§§ 87 und 89 des Betriebsverfassungsgesetzes

Der § 89 BetrVG Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz konkretisiert den § 87 BetrVG Mitbestimmungsrechte. Genau genommen geht es hier nicht um Mitbestimmungsrechte, sondern um Mitbestimmungspflichten. Beide Paragrafen sind keine Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, sondern sie verbinden diese Freiheit der Arbeitgeber mit deren Verantwortung für die Arbeitnehmer. Beide Normen schreiben dazu den Arbeitnehmern die Ausübung von Mitbestimmunsrechten vor, denn wenn Arbeitnehmervertretungen auf ihr Mitbestimmungsrecht “verzichten” würden, dann funktionieren gesetzlich vorgeschriebene (und von weisen Leuten gut erklärte) Korrekturmechanismen nicht mehr. Die Mitbestimmungspflicht ist unabdingbar, die Arbeitnehmervertretungen haben sich also daran zu halten. Fehlen ihnen die Ressourcen (Wissen, Rechtsbeistand usw.) dazu, so hilft das nicht als Ausrede, sondern die Arbeitnehmervertreter müssen sich dann diese Ressourcen (Freistellungen, Berater, Rechtsanwälte, Weiterbildung usw.) verschaffen.

§ 87 Mitbestimmungsrechte

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
[…]
1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
[…]
7. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
8. Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
[…]

§ 89 Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz

(1) Der Betriebsrat hat sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Er hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.
(2) Der Arbeitgeber und die in Absatz 1 Satz 2 genannten Stellen sind verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen.
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung und den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.

(3) Als betrieblicher Umweltschutz im Sinne dieses Gesetzes sind alle personellen und organisatorischen Maßnahmen sowie alle die betrieblichen Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze betreffenden Maßnahmen zu verstehen, die dem Umweltschutz dienen.
(4) An Besprechungen des Arbeitgebers mit den Sicherheitsbeauftragten im Rahmen des § 22 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch nehmen vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder teil.
(5) Der Betriebsrat erhält vom Arbeitgeber die Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen, zu denen er nach den Absätzen 2 und 4 hinzuzuziehen ist.
(6) Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Durchschrift der nach § 193 Abs. 5 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vom Betriebsrat zu unterschreibenden Unfallanzeige auszuhändigen.

Damit es klar ist:

  • Der Betriebsrat hat seine Aufgaben unabdingbar zu erfüllen. § 89 gibt ihm nicht nur Rechte, sondern Pflichten. Wo Rechte der Arbeitnehmervertretung als Pflichten formuliert sind, kann sie nicht auf die Ausübung dieser Rechte verzichten. Arbeitgeber, die die Arbeitnehmervertretung bei der Ausübung ihrer Pflichten behindert, begehen eine Straftat.
  • Zu den im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz und betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen zählen auch Audits (sowohl von internen wie auch von externen Auditoren) für OHSAS 18001 und ISO 14001, denn sie dienen der Systemkontrolle z.B. von Umwelt- und Arbeitsschutzmanagementsystemen und damit der Entlastung der behördlichen Aufsicht. Diese Entlastung bedeutet natürlich nicht, dass die Arbeitnehmervertreter von den nun in die Systemkontrolle verlagerten Aufsichtsaufgaben ausgeschlossen werden können.
  • Zu den Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen zählen auch die Berichte, die bei Audits für OHSAS 18001 und ISO 14001 erstellt werden. Der Arbeitgeber hat hier eine Bringschuld.
  • In nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben gilt, dass die Dokumentation nur von Unfällen nicht ausreicht. Es sind alle Vorfälle nach Definition 3.9 und 3.8 (OHSAS 18001:2007) zu dokumentieren, also nicht nur meldepflichtige Unfälle, sondern alle Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. Das kann der Betriebsrat basierend auf OHSAS 18001 verlangen. (Erkrankungen sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden.)
  • Gesetzestext: § 89 BetrVG
  • Betriebsverfassungsgesetz im Arbeitsschutz

OHSAS-Zertifizierung ohne Betriebsräte?

DNV schreibt in http://www.dnvba.com/de/zertifizierung/Managementsystem-Zertifizierung/Arbeitsschutz-Sicherheit/Pages/BS-OHSAS-18001.aspx:

BS OHSAS 18001: Ziele

Ihr Unternehmen wird erfolgreich nach BS OHSAS 18001 zertifiziert, wenn:

  • eine Arbeitsschutzpolitik umgesetzt wird
  • die Identifikation von Arbeitsschutzrisiken und gesetzlichen Vorschriften erfolgt ist
  • eine Planung, die die kontinuierliche Verbesserung absichert, erstellt ist
  • eine Definition von ausreichenden Management-Aktivitäten, die die Erreichung der Arbeitsschutzziele steuern, vorhanden ist
  • eine Leistungsüberwachung des AMS durch interne Audits und Management Review durchgeführt wird und somit eine kontinuierliche Verbesserung erreicht wird
  • das AMS gemäß den Forderungen des BS OHSAS 18001 dokumentiert und mindestens 3 Monate implementiert ist.

Hierbei muss in Deutschland beachtet werden, dass

  • die Arbeitsschutzpolitik mitbestimmt umgesetzt wird,
  • die Identifikation von Arbeitsschutzrisiken und gesetzlichen Vorschriften (einschließlich der Betriebsverfassungsgesetzes) mitbestimmt erfolgt ist,
  • eine Planung, die die kontinuierliche Verbesserung absichert, mitbestimmt erstellt ist,
  • eine mitbestimmte Definition von ausreichenden Management-Aktivitäten, die die Erreichung der Arbeitsschutzziele steuern, vorhanden ist,
  • eine Leistungsüberwachung des AMS durch interne Audits und Management Review von unabhängigen (im Sinn der ISO 19011) Auditoren mit Beteiligung des Betriebsrates durchgeführt wird und somit eine kontinuierliche Verbesserung erreicht wird,
  • das AMS gemäß den Forderungen des BS OHSAS 18001 in mitbestimmter Weise dokumentiert und mindestens 3 Monate implementiert ist.
  • Interessieren sich Zertifizierungsunternehmen dafür? Ich kenne Fälle in der Vergangenheit, in denen Zertifizierungsunternehmen es nicht merkwürdig fanden, dass der Betriebsrat an Audits nicht teilnahm und keine Ahnung von den Audits hatte. Wie groß ist überhaupt das Interesse der Zertifizierungsunternehmen, die Darstellungen der Arbeitgeber mit deren Betriebsräten zu verifizieren? Stören Betriebsräte bei kostengünstigen Audits? Kann es sein, dass Betriebe nach OHSAS 18001 zertifiziert wurden, in denen entgegen den gesetzlichen Vorschriften der Betriebsrat an den Zertifizierungsaudits in keiner Weise beteiligt wurde?

Snarkjägerarbeitsplatz

Das Bild rechts im Forbes-Artikel verwende ich schon seit einigen Jahren bei der Darstellung der Gefährdungskategorien, die bei der Gefährdungsbeurteilung eines Arbeitsplatzes berücksichtigt werden könnten. Ich hatte die Illustration vor fünf Jahren in den deutschen Wikipedia-Artikel zur psychischen Belastung eingestellt. In der drögen deutschen Wikipedia überlebte das nicht, aber in der englischsprachigen hat sich dann ein anderer Autor des Bildes angenommen. Auch in Japan darf das Bild ストレス (Stress) erklären. In Frankreich, Israel und Russland wird es ebenfalls verstanden.
Was ich mit der Vewendung des Bildes sagen will, hatte in dieser Woche auch Forbes begriffen:

Workplace stress caused by an unsuitable work environment (Illustration by Henry Holiday in Lewis Carroll’s “The Hunting of the Snark” ) (Photo credit: Wikipedia)

Leider steuert der Artikel dann in die gewohnte Stress-Management-Richtung, also individuelle Verhaltensprävention für’s “Employee Brain” mit Yoga usw. Dabei zeigt Henry Holidays Illustration eigentlich sehr gut, dass man im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumgebung oft schon viel Verbesserungspotential entdecken kann. Übung: Wie beurteilen Sie die Gefährdungen an diesem Arbeitsplatz?

Analyze this! – Übung zur Gefährdungsbeurteilung

Beurteilen Sie die von diesem Arbeitsplatz ausgehenden Gefährdungen;


Poster: 4400 x 6328 pixels

PDF mit Vektorgrafik: https://www.academia.edu/9856809/The_Beavers_Lesson
Henry Holiday
Illustration zu
Lewis Carroll, The Hunting of the Snark, London 1876
 
Siehe auch: https://psybel.snrk.de/snarkjaegerarbeitsplatz/

2003: Ermittlung psychischer Fehlbelastungen

Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und Möglichkeiten der Prävention  – Handlungsanleitung für die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder (LV 31), Module 8 und 9 (LV 52 nimmt darauf Bezug)
http://blog.psybel.de/lasi-veroeffentlichungen/#LV31

1 Einleitung 7
2 Aufbau und Inhalte der Handlungsanleitung (Ablaufschema) 8
3 Module 10
Modul 1: Eingangsgespräch 10
Modul 2: Informationssammlung 13
Modul 3: Indikatoren für psychische Fehlbelastungen 15
Modul 4: Merkmale von Arbeitstätigkeiten, die psychische Fehlbelastungen auslösen können 16
Modul 5: Auswertung der Informationen 19
Modul 6: Instrumente zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen 20
Modul 7: Maßnahmen zur Belastungsoptimierung 21
Modul 8: Überwachung 25
Modul 9: Zielvereinbarung 27
Modul 10: Wissens- und Erfahrungsspeicher 28
Anhang: Prozessgestaltung 30
Literatur 35

Tabelle 14 (im Modul 8):

Kriterien zur Überprüfung der Organisation des Arbeitsschutzes im Hinblick auf die Prävention „psychischer Fehlbelastungen“

  • Besprechung von Problemen psychischer Fehlbelastungen im Arbeitsschutzausschuss (Protokolle)
  • Mitwirkung der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes
  • Vermeidung psychischer Fehlbelastung als Führungsaufgabe
    (Unternehmensleitlinien, Funktionsbeschreibungen, tarifliche und betriebliche Regelungen zu psychischen Belastungen)
  • Berücksichtigung psychischer Aspekte bei der Planung und Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch das Führungs und Fachpersonal (unter Einbeziehung der Fachkraft für Arbeitsicherheit und des Betriebsarztes), z.B.
    • bei der Einrichtung von Arbeitsräumen,
    • bei der Beschaffung von Einrichtungsgegenständen,
    • bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen,
    • bei der Planung von Arbeitsabläufen und Aufgabengestaltung,
    • bei der Personalauswahl und -entwicklung

    (Checklisten, Verfahrensanweisungen, Besprechungsprotokolle)

  • Befähigung der an der Prävention psychischer Fehlbelastungen beteiligten Personen, psychische Fehlbelastungen zu erkennen und zu vermeiden (Schulungsnachweise)
  • Berücksichtigung des Themas „psychische Fehlbelastungen“ bei der Organisation der Betriebsbegehungen (z.B. Checklisten erweitern, Gespräche führen mit Führungskräften und Mitarbeitern)
  • Einbindung von Themen wie Stress, Gesundheitsverhalten, Erwartungen an die Arbeit und Änderungswünsche in der betriebsärztlichen Betreuung

Das war also schon seit 2003 bekannt.

Begehungen durch Arbeitsschutzfachleute und den Betriebsrat

Hier finden Sie ein paar Hinweise, worauf bei Begehungen von Arbeitsplätzen hinsichtlich der Qualität von Gefährdungsbeurteilungen zu achten ist.
http://blog.psybel.de/wie-die-aufsicht-prueft/#lv52, LV 52, Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder, darin aus dem Anhang 6 GB-Check Prozessqualität – Arbeitshilfe Interviewleitfaden zur Bewertung des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung,  2009, S. 26 und 27:

Beteiligung Führungskräfte: Die mittleren und unteren Führungskräfte wurden bei der Ermittlung und Veränderung psychischer Belastungen beteiligt? 

  • Wie?
  • Melde-/ Beschwerdewesen, durch die Methodenwahl z.B. Fragebogen, Gruppenmoderation, MAG, Einzelinterviews

Planungen: Gefährdungsbeurteilung wurde systematisch geplant.

  • Wer war mit der Umsetzung beauftragt?
  • Wurden Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festgelegt?
  • Beurteilungsablauf festgelegt?

Risikofaktoren: Die wesentlichen Risikofaktoren für psychische Fehlbelastung werden berücksichtigt.

  • Abgleich mit Merkmalliste

Vollständigkeit: Alle Arbeitsbereiche und Tätigkeiten wurden auf psychische Belastungen hin beurteilt.

  • Wurden Prioritäten gesetzt?
  • Welche Bereiche wurden ausgelassen?
  • Aus welchem Grund?

Maßnahmenfestlegung: Bei psychischen Fehlbelastungen wurden Maßnahmen festgelegt.

(nachträgliche Anmerkung in eckigen Klammern)
 
Siehe auch:

 
(Aktualisierung: 2012-06-23. Ursprüngliches Datum: 2011-10-21)

Le petit bleu qui trouble…

Zur Übung: Wie würden Sie als Arbeitsschutzbeauftragter oder als Betriebsratsmitglied bei einer Begehung den auf dem rechten Bild dargestellten Arbeitsplatz beurteilen?

Links: Illustration von Gustave Doré zu John Miltons Paradise Lost, Buch VI, 1866
Rechts: Illustration von Henry Holiday zu Lewis Carrolls The Hunting of the Snark, 1876
Die Illustration von Henry Holiday verwende ich seit einigen Jahren zur Darstellung der verschiedenen Gefährdungskategorien des Arbeitsschutzes. Hier sehen Sie einen Arbeitsplatz, der sich durch ein gewisses Verbesserungspotential auszeichnet: Wir haben hier chemische Belastung (Tinte), biologische Belastung (etliche herumschwirrende Ungeheuer), akustische Belastung (die Pig Band), verschiedene schwebende Lasten, Mobbing und (was vom Arbeitsschutz bisher noch nicht berücksichtigt wird) auch fiskalische Belastung. Der Lehrer des Bibers macht zudem einen nicht allzu entspannten Eindruck.
Übrigens: Im Dezember 2008 gab es dann eine kleine Überaschung für mich. Sehen Sie das Bildzitat? Gibt es noch mehr davon?
Falls auch Sie das Bild mögen, dann können Sie sich den Vergleich auch im Format 4440 x 3000 ansehen.
(“Le petit bleu qui trouble…” ist ein Kommentar von Jean-Michel Frodon, einem der Betreiber der “Artsciencefactory”in Frankreich.)
 

All art is infested by other art.

Leo Steinberg (Art about Art, 1979)
Siehe auch: https://psybel.snrk.de/snarkjaegerarbeitsplatz/