Arbeiten Sie mit Ihrem Betriebsrat zusammen

http://www.agv-bochum.de/aus-den-verbaenden/details/item/mehr-als-das-klassische-burnout/detail/News.html und http://www.agv-bochum.de/fileadmin/media/agv-bochum/pdf/Nachgelesen_Psychische_Gesundheit.pdf

Mehr als das “klassische Burnout” – 22.11.2012
Effizient, qualitativ hochwertig, produktiv und zuverlässig. Diese Attribute zeichnen das erfolgreiche Unternehmen aus. Um dies zu gewährleisten, ist es auf erstklassige Mitarbeiter angewiesen. Gesunde Mitarbeiter. Nicht negativ beanspruchte Mitarbeiter. Immer stärker ins Bewusstsein rückt dabei die „psychische Gesundheit“. Diplom-Psychologe Axel Hofmann (METALL NRW) und Dr. Stephan Sandrock (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft) gaben im Haus der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen Tipps, wie psychische Belastungen am Arbeitsplatz erkannt, bekämpft und gemindert werden können.

Wann ist das Maß voll?
Einer Zwischenfrage aus dem Kreis der Seminarteilnehmer, wie plötzliche und unerwartet auftretende psychische Störungen durch den Arbeitgeber zu verhindern seien, konnten Axel Hofmann und Dr. Stephan Sandrock keine abschließende Antwort geben. Aus einem einfachen Grund: Es gibt keine. „Wo ist der konkrete Arbeitsbezug? Wann ist das Maß voll? Das können wir nicht sagen, weil das eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Und noch einmal: Der Auslöser muss nicht zwingend Arbeitsbezug haben, sondern kann privater Natur sein und somit außerhalb der Fürsorgepflicht liegen“, so Axel Hofmann.
Um die Mitarbeiter auf diesem Gebiet aber zu sensibilisieren, bieten sich Schulungen für Führungskräfte und Mitarbeiter des Personalwesens an, um auf Probleme in der Mitarbeiterschaft im Rahmen der Möglichkeiten zu reagieren und diese überhaupt erst identifizieren zu können. Zusätzlich können Unternehmen Netzwerke aufbauen, um betroffenen Mitarbeitern Ansprechpartner zu vermitteln. „Arbeiten Sie mit Ihrem Betriebsrat zusammen. Ermutigen Sie ihn, den Weg gemeinsam zu gehen. Und gehen Sie mit einer anderen Brille durch den Betrieb“, appellierte Axel Hofmann.

Guter Artikel der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfahlen, auch wenn das Thema der zunehmenden psychischen Belastung vorwiegend mit dem bei Arbeitgebern häufig angeführten Argument der heute besseren Erkennbarkeit und der Entabuisierung psychischer Erkrankungen bedient wird. Fachleuten beobachteten aber durchaus turbulente Veränderungen in der Arbeitswelt. Dazu gehört auch die im Jahr 1996 von Andreas Zielcke unter dem Titel “Der neue Doppelgänger” beschriebene Wandlung des Arbeitnehmers zum Unternehmer.
Es ist schwer, zu bestimmen, wann “das Maß voll” ist. Genau darum gibt es betriebsnahe Lösungen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam entscheiden, wann eine psychische Belastung eine als Fehlbelastung einzustufen ist.
Zur “Ermutigung” des Betreibsrates durch den Arbeitgeber: Da muss wohl noch etwas klargestellt werden, denn das läuft in der Wirklichkeit anders herum: Beim Einbezug der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz sind oft die Betriebsräte die Impulsgeber, nicht die Arbeitgeber.

Entbürokratisierung

Zu oft ist “Entbürokratisierung” nur die Verlagerung von Regelungsarbeit (Verhandlungen usw.) aus einem Bereich (z.B. Gesetzgebung) in einen anderen Bereich (z.B. Erarbeiten von Betriebsvereinbarungen). Sind die Betroffenen dort auf die Arbeit (Ressourcen, Wissen, Budgets usw.) vorbereitet, die zu ihnen verschoben wurde?
Sowohl Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern erscheint im Bereich beispielsweise der Analyse von Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) immer noch Vieles unklar. Stehen beide Parteien noch am Anfang, dann fällt beiden beim Ansprechen psychischer Belastung zunächst oft nichts Besseres ein, als auf mögliche “Probleme” individuell Betroffener und auf vom Arbeitgeber nicht beeinflussbare Faktoren hinzuweisen. Für Betriebsräte ist das Thema sehr gewöhnungsbedürftig, insbesondere wenn es um ihre eigene Belastungen geht. Und überforderte Arbeitgeber setzen ihre Mitarbeiter, die Fehlbelastungsmeldungen an ihre Sicherheitsfachkraft abzugeben wagen, unter noch weiteren Druck, wenn sie mit der Forderung nach einer psychische Belastung einbeziehenden Gefährdungsbeurteilung nicht umgehen können oder wollen. Darum müssen Betriebsräte (wo es sie gibt) schnell Kompetenz erwerben, damit sie einzelne Mitarbeiter beim Einreichen von Fehlbelastungsmeldungen unterstützen können.
Ein Grund für die sich aus dem großen betrieblichen Ausgestaltungsbedarf der Arbeitsschutzvorschriften ergebenden Herausforderungen ist das Konzept der europäischen Arbeitsschutzes: Vorgeschrieben ist mit dem Ziel der Entbürokratisierung wegen der Unterschiede der innerbetrieblichen Situationen nur ein Rahmen, innerhalb dessen in Unternehmen ihren betrieblichen Anforderungen gemäße Umsetzungen des Arbeitsschutzes vereinbart werden müssen. Das bedeutet aber nicht, dass Arbeitgeber und Laienpsychologen hier einen beliebigen Freiraum zur Umsetzung ihrer persönlichen Vorstellungen haben, sondern es gilt die Mitbestimmung, und für die Umsetzung sind qualifizierte Fachkräfte vorgeschrieben, deren Auswahl und Einsatz ebenfalls mitbestimmt zu regeln ist.
Daraus ergibt sich für die Betriebsräte und Personalvertretungen eine sehr umfassende Aufgabe, denn der Gestaltungsspielraum, den das Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber gibt, muss mit einer auf den Betrieb abgestimmten Definition und Implementierung von Prozessen ausgefüllt werden. Das führt zu einer Pflicht (BAG, 2004-06-08: Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03) zur Mitbestimmung. Dabei müssen aber keine Grundlagen mehr erarbeit werden, denn es stehen schon seit einiger Zeit gute Prozesse und Werkzeuge zur Verfügung, mit denen Unternehmensleitungen und Arbeitnehmervertreter zügig ihren arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen entsprechen können.
Hier zeigen sich, wie (für wen und für wen nicht) die Entbürokratisierung in der Gesetzgebung funktioniert. So wie es derzeit aussieht, funktioniert sie für jene, die den Arbeitsschutz für eine Belästigung der Wirtschaft halten: Nach fast 15 Jahren kann die große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland es sich immer noch leisten, wichtige Regelungsvorgaben des Arbeitsschutzgesetzes zu missachten. Was hindert uns daran, diese Missachtung des Arbeitsschutzes durch viele Unternehmen als Anarchie zu bezeichnen?

Warum keiner mehr durchblickt

Die Leute wollen ja gestalten, kriegen aber dauernd eingeredet, dass alles so kompliziert ist, dass man gar nichts machen kann. Natürlich ist die Welt kompliziert, aber das ist ja keine Entschuldigung dafür, sehenden Auges die falsche Dinge weiterzumachen.

Harald Welzer im Interview “Warum keiner mehr durchblickt“, Nils Minkmar, FAZ, 2008-12-08

Was wir entscheiden können

Das folgende Zitat passt zu der Entscheidungsarbeit, die beim Ausfüllen des uns vom Arbeitsschutzgesetz gegebene Gestaltungsspielraumes zu leisten ist.

Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden.

Heinz von Foerster: Ethics and Second-Order Cybernetics, 1990-10-04, Système et thérapie familiale, Paris