Entbürokratisierung

Zu oft ist “Entbürokratisierung” nur die Verlagerung von Regelungsarbeit (Verhandlungen usw.) aus einem Bereich (z.B. Gesetzgebung) in einen anderen Bereich (z.B. Erarbeiten von Betriebsvereinbarungen). Sind die Betroffenen dort auf die Arbeit (Ressourcen, Wissen, Budgets usw.) vorbereitet, die zu ihnen verschoben wurde?
Sowohl Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern erscheint im Bereich beispielsweise der Analyse von Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) immer noch Vieles unklar. Stehen beide Parteien noch am Anfang, dann fällt beiden beim Ansprechen psychischer Belastung zunächst oft nichts Besseres ein, als auf mögliche “Probleme” individuell Betroffener und auf vom Arbeitgeber nicht beeinflussbare Faktoren hinzuweisen. Für Betriebsräte ist das Thema sehr gewöhnungsbedürftig, insbesondere wenn es um ihre eigene Belastungen geht. Und überforderte Arbeitgeber setzen ihre Mitarbeiter, die Fehlbelastungsmeldungen an ihre Sicherheitsfachkraft abzugeben wagen, unter noch weiteren Druck, wenn sie mit der Forderung nach einer psychische Belastung einbeziehenden Gefährdungsbeurteilung nicht umgehen können oder wollen. Darum müssen Betriebsräte (wo es sie gibt) schnell Kompetenz erwerben, damit sie einzelne Mitarbeiter beim Einreichen von Fehlbelastungsmeldungen unterstützen können.
Ein Grund für die sich aus dem großen betrieblichen Ausgestaltungsbedarf der Arbeitsschutzvorschriften ergebenden Herausforderungen ist das Konzept der europäischen Arbeitsschutzes: Vorgeschrieben ist mit dem Ziel der Entbürokratisierung wegen der Unterschiede der innerbetrieblichen Situationen nur ein Rahmen, innerhalb dessen in Unternehmen ihren betrieblichen Anforderungen gemäße Umsetzungen des Arbeitsschutzes vereinbart werden müssen. Das bedeutet aber nicht, dass Arbeitgeber und Laienpsychologen hier einen beliebigen Freiraum zur Umsetzung ihrer persönlichen Vorstellungen haben, sondern es gilt die Mitbestimmung, und für die Umsetzung sind qualifizierte Fachkräfte vorgeschrieben, deren Auswahl und Einsatz ebenfalls mitbestimmt zu regeln ist.
Daraus ergibt sich für die Betriebsräte und Personalvertretungen eine sehr umfassende Aufgabe, denn der Gestaltungsspielraum, den das Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber gibt, muss mit einer auf den Betrieb abgestimmten Definition und Implementierung von Prozessen ausgefüllt werden. Das führt zu einer Pflicht (BAG, 2004-06-08: Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03) zur Mitbestimmung. Dabei müssen aber keine Grundlagen mehr erarbeit werden, denn es stehen schon seit einiger Zeit gute Prozesse und Werkzeuge zur Verfügung, mit denen Unternehmensleitungen und Arbeitnehmervertreter zügig ihren arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen entsprechen können.
Hier zeigen sich, wie (für wen und für wen nicht) die Entbürokratisierung in der Gesetzgebung funktioniert. So wie es derzeit aussieht, funktioniert sie für jene, die den Arbeitsschutz für eine Belästigung der Wirtschaft halten: Nach fast 15 Jahren kann die große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland es sich immer noch leisten, wichtige Regelungsvorgaben des Arbeitsschutzgesetzes zu missachten. Was hindert uns daran, diese Missachtung des Arbeitsschutzes durch viele Unternehmen als Anarchie zu bezeichnen?

Mitbestimmung: Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung

Zusammengestellt und kommentiert von Wolfgang Schneider, Düsseldorf, 2004-08-20:
Mitbestimmung bei der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz und der Bildschirmarbeitsverordnung sowie bei der Unterweisung nach dem Arbeitsschutzgesetz
zu den BAG-Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 und AZ 1 ABR 13/03 (2004-06-08)

Wie die Aufsicht prüft

 
2014-06-16: Die DGUV hat umgeräumt: http://blog.psybel.de/dguv-raeumt-um/
 


DGUV, 2004:
Erkennen psychischer Belastungen in der Arbeitswelt – ein Leitfaden für Aufsichtspersonen der gewerblichen Berufsgenossenschaften, zu finden in einem Kasten “weitere Informationen” auf der rechten Seite unter “psychische Belastungen in der Arbeitswelt” in:
http://www.dguv.de/inhalt/praevention/aus_weiter/aufsichtsperson/ (nicht mehr online)
Direkte Links:

  • Psychische Belastungen in der Arbeitswelt – ein Leitfaden für Aufsichtspersonen der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Stand: Juli 2004)
    (Backup 2004: Erkennen…, Anlage 1, Anlage 2)

    Vorwort
    1. Einführung
    2. Rechtliche Grundlagen
    2.1 Sozialgesetzbuch VII
    2.2 Arbeitsschutzgesetz
    3. Psychische Belastungen und ihre Auswirkungen
    3.1 Erweitertes Belastungs-Beanspruchungs-Modell
    3.2 Einteilung psychischer Belastungen
    3.3 Spezielle Formen psychischer Belastungen
    3.3.1 Traumatische Ereignisse
    3.3.2 Mobbing
    3.4 Kurz- und langfristige Folgen psychischer Beanspruchungen
    3.5 Klassifikation der Folgen von Beanspruchungen
    4. Praktische Vorgehensweise im Betrieb
    4.1 Mögliche Vorbehalte seitens der Betriebe
    4.2 Mögliche wirtschaftliche Vorteile für den Betrieb
    4.3 Erkennen psychischer Fehlbeanspruchungen im Betrieb
    4.3.1 Einführungsgespräch mit dem Unternehmer
    4.3.2 Arbeitsplatz-, Betriebsbesichtigung
    4.3.3 Unfalluntersuchung
    4.3.4 Weitere mögliche Informationsquellen
    4.4 Bewertung der ermittelten Informationen
    4.5 Präventionsmaßnahmen
    4.6 Weitere Maßnahmen
    5. Weiterführende Literatur
    6. Vorhandene Instrumente
    Glossar

Der Leitfaden wurde zwar für “Aufsichtspersonen der gewerblichen Berufsgenossenschaften” geschrieben, aber natürlich hilft er auch Kontrolleuren der Gewerbeaufsicht, Arbeitssicherheitsfachkräften, Auditoren, Führungskräften sowie Arbeitnehmern und ihren Vertretern (Betriebs- und Personalräte). Auch im Top-Management der Unternehmen kann der Leitfaden helfen, zu verstehen, über welche Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten die Akteure im Arbeitsschutz verfügen müssen.
Das im Leitfaden empfohlene Vorgehen ist ganz nett. Unternehmer brauchen nicht zu zittern. Allerdings sind die Berufsgenossenschaften auch keine Gewerbeaufsichten. Sie strafen nicht, sondern erhöhen gegebenenfalls halt die Beiträge, die ihre Mitgliedsunternehmen zu zahlen haben.
Der Leitfaden für Betriebsärzte zu psychischen Belastungen ist ähnlich strukturiert, aber ausführlicher.
 
Selbst diesen zahmen und mit Unternehmern geradezu zärtlich einfühlsam umgehenden Leitfaden mögen die Arbeitgeber nicht (BDA: Mai 2005, Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit, Link in http://blog.psybel.de/hauptsache-gesundheit/):
S. 7:

… Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften hat 2002 einen Leitfaden “Psychische Belastungen” für Aufsichtspersonen der gewerblichen Berufsgenossenschaften entwickelt und in einer einjährigen Erprobungsphase auf Plausibilität und Praktikabilität getestet. Der Leitfaden, der derzeit aufgrund der Erfahrungen aus der Erprobungsphase überarbeitet wird, soll die Aufsichtspersonen in die Lage versetzen, die Unternehmen im Rahmen allgemeiner Betriebsbesichtungen auch im Hinblick auf psychische Belastungen zu beraten. Der Leitfaden, wie auch zahlreiche andere existierende Handlungshilfen, ist aus Sicht der BDA nur bedingt als Instrument geeignet. Problematisch sind die darin enthaltenen Hinweise zur Personalführung und Arbeitsorganisation. Dies ist kein Bereich, in dem die Berufsgenossenschaften Erfahrungen und Expertise besitzen. Es muss berücksichtigt werden, dass Personalführung und Arbeitsorganisation zum Kernbereich unternehmerischer Verantwortung gehören. Eine Beratung in Fragen psychischer Belastungen kann nur sinnvoll sein, sofern sie lösungsorientiert und nicht problemorientiert die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt. …

(Links nachträglich in das Zitat eingefügt)
Ist das so? “Lösungsorientiert und nicht problemorientiert” ist Unsinn. Vor der Lösung schaut man sich das Problem an, macht also eine Gefährdungsbeurteilung. Die BDA versteht die einfachsten Grundlagen nicht und ignoriert außerdem das Arbeitsschutzgesetz: Es geht bei der Verhaltensprävention gerade nicht um den Einzelfall. Im Gesetz steht: Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen. Das gilt auch für BDA-Mitglieder. Immerhin verrät dieser Absatz viel über das Problem, das die Arbeitgeber mit dem ganzheitlichen Arbeitsschutz haben.
S. 12:

… Die Arbeitgebervertreter in den Selbstverwaltungsorganen der Berufsgenossenschaften sollten sich aufgrund der o. g. [siehe S. 11 – 12] Argumente auch dementsprechend grundsätzlich gegen eine Regelung des Themas psychische Belastungen in berufsgenossenschaftlichen Regelwerken aussprechen. …

Nachtrag (2013-04-24): Später kamen die Arbeitgeber mit der dreisten Ausrede, dass es keine Leitlinien gebe, mit deren Hilfe sie psychische Belastungen beurteilen können.
 


(Aktualisierung: 2012-07-12)
LASI, LV 52, 2009:
Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder
http://lasi.osha.de/de/gfx/publications/lv52_info.htm
http://lasi.osha.de/docs/lv52.pdf, Inhalt:

Vorwort.
1 Grundverständnis und Zielrichtung 6
2 Aufgaben und Funktionen des Managements der Arbeitsschutzverwaltungen der Länder bei der Umsetzung des Themas 7
2.1 Psychische Belastungen – ein Querschnittsthema für die Aufsicht 7
2.2 Fachliche und methodische Kompetenzen der Beschäftigten in der Arbeitsschutzverwaltung erweitern 8
2.3 Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen 9
3 Grundsätze der Beratung und Überwachung 10
3.1 Handlungsfelder der Arbeitsschutzverwaltung 10
3.2 Durchführung der Betriebsbesichtigung 11
3.3 Nachbereitung, Verwaltungshandeln 13
4 Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie1 4
Anhang 1 Rahmenkonzept Qualifizierung 15
Anhang 2 Curriculum für die Qualifizierung von Aufsichtskräften zum Thema „psychische Belastungen“ 19
Anhang 3 Übersicht: Berücksichtigung psychischer Belastungen im Aufsichtshandeln 23
Anhang 4 Ablauf: Prüfung von Gefährdungsbeurteilungen im Hinblick auf angemessene Berücksichtigung psychischer Belastungen 24
Anhang 5 Prüfliste zum Erkennen psychischer Belastungen (PEP) 25
Anhang 6 GB-Check Prozessqualität – Arbeitshilfe Interviewleitfaden zur Bewertung des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung 26
Anhang 7 GB-Check Inhalt – Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung „psychische Belastungen“ auf inhaltliche Plausibilität und angemessene Umsetzung 29

S. 4:

… Denn trotz vielfältiger Aktivitäten ist es auch für die Aufsichtsbeamtinnen und –beamten der Arbeitsschutzbehörden noch nicht selbstverständlich, bei der Bewertung betrieblicher Gefährdungsbeurteilungen auch psychische Faktoren zu berücksichtigen. Diese werden nicht selten als „Extra“ betrachtet, auf die eingegangen werden kann, wenn alle anderen Arbeitsschutzaspekte erledigt wurden. Eine solche Prioritätensetzung erfolgt oft mit dem Hinweis, dass gezieltes Aufsichtshandeln zur Reduktion psychischer Belastungen nur sehr eingeschränkt möglich sei, da der Rückgriff auf Normen und Sanktionen schwierig ist. Demzufolge beschränkt sich die staatliche Aufsicht in der Regel auf reines Beratungshandeln.
Diese Sichtweise geht am zentralen Ziel des Arbeitsschutzgesetzes vorbei, das eine umfassende Prävention von gesundheitlichen Risiken einfordert. Hier müssen staatliche Arbeitsschutzbehörden den Erfordernissen moderner Arbeitswelten nachkommen und ihrer institutionellen Schutzfunktion gerecht werden. Der Fokus des Aufsichtshandelns ist dabei auf Tätigkeiten zu legen, in denen in besonderem Ausmaß mit gesundheitlichen Folgen psychischer Belastungen zu rechnen ist. …

S. 28:

Die Gefährdungsbeurteilung ist nicht angemessen – lt. Leitlinie so zu bewerten wenn:

  • Gefährdungssituation unzutreffend bewertet
  • wesentliche Arbeitplätze/Tätigkeiten nicht ermittelt
  • wesentliche Arbeitplätze/Tätigkeiten nicht beurteilt
  • besondere Personengruppen nicht berücksichtigt
  • keine Wirksamkeitskontrolle
  • Beurteilung nicht aktuell
  • Dokumentation nicht plausibel

 


Links innerhalb dieses Blogs:
  • Begehungen durch Arbeitsschutzfachleute und den Betriebsrat
  • Grundsätze der behördlichen Systemkontrolle
  • Zielvereinbarungen mit Unternehmen
  • Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie
  • Arbeitsschutzorganisation ist Pflicht

    Positives Arbeitgeberimage

    Auf der Suche nach Arbeitgebern, die hohe Ansprüche an sich stellen, fand ich diese Organisation:
    Queb – Quality employer branding e. V.
    (vormals: dapm – Der Arbeitskreis Personalmarketing e. V.)

    http://www.queb.org/info-lounge
    :

    Der Auf- und Ausbau eines positiven Arbeitgeberimages (Employer Branding) sind die unabdingbaren Voraussetzungen zur Gewinnung geeigneter Bewerber sowie zur Bindung von Mitarbeitern. Dem Personalmarketing kommt dabei die Aufgabe zu, konjunkturunabhängig und im Umfeld demographischer sowie arbeitsmarktpolitischer Veränderungen, mit den geeigneten Instrumenten die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber langfristig sicherzustellen.
    In diesem Kontext haben sich im Februar 2001 die Personalmarketingverantwortlichen bedeutender Unternehmen der Privatwirtschaft zusammen geschlossen und im Juli 2003 den Verein dapm, Der Arbeitskreis Personalmarketing, gegründet – heute Queb. Gefördert wird primär der Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Personalmarketings und Employer Brandings. Darüber hinaus werden Arbeits- und Qualitätsleitlinien im Bereich Personalmarketing entwickelt. Gemeinsame Initiativen und Plattformen entlang der HR-Wertschöpfungskette (Attraktion, Integration und Retention von Mitarbeitern) komplettieren das Portfolio von Queb.
    Aktuell sind bei Queb 43 namhafte Unternehmen als Mitglieder organisiert.

    http://www.queb.org/mitglieder:

    • accenture GmbH
    • adidas AG
    • Allianz Deutschland AG
    • ANDREAS STIHL AG & Co. KG
    • Audi AG
    • BASF SE
    • Bayer
    • BearingPoint GmbH
    • Bertelsmann AG
    • BMW AG
    • Bosch GmbH
    • Commerzbank AG
    • Continental AG
    • Daimler AG
    • DEKRA Automobil GmbH
    • Deloitte
    • Deutsche Bahn AG
    • Deutsche Bank AG
    • Deutsche Post DHL
    • Deutsche Telekom AG
    • E.ON AG
    • EADS Deutschland GmbH
    • EnBW Energie Baden-Württemberg AG
    • Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
    • Evonik Industries AG
    • Generali Deutschland Holding AG
    • IBM Deutschland GmbH
    • Infineon Technologies AG
    • KPMG AG WPG
    • L`Oréal Deutschland GmbH
    • Merck KGaA
    • Microsoft
    • Philips GmbH
    • PricewaterhouseCoopers AG WPG
    • Procter & Gamble Service GmbH
    • Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG
    • SAP AG
    • Siemens AG
    • TARGOBANK AG & Co. KGaA
    • ThyssenKrupp AG
    • UBS Deutschland AG
    • UniCredit Bank AG / HypoVereinsbank
    • Unilever Deutschland GmbH

    Auch interessiert mich der Arbeitsschutz der Unternehmen in diesem Verbund von Organisationen:

     
    Wie würden die Betriebsräte dieser Unternehmen diesen Fragebogen ausfüllen?
    [Kontakt]
    Über Gefährdungsbeurteilungen mit Einbezug psychisch wirksamer Belastungen bei Queb-Mitgliedern berichten Sie bitte als Kommentar zur Positivliste.

    2010: Ganzheitlicher Arbeitsschutz nur bei 16% der Betriebe

    Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL, 2007-09 – 2010-04) sehen immer noch so aus:

    1. Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
    2. Geringe Handlungskompetenz: Weder bei betrieblichen noch bei überbetrieblichen Arbeitsschutzakteuren ist in der Breite eine ausreichende Kompetenz zum Umgang mit dem Thema “Psychische Belastungen” vorhanden.
    3. Schwierige Kooperation: Von Betriebsrat, Arbeitgeber und betrieblichen Arbeitsschutzakteuren bei der GB zu psychischen Belastungen bzw. unzureichende Abstimmung der Akteure untereinander.

    (Siehe dazu auch http://www.arbeitstattstress.de/2011/01/inwieweit-werden-psychische-gefaehrdungen-in-den-betrieben-beurteilt/.)
    Die einzige Krankheitskategorie, in der von den Versicherungen eine Zunahme von Fehlzeiten am Arbeitsplatz beobachtet wird, ist die Kategorie der psychischen Erkrankungen. Aber ausgerechnet in diesem Bereich werden in Deutschland die Arbeitsschutzvorschriften nicht durchgesetzt:

    Obwohl die Betriebe seit 1996 durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, körperliche wie auch psychische Arbeitsbelastung am Arbeitsplatz im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln und sie so gering wie möglich zu halten, ist dies in vielen Betrieben immer noch nicht umgesetzt. Vor allem werden psychische Arbeitsbelastungen dabei nach wie vor kaum berücksichtigt.
    (inqa.de, BAuA: Unterweisung, 2006, S. 8)

    Aus der Betriebsrätebefragung 2008/06 des WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung) ergibt sich:

    Psychische Gefährdungen werden kaum berücksichtigt
    Trotzdem steht es um die Gefährdungsbeurteilung und insbesondere um die Berücksichtigung der psychischen Belastungen in den Betrieben nicht gut, wie die WSI- Betriebsrätebefragung 2008/09 ebenfalls zeigt:

    • Gefährdungsbeurteilungen nach dem Arbeitsschutzgesetz werden nur von einer Minderheit der Betriebe (46%) durchgeführt.
    • Aus dieser Teilgruppe berücksichtigen nur 29% der Betriebe auch psychische Belastungen.
    • Also haben nur 16% aller befragten Betriebe in ihren Gefährdungsbeurteilungen auch psychische Arbeitsbelastungen berücksichtigt.

    Die entsprechenden Vorschriften des Arbeitsschutzes gibt es seit 1996. Gestärkt wurden sie in den Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03 des Bundesarbeitsgerichtes zur Mitbestimmung aus dem Jahr 2004.

    Unterweisung an Mitarbeiter und Führungskräfte

    Chr. Eggerdinger, M. Giesert, hg. V. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), INQA Bericht Nr. 7, Unterweisung: Führen, Beteiligen, Erkennen und Vermindern von psychischen Belastungen, Düsseldorf 2004
    Kurzbeschreibung (Quelle: INQA, Januar 2011):

    Handlungshilfe “Unterweisung”
    Regelmäßige und umfassende Unterweisungen sind die Grundlage für einen modernen Arbeitsschutz im Betrieb und damit gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für eine gute Produktivität und Qualität der Arbeit im Unternehmen sowie für gesundheitsgerechtes und sicheres Arbeiten der Belegschaft.
    Der INQA-Bericht Nr. 7 “Unterweisung: Führen, Beteiligen, Erkennen und Vermindern von psychischen Belastungen” gibt die Vorgehensweise, die Ergebnisse und Erfahrungen wieder, die im Rahmen eines praxisbezogenen INQA-Projektes gemacht wurden.
    Als Arbeitsergebnis in diesem Projekt ist eine Handlungshilfe entstanden,

    • die Vorgesetzten helfen soll, Unterweisungen zu einem effektiven Instrument der Führung für Arbeitssicherheit und Gesundheit zu machen,
    • die Betriebsleitungen helfen kann, das Unterweisungswesen an die gesetzlichen Vorgaben anzupassen und entsprechend zu reorganisieren,
    • die anregen soll, das Unterweisungsgespräch nicht mehr als eine lästige, formale Pflichterfüllung zu betrachten, sondern als wirksames Instrument der Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern,
    • die ermöglicht, die Beschäftigten mit einzubeziehen und damit Voraussetzungen schafft, den kontinuierlichen Prozess der Gefährdungsbeurteilung zu gestalten.

    Damit richtet sich diese Borschüre in erster Linie an:

    • Geschäfts- und Betriebsleitungen,
    • Führungskräfte,
    • Sicherheitsfachkräfte,
    • Betriebsärzte und
    • betriebliche Interessensvertretungen (Betriebs- und Personalräte).

    Diese Handlungshilfe ist sehr praktisch: Sie zeigt nicht nur, wie Unterweisungen aussehen müssen, die über reine Pflichtübungen hinausgehen. Sondern man bekommt auch gleich einen Überblick über den Lernstoff und die Lernziele.
    (In das gleiche Horn stößt http://www.arbeitstattstress.de/2011/01/psychische-belastungen-richtig-unterweisen/.)
    Übrigens, das Unterweisungswesen über körperliche und psychische Belastungen unterliegt der Mitbestimmungspflicht. Schon die ungenügende Unterweisung und Qualifikation von Führungskräften und Mitarbeitern ist eine Gefährdung. Besteht eine solche Gefährdung, so muss sie in der Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden. Noch zwei Zitate aus der Handlungshilfe:

    • „Die Gefährdungsbeurteilung ist gemäß §5 Arbeitsschutzgesetz durchzuführen. … Als Gefährdung ist dabei mit einzubeziehen, wie gut die Qualifikation und die Unterweisung der Beschäftigten ist und wie gut das Unterweisungswesen im Betrieb funktioniert. Es kommt darauf an, die Abläufe und die Organisation der Unterweisung sowie die gelebte Praxis zu untersuchen.“
    • „Die Unterweisung muss ausreichend und umfassend sein, d.h. die Beschäftigten müssen danach in der Lage sein, Gefährdungen zu erkennen, d.h. körperliche und psychische, um dann entsprechend zu handeln.“

    Vor der Unterweisung kommt allerdings erst die Gefährdungsbeurteilung. Wenn es noch keine Gefährdungsbeurteilungen (auch mit Einbezug psychischer Belastungen) gibt, dann muss das eben das Fehlen einer ausreichend vollständigen Gefährdungsbeurteilung in einer ersten Gefährdungsbeurteilung (ggf. für einen bisher nicht beurteilten Gefährdungsbereich) beschrieben werden, denn ein mangelhafter Arbeitsschutz gefährdet die Mitarbeiter. Diese Gefährdungsbeurteilung liefert dann Grundlagen, auf denen ein Unterweisungswesen aufbauen und somit eine Verbesserung der Prozesse zur Gefährdungsbeurteilung fördern kann.
    Siehe auch: http://blog.psybel.de/ohne-wissen-keine-verantwortung/

    Countervailing Power

    Management … has to have considerable power and authority – power and authority grounded in the needs of the enterprise and based on competence. And power, as the drafters of the American Constitution knew, needs to be limited by countervailing power. Modern society, a society of organizations each requiring strong management, needs an organ such as the labor union.

    Peter Ferdinand Drucker: The Frontiers of Management (paragraph III.25), 1982

    Fallbeispiel: Fehlbelastung eines Betriebsratsmitgliedes

    Erna Hartnack ist eine von 23 nicht-freigestellten Mitgliedern im Betriebsrat der Soap&Hope AG. Etwa 45% ihrer Arbeitszeit verwendet sie für Betriebsratsarbeit. In ihrer Fachabteilung arbeitet die Ingenieurin als Entwickerin für Schlöpschürbel. Dafür bleiben 55% ihrer Arbeitszeit. Leider gehen aber 100% ihrer Arbeitszeit auf die Kostenstelle für die Schlöpschürbel-Entwicklung. Die Kostenstelle wird also mit Betriebsratsarbeit belastet, mit der andere Abteilungen nicht belastet werden. Durch Ernas Betriebsratsarbeit leidet daher die dargestellte Effizienz ihrer Abteilung. Der Leistungsdruck im Team von Erna steigt.
    Diese Situation ist nirgendwo offiziell dokumentiert. Erna hat noch zwei Kollegen im Team, die darum Teile der Schlöpschürbel-Entwicklung übernehmen müssen. Die Belastung des Teams, dem etwa ein Sechstel seiner offiziell budgetierten Personalkapazität fehlt, ist also höher, als die offiziell dokumentierten Belastung. Daraus ergibt sich bereits ein Anlass, das Risiko einer Gefährdung beurteilen zu müssen.
    Außerdem steht Erna selbst unter Druck, weil sie ihren Kollegen nicht schaden will. Sie leidet unter dem nicht notwendigen Konflikt.
    Eine weitere Benachteiligung Ernas zeigte sich, als sie sich betriebsintern auf eine Stelle als Konzept-Ingenieurin für Bandsnatsche bewerben wollte. Ihr potentiell neuer Vorgesetzter hätte sie gerne eingestellt, aber inoffiziell nur unter der Bedingung, dass Erna ihm verspricht, ihre Betriebsratsarbeit auf 20% zu reduzieren. Sonst würde sie einfach zu teuer für die Abteilung.
    Einige der anderen nicht-freigestellten Betriebsratsmitglieder haben ähnliche Probleme. Auch der Schwerbehindertenvertreter ist von diesem Problem betroffen.
    Was soll Erna machen? Was soll der Betriebsrat machen? Wie lösen Sie das Problem der Kontierung der Betriebsratsarbeitszeiten von nicht-freigestellten BR-Mitgliedern in Ihrem Betrieb?
     


    Unternehmer klagen oft, dass sie für psychische Belastungen verantwortlich gemacht würden, die außerhalb ihres Einflussbereiches lägen. Auch seien sie nicht verantwortlich für die individuellen “psychischen Probleme” von Arbeitnehmern. Selbst Arbeitnehmer fangen in der Regel mit Hinweisen auf “persönliche Schwächen” und “individuelle Unterschiede” an, wenn ” psychische Belastungen” zur Sprache kommen. Der hier vorgestellte Fall ist nun aber ein Beispiel für eine eindeutig von den Arbeitsbedingungen ausgehende psychische Fehlbelastung. Das Beispiel macht auch deutlich, warum im Arbeitsschutz die Beurteilung von Arbeitsplätzen sinnvoller ist, als die Beurteilung der individuellen Psyche einzelner Mitarbeiter. (Die Namen im Beispiel sind frei erfunden. Das Beispiel beschreibt in anonymisierter Weise einen konkreten Fall in einem Unternehmen, das in einem deutschsprachigen Land in Europa angesiedelt ist.)

    Warum ich so lästig bin

    Weil ich auf den Ratschlag eines weisen Alten aus dem Volke nicht höre:

    Wir anderen, die wir von der Gesellschaft abhängen, müssen uns nach ihr bilden und richten, ja dürfen eher etwas tun, das ihr zuwider ist, als was ihr lästig wäre; und lästiger ist ihr in der Welt nichts, als wenn man sie zum Nachdenken und zu Betrachtungen auffordert.

    J. W. Goethe, Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten, 1795

    Tausendmal diskutiert und doch ist nichts passiert?

    • Resch, M. & Blume, A., 2004: Tausendmal diskutiert und doch ist nichts passiert? Computer-Fachwissen 2/2004, 9 – 14 und 3/2004, 8 – 13. (In einer Datei zusammengefasst: Resch-Blume-inCF2004-02u03.pdf)
    • Manuel Kiper, 2006: Psychische Belastungen, Computer-Fachwissen 7-8/2006