internationale Rahmenvereinbarungen sind dann erfolgreich, wenn von Anfang an eine enge Verbindung zwischen den globalen Gewerkschaftsverbänden und den Interessenvertretungen vor Ort besteht. Hier kommen auch die Betriebsräte in Deutschland ins Spiel. Sie verfügen über Kenntnisse zu internen Prozessen und Strukturen im Unternehmen, die nötig sind, um Ansatzpunkte zu finden, Abteilungen einzubeziehen, Zulieferbeziehungen und Geschäftsprozesse zu beachten.
Wie mühsam die Umsetzung internationaler Rahmenvereinbarungen sein kann, zeigt sich aktuell am Beispiel Volkswagen. Der Weltbetriebsrat kämpft darum, die Rahmenabkommen in allen Standorten weltweit umzusetzen. In den USA stößt der Versuch, mit der US-Gewerkschaft UAW gemeinsam die Einrichtung einer betrieblichen Interessenvertretung im Werk Chattanooga anzustoßen, auf massiven Widerstand. In Italien dagegen wird die Umsetzung der VW-Charta der Arbeitsbeziehungen als Gegenmodell zu FIAT begrüßt. Dort werden von den Gewerkschaften drastische Zugeständnisse verlangt und trotzdem wird ein italienisches Werk nach dem anderen geschlossen.
Globale Rahmenvereinbarungen gibt es nicht nur in globalen Konzernen, sondern auch in deutlich kleineren. So hat die IG Metall gemeinsam mit der Bau- und Holzarbeiter Internationale und deutschen Schreibwarenherstellern wie Faber-Castell, Staedler und Schwan-Stabilo internationale Rahmenvereinbarungen getroffen, die weltweit nur wenige Tausend Beschäftigte haben. Hier übernehmen die deutschen Betriebsräte zum Teil selbst die Aufgabe, die Umsetzung der Vereinbarung in den ausländischen Standorten zu prüfen. Sie tun dies, weil sie wissen, dass die Existenz ihres Unternehmens in Deutschland auch davon abhängt, dass es weltweit als sozial verantwortliches Unternehmen wahrgenommen wird. In den internationalen Standorten gibt es bislang keine Interessenvertretung der Beschäftigten, sondern muss erst noch aufgebaut werden.
Gute Arbeitsbedingungen zu entwickeln, ist Bestandteil einer gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmensführung. Es ist ein mühseliges Unterfangen für Betriebsräte, entlang weltweiter und grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten Standards für gute Arbeit zu erkämpfen. Dabei liegt ein weiteres Motiv für deutsche Betriebsräte im Gedanken des Schutzes der eigenen Standards der Arbeitsbedingungen. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen weltweit hilft womöglich auch, Standortkonkurrenzen zu verringern.
Es ist mühselig für Betriebsräte, entlang weltweiter und grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten Standards für gute Arbeit zu erkämpfen. Aber gute Arbeit an weniger sozial geschützten Arbeitsplätzen hilft auch guter Arbeit an besser geschützten Orten. Betriebsräte in Deutschland machen sich deshalb mehr und mehr auch im eigenen Interesse auf den Weg, über ihre Europäischen Betriebsräte und mit den internationalen Gewerkschaftssekretariaten verbindliche internationale Rahmenabkommen zu erreichen. Der Anspruch muss sein, die Einhaltung der international vereinbarten ILO-Menschenrechte umzusetzen.
Für bessere Handlungsfähigkeit von Betriebsräten
Zwanzig Jahre geübte Praxis der Interessenvertretung in Europäischen Betriebsräten machten sie zu einem selbstverständlichen Element der Interessenvertretung in grenzüberschreitenden Unternehmen. Sie haben sich auf den Weg gemacht, mit den europäischen und internationalen Gewerkschaftssekretariaten gemeinsam verbindliche internationale Rahmenabkommen zu erreichen. Den Kernarbeitsnormen der ILO-Menschenrechte soll damit Geltung verschafft werden. Denn: Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht, wo auch immer auf der Welt.

  • Betriebsräte sorgen für gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen. Weil technologischer Fortschritt, Digitalisierung, Vernetzung und Mobilität das Arbeitsleben verdichten und beschleunigen, entstehen neue Handlungsfelder für betriebliche Mitbestimmung und gute Arbeit. Die klassischen Schutzinteressen stehen demgegenüber jedoch nicht zurück.
  • Für viele Beschäftigte wachsen individuelle Freiräume. Aber nicht für alle verbessern sich auch ihre Arbeitsbedingungen. Für Betriebsräte entsteht eineZwickmühle: Einerseits geht es um den klassischen Schutz vor Überforderung. Andererseits muss die betriebliche Mitbestimmung den Autonomiewünschen der Beschäftigten stärker entgegenkommen. Auch deshalb muss der Betriebsrat neue Kommunikationsformen in der direkten und unmittelbaren Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern finden.
  • Die betriebliche Mitbestimmung leistet konstruktive Beiträge, um die Innovationskraft von Unternehmen zu erhöhen. Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen verbessern sich. „Gute Arbeit“ entsteht. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Betriebsrat klar Stellung bezieht und auch bereit ist, Konflikte mit dem Management einzugehen, um seine Ziele zu erreichen.
  • Die Kurzfristigkeit von Renditeanforderungen internationaler Kapitalgeber hat das Handeln und Spielräume für das Management verändert. Damit muss auch der Betriebsrat umgehen. Der Umgang mit Maßnahmen mit kurzfristigen Kostensenkungseffekten oder zur Restrukturierung ganzer Bereiche ist mehr und mehr zum Alltag von Betriebsrat und Gewerkschaften geworden.
  • Die Unternehmensmitbestimmung ist eine Erfolgsgeschichte, weil Betriebsratsmitglieder über ihr Mandat im Aufsichtsrat die betriebliche Mitbestimmungsagenda voranbringen können. Idealtypisch wird mit der Montanmitbestimmung vorgelebt, wie paritätische Mitbestimmung erfolgreich zum Wohl von Arbeitnehmern und Unternehmen praktiziert werden kann.
  • Professionalität des Betriebsrates kombiniert sich aus Erfahrung, erworbenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Qualifikationen. Eine entsprechende formale Anerkennung und Vergütung entlang transparenter Grundsätze wäre ein Signal von Wertschätzung für das Wahlamt Betriebsrat.

 
Links:

Unabdingbare Mitbestimmungspflicht der Arbeitnehmervertretung im Arbeitsschutz

Das Arbeitsschutzgesetz ist ein Rahmengesetz. Was im Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht bereits gesetzlich geregelt ist und wo betriebsspezifische Ausgestaltungen von Rahmenvorschriften erfolgen, hat vom Betriebsrat mitbestimmt zu werden. Auf die Erfüllung dieser Pflicht darf auch die Arbeitnehmervertretung nicht verzichten.
Aus einem Beschluss des BAG vom 8.11.2011 (1 ABR 42/10):

[…] Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. […]

Wenn standortübergreifende Regelungen in die Betriebe hineingreifen und somit die Wirkung betrieblicher Regelungen haben, dann sind z.B. mindestens die Gesamtbetriebsräte mitbestimmungspflichtig. Sie können von den lokalen Betriebsräten entspechend beauftragt werden. Betriebsräte bei der Mitzbestimmung zu behindern, ist strafbar.
 
Die Grundlage dieses BAG-Beschlusses ist das Betriebsverfassungsgesetz. Nicht nur Arbeitgeber könnten gegen dieses Gesetz verstoßen, sondern es kann auch Arbeitnehmervertretungen geben, die ihrer Mitbestimmungspflicht nicht gerecht werden. Es gibt Zertifizierer, die an der Überprüfung der Einhaltung der folgenden Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes und an der Zusammenarbeit zwischen der Betriebsleitung und der Arbeitnehmervertretung (siehe z.B. OHSAS 18001:2007, Absatz 4.4.3.2) nicht sonderlich interessiert sind.
 

§ 80 BetrVG, Allgemeine Aufgaben
(1) Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben:
1. darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden;
2. Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber zu beantragen;
[…]
9. Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Umweltschutzes zu fördern.
(2) Zur Durchführung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz ist der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten; die Unterrichtung erstreckt sich auch auf die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. Dem Betriebsrat sind auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Soweit es zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, hat der Arbeitgeber ihm sachkundige Arbeitnehmer als Auskunftspersonen zur Verfügung zu stellen; er hat hierbei die Vorschläge des Betriebsrats zu berücksichtigen, soweit betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen.
(3) Der Betriebsrat kann bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist.
(4) Für die Geheimhaltungspflicht der Auskunftspersonen und der Sachverständigen gilt § 79 entsprechend.

 

§ 81 Betrvg, Unterrichtungs- und Erörterungspflicht des Arbeitgebers
(1) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über dessen Aufgabe und Verantwortung sowie über die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs zu unterrichten. Er hat den Arbeitnehmer vor Beginn der Beschäftigung über die Unfall- und Gesundheitsgefahren, denen dieser bei der Beschäftigung ausgesetzt ist, sowie über die Maßnahmen und Einrichtungen zur Abwendung dieser Gefahren und die nach § 10 Abs. 2 des Arbeitsschutzgesetzes getroffenen Maßnahmen zu belehren.
(2) Über Veränderungen in seinem Arbeitsbereich ist der Arbeitnehmer rechtzeitig zu unterrichten. Absatz 1 gilt entsprechend.
(3) In Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmer zu allen Maßnahmen zu hören, die Auswirkungen auf Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer haben können.
(4) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die aufgrund einer Planung von technischen Anlagen, von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen oder der Arbeitsplätze vorgesehenen Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf seinen Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung sowie auf Inhalt und Art seiner Tätigkeit zu unterrichten. Sobald feststeht, dass sich die Tätigkeit des Arbeitnehmers ändern wird und seine beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht ausreichen, hat der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer zu erörtern, wie dessen berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten den künftigen Anforderungen angepasst werden können. Der Arbeitnehmer kann bei der Erörterung ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen.

 

§ 87 Mitbestimmungsrechte
(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
[…]
1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
[…]
7. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
8. Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
[…]

 

§ 89 Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz
(1) Der Betriebsrat hat sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Er hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.
(2) Der Arbeitgeber und die in Absatz 1 Satz 2 genannten Stellen sind verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen.
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung und den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.
(3) Als betrieblicher Umweltschutz im Sinne dieses Gesetzes sind alle personellen und organisatorischen Maßnahmen sowie alle die betrieblichen Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze betreffenden Maßnahmen zu verstehen, die dem Umweltschutz dienen.
(4) An Besprechungen des Arbeitgebers mit den Sicherheitsbeauftragten im Rahmen des § 22 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch nehmen vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder teil.
(5) Der Betriebsrat erhält vom Arbeitgeber die Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen, zu denen er nach den Absätzen 2 und 4 hinzuzuziehen ist.
(6) Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Durchschrift der nach § 193 Abs. 5 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vom Betriebsrat zu unterschreibenden Unfallanzeige auszuhändigen.

 
Links:

Zertifizierer wehrt sich gegen Betriebsratsthemen

In Facebook hatte ein bei der Deutschen Akkreditierungsstelle akkreditierter Zertifizierer im letzten Jahr einen Lehrgang “Auditor für Arbeitsschutzmanagementsysteme nach BS OHSAS 18001:2007” angeboten. Ich stellte ihm in einem Kommentar zu seiner Seminar-Ankündigung in Facebook die kurze Frage: “Wurde in dem Seminar die Mitwirkung von Betriebsräten an Audits thematisiert?” Nicht mehr, nicht weniger. Das Zertifizierungsunternehmen löschte diesen Frage.
Viel professioneller und hilfreicher reagiert die TÜV-SÜD-Akademie: https://www.facebook.com/tuevsuedakademie/posts/10152225658444595.

§§ 87 und 89 des Betriebsverfassungsgesetzes

Der § 89 BetrVG Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz konkretisiert den § 87 BetrVG Mitbestimmungsrechte. Genau genommen geht es hier nicht um Mitbestimmungsrechte, sondern um Mitbestimmungspflichten. Beide Paragrafen sind keine Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, sondern sie verbinden diese Freiheit der Arbeitgeber mit deren Verantwortung für die Arbeitnehmer. Beide Normen schreiben dazu den Arbeitnehmern die Ausübung von Mitbestimmunsrechten vor, denn wenn Arbeitnehmervertretungen auf ihr Mitbestimmungsrecht “verzichten” würden, dann funktionieren gesetzlich vorgeschriebene (und von weisen Leuten gut erklärte) Korrekturmechanismen nicht mehr. Die Mitbestimmungspflicht ist unabdingbar, die Arbeitnehmervertretungen haben sich also daran zu halten. Fehlen ihnen die Ressourcen (Wissen, Rechtsbeistand usw.) dazu, so hilft das nicht als Ausrede, sondern die Arbeitnehmervertreter müssen sich dann diese Ressourcen (Freistellungen, Berater, Rechtsanwälte, Weiterbildung usw.) verschaffen.

§ 87 Mitbestimmungsrechte

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
[…]
1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
[…]
7. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
8. Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
[…]

§ 89 Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz

(1) Der Betriebsrat hat sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Er hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.
(2) Der Arbeitgeber und die in Absatz 1 Satz 2 genannten Stellen sind verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen.
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung und den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.

(3) Als betrieblicher Umweltschutz im Sinne dieses Gesetzes sind alle personellen und organisatorischen Maßnahmen sowie alle die betrieblichen Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze betreffenden Maßnahmen zu verstehen, die dem Umweltschutz dienen.
(4) An Besprechungen des Arbeitgebers mit den Sicherheitsbeauftragten im Rahmen des § 22 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch nehmen vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder teil.
(5) Der Betriebsrat erhält vom Arbeitgeber die Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen, zu denen er nach den Absätzen 2 und 4 hinzuzuziehen ist.
(6) Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Durchschrift der nach § 193 Abs. 5 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vom Betriebsrat zu unterschreibenden Unfallanzeige auszuhändigen.

Damit es klar ist:

  • Der Betriebsrat hat seine Aufgaben unabdingbar zu erfüllen. § 89 gibt ihm nicht nur Rechte, sondern Pflichten. Wo Rechte der Arbeitnehmervertretung als Pflichten formuliert sind, kann sie nicht auf die Ausübung dieser Rechte verzichten. Arbeitgeber, die die Arbeitnehmervertretung bei der Ausübung ihrer Pflichten behindert, begehen eine Straftat.
  • Zu den im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz und betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen zählen auch Audits (sowohl von internen wie auch von externen Auditoren) für OHSAS 18001 und ISO 14001, denn sie dienen der Systemkontrolle z.B. von Umwelt- und Arbeitsschutzmanagementsystemen und damit der Entlastung der behördlichen Aufsicht. Diese Entlastung bedeutet natürlich nicht, dass die Arbeitnehmervertreter von den nun in die Systemkontrolle verlagerten Aufsichtsaufgaben ausgeschlossen werden können.
  • Zu den Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen zählen auch die Berichte, die bei Audits für OHSAS 18001 und ISO 14001 erstellt werden. Der Arbeitgeber hat hier eine Bringschuld.
  • In nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben gilt, dass die Dokumentation nur von Unfällen nicht ausreicht. Es sind alle Vorfälle nach Definition 3.9 und 3.8 (OHSAS 18001:2007) zu dokumentieren, also nicht nur meldepflichtige Unfälle, sondern alle Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. Das kann der Betriebsrat basierend auf OHSAS 18001 verlangen. (Erkrankungen sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden.)
  • Gesetzestext: § 89 BetrVG
  • Betriebsverfassungsgesetz im Arbeitsschutz

Mitbestimmung bei QM-Systemen

http://qm-blog.certqua.de/was-sie-ueber-die-betriebliche-mitbestimmung-bei-der-einfuehrung-eines-qm-systems-wissen-muessen/

[…]
5. Audits und Zertifizierungen

Ist das QM-System eingeführt und soll [es] durch eine externe Organisation zertifiziert werden, finden Audits durch interne und externe Auditoren statt. Sie umfassen die Kontrolle darüber inwiefern das QM-System durch die Mitarbeiter auch tatsächlich gelebt wird. Die Kontrolle eröffnet jedoch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates. Einzig die Benennung der internen Auditoren bedarf einer Zustimmung des Betriebsrates.
Möchten auch Sie Qualitätsexperte im Bildungsmanagement werden und mehr über die Einführung eines QM-Systems und die betriebliche Mitbestimmung erfahren? Dann besuchen Sie die Basisseminare „Qualitätsmanagementbeauftragter“, „Qualitätsmanager“ und „QM-Fachauditor“ der CERTQUA GmbH

(Hervorhebung nicht im Originaltext)
Bei einer so hilfreichen Information zitiere ich die Werbung für Seminare gerne mit. 🙂
Aber Vorsicht: Bei Audits vom QMs, die den Arbeits- und Umweltschutz betreffen, herrscht eine erweiterte Mitbestimmung, die in dem Artikel nicht berücksichtigt worden ist.
Manche Arbeitnehmervertretungen wissen nicht einmal, dass sie bei der Auswahl der internen Auditoren mitbestimmen können. Noch schlimmer: Sie interessieren sich nicht dafür. Ihnen erscheint das Thema als zu kompliziert und zu unwichtig. So kann es dann passieren, das Auditoren und Auditierte sich (entgegen der Forderungen in ISO 19011) sehr nahe stehen und die Audits zur Farce werden. Die Geschäftsführungen und Behörden bekommen geschönte Berichte. Arbeitnehmervertreter, die hier nicht aufpassen, schaden damit den von ihnen vertretenen Arbeitnehmern.
In dem Artikel geht es um die Mitbestimmung bei der Einführung von QM-Systemen generell. Und im Satz “Einzig die Benennung der internen Auditoren bedarf einer Zustimmung des Betriebsrates” geht es um Zustimmung. Die Pflichten des Betriebsrates beschränken sich aber nicht auf Zustimmung: Geht es beim QM um Arbeitsschutzmanagementsysteme (z.B. Zertifikations- und Zwischenaudits nach OHSAS 18001), dann ergeben sich u.A. aus dem § 89 des Betriebsverfassungsgesetzes für den Betriebsrat bzw. für die Personalvertretung starke zusätzliche Rechte und Pflichten.
Gerade bei Audits im Arbeitsschutz geht es nämlich darum, dass die Arbeitnehmer einseitige Darstellungen des Arbeitgebers korrigieren können müssen. (Falschdarstellungen der Qualität des AMS gab es sogar in Geschäftsberichten großer Unternehmen. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat müssten solche Fehler verhindern.)
Arbeitnehmervertretungen sind vom Arbeitgeber nicht nur über Arbeitsschutz-Audits zu informieren, sondern sie sind hinzuzuziehen. Das gilt auch für Audits durch private Zertifizierungsunternehmen, auf die sich Aufsichtspersonen der Gewerbeaufsicht verlassen (siehe Absatz 5 im Anhang der LV 54). Ansonsten wäre es ja möglich, die Arbeitnehmervertretung durch die Privatisierung von Teilen der Arbeitsschutzaufsicht zu behindern. Oft reicht schon die Anwesenheit eines sorgfältig Protokoll führenden Arbeitnehmervertreters, sicherzustellen, dass die dargestellte Qualität des Arbeitsschutzes den Tatsachen besser entspricht.

Mitarbeiter fragen den Betriebsrat

Es gibt Betriebs- und Personalräte, die sich an das Thema der mentalen Arbeitsbelastung nicht heran wagen. Sie müssen sich aber damit befassen und die dazu notwendige Kompetenz erwerben. Die Arbeitnehmervertretung hat die Einhaltung von Schutzgesetzen unabdingbar zu überwachen. Sie muss sogar selbst Gefährdungen beurteilen können. Betriebsräte und Personalräte können nicht entscheiden, z.B. zur Vermeidung von Konflikten mit dem Arbeitgeber auf ihre Aufsichts- und Mittbestimmungspflicht zu verzichten.
Die Betriebs- und Personalräte haben gemäß § 80 BetrVG “darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden.” Diese Aufgabe ist unabdingbar, d.h. die Arbeitnehmervertretung darf sich nicht durch die Vernachlässigung dieser Aufgabe einfach über das Betriebsverfassungsgesetz stellen.
Mitarbeiter können testen, wie die Arbeitnehmervertretung ihre Aufgabe im Bereich des Einbezugs psychischer Belastungen erfüllt. Dazu können sie sich z.B. mit diesen zwei Fragen an die Arbeitnehmervertretung wenden:

  1. Sind mentale Arbeitsbelastungen (DIN EN ISO 10075, übersetzt als “psychische Belastungen” in der deutschsprachigen Norm) aus der Sicht des Betriebsrates im Betrieb XXXXX bereits Gegenstand des dort implementierten Arbeitsschutzprozesses zur Gefährdungsbeurteilung?
  2. Wenn mentale Arbeitsbelastungen aus der Sicht des Betriebsrates bereits Gegenstand des im Betrieb XXXXX implementierten Arbeitsschutzprozesses zur Gefährdungsbeurteilung sind: Wann und mit welchen Prozessen wurde dieser Zustand unter Beachtung sowohl des Arbeitsschutzgesetzes wie auch der Überwachungs- und Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates erreicht?

Wie will eine Arbeitnehmervertretung ihrer unabdingbaren Aufgabe gerecht werden, wenn sie nicht einmal diese Fragen beantworten kann?
Der Betriebsrat muß hier zu einer Bewertung in der Lage sein, wenn er seine Aufsichtspflicht erfüllen will. Außerdem machte das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2004 deutlich, dass der Betriebsrat bei der Gefährdungsbeurteilung eine Mitbestimmungspflicht hat. Die Arbeitnehmervertretung hat gemäß § 87 BetrVG bei “Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften” mitzubestimmen.
Die Wahrnehmung der Aufsichtspflichten des Betriebsrates ist keine Bevormundung der Mitarbeiter, sondern den Mitarbeitern ungefragt wichtige Rechte wegzunehmen ist eine Bevormundung der Mitarbeiter.
Möchte der Betriebsrat sich nicht mit den Fragen befassen, so hat nach § 86a BetrVG jeder Arbeitnehmer das Recht, “dem Betriebsrat Themen zur Beratung vorzuschlagen. Wird ein Vorschlag von mindestens 5 vom Hundert der Arbeitnehmer des Betriebs unterstützt, hat der Betriebsrat diesen innerhalb von zwei Monaten auf die Tagesordnung einer Betriebsratssitzung zu setzen.” Die erforderliche Unterstützung ist nicht nur eine Hürde, sondern sogar eine Hilfe: Sie gibt jedem Arbeitgeber das Recht, für die Suche nach Unterstützern betriebsöffentlich auf interessante Themen aufmerksam zu machen. Finden sich genug Unterstützer, dann wird der Betriebsrat mit dem vorgeschlagenen Thema auch sorgfältig umgehen.