AMS-Standards

Aktualisierung: 2014-08-18
Leider kann man sich im Gegensatz zu Gesetzen viele Standards zu Arbeitsschutzmanagementsystemen (AMS) nicht kostenlos im Internet ansehen. Auch darum kennen wohl nur wenige Arbeitnehmer die Pflichten jener Unternehmen, die sich nach OHSAS 18001 haben zertifizieren lassen.
Wenn eine Arbeitgeberin nach OHSAS 18001 zertifiziert wird, dann ergeben sich daraus in der Betriebspraxis Rechte und Pflichten sowohl für die Arbeitgeberin wie auch für die Arbeitnehmer. Insbesondere wenn Standards nicht wörtlich (sondern z.B. vom Arbeitgeber interpretiert) in Unternehmenshandbücher zum Arbeitsschutzmanagement übernommen werden, sollten sich Arbeitnehmervertretungen das Büchlein zu OHSAS 18002:2008 trotz des Preises leisten. Das kann auch helfen, wenn es noch kein Arbeitsschutzhandbuch gibt und es erst noch mitbestimmt gestaltet werden muss (z.B. mit dem Ziel einer Zertifizierung).
Neben den Standards für die Gestaltung von Arbeitschutzmanagementsystemen gibt es auch Standards und Normen für Audits. Solche Audits generieren wichtige Informationen für die Betriebsratsarbeit. Wenn Betriebsräte und Personalräte verstehen wollen, wie ein interner Auditor (1st-Party-Auditor) und ein Lieferantenauditor (2nd-Party-Auditor) arbeitet, dann hilft das Kapitel 4.5.5 in OHSAS 18002:2008 oder darüber hinaus gehend die DIN EN ISO 19011. Die zu beschaffen, kostet noch ein paar Euro. (Ich habe von einem Betrieb gehört, in dem Mitarbeiter nur gegen Unterschrift und Angabe von Gründen Einblick in die Norm nehmen dürfen.)
Die Norm für Zertifizierungsaudits ist ISO 17021 und für interne Audits (sowie Kundenaudts bzw. 3rd Party Audits) ISO 19011. Wichtig für die Betriebsratsarbeit: § 89 des Betriebsverfassungsgesetzes gibt Arbeitnehmervertretungen das Recht, sich an Besichtigungen im Betrieb zu beteiligen. Audits sind Besichtigungen. Dazu gehören auch Dokumente: der Zertifizierungsbericht, der Abweichungsbericht (soweit nicht im Zertifizierungsbericht enthalten) und in die Dokumente, die dem Auditor vorgelegt wurden. Das gilt nicht nur für die Dokumentation des Zertifizierungsaudits, sondern auch des internen Audits. Die Vertraulichkeit als eines von sechs Audit-Prinzipien der Audits setzt das Information- und Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmervertretung nicht außer Kraft, sondern verpflichtet auch die Arbeitnehmervertreter, aus Audits gewonnene Erkenntnisse nicht zum persönlichen – z.B. wirtschaftlichen – Vorteil oder zum Vorteil Dritter zu missbrauchen.
Lesetipps:

Kostenlos gibt es (2014-03-19):

Weitere Hinweise (2014-08-01):

2016 oder 2017?:

Arbeiten Sie mit Ihrem Betriebsrat zusammen

http://www.agv-bochum.de/aus-den-verbaenden/details/item/mehr-als-das-klassische-burnout/detail/News.html und http://www.agv-bochum.de/fileadmin/media/agv-bochum/pdf/Nachgelesen_Psychische_Gesundheit.pdf

Mehr als das “klassische Burnout” – 22.11.2012
Effizient, qualitativ hochwertig, produktiv und zuverlässig. Diese Attribute zeichnen das erfolgreiche Unternehmen aus. Um dies zu gewährleisten, ist es auf erstklassige Mitarbeiter angewiesen. Gesunde Mitarbeiter. Nicht negativ beanspruchte Mitarbeiter. Immer stärker ins Bewusstsein rückt dabei die „psychische Gesundheit“. Diplom-Psychologe Axel Hofmann (METALL NRW) und Dr. Stephan Sandrock (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft) gaben im Haus der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen Tipps, wie psychische Belastungen am Arbeitsplatz erkannt, bekämpft und gemindert werden können.

Wann ist das Maß voll?
Einer Zwischenfrage aus dem Kreis der Seminarteilnehmer, wie plötzliche und unerwartet auftretende psychische Störungen durch den Arbeitgeber zu verhindern seien, konnten Axel Hofmann und Dr. Stephan Sandrock keine abschließende Antwort geben. Aus einem einfachen Grund: Es gibt keine. „Wo ist der konkrete Arbeitsbezug? Wann ist das Maß voll? Das können wir nicht sagen, weil das eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Und noch einmal: Der Auslöser muss nicht zwingend Arbeitsbezug haben, sondern kann privater Natur sein und somit außerhalb der Fürsorgepflicht liegen“, so Axel Hofmann.
Um die Mitarbeiter auf diesem Gebiet aber zu sensibilisieren, bieten sich Schulungen für Führungskräfte und Mitarbeiter des Personalwesens an, um auf Probleme in der Mitarbeiterschaft im Rahmen der Möglichkeiten zu reagieren und diese überhaupt erst identifizieren zu können. Zusätzlich können Unternehmen Netzwerke aufbauen, um betroffenen Mitarbeitern Ansprechpartner zu vermitteln. „Arbeiten Sie mit Ihrem Betriebsrat zusammen. Ermutigen Sie ihn, den Weg gemeinsam zu gehen. Und gehen Sie mit einer anderen Brille durch den Betrieb“, appellierte Axel Hofmann.

Guter Artikel der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfahlen, auch wenn das Thema der zunehmenden psychischen Belastung vorwiegend mit dem bei Arbeitgebern häufig angeführten Argument der heute besseren Erkennbarkeit und der Entabuisierung psychischer Erkrankungen bedient wird. Fachleuten beobachteten aber durchaus turbulente Veränderungen in der Arbeitswelt. Dazu gehört auch die im Jahr 1996 von Andreas Zielcke unter dem Titel “Der neue Doppelgänger” beschriebene Wandlung des Arbeitnehmers zum Unternehmer.
Es ist schwer, zu bestimmen, wann “das Maß voll” ist. Genau darum gibt es betriebsnahe Lösungen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam entscheiden, wann eine psychische Belastung eine als Fehlbelastung einzustufen ist.
Zur “Ermutigung” des Betreibsrates durch den Arbeitgeber: Da muss wohl noch etwas klargestellt werden, denn das läuft in der Wirklichkeit anders herum: Beim Einbezug der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz sind oft die Betriebsräte die Impulsgeber, nicht die Arbeitgeber.

Psychische Belastung – kein Thema für Siemens?

In der markigen Beschreibung http://www.industry.siemens.com/topics/global/en/system-certificates/Documents/IA_Management_Manual.pdf eines Managementhandbuchs schreibt Siemens I IA CE:

… Das Managementsystem von I IA umfasst die Themen Qualität, Umweltschutz und Arbeitssicherheit (EHS).

Indikatoren für die Wirksamkeit des Managementsystems sind die positive Geschäftsentwicklung und die hohe Kundenzufriedenheit.

Und die Mitarbeiterzufriedenheit ist kein Indikator? Oder kann man irgendwo bei Siemens nachlesen, dass für OHSAS 18001 auch die Mitarbeiter zu den Kunden gehören?
 
http://www.dialog.igmetall.de/Artikel.32+M5cfbfaf1969.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=7781:

Psychische Belastung – kein Thema für Siemens?

Man könnte meinen, dass die Thematik psychische Belastung mittlerweile abgegriffen erscheint – aber immer wieder schrecken uns Zahlen und Fakten auf und zeigen ganz deutlich, wie dramatisch diese Krankheit tatsächlich auf dem Vormarsch ist (siehe zum selben Thema).
Herunterspielen aus Kostengründen?
Positive Ansätze im Umgang mit dieser Problematik bei Siemens verliefen allerdings im Sande: Die aus Kostengründen gestoppte psychosoziale Hotline oder das ebenfalls gestoppte Hand-out für Führungskräfte hätten weitere Bausteine zur Hilfe und Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen sein können. Weitere Maßnahmen wie ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung im Intranet und Ausbau der angebotenen Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter werden gar nicht mehr mit dem Ausschuss des Gesamtbetriebsrats besprochen. …

Die Gewerkschaft (in der ich Mitglied bin) liegt daneben: Psychische Belastung ist keine Krankheit. Ohne “psychische Belastung” (die schlechte Übersetzung des Begriffs “mental workload” in der deutschsprachigen Version der ISO EN DIN 17005 ) gäbe es keine Jobs. Das wäre dann allerdings eine psychische Fehlbelastung. Und selbst die ist keine Krankheit, sondern eine mögliche Ursache von Krankheiten.
Wenn ein Arbeitgeber Maßnahmen wie eine Befragung zur Selbsteinschätzung im Intranet und den Ausbau der angebotenen Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter ohne Mitbestimmung durchführt, dann läge auch er daneben, und der Betriebsrat könnte rechtlich gegen solche Straftaten vorgehen. In nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben, die ihr Zertifikat nicht verlieren wollen, gibt es aber noch andere Handlungsmöglichkeiten für Arbeitnehmervertreter.
Viele Betriebe der Siemens AG sind nach OHSAS 18001:2007 zertifiziert. In den Zertifikaten können Siemensianer auch die nächsten Rezertifizierungstermine nachlesen. Und für die internen Audits gibt es Auditpläne. Macht da mal mit! Übrigens, in der großen Mehrheit der Fälle ist DQS der Zertifikator. Das Unternehmen bietet einen Beschwerdeprozess an.
Ein paar Fragen, die sich Arbeitnehmervertreter in allen nach OHSAS 18001 zertifizierten Unternehmen stellen sollten:

  • Wenn trotz mangelhaften Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz Zertifikate für das Arbeitsschutzmanagementsystem erteilt wurden, ist diese Nichtkonformität dann wenigstens in einem Abweichungsbericht dokumentiert worden?
  • Sprechen Zertifikatoren mit den Kunden des OHSAS 18001, also mit den Mitarbeitern und ihren Vertretern?
  • Sind die Berufsgenossenschaft und die Gewerbeaufsicht überfordert? Verlässt sich die behördliche Aufsicht darum zu leichtfertig auf Zertifikate für Managementsysteme?
  • Kennen die Betriebsräte an den Standorten und der Gesamtbetriebsrat den Standard BS OHSAS 18001 und darin das Kapitel zur Mitbestimmung?
  • Was ist der Hauptmotivator im Arbeitsschutz?
  • Warum lassen Unternehmen ihre Managementsysteme zertifizieren?
  • Sind den Betriebsräten die Berichte der internen und externen Audits bekannt?
  • Welche Dokumente wurden den Auditoren vorgelegt?
  • Werden im Widerspruch zum OHSAS 18001:2007 (Punkt 3.9 und Kapitel 4.5.3.1) nur Unfälle dokumentiert und untersucht, die der Arbeitgeber der Berufsgenossenschaft zu melden hat, oder werden (mit Beachtung der Mitbestimmung nach OHSAS 18001:2007, Kapitel 4.4.3.2) alle arbeitsbezogenen Ereignisse verhältnispräventiv analysiert und auch in der Statistik ausgewiesen, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können? (Nach OHSAS 18002:2008, Anhang, C.4 gehören auch Mobbing und Einschüchterung zu solchen Ereignissen.)
  • Kennen die Betriebsräte die Auditpläne für vergangene und zukünftige Audits?
  • Sind die Betriebsräte kompetent genug, den Arbeitgeber an seinen eigenen Maßstäben zu messen?
  • Was ist die Selbstverpflichtung eines Unternehmens nach OHSAS 18001 wert, wenn schon die Betriebsräte dieses Versprechen nicht ernst nehmen?

 
Siehe auch: https://www.google.de/search?q=psychische-belastung+”OHSAS+18001″+-psybel. Was man da findet, ist wenig beeindruckend. Betriebsräte könnten hier den Hebel ansetzen. Lesestoff: LV 52 und LV 54 und OHSAS 18002:2008 (die Umsetzungshilfe zu OHSAS 18001:2007).

Damit der Arbeitsschutz nicht runterfällt

Es gelingt den Unternehmen zu leicht, Betriebsräte mit Arbeitsschutzmanagementsystemen zu überfordern. Alleine der Begriff ist ja schon ein abschreckendes Wortmonster. Wenn dann ein Arbeitsschutzmanagementsystem (z.B. nach OHSAS 18001 zertifiziert) mit einem Umweltschutzmanagementsystem (nach ISO 14001 zertifiziert) kombiniert wird, kann der schwieriger messbare Arbeitssschutz in Audits leicht vernachlässigt werden.
Das ist schade, denn es gibt Mittel, dem beizukommen. Dazu gehört insbesondere die LASI-Veröffentlichung LV 54, in der die Grundsätze der behördlichen Systemkontrolle beschrieben und Anleitung zur Systembeurteilung gegeben wird. Mit der dazu passenden Systemkontrollliste der Hansestadt-Hamburg kann ein kompetenter Betriebsrat dann selbst die Qualität des Arbeitsschutzmanagementsystems seines Betriebes beurteilen.
Auch gibt es Trainings, in der sich BR-Mitglieder zum internen Auditor für Arbeitsschutzmanagementsysteme ausbilden lassen könnten.

Arbeitszufriedenheit im Umsetzungsblog

In http://umsetzungsblog.de/tag/arbeitszufriedenheit/ werden ernsthafte Themen witzig dargestellt:

  • Mitarbeiter im Love–it Modus gefährden den Erfolg
  • Wie der Einkauf die Konstrukteure stresst
  • Achtung Gelber Schein 😉
  • Werden Sie (als Chef) von der Bettkante gestoßen?
  • Warum Lean Management so erfolgreich ist
  • Love it – wo Schatten ist, ist vielleicht auch Licht
  • Frustriert und gelangweilt im Job: Auswegsloser Fall?
  • Die Nacht ist nicht allein zum Arbeiten da!
  • Haben Sie ein Nachtflugverbot?
  • tesa klebt nicht nur ausgezeichnet
  • Wulffen Sie nicht, machen Sie Karriere mit Charakter
  • Beeinflussen Chefs wirklich den Krankenstand?
  • Personal-Abteilung treibt Fehlzeiten
  • Einführung von Vertrauensarbeitszeit – Die neue Umsetzungshilfe
  • Sie haben intelligente Mitarbeiter und wollen Prozesse verbessern? Viel Spaß!?
  • Mythos Rückenschule
  • Arbeite immer so, dass Du noch was zu tun hast, wenn der Chef vorbei kommt
  • Leidenschaft siegt über Pflicht
  • Können oder nicht können
  • Wie lautet Ihr persönliches Geschäftsmodell?
  • Eigenverantwortung, aber bitte mit Unterstützung
  • Dreieinhalb Minuten!
  • Frühstücksdirektor
  • Geld ist der einzige Motivator!
  • 3 Gründe, warum Mitarbeiter in ihrer Firma bleiben
  • Auf der Insel der Glückseligen

In dem Blog gibt es auch Artikel wie “Change it – es liegt an Dir!”. Wenn der Arbeitgeber seine Hausaufgaben wenigstens halbwegs gemacht hat (dazu gibt es auch Ratschläge in dem Blog), ist das auch in Ordnung so. Und es liegt manchmal auch an Dir, Dir helfen zu lassen!

Merkt's die Aufsicht?

Liebe Arbeitgeber, haben Sie schon diesen Trick versucht? Zeigen Sie den Prüfern von der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaft, dass Sie psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung einbeziehen, und zwar noch bevor sie ein mitbestimmtes Beurteilungsverfahren implementiert haben. Dazu muss die Gefährdungsbeurteilung nur ordnungsgemäß aussehen. Die Beurteilungsprozesse selbst schaut sich kaum eine Aufsichtsperson an. Damit beeindrucken Sie ohne viel Aufwand nicht nur die Prüfer, sondern auch ihre Mitarbeiter und sogar Zertifizierungsauditoren. Beeilen Sie sich, denn viele technische Aufsichtspersonen haben noch keine ausreichenden Kenntnisse im Bereich der psychischen Belastungen. Nutzen Sie diese Lücke so lange, wie es sie noch gibt.
Auch den an den Begehungen teilnehmenden Betriebsratsmitgliedern ist das Thema oft unheimlich und viel zu komplex. Sie sollten als Arbeitgeber aber sicherstellen, dass Betriebsratsmitglieder so mitwirken, das man das als Mitbestimmung darstellen kann. Auch sollten Betriebsratmitglieder an den Prüfungen (z.B. Begehungen) teilnehmen, denn das wird es denen später schwerer machen, am Arbeitsschutz Kritik zu üben. Sie müssten dann ja eigenen Fehler zugeben.
Sie brauchen für eine vorzeigbare Gefährdungsbeurteilunge gar keinen wirklich funktionierenden Gefährdungsbeurteilungsprozess, der womöglich auch noch mitbestimmt entwickelt werden muss. (So etwas vergeudet nur die Ressourcen, die sie für einen anderen Beurteilungsprozess brauchen: Die Leistungsbeurteilung, mit der Sie Minderleister nicht schützen, sondern aussortieren.) Den überforderten Prüfern reicht es, wenn Sie ein Ergebnis vorzeigen, das gut aussieht und ordentlich abgelegt werden kann. Das ist ganz einfach:

  • Behaupten Sie in der Gefährdungsbeurteilung, dass die Bildschirmarbeitsverordnung eingehalten wird, auch wenn es bei Ihnen noch keinen validiertes Verfahren zur Beurteilung psychischer Belastungen gibt. Es reicht den Revisoren nämlich, wenn in Ihrem Betrieb für Bildschirmarbeit nur bekannte Standardsoftware aus Redmond und Walldorf verwendet wird, weil die ergonomisch korrekt ist.
    Damit ist das Thema der psychischen Belastungen bei der Bildschirmarbeit erledigt, denn
    • das Zusammenwirken von Applikationen untereinander,
    • das Zusammenwirken von Applikationsnutzung und Arbeitsumgebung,
    • und Überlastungen, die mit Standardsoftware erst möglich werden,
    all das ist zu komplex für die Prüfer, von denen wohl nur die Wenigsten die LV 14 verstanden haben:

    Psychische Beanspruchung durch Bildschirmarbeit: Die Menge und die Darbietung der zu verarbeitenden Informationen kann zu Über- und Unterforderungserscheinungen führen. Mitunter erfordert Bildschirmarbeit die Fähigkeit, Handlungs- und Problemlösungsstrategien auf abstrakter Ebene zu finden. Geistige Tätigkeit, langandauernde Phasen hoher Anspannung oder Arbeiten unter Zeitdruck bzw. bei Störgeräuschen können Streßreaktionen hervorrufen. Im Fall von längerdauernden einförmigen Tätigkeiten bei zu starker Arbeitsteilung (z. B. reine Dateneingabe) können neben zunehmender Ermüdung auch Monotoniezustände auftreten. Individuelle Faktoren wie mangelnde Ausbildung und unzureichendes Training können die Beanspruchung zusätzlich erhöhen. [Quelle: LV 14, 1998]

    Es gab Betriebe, in denen in der Gefährdungsbeurteilung behauptet wurde, dass die Bildschirmarbeitsverordnung eingehalten werde, obwohl die in der LV 14 genannten psychische Belastungen nicht beurteilt wurden. Die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft blickten nicht durch und akzeptierten das.

  • Fügen Sie in der Gefährdungsbeurteilung zu den bisher dort aufgelisteten technischen Gefährdungskategorien nun “Psychische Belastungen” hinzu. Sehr beeindruckend finden es die Kontrolleure, wenn Sie darunter beispielsweise noch ein paar  psychischen Faktoren aus einer kleinen Tabelle der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie auflisten, z.B. “Arbeitsaufgabe”, “Arbeitsorganisation”, “soziale Bedingungen” sowie “Arbeitsplatz- und Arbeitsumgebungsbedingungen”. Das reicht den meisten Prüfern völlig. Speziell, wenn Sie nach OHSAS 18001 zertifiziert sind (weil der Trick auch mit Zertifikatoren funktioniert), ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering, dass Prüfer oder Auditoren genauer wissen wollen, wie Sie zu ihrer Beurteilung gekommen sind und ob Sie die Beurteilung nachvollziehbar begründet und klar verständlich dokumentiert haben.

Es geht ja nicht um den Schutz von zu schwachen Mitarbeitern, sondern es geht um Rechtssicherheit für das Top-Management.
(Diese ganze Geschichte ist natürlich nur ein der Phantasie entsprungenes Gedankenspiel für das Training von Revisoren im Arbeitsschutz. In einem fortgeschrittenen Land wie Deutschland käme kein Arbeitgeber mit solchen Tricks durch.)

Von der Ordnungswidrigkeit zur Straftat

Fehlt der Einbezug psychischer Belastungen in die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung, so ist das mindestens eine Ordnungswidrigkeit. Wird dieser Mangel vorsätzlich aufrecht erhalten, kann das eine Straftat sein.
Nachdem das Thema jetzt mehr Aufmerksamkeit gewonnen hat, werden die Unternehmen verstärkt auf Rechtssicherheit achten. Besonders dort, wo die Betriebsräte überfordert sind, könnte existierende technische Gefährdungsbeurteilungen schnell einfach mal um ein paar Zeilen erweitert werden, und schon kann der Gewerbeaufsicht, der Berufsgenossenschaft, den Zertifikatoren (OHSAS 18001), den Auditoren und dem eigenen nur an Formalien interessierten Top-Management (OHSAS 18001, Absatz 7.6) gezeigt werden, dass psychische Belastungen ordnungsgemäß beurteilt werden, auch wenn es keinen ausreichenden Prozess und keine Betriebsvereinbarung für die Gefährdungsbeurteilung gibt. So einfach geht das.
Wenn aber bei der Gefährdungsbeurteilung, bei der Maßnahmenfestlegung, bei der Maßnahmenumsetzung, bei der Wirksamkeitskontrolle, bei den Unterweisungen, bei der Dokumentation, bei der Qualifikation der Akteure im Arbeitsschutz und und beim Aufbau des Arbeitsschutzsystems nicht ordentlich mitbestimmt wurde, dann ist die Behinderung der Mitbestimmung keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern schon eine Straftat.
Es hift auch nichts, wenn bei Audits, bei Begehungen usw. Betriebsratsmitglieder dabei sind, aber keine Ahnung vom ganzheitlichen Arbeitsschutz haben und/oder Konflikte scheuen. Im Gegenteil, überforderte Betriebsratsmitglieder machen es nur noch schlimmer. Sie helfen den schwarzen Schafen unter den Arbeitgebern, Mitwirkung (OHSAS 18001, Absatz 4.4.3.2) der im Betrieb Beschäftigten und Mitbestimmung (BetrVG) durch die Arbeitnehmer vorzugaukeln.

Überlastungsanzeige

Wenn die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, müssen sich die davon betroffenen Mitarbeiter zunächst an den Arbeitgeber wenden (siehe auch § 16 und § 17 ArbSchG). Das ist in der Praxis nicht immer leicht, weil Arbeitgeber, die das Arbeitsschutzgesetz nicht so ernst nehmen, dazu geneigt sein könnten, sich “fürsorglich” gleich den Mitarbeitern zuzuwenden anstelle pflichtgemäß erst einmal die Belastungssituation zu beurteilen. In Betrieben mit einer (kompetenten) Arbeitnehmervertretung kann es deswegen sicherer sein, sich zunächst an den Betriebsrat oder den Personalrat zu wenden.
Was hier noch stört, ist der Begriff “Überlastungsanzeige”. Überlastung ist negativ besetzt, und zwar oft in Bezug zu den betroffenen Mitarbeitern und nicht zum Arbeitsplatz. Allein der Begriff kann Arbeitnehmer schon davon abhalten, Gefährdungen oder Fehlbelastungen zu melden. Wer möchte schon eine Überlastung zugeben? (Und wie wird mit so einer Anzeige Unterlastung gemeldet?) Eine gute Arbeitnehmervertretung sorgt darum für einen Arbeitsschutzprozess, der Fehlbelastungsanzeigen (eventuell auch Gefährdungsanzeigen) regelt.
Ein von Betriebsr:aten verwendbares Formular für eine Anzeige könnte so aussehen:

Fehlbelastungsanzeige
Hiermit wird eine Belastung in der Kategorie psychische Belastungen gemeldet, die als mögliche Fehlbelastung in der Arbeitsplatzgruppe _________________ wirken könnte. Der Arbeitsschutzausschuss des Betriebsrates hält es deswegen für erforderlich, die Gefährdungsbeurteilung für diese Arbeitsplatzgruppe daraufhin zu überprüfen, ob die hiermit gemeldete Belastung eine Gefährdung der Sicherheit und Beeinträchtigung des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit darstellt.
Beschreibung der Belastung: ______________________ …
Diese Fehlbelastungsanzeige ist ein der Gefährdungsbeurteilung dienendes Dokument gemäß § 6 ArbSchG. Sollte diese Anzeige nicht als “Fehlbelastungsanzeige” erfasst und archiviert werden können, dann ist sie ersatzweise als “Überlastungsanzeige” zu erfassen und zu archivieren.