Die DAkkS hilft mit, die DIN SPEC 91020 in den Arbeitsschutz einzuschmuggeln

Es ist passiert. “Akkreditierungsregeln für die DIN SPEC 91020 durch DAkkS veröffentlicht.”
Nach kräftiger Massage der DAkkS durch die Gesundheitsmanagement-Industrie veröffentlichte die DAkkS Spezielle Anforderungen zur Akkreditierung von Zertifizierungsstellen, die Managementsysteme nach DIN SPEC 91020:2012 „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ zertifizieren (2015-12-01).

[…]
Auditberichte […]
5. Bewertung zu den Ergebnissen der Analyse von Gesundheitschancen und -risiken sowie zu den daraus abgeleiteten Maßnahmen und deren Wirksamkeit,
6. Bewertung zur Angemessenheit der eingesetzten Ressourcen in Bezug auf die formulierten Ziele,
7. Bewertung zu den Maßnahmen zur Förderung des BGM und der Partizipation der Mitarbeiter (Schulung der Mitarbeiter, Investitionen, etc.),
[…]
Besonderheiten:
Im Audit zur DIN SPEC 91020 muss überprüft werden, ob das Unternehmen auch arbeits-
bedingte psychische Belastungen angemessen und systematisch im Rahmen des BGM
und/oder des AMS erfasst und bewertet hat und angemessene Maßnahmen zur Vermeidung
bzw. Verminderung dieser Belastungen geplant und umgesetzt hat.
Die Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat) muss in das Audit einbezogen werden.
[…]

Wie muss die Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat) in das Audit einbezogen werden? Auditiert sie mit? Ist sie Gegenstand des Audits? “Die Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat) muss in das Audit einbezogen werden.” hört sich zwar zunächst arbeitnehmerfreundlich an,aber wenn nicht geklärt ist, wie Betriebsräte “einbezogen” werden, dann hilft das den Arbeitnehmervertretungen überhaupt nicht weiter. Soll hier der Eindruck erweckt werden, es ginge um den mitbestimmungspflichtigen Arbeits- und Gesundheitsschutz, ohne dass die Mitbestimmung hier wirklich wirksam werden kann?
Diese DIN SPEC enthält Aspekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Die müssen irgendwie da hinein geschmuggelt worden sein, denn das PAS-Verfahren, mit dem die DIN SPEC 91020 eröffnet wurde, hätte gar nicht erst begonnen, wenn diese DIN SPEC “Aspekte des Arbeits-, Gesundheits-, Umwelt- und Brandschutzes enthält”. So unfein sind die Tricks im Zertifizierungsgeschäft.
Immerhin ist die Durchführung der der Analyse von Gesundheitsrisiken nicht Gegenstand des Auditberichts. In den “speziellen Anforderungen” bleibt jedoch unklar, welche Themen des Audits den Arbeits- und Gesundheitsschutz betreffen. Man muss erst in der Antwort (Februar 2014) zu meiner Petition an den Bundestag nachsehen, um die Grenzen zu verstehen, die für die DIN SPEC 91020 gelten:

[…] Die DAkkS weist darauf hin, dass eine akkreditierte DIN SPEC 91020-Zertifizierung kein System zur bzw. kein Nachweis der Erfüllung der Anforderungen aus gesetzlichen oder behördlichen Arbeitsschutzvorgaben beinhaltet. Die Feststellung von Herrn Kluge, dass die DIN SPEC 91020 kein Arbeitsschutzstandard ist, wird von der DAkkS bestätigt […]

Das wird noch eine Rolle spielen, wenn Unternehmen versuchen, mit einem Zertifikat nach DIN SPEC 91020 ihren Arbeitsschutz besser verkaufen zu können.
Warum fehlt die angesichts der Missbrauchsgefahr erforderliche und unmißverständliche Abgrenzung zum Arbeitsschutz in den “speziellen Anforderungen”? Die DAkkS hat hier offensichtlich kein Interesse an Klarheit. Darum behaupte ich, dass die DAkkS sich daran beteiligt, einen Standard für das betriebliche Gesundheitsmanagement in den Arbeitsschutz einzuschmuggeln. Hoffen die Gesundheitsmanagement-Zertifizierer (im mit B.A.D. als Treiber), dass sich die überforderte Gewerbeaufsicht, die Berufsgenossenschaften und die Arbeitsschutzzertifizierer auch im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes von einem Zertifikat für den Privatstandard DIN SPEC 91020 trotzdem beeindrucken lassen?
Für die Gesundheitsmamagement-Unternehmen war schon im Jahr 2014 klar, dass die DAkkS ihren Privatstandard DIN SPEC 91020 akredditierbar machen wird. Die Branche (BGM, Betriebliches Gesundheitsmanagement) hat eine kräftige Lobby, mit der sie den hier nicht wirklich durchblickenden Politikern zuleibe rückt. Dahinter steckt ein großes Geschäft, denn groß ist auch der Bedarf der Unternehmen in Deutschland, im Arbeits- und Gesundheitsschutz gut ausszusehen, ohne ihre gesetzlichen Pflichten wirklich ernst nehmen zu müssen.
Noch schlimmer: Auch der DIN-Verein beteiligt sich an dem Versuch, die DIN SPEC 91020 in den Arbeitsschutz einzuschmuggeln. Dieser Leichtstandard wurde nach einem sogenannten “PAS-Verfahren” erteilt, der seine Anwendung im Arbeits- und Gesundheitsschutz ausschließt. Seit März 2014 versteckt der DIN-Verein diese Voraussetzung.

Григорий Александрович Потёмкин

Arbeitschutz braucht nicht zu funktionieren, solange er nur gut aussieht.Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Grigory_Potemkin.PNG

Certified just to have the logo on the website and stationary

http://www.isoqsltd.com/general/iso-certification-a-commitment-not-a-requirement/

ISO Certification – A commitment, not a requirement
Posted on 23 February 2015 by Michael Haile
It is clear that some companies want to achieve a certificate just to have the logo on their website and stationary. […]

Gnädige DAkkS

Die Deutsche Akkreditierungsstelle wird

  • zu einem Drittel vom Wirtschaftsministerium kontrolliert,
  • zu einem weiteren Drittel vom BDI und
  • zum letzten Drittel von den Bundesländern.

Dieses halbstaatliche Organ soll Zertifizierungsauditoren beaufsichtigen.
Wenn diese Zertifizierungsauditoren schlampig auditieren, stört das die DAkkS nicht besonders. Im Arbeitsschutz ließ es die Abteilung 6 der DAkkS zu, dass ein Unternehmen um viele Jahre verspätet von OHSAS 18001:1999 auf OHSAS 18001:2007 umstellte, ohne dass das als Abweichung vermerkt wurde. Es störte die DAkkS auch nicht, dass ein Mitarbeiter, der eine Fehlbelastungsmeldung einreichte, “irrtümlich” abgemahnt wurde. Der Zertifizierungsauditor des Arbeitsschutzmanagementsystems dieses gut vernetzten Unternehmens sagte dazu nichts und darf dessen Betriebe weiterhin unkritisch auditieren. Die DAkkS toleriert das.
Wie kann die DAkkS von sich aus feststellen, dass keine Abweichung vorgelegen habe, wenn die Umsetzung von OHSAS 18001 doch betriebsspezifisch ist und deswegen nur betriebsspezifisch geprüft werden kann, ob eine Abweichung vorliegt? Die DAkkS hat wohl noch nicht ganz verinnerlicht, dass hier die Vertreter der Belegschaft mitbestimmen, welche Bedeutung ein Auditfehler hat und ob er in einem konkreten Betrieb eine Abweichung ist.
In dem konkreten Betrieb wurde nämlich ausgerechnet der Teil des Arbeitschutzmanagement-Handbuchs nicht von OHSAS 18001:1999 auf OHSAS 18001:2007 umgestellt, der die Begriffsbestimmungen enthält, auf denen der Arbeitsschutz des so auditierten Unternehmens aufbaut. Das ganze Gebäude des Arbeitsschutzmanagements stand damit auf einem veralteten Fundament. Die Begriffsbestimmungen waren auch der einzige Abschnitt im Arbeitsschutzmanagement-Handbuch, auf den sich alle Unterprozesse des Arbeitsschutzes des konkreten Betriebes bezogen. Sie waren also ein ganz wichtiger teil des Handbuchs, dessen Fehler sich auf alle Unterprozesse der Arbeitsschutzmanagementsystems, die bezug zu diesen Begriffsdefinitionenn nahmen, auswirkte.
Es fehlte bis 2014 im Arbeitsschutzmanagement-Handbuch des betroffenen Unternehmens auch die Begriffsdefinition 3.8, die klar stellt, dass auch Vorfälle zu vermeiden sind, die zu psychischen Erkrankungen führen können. Bis heute hat das Unternehmen dafür keinen mitbestimmten regulären Gefährdungsbeurteilungsprozess in seinem Arbeitsschutzmanagementsystem.
Das alles stört die DAkkS nicht. Oder sie hat falsche Informationen. In der extrem verzögerten Umstellung von OHSAS 18001:1999 auf OHSAS 18001:2007 will sie jedenfalls keine Abweichung sehen. Und im Bericht zum Nachaudit, in dem das Zertifizierungsunternehmen ja eigentlich auch sich selbst auditierte, wurde nicht einmal deutlich, dass die DAkkS zumindest “Nachbesserungs- und Korrekturbedarf” gesehen hat.
So geht’s zu im Zertifizierungsgeschäft des deutschen Arbeitsschutzes.

DIN SPEC 91020: Fragwürdige Behauptung von ÖHMI EuroCert

http://www.oehmi-cert.de/leistungen-eurocert/betriebliches-gesundheitsmanagement

[…] Zukünftig wird die Akkreditierung und Zertifizierung eines Systems zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) auf der Basis der DIN SPEC 91020 ein wichtiges Thema sein. Die DIN SPEC 91020-Norm wurde im Juli 2012 veröffentlicht. […]

Wohl kaum. Eine “Norm” ist die DIN SPEC auch nicht.
Warten Sie auf die ISO 45001. Zwar wird das eine Arbeitsschutznorm sein, aber sie könnte auch Aspekte des BGM berühren.

Deutsche Qualität

Deutschland ist international geachtet für eine zuverlässige Qualitätskontrolle. Verlassen Sie sich darauf?
http://www.zeit.de/2014/43/pflegeheim-altenpflege-maengel

[…] Im vergangenen Jahr zeichnete der Medizinische Dienst der Krankenkassen, eine Art TÜV für die Pflege, das Haus Quirlsberg sogar mit der Note 1,1 aus. Besser geht es kaum. Neuers sagt: “Ohne uns wäre meine Mutter dort elendig verreckt.” […]

Werben mit sozialer Verantwortung

“Awards” und “Rankings” für CSR (Corperate Social Responsibility) sind beliebte Instrumente für Unternehmen, sich in der Öffentlichkeit in ein gutes Licht zu rücken. Beispiele:

Es gibt auch Kritik. Hier ein Beispiel zu RobecoSAM (Dow Jones Sustainability Yearbook), veröffentlicht von CINCS (Creating Intelligent Natural Capital Solutions): Sustainability Indices and Environmental Reporting, 2013-04-23
(http://cincs.com/dev/wp-content/uploads/2014/07/InFocus23.pdf):

“[…] Environmental-business analysts and investors have challenged the credibility of DJSI’s information source for some time. DJSI has four steps to follow in the evaluation process: 
[1] First, each participating company has to fill in an industry-specific company questionnaire distributed by RobecoSAM, which evaluates the overall social and environmental strategies of each company.
[2] After that, DJSI will analyze industry-relevant media reports, press releases, news articles, investor commentaries and employee feedback to get a comprehensive understanding of how the company is perceived by opinion leaders and stakeholders.
[3] Following this is the company documentation section, in which RobecoSAM will request sustainability reports, environmental reports, health and safety reports, social reports and annual financial reports from each company.
[4] The last part is the company contact, in which SAM will have discussions and phone conversations with corporation leaders.
Of these, three of them are based on companies’ self-provided reports, data, resources and articles. In that circumstance, data could be optimized or even manipulated to generate better evaluation scores. For example, in the company documentation section, there is no standard sustainability reporting regulation regarding how companies should file sustainability and environmental reports. Therefore, companies are able to polish and further dress these data to make them appear glorious and “trustworthy.”
[…]
Conclusions – With the growing awareness of and demand for sustainability assessment, DJSI is a great tool for companies who are dedicated to gaining ongoing financial growth while meeting high environmental and social standards. The major benefit of being listed in DJSI is that it will help companies to be more transparent for investors through a thoroughly planned and designed corporate sustainability ranking system. The two major deficiencies of DJSI and other similar indices are that they lack authenticity in their auditing process and use imbalanced inclusion. […]”

Imbalanced inclusion: Inclusion of pros only while neglecting cons. In advertising that is legitimate. However, a performance evaluation or an audit which allows imbalanced inclusion is not credible.

Selbstregulierung der Wirtschaft: Schwächen der Zertifizierung

Der folgende Artikel steht in http://suite101.de/article/selbstregulierung-der-wirtschaft-schwaechen-der-zertifizierung-a110872 nicht mehr zur Verfügung. Ich veröffentliche ihn (mit den Links zur suite101, die nicht mehr funktionieren) mit Genehmigung der Autoren.
In dem Artikel geht es vowiegend um Zertifizierungen im Bereich des Umweltschutzes, der Entsorgung usw. Aber er regt auch zu Fragen im Arbeitsschutz-Zertifizierungsgeschäft an. Z.B. Das Interesse der Zertifizierer, ihre Auftraggeber kritisch zu auditieren, wird auch im Arbeitsschutz so gering sein, wie im Umweltschutz. Im Arbeitsschutz gibt es allerdings Betriebsräte, die eingreifen könnten. In der Praxis fehlt ihnen aber sehr oft die Kompetenz, das Problembewusstsein und die Durchsetzungsfähigkeit, die erforderlich sind um der traurigen Zertifizierungsfarce ein Ende bereiten zu können.

Klaus Lohmann, in Kooperation mit Vera Kriebel, 2013-07-04
http://www.buendia.de/buendia.htm

Zertifizierungen sollen die Qualität von Produkten oder Dienstleistungen erhöhen oder sichern und Unternehmen (zum Beispiel für Kunden) vergleichbar machen. Bei umweltgefährdenden Unternehmen wie beispielsweise in der Entsorgungs-, Recycling- oder Abfallwirtschaft erscheint Ersteres besonders wichtig. Ziel der Zertifizierung ist dort zum einen die “Sicherstellung eines hohen Qualitätsniveaus”, zum anderen die “Deregulierung, z.B. in Form des Verzichts auf eine Transportgenehmigung oder der Nutzung des privilegierten Nachweisverfahrens” (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall, LAGA) .

Schwachstellen des Zertifizierungsverfahrens

Funktioniert dies so, wie sich dies die entsprechenden Stellen und natürlich auch die Allgemeinheit in verständlicher Sorge um Gesundheit und Umwelt vorstellen? Es gibt verschiedene Schwachstellen, die daran zweifeln lassen.

Schwachstelle Nummer Eins: Zertifizierer/TÜOs

Den größten Schwachpunkt bilden die Zertifizierer, zumeist Technische Überwachungsorganisationen (TÜOen), selbst, deren Unabhängigkeit zwar theoretisch gefordert, praktisch aber nicht gewährleistet ist, denn sie sind ja wirtschaftlich abhängig vom Auftraggeber, eben dem Unternehmen, das sie neutral begutachten sollen. Das zu zertifizierende Unternehmen bezahlt die eigenen Gutachter und Kontrolleure – das ergibt automatisch einen Interessenskonflikt bei den TÜOs.

Zustimmung zum Überwachungsvertrag durch die Behörde am Sitz der TÜO

Dem Überwachungsvertrag, dem ja entscheidende Bedeutung im Rahmen der Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb zukommt, wird durch die Behörde zugestimmt, die am Sitz der TÜO zuständig ist – nicht durch die zuständige Behörde am Sitz des Entsorgungsunternehmens. Vorteil dieser Regelung ist sicher, dass die zuständige Behörde den Zertifizierer gut kennt.

  • Schwachpunkte dieser Regelung sind zum einen, dass auch hier – wie bei der Anerkennung eines Unternehmens als Zertifizierer – nicht die Behörde zustimmen muss ist, die auch für den Entsorger zuständig ist und daher die Verhältnisse vor Ort auch am besten kennen sollte. Diese kann nur beratend zum Vorgang Stellung nehmen.
  • Zum anderen könnten direkte Beziehungen zwischen den Sachverständigen der TÜO und den ansässigen Behörden verhindern, dass die Ämter unabhängig und neutral über die Überwachungsverträge und vor allem nach Maßgabe der Umstände beim Entsorger entscheiden.
  • Ein dritter Punkt sind eventuell lange Wege, falls es Probleme bei der Zertifizierung gibt. Wenn beim Entsorger Auflagen oder Absprachen nicht eingehalten werden, so sitzt die dafür zuständige Behörde am anderen Ende der Republik, wenn auch das Zertifizierungsunternehmen von dort kommt. Im Fall Envio war es das Regierungspräsidium Darmstadt, weil die TÜO von Envio, DQS, ihren Sitz in Frankfurt hat.

Dokumentenbasierte Zertifizierung

Die Frage stellt sich, ob ein dokumentenbasiertes Vorgehen bei umweltgefährdenden Betrieben ausreicht. Ihre Dienstleistungen können unmittelbar Umwelt und Menschen schädigen – vielleicht sogar weite Teile der Bevölkerung und Umgebung, wenn eine Giftwolke bei einem Störfall aus einem Werk in die Umwelt entweicht oder wenn über Jahre Gifte die mit ihnen umgehenden Mitarbeiter verseuchen und in die Umgebung kommen wie beim Fall Envio im Dortmunder Hafen.

Übergabe hoheitlicher Aufgaben an die Privatwirtschaft

Wie schon 2007 eine BKA-Studie und 2011 das Prognos-Gutachten feststellen, gibt der Staat inzwischen zunehmend wichtige hoheitliche Aufgaben an Dritte, das heißt an privatwirtschaftliche Firmen, ab. Letztlich agieren Dritte im kapitalistischen System aber nicht mit dem vorrangigen Ziel der Sicherung des Wohls der Allgemeinheit, sondern haben Profit und Gewinnmaximierung als oberste Ziele. Angesichts der vielen Fälle von Wirtchaftskriminalität in der Abfallwirtschaft muss dies dringend überdacht werden.
Das renommierte Schweizer Prognos-Institut, das durch die NRW-Landesregierung beauftragt wurde, den Fall Envio im Hinblick auf die Rolle der Behörden zu bewerten, fragt daher, “inwieweit eine auf die Prüfung von dokumentenbasierten Arbeitsschutzsystemen, Gefährdungsbeurteilungen und Nachweisen Dritter konzentriertes Vorgehen eine hinreichende Kontrolltiefe erlaubt” (Seite 29) und bemängelt: die “Behörden verlassen sich zunehmend auf die Prüfprotokolle Dritter” (Seite 39, 40).
Prognos fordert abschließend: “Keine Auslagerung der Überwachung an Dritte. Für die Wahrnehmung von Überwachungstätigkeiten gibt es mehrere Organisationsmodelle. So zum Beispiel ist denkbar, die Überwachung durch private Gutachter/-innen durchführen zu lassen. Wir schlagen jedoch vor, die Überwachungskapazitäten für Anlagen wie Envio in der Kernverwaltung anzusiedeln, damit die Möglichkeit der Ergreifung von ordnungsrechtlichen Maßnahmen gegeben ist. Insbesondere ist sicherzustellen, dass mit der Überwachung betraute Personen stets unangekündigten Zugang zu überwachten Betrieben haben” (S. 55).

Quellen und weiterführende Links zum Thema Zertifizierungen in der Entsorgungsbranche

Einstieg – Zertifizierung in der EntsorgungsbrancheWer zertifiziert?Wie wird zertifiziert?. Wieso erhält ein Skandalbetrieb Gütesiegel? – Das unsaubere Geschäft mit den Zertifikaten: Ein Insider packt aus – Die zertifizierenden Berater – Ein Interview zu Unabhängigkeit und Zertifizierungsproblemen.
Wie erkenne ich, ob eine Firma sauber arbeitet? Wie überprüft man Zertifkate und Gütesiegel? Eine einfache Internetrecherche reicht nicht immer. Das Beispiel EfbV-Zertifkat von Envio durch die DQS. – Recherche zu Zertifizierungen: ein Krimi um Chemie, Gift, Müll (12.6.2011)
Die wichtigsten Dokumente, Gesetze und Verordnungen zum Thema Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb sind:

BKA-Studie und Prognos-Gutachten (Seite 29, 39, 40, 55) befassen sich mit der Rolle von Zertifizierungen im Rahmen zunehmender Abgabe hoheitlicher Aufgaben an Dritte.

Insider packt aus: Falschspiel im Zertifizierungsgeschäft

Der folgende Artikel steht unter http://suite101.de/article/ein-insider-packt-aus-falschspiel-im-zertifizierungsgeschaeft-a112550 nicht mehr zur Verfügung. Ich veröffentliche ihn (ohne den Teil mit nicht mehr aktuellen Links) mit Genehmigung der Autoren.

Klaus Lohmann, in Kooperation mit Vera Kriebel, 2013-07-04
http://www.buendia.de/buendia.htm

TÜV, Bio, Öko, geprüfte Qualität – Zertifikate, Gütesiegel und Normen nach DIN oder ISO sollen Qualität und Sicherheit in der Wirtschaft gewährleisten und zum Beispiel Orientierung bieten, die Einhaltung von Qualitätsstandards besiegeln oder die Produktion sicherer machen. Doch die Zertifizierung läuft unsauber, sagt ein Insider, der ungenannt bleiben möchte, im Gespräch mit suite101.

Zertifikate: Gütesiegel für Qualität, Verantwortung und Sicherheit?

Redaktion: Warum wollen Sie Ihren Namen nicht nennen, wenn Sie so fragwürdige Abläufe im Zertifizierungsgeschäft schildern?
Experte: Ich möchte nicht an dem Ast sägen, auf dem ich sitze. Leider sind einige in der Zertifizierungsbranche dabei, den ganzen Baum zu schädigen. Wenn ich den Baum schütze, rette ich auch meinen Ast.
Redaktion: Zertifikate sollen für Qualität und Sicherheit sorgen, doch bestehen Zweifel, ob sie das tatsächlich leisten. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang ganz grundsätzlich die Zertifizierungsbranche.

Das Zertifizierungsgeschäft ist hart

Experte: Der Wettbewerb ist hart. Problem: Zertifizierungsfirmen benötigen neue Kunden. Lösung: Beratungsfirmen empfehlen ihren Kunden bestimmte Zertifizierungsstellen. Die Berater erhalten von den Zertifizierern im Gegenzug

  • die Sicherheit, dass ihr Kunde zertifiziert wird,
  • Vermittlungsprovisionen,
  • Folgeaufträge: Im Rahmen der Zertifizierungen finden Untersuchungen – sie heißen im Fachjargon: Audits – statt. Werden dabei Mängel festgestellt, stehen Maßnahmen an, zum Beispiel Schulungen – die wiederum werden dankend durch die Beratungsfirmen durchgeführt.

Redaktion: Aber damit wird ja der Grundsatz, Beratung und Zertifizierung zu trennen, ausgehebelt.

Keine Trennung von Beratung und Zertifizierung

Experte: Natürlich. Es geht aber noch besser: Eine beliebte kick-back-Variante ist die Zertifizierung des Beraters oder der Beratungsgesellschaft durch die verbundene Zertifizierungsgesellschaft. Im einfachsten Fall läuft dies so ab: Die Zertifizierungsgesellschaft Schmidt-Cert zertifiziert den freiberuflich tätigen Berater Müller und die Beratungsgesellschaft Meier-Consult. Beide können danach auch Zertifizierungen vornehmen.
Schon mehr kriminelle Energie benötigt die Variante 2: Im Auftrag von Schmidt-Cert untersuchen (auditieren) sich Berater Müller und Mitarbeiter der Beratungsgesellschaft Meier-Consult gegenseitig – zumindest offiziell, praktisch passiert natürlich nichts, es sind reine Luft-Audits. Jeder erhält von der Schmidt-Cert das begehrte Zertifikat. Als I-Tüpfelchen und um das Ganze dann finanziell noch lukrativer zu gestalten, können die Zertifizierungskosten mit Vermittlungsprovisionen, die sonst ja “schwarz” über den Tisch gehen müssten, verrechnet werden. Die Vermittlungsprovisionen werden also offiziell als Zertifizierungskosten in Rechnung gestellt.

Systematischer Betrug: Zertifikate, Provisionen, Aufträge

Das sind keine Einzelfälle, sondern so arbeitet das System! Auf diese Weise decken viele Unternehmen in Netzwerken beide Felder ab – Fahrschule und Führerscheinprüfung aus einer Hand. Möchten Sie weitere Beispiele? Bei mir hat sich ein Kunde letztens beschwert, weil ein Gutachter, der nun bei einer anderen Zertifizierungsgesellschaft arbeitet, ihn mit Abwerbeanrufen bombardiert und ihm dabei eine 50-€-Wechsel-Provision anbietet. Anderes Beispiel: Ein Berater beklagte die schlechte Zahlungsmoral einer Zertifizierungsgesellschaft. Seine zugesicherten Provisionen waren noch nicht auf dem Konto.
Oder Zertifizierungskunde und Zertifizierungsgesellschaft machen gemeinsame Sache. Ein offizielles Angebot und eine offizielle Rechnung über die Pflichteinsatzzeit von, sagen wir, vier Tagen. Der Auditor ist aber nur zwei Tage vor Ort. Die Differenz von zwei Tagen wird dem Kunden als Gutschrift ausgezahlt.
Redaktion: Das hört sich ja nach mafiösen Zuständen an …

Beratung und Zertifzierung: Verschlungene Netzwerke

Experte: Es haben sich hierzu Clan-ähnliche Netzwerke gebildet. Das Spiel läuft so: Sie, Herr Lohmann, vermitteln Beratungskunden an mich. Als Gegenleistung erhalten Sie einen Auditauftrag bei einem Beratungskunden eines anderen Beraters oder direkt Geld (etwa zehn Prozent der Zertifizierungskosten). Das wurde mir unverblümt ins Gesicht gesagt: “Du glaubst doch nicht, dass der Berater auf Dich Wert legt. Der kriegt Geld.” Wenn ich Kontakt mit einer anderen Zertifizierungsstelle habe, mache ich heute klar, dass ich keine “Mitgift” bringe. Ich möchte wegen meiner Qualifikation Geschäftspartner sein.
Mit all diesen kriminellen Machenschaften umgeht man Auditregeln und den Wettbewerb. Ohne echte Kontrollen werden Kunden, Berater und Auditoren, die nicht Teil des Netzwerks sind, und die Zertifizierungssysteme selbst geschädigt.

Ungenügende Überwachung durch DAkkS und Behörden

Die Akkreditierungsstelle DAkkS, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht und an und für sich die Zertifizierer überprüfen und deren Qualität und Unabhängigkeit gewährleisten soll, ist aber hoffnungslos überfordert. Dass auch die Überwachung durch die Behörden nicht funktioniert, zeigt nicht nur das Prognos-Gutachten im Fall des Dortmunder Entsorgers Envio auf.
Mehrere Regierungspräsidien, das heißt die Zulassungsstellen für die Zertifizierer im Entsorgungsbereich, öffnen beispielsweise solchen unsauberen Netzwerken Tür und Tor, indem sie einem Inhaber einer Beratungsgesellschaft gestatten, stellvertretender Leiter einer Technischen Überwachungsorganisation (TÜO) zu sein. [Anmerkung: Eine TÜO ist eine staatlich anerkannte Zertifizierungsstelle für sensible Bereiche, wie zum Beispiel die Abfallwirtschaft.]
Redaktion: Die Behörden akzeptieren also ganz offen die Aufweichung der Trennung von Beratung und Zertifizierung?
Experte: Ja, genau. Beratung und Zertifizierung werden im Bereich der Entsorgung nicht mehr sauber getrennt! Bei den durch die DAkkS überwachten Zertifizierungsgesellschaften, die beispielsweise Zertifizierungen nach ISO 9001 oder 14001 durchführen, ist dies dagegen strengstens verboten.

Was kann man tun zur Verbesserung des Zertifizierungssystems?

Redaktion: Was könnte man denn zur Änderung dieses Systems unternehmen?
Experte: Zertifizierungen müssen schärfer überwacht werden. Es gibt sehr einfache Möglichkeiten, die Überwachung zu verbessern. Die Aufsichtsbehörden und die DAkkS sollten

  1. von Zertifizierungsstellen und Sachverständigen eidesstattlich versicherte Angaben über ihre Tätigkeiten fordern;
  2. Unterlagenstichproben nehmen und wie die Plagiatsjäger prüfen;
  3. unangemeldet in Betrieben und Zertifizierungsstellen Vor-Ort-Prüfungen durchführen und dabei die Plausibilität der Angaben der Sachverständigen prüfen.

Voraussetzung ist natürlich der Wille, die bestehenden Zustände zu ändern. Die Behörden und die Akkreditierungsstelle müssen dies nur wollen.

Im Zertifizierungsgeschäft für Arbeitsschutzmanagementsysteme mag es etwas anders zugehen, aber die Zertifizierer, die DAkkS und die behördliche Aufsicht sind (um es sehr freundlich auszudrücken) sehr zurückhaltend mit Kritik an Unternehmen, die sich sogar offensichtlich nicht an den Standard halten, nach dem sie zertifiziert sind. Zertifizierer, die schlampig und unaufmerksam auditieren, werden bei Auditüberprüfungen (z.T. unter Umgehung der Arbeitnehmervertretung) von der DAkkS meiner Ansicht nach nicht streng genug begleitet.

ISO 45001 would not be used for OHS system certification?

http://www.oxebridge.com/emma/ilo-doesnt-like-isos-definition-of-risk-either-iso-31000-headed-for-certification-standard-iso-45001-draft-out/

[…] One of the promises for ISO 45001 was that it would not be used for OHS system certification. No one in their right mind believes for a second that BSI will surrender all that OHSAS 18001 assessment lucre, so ISO 45001 will definitely be used for certification purposes. Should be interesting to watch ILO’s reaction as ISO and BSI once again spit in their soup. Expect their outrage to be violently displayed in a … tersely worded internal email.

Surely, ISO 45001 draws controversy.
 
I was missing the spice in this standardization business. Here it is:
http://www.oxebridge.com/emma/fan-mail/

Fan Mail
The advocacy work by Oxebridge puts us in the crosshairs of charlatans, scammers, certification bodies, accreditation bodies, standards developers and even ISO itself. But it’s not all bad, and the work — along with our often nutty and hilarious spin on things — garners tremendous support and praise from the people who matter: standards users, clients and supporters of fair play. […]