Григорий Александрович Потёмкин

Arbeitschutz braucht nicht zu funktionieren, solange er nur gut aussieht.Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Grigory_Potemkin.PNG

Merkt's die Aufsicht?

Liebe Arbeitgeber, haben Sie schon diesen Trick versucht? Zeigen Sie den Prüfern von der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaft, dass Sie psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung einbeziehen, und zwar noch bevor sie ein mitbestimmtes Beurteilungsverfahren implementiert haben. Dazu muss die Gefährdungsbeurteilung nur ordnungsgemäß aussehen. Die Beurteilungsprozesse selbst schaut sich kaum eine Aufsichtsperson an. Damit beeindrucken Sie ohne viel Aufwand nicht nur die Prüfer, sondern auch ihre Mitarbeiter und sogar Zertifizierungsauditoren. Beeilen Sie sich, denn viele technische Aufsichtspersonen haben noch keine ausreichenden Kenntnisse im Bereich der psychischen Belastungen. Nutzen Sie diese Lücke so lange, wie es sie noch gibt.
Auch den an den Begehungen teilnehmenden Betriebsratsmitgliedern ist das Thema oft unheimlich und viel zu komplex. Sie sollten als Arbeitgeber aber sicherstellen, dass Betriebsratsmitglieder so mitwirken, das man das als Mitbestimmung darstellen kann. Auch sollten Betriebsratmitglieder an den Prüfungen (z.B. Begehungen) teilnehmen, denn das wird es denen später schwerer machen, am Arbeitsschutz Kritik zu üben. Sie müssten dann ja eigenen Fehler zugeben.
Sie brauchen für eine vorzeigbare Gefährdungsbeurteilunge gar keinen wirklich funktionierenden Gefährdungsbeurteilungsprozess, der womöglich auch noch mitbestimmt entwickelt werden muss. (So etwas vergeudet nur die Ressourcen, die sie für einen anderen Beurteilungsprozess brauchen: Die Leistungsbeurteilung, mit der Sie Minderleister nicht schützen, sondern aussortieren.) Den überforderten Prüfern reicht es, wenn Sie ein Ergebnis vorzeigen, das gut aussieht und ordentlich abgelegt werden kann. Das ist ganz einfach:

  • Behaupten Sie in der Gefährdungsbeurteilung, dass die Bildschirmarbeitsverordnung eingehalten wird, auch wenn es bei Ihnen noch keinen validiertes Verfahren zur Beurteilung psychischer Belastungen gibt. Es reicht den Revisoren nämlich, wenn in Ihrem Betrieb für Bildschirmarbeit nur bekannte Standardsoftware aus Redmond und Walldorf verwendet wird, weil die ergonomisch korrekt ist.
    Damit ist das Thema der psychischen Belastungen bei der Bildschirmarbeit erledigt, denn
    • das Zusammenwirken von Applikationen untereinander,
    • das Zusammenwirken von Applikationsnutzung und Arbeitsumgebung,
    • und Überlastungen, die mit Standardsoftware erst möglich werden,
    all das ist zu komplex für die Prüfer, von denen wohl nur die Wenigsten die LV 14 verstanden haben:

    Psychische Beanspruchung durch Bildschirmarbeit: Die Menge und die Darbietung der zu verarbeitenden Informationen kann zu Über- und Unterforderungserscheinungen führen. Mitunter erfordert Bildschirmarbeit die Fähigkeit, Handlungs- und Problemlösungsstrategien auf abstrakter Ebene zu finden. Geistige Tätigkeit, langandauernde Phasen hoher Anspannung oder Arbeiten unter Zeitdruck bzw. bei Störgeräuschen können Streßreaktionen hervorrufen. Im Fall von längerdauernden einförmigen Tätigkeiten bei zu starker Arbeitsteilung (z. B. reine Dateneingabe) können neben zunehmender Ermüdung auch Monotoniezustände auftreten. Individuelle Faktoren wie mangelnde Ausbildung und unzureichendes Training können die Beanspruchung zusätzlich erhöhen. [Quelle: LV 14, 1998]

    Es gab Betriebe, in denen in der Gefährdungsbeurteilung behauptet wurde, dass die Bildschirmarbeitsverordnung eingehalten werde, obwohl die in der LV 14 genannten psychische Belastungen nicht beurteilt wurden. Die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft blickten nicht durch und akzeptierten das.

  • Fügen Sie in der Gefährdungsbeurteilung zu den bisher dort aufgelisteten technischen Gefährdungskategorien nun “Psychische Belastungen” hinzu. Sehr beeindruckend finden es die Kontrolleure, wenn Sie darunter beispielsweise noch ein paar  psychischen Faktoren aus einer kleinen Tabelle der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie auflisten, z.B. “Arbeitsaufgabe”, “Arbeitsorganisation”, “soziale Bedingungen” sowie “Arbeitsplatz- und Arbeitsumgebungsbedingungen”. Das reicht den meisten Prüfern völlig. Speziell, wenn Sie nach OHSAS 18001 zertifiziert sind (weil der Trick auch mit Zertifikatoren funktioniert), ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering, dass Prüfer oder Auditoren genauer wissen wollen, wie Sie zu ihrer Beurteilung gekommen sind und ob Sie die Beurteilung nachvollziehbar begründet und klar verständlich dokumentiert haben.

Es geht ja nicht um den Schutz von zu schwachen Mitarbeitern, sondern es geht um Rechtssicherheit für das Top-Management.
(Diese ganze Geschichte ist natürlich nur ein der Phantasie entsprungenes Gedankenspiel für das Training von Revisoren im Arbeitsschutz. In einem fortgeschrittenen Land wie Deutschland käme kein Arbeitgeber mit solchen Tricks durch.)

Damit OHSAS 18001 nicht zur Farce wird

Kleiner Tip an Aufsichtsbeamte: Wenn es in den von Ihnen kontrollierten Betrieben Arbeitnehmervertreter gibt und wenn diese Betriebe nach OHSAS 18001 zertifiziert sind, dann lassen Sie sich bitte nicht von dem Zertifikat sedieren, sondern fragen Sie die Arbeitnehmervertreter proaktiv, ob und wie sie an dem Zertifizierungsprozess und den Überprüfungen (z.B. interne Audits) beteiligt werden. Der Standard verlangt das. Ist es geregelt und dokumentiert, wie die Arbeitnehmer beteiligt werden oder läuft das als Gefälligkeit des Arbeitgebers? Wie wird der Standard, wie es so schön heißt, wirklich gelebt?
Kennen die Arbeitnehmer die Gefährdungsbeurteilung zu ihren Arbeitsplätzen? Wurden die Arbeitnehmer in den vorgeschriebenen Unterweisungen auch mit dem kniffeligen Thema der psychischen Belastungen vertraut gemacht?
Überprüfung des Arbeitsschutzsystems: Alternativ zur nach der LV 54 etwas “lockereren” Kontrolle zertifizierter Unternehmen ist es keine schlechte Idee, die zertifizierte Norm, die sich das Unternehmen ja freiwillig ausgesucht, auch zum Maßstab der Kontrolle zu machen. In Hamburg verfährt die Aufsichtsbehörde dabei wieder nach der LV 54. Interessant ist auch eine Checkliste der BG ETEM.
Arbeitnehmervertreter sollten verstehen und nachvollziehen können, wie man für OHSAS 18001 (z.B. mit EN ISO 19011) interne Audits macht. So etwas kann man lernen. Auch der Betriebsrat kann Audits durchführen.
(aktualisiert: 2013-04-03)

Trick 18

Können Unternehmen ein Zertifikat z.B. nach OHSAS 18001 für ihr Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) vorzeigen, dann fühlt sich die behördliche Aufsicht bei vom Unternehmen eigeninitiierten Überwachungsmaßnahmen entlastet und prüft darum weniger sorgfältig. Das kann zu Problemen für die zu schützenden Arbeitnehmer führen, denn die Zertifikatoren haben eine unterschiedliche Qualität. Deswegen sollt sich die behördliche Aufsicht nicht zu naïv auf Zertifikate verlassen.
Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL, 2007-09 – 2010-04) sehen immer noch so aus:

Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema »Psychische Belastungen« als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.

Diese Impulsgeber sind auch unter den Akteuren, die daran interessiert sind, eine hohe tatsächliche Qualität des Einbezugs psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz zu sehen:

  • Arbeitsschutzbehörden,
  • Berufsgenossenschaften,
  • Arbeitnehmer (ggf. vertreten durch den Betriebsrat oder den Personalrat).

Es gibt eine ganz gute Tradition der Zusammenarbeit zwischen diesen drei Beobachtern. Einen weiterer Akteur ist jedoch hinzugekommen:

  • Zertifizierungsgesellschaften


 
Mit diesen Zertifizierungsgesellschaften sind Arbeitnehmer und ihre Vertreter oft viel weniger gut vertraut. Das Thema ist den Betriebsräten und Personalräten zu trocken und zu kompliziert. Sie nehmen es nicht ernst. Das ist ein Fehler. Denn nun schreiben die Arbeitsschutzbehörden in ihren Grundsätzen der behördlichen Systemkontrolle (LASI: LV 54, Anhang, S. 42):

5. Umgang mit zertifizierten Systemen
Der erfolgreiche Abschluss einer Prüfung der Wirksamkeit eines Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) oder vergleichbaren Systems soll zu Entlastungen bei eigeninitiierten Überwachungsmaßnahmen führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betrieb Bescheinigungen, Gütesiegel oder andere Zertifikate, die die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes bewerten, vorlegt und diese die Inhalte und Anforderungen des Nationalen Leitfadens erfüllen. Anlassbezogene Maßnahmen der zuständigen staatlichen Behörden bleiben unberührt. Über die Ergebnisse werden die Unfallversicherungsträger ggf. informiert.

Trick 18: Gesundheit und ethische Überlegungen haben für viele Arbeitgeber im Arbeitsschutz einen niedrigeren Stellenwert, als die Notwendigkeit, Vorschriften einhalten zu müssen. Der Hauptmotivator ist also Rechtssicherheit. Diese zu gewinnen ist für Unternehmer ein wichtiger Grund, sich nach OHSAS 18001 zertifizieren zu lassen. Der Kontrolldruck durch überlastete Berufsgenossenschaften und Arbeitsschutzbehörden auf die Betriebsleitungen wird schwächer, wenn Betriebe eine Zertifizierung nach OHSAS 18001 (oder ähnliche Zertifikate) vorzeigen können. Damit gehen den Betriebsräten und den Personalräten die Berufsgenossenschaften und Arbeitsschutzbehörden als wichtige Partner teilweise verloren. Diese Organe werden aber zur Stärkung der Mitbestimmung benötigt. Mitarbeiter haben das Recht, sich an die Behörden wenden zu können, nicht aber in gleicher Weise an Zertifikatoren. Zertifizierten Unternehmen könnte es so gelingen, mit dem von einem Unternehmen der Privatwirtschaft erteilten Vorzeigezertifikat die Rechte der Arbeitnehmer zu schwächen, darunter auch das Recht auf Mitbestimmung.
Gegenstrategien:

  • Arbeitnehmervertreter arbeiten sich z.B. in OHSAS 18001:2007 ein, oder besser noch in OHSAS 18002:2008 (ein kleines und gut lesbares Lehrbüchlein). Wenn sie ganz professionell vorgehen wollen, dann lassen sie sich als interne Auditoren ausbilden. Das sollte innerhalb einer Woche zu schaffen sein. Wenn die Gewerkschaften aufwachen (es gibt da schon Leute, die’s gemerkt haben), dann könnten auch sie möglicherweise solche Auditoren trainieren, ggf. in Zusammenarbeit mit Zertifizierungsgesellschaften.
  • Kontrolle nach LV 54, ob sich das Unternehmen an die von ihm selbst gewählten Regeln hält.
  • Arbeitnehmervertreter müssen darauf achten, dass sich behördliche Aufsichtspersonen nicht unkritische auf zertifizierte Arbeitsschutzmanagementsysteme verlassen.
  • Arbeitnehmervertreter beteiligen sich an Audits und können den § 81 des Betriebsverfassungsgesetzes nutzen, um für eine kritische Überprüfung Einblick in Auditberichte zu erhalten.

 


http://netkey40.igmetall.de/homepages/sued-niedersachsen-harz/hochgeladenedateien/Dokumente/metallzeitung/2011/2011_06_LS_SNH.pdf

… Deshalb achtet der Betriebsrat besonders auch auf den Gesundheits und Arbeitsschutz. So sind die Seesener nach »OHSAS 18001« und Sicherheit mit System (SMS) zertifiziert und innerhalb der Ardagh-Group-Metal mit dem »Safety-Award 2010« ausgezeichnet. Zudem hat der Betriebsrat durchgesetzt, dass kostenlose Wasserspender aufgestellt wurden. …

Gratulation an den kämpferischen Betriebsrat.
Es gibt Unternehmen mit einem stolz vorgezeigten Zertifikat für OHSAS 18001, die jedoch die Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” noch überhaupt nicht in ihrem Arbeitsschutz kennen. So ein Zertifikat wirkt schon ziemlich dämpfend auf die Aufmerksamkeit der Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften.

Psycho-Tricks gegen Betriebsräte

Am 10. Februar nahmen 190 von 300 Mitarbeiter der Wellpappenherstellers P-Well in Bad Bentheim an einer Betriebsversammlung teil. Auf Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes hatte die Gewerkschaft Verdi dazu eingeladen. Es ging um die Gründung eines Betriebsrates. Die Unternehmensleitung war nicht begeistert.
Mehr dazu können Sie auf der ersten Seite des Wirtschaftsteils der Süddeutschen Zeitung nachlesen: “Was fällt Ihnen ein, hier aufzukreuzen!” Gewerkschafter wollten in einer niedersächsischen Fabrik einen Betriebsrat gründen – und wurden brachial daran gehindert.
Unternehmer scheinen sich in diesem Land beim flexiblen Umgang mit dem Betriebsverfassungsgesetz sehr sicher fühlen zu können.
Detlef Esslinger, der Verfasser des Artikels, schreibt
(http://www.betriebsrat.de/portal/themen/sz/gruendung-betriebsrat-bei-p-well-bad-bentheim.html):

… Generell beobachten Gewerkschaften seit einiger Zeit, dass Unternehmer, die Betriebsräte verhindern wollen, mit Psycho-Tricks arbeiten: Angst verbreiten, Kandidaten isolieren, Belegschaft spalten. Schwierig, das jeweils nachzuweisen. …

Neben dem Betriebsverfassungsgesetz gibt es ja auch noch das Arbeitsschutzgesetz. Wenn die Gewerbeaufsicht ihren Job mit genügend Begeisterung macht, sollte der Nachweis von Verstößen gegen das Arbeitsschutzgesetz in Betrieben, in denen tatsächlich Psycho-Tricks gegen Arbeitnehmer eingesetzt werden, ganz einfach sein. Dazu müssen sich die Aufsichtspersonen nur gründlich die Gefährdungsbeurteilungsprozesse (so es sie gibt) und die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Dokumentation (so es sie gibt) ansehen.
Ursula von der Leyens Bundesministerium teilte kürzlich mit: “Die Aufsichtspersonen werden in Zukunft noch stärker prüfen, ob in den Gefährdungsbeurteilungen die im Betrieb existierenden psychischen Belastungen angemessen aufgegriffen werden und die entsprechenden Maßnahmen veranlasst und umgesetzt sind.” Ob dieses Bundesministerium bei konkreten Anhaltspunkten ein bisschen kräftiger bei den niedersächsischen Gewerbeaufsichtlern anklopft?
Interessant, was in Deutschland trotz Rechtsstaatlichkeit heute immer noch möglich ist.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/das-hamsterrad/