Aufsicht ausgedünnt

Wie konnte es zu der Demontage der Arbeitsschutz-Aufsicht kommen?
BDA-Geschäftsbericht 2004
http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/files/66D039DEA7DBE91BC12574EF004FFB09/$file/BDA_GB_2004.pdf, S. 54:

… Die historisch gewachsene Organisationsstruktur der gewerblichen Berufsgenossenschaften muss gestrafft und im Hinblick auf die Aufgabenstellung und moderne Anforderungen des Verwaltungshandelns optimiert werden. Aufgrund von Veränderungen und Gewichtsverschiebungen in und zwischen den Branchen ist die heutige Organisationsstruktur nicht mehr zukunftsfähig. Fusionen müssen daher erleichtert und von der Selbstverwaltung verstärkt vorangetrieben werden. Daneben sind die Verwaltungsstrukturen der Berufsgenossenschaften zu verschlanken und die Möglichkeiten anderer Organisations- und Finanzierungsformen im Bereich der berufsgenossenschaftlichen Schulungsstätten, Forschungsinstitute und Kliniken zu prüfen.
Doppelarbeiten von Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaft mit zwangsläufigen Reibungsverlusten und Doppelbelastungen für die Betriebe zugunsten einer einheitlichen Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften sind zu beseitigen. Dabei darf es jedoch zu keinen zusätzlichen Kostenbelastungen für die Berufsgenossenschaften kommen.

 
http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/32_vorschlaege.pdf

4. Vorschlag: Mehrfachzuständigkeiten im Arbeitsschutz abbauen
Bereich / Rechtsgebiet: Arbeitsschutzrecht
Gesetzliche Grundlage: § 21 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Gesetzliche Grundlage: § 21 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
Ausganglage / Problemstellung: Das duale Arbeitsschutzsystem in Deutschland zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl staatliche Behörden – die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder – als auch die Berufsgenossenschaften Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer wahrnehmen. Unternehmen beklagen, dass diese Parallelzuständigkeiten in der Praxis häufig kostenintensive Doppelprüfungen nach sich ziehen, zumal Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften ihre Prüfungen oftmals nicht untereinander abstimmen.
Lösungsvorschlag: Bei Überschneidung der Zuständigkeiten sollten in Zukunft die Berufsgenossenschaften in der Regel allein zuständig sein. Mindestens sollten die zuständigen Landesbehörden und die Berufsgenossenschaften ihre Aktivitäten beim Arbeitsschutz besser koordinieren und miteinander verzahnen, um so die Belastungen der Betriebe zu reduzieren. Als erster Schritt kann die diskutierte gemeinsame Beratungs- und Überwachungsstrategie sinnvoll sein, sie sollte daher zügig umgesetzt werden. Zuständiges Bundesressort: Bundesministerium für Arbeit und Soziales
DIHK-Ansprechpartner:
Hildegard Reppelmund
Tel: 030-20308 2702, reppelmund.hildegard@berlin.dihk.de
Dr. Oliver Heikaus
Tel: 030-20308 1115, heikaus.oliver@berlin.dihk.de


 
Fachinformationen zur Arbeitsgestaltung I NR. 43 I Oktober 2011
http://www.igmetall.de/cps/rde/xbcr/SID-577D2ED4-F01794B3/internet/Tipp43_V6_Finale_Screen_0180513.pdf, S. 2

Die Kritik der Arbeitgeber war heftig, ihre Argumente einfach: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) beklagte Mehrfachzuständigkeiten im Arbeitsschutz als nicht zeitgemäß. Hier die Berufsgenossenschaften, dort der staatliche Arbeitsschutz – das führe zu „Doppelarbeiten mit zwangsläufigen Reibungsverlusten und Doppelbelastungen für die Betriebe“, monierte 2004 auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). All das koste die Unternehmer Zeit und Geld. Ihre Klagen hatten Erfolg. Die staatlichen Arbeitsschutzbehörden wurden regelrecht demontiert. In einigen Bundesländern wurden die Gewerbeaufsichtsämter aufgelöst, mal wurde das Personal in Land- und Stadtkreise verschoben, mal der Unfallkasse zugeteilt, mal sind weitere Aufgaben hinzugekommen. Fast überall wurde das Personal so ausgedünnt, dass von einer funktionierenden Arbeitsschutzaufsicht kaum noch zu sprechen ist.
Das hat Folgen. Ein Beispiel: Im Jahr 2009 besuchte der staatliche Arbeitsschutz in Nordrhein-Westfalen knapp 11000 von insgesamt 920000 Betriebsstätten, gut ein Prozent. Daraus ergibt sich, dass die Arbeitsschützer einen Betrieb rechnerisch alle 86 Jahre aufsuchen. Auch der EU-Ausschuss Hoher Aufsichtsbeamter (SLIC) übte in seinem Bericht von 2006 Kritik. „In Fällen, wo eine Sanktion voll gerechtfertigt gewesen wäre, verhängten die Inspektoren keine Sanktionen, sondern übernahmen faktisch Mitverantwortung für die Situation.“ Inspektionen ohne vorherige Ankündigung, „ein wesentliches und wertvolles Inspektionsmittel“, vermisste der EU-Ausschuss ebenfalls.
Um Ressourcen besser zu nutzen und eine bessere Abstimmung zwischen staatlicher Aufsicht und Berufsgenossenschaften zu erzielen, wurde die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, kurz GDA, verabschiedet und im § 20a Arbeitsschutzgesetz festgelegt. Die GDA definiert gemeinsame Arbeitsschutzziele, etwa die Verringerung der Muskel-Skelett-Erkrankungen. Sie entwickelt gemeinsame Arbeitsprogramme und zielt darauf, dass sich die zuständigen Landesbehörden und die Unfallversicherungsträger bei der Beratung und Überwachung der Betriebe und bei den Vorschriften- und Regelwerken abstimmen.

(Link nachträglich eingetragen)
Die Vorschläge von BDA und DIHK sind nicht durchweg schlecht, umgesetzt wurden anscheind aber vorwiegend Einsparungen, nicht jedoch eine qualitätserhaltende Koordination. Außerdem gibt es einen Unterschied zwischen dem Ansatz der Berufsgenossenschaft, in der auch die Arbeitgeber Mitglieder und Kunden sind, und einer staatlichen Aufsicht. Und staatliche Aufsicht ist offensichtlich nötig.
Aktualisierung des Artikels: 2012-07-04
 
Siehe auch:

Psychische Belastungen bei 80% der Betriebe nicht beurteilt

2018-06-08: Bundestagsdrucksache 19/01011


Zur Einleitung (2012-07-21): Es gibt mindestens ein größeres Unternehmen, dass vor 2013 der Öffentlichkeit die Unwahrheit mitgeteilt hat. Er berichtete offiziell, dass sein Arbeitsschutz vollständig sei, obwohl ihm auch danach Prozesse zur Beurteilung psychischer Belastungen nachweislich fehlten. In der untenstehenden Statistik stehen die Großunternehmen besser da, als kleinere Unternehmen. Das mag einfach daren liegen, dass die Großunternehmen die Brisanz von Aussagen zum Einbezug psychischer Belastungen in ihrern Arbeitsschutz besser verstanden hatten und darum aus rechtlichen Gründen falsche Angaben machten, also lügen. Mangels Qualifikation konnten die Gewerbeaufsichten das nicht überprüfen. Ich vermute daher, dass im Jahr 2012 psychische Belastungen in noch mehr als 80% der Betriebe nicht beurteilt wurden.
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Drucksache 17/10026, 2012-07-03
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
(oder https://psybel.snrk.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf)
Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz

9. Wie häufig stellte sich nach Kenntnis der Bundesregierung bei Betriebsbesichtigungen pro Jahr seit 2005 bis heute absolut und prozentual zu allen geprüften Betrieben heraus, dass die geprüften Betriebe keine Gefährdungsbeurteilungen bzw. Gefährdungsbeurteilungen ohne die Beachtung von psychischen Gefährdungen durchgeführt haben (bitte nach Gewerbeaufsicht in den Ländern, Unfallversicherung und Berufsgenossenschaften differenzieren)?

Diese Daten werden in den Jahresberichten der staatlichen Arbeitsschutzbehörden der Länder bisher statistisch nicht erfasst, und auch die Unfallversicherungsträger verfügen nicht über verlässliche Aussagen.
Im Rahmen der Dachevaluation der 1. Periode zur Umsetzung der GDA wurden deutschlandweit über alle Wirtschafts- und Größenklassen insgesamt 6500 Arbeitgeber zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen befragt. Aus den Antworten ergibt sich, dass 52 Prozent der befragten Arbeitgeber für ihren Betrieb angaben, eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt zu haben. Je kleiner ein Betrieb desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefährdungsbeurteilung erstellt wurde. Ähnliche Ergebnisse ergab eine im Jahr 2009 von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführte repräsentative Befragung von Inhaberinnen und Inhabern bzw. Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern in Klein- und Kleinstunternehmen (BAuA: „Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Inhaber/innen/Geschäftsführer/innen in Klein- und Kleinstunternehmen“, Dortmund/Berlin/Dresden 2011).

[Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen nach Größenklasse
(„Werden an den Arbeitsplätzen in Ihrem Betrieb Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt?“)
Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD;
Drucksache 17/10026, 2012-07-03, “Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz”.
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
Umfrage: Presseinformation “Arbeitsschutz auf dem Prüfstand: Qualitätsbarometer beschlossen”
(http://www.gda-portal.de/de/pdf/PM-Evaluation.pdf?__blob=publicationFile&v=2, 2011-05-11).]

[…] [Es] wird deutlich, dass der Schwerpunkt bei den Besichtigungen im ‘Technischen Arbeitsschutz’ liegt. Das Sachgebiet ‘Arbeitsplatz, Arbeitsstätte, Ergonomie’ wird bei jeder zweiten Besichtigung thematisiert, das Sachgebiet ‘Arbeitszeit’ bei jeder zehnten Besichtigung. Das Sachgebiet „psychische Belastung“ wird hingegen im Durchschnitt bei jeder neunzigsten Besichtigung behandelt. […]
[…] In der o. g. repräsentativen Befragung wurde nach der Einbeziehung der „psychischen“ Belastungsfaktoren „soziale Beziehungen“ und „Arbeitszeitgestaltung“ in die Gefährdungsbeurteilung gefragt. 44 Prozent bzw. 48 Prozent der befragten Betriebe, die eine Gefährdungsbeurteilung durchführen, gaben an, dass sie diese Belastungsfaktoren einbezogen haben. In der erwähnten Untersuchung wurde auch direkt nach der Einbeziehung psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung gefragt. Bezogen auf die Grundgesamtheit der repräsentativen Stichprobe von 6500 Betrieben führen insgesamt 20 Prozent der befragten Betriebe eine Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung von psychischen Belastungen durch. Die entsprechende Verteilung auf die Betriebsgrößenklassen zeigt die oben angeführte Abbildung.
[…]

In der Umfrage wurden Unternehmen (Geschäftsführungen beziehungsweise Arbeitsschutzfachleute) in den Betrieben befragt. Von großen Betrieben, die vor allem auf die Rechtssicherheit des Top-Managements achten, könnten auch Fehlangaben gekommen sein, damit keine Verstöße gegen Arbeitsschutzbestimmungen dokumentiert werden oder Zertifikate zurückgegeben werden müssen. Mir ist ein Betrieb bekannt, der hier bei Angaben zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz schlicht lügt.
Die Betriebsräte dieser Unternehmen könnten den den Gewerbeaufsichten gegebenenfalls nähere Angaben machen. Diese Schutzbehörden bleiben aber weiterhin unkritisch und fragen in den Betrieben nicht aktiv nach Belegen für behauptete Arbeitsschutzmaßnahmen im Bereich der psychischen Belastungen. Denn bei genauerer Kontrollen müssten Aufsichtspersonen feststellen, dass sie in der Vergangenheit den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz der Betriebe in der Vergangenheit nicht gründlich und kompetent genug kontrolliert hatten. Das gemeinsame Versagen bindet Geprüfte und Prüfer darum enger aneinander, die zu schützenden Mitarbeiter haben das Nachsehen.
Es gibt Betriebe, die nach OHSAS 18001 zertifiziert sind, aber das Thema der psychischen Belastungen nicht ausreichend in ihren Arbeitsschutz integriert haben. Von Zertifikaten für Arbeitsschutzsysteme versprechen sich die Prüfer der Gewerbeaufsicht leider mehr, als diese Zertifikate wirklich bieten. Auch kann es vorkommen, dass Arbeitsschutzfachleute psychische Belastungen nicht ernsthaft beurteilen, den Begriff aber in der Gefährdungsbeurteilung zur Beruhigung überforderter Aufsichtsbeamter der Form halber ohne irgendwelche Aussagen zur Qualität des Arbeitsschutzes in diesem Bereich erwähnen. Sie können dann sagen, sie dass psychische Belastungen thematisiert worden seien. Und schon wieder gefährdet diese Scheinsicherheit die Arbeitnehmer.
Wegen dieser Situation hätten auch die Betriebsräte und die Personalräte in der bundesweite Umfrage befragt werden müssen, und zwar auch kritisch, denn viele Arbeitnehmervertretungen verstehen das Thema der psychischen Belastungen immer noch nicht gut genug.
Aber das Ergebnis ist so oder so eine Ohrfeige für die Arbeitsschutzpolitik aller seit 1996 dafür Verantwortlichen, nicht nur aus der Sicht des Arbeitsschutzes, sondern auch aus rechtsstaatlicher Sicht. Wir haben hier einen massenhaften Rechtsbruch, der sogar heute noch von den Behörden toleriert wird. Ich verlange ja nicht gleich Strafen, sondern wenigstens die Kontrolle leicht prüfbarer Dinge. Beispielsweise werden psychische Belastungen in vielen Unternehmen überhaupt nicht in die Arbeitsschutzunterweisung einbezogen. Unterlagen und Belege fehlen. Aber die Gewerbeaufsicht protokolliert nicht einmal solche eindeutigen Mängel.
Die Hoffnung auf unternehmerische Eigenverantwortung rechtfertigte den netten Versuch laxer Kontrolle vielleicht, aber dieser Versuch hätte früher beendet werden müssen: Mindestens die Hälfte der Großunternehmen missachtete über viele Jahre hinweg die Pflicht, die Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” in den Arbeitsschutz zu integrieren. Eigentlich ist das Anarchie, aber sie erstaunt uns nicht mehr. Einerseits leben wir in einem Land, in dem Sozialhilfeempfänger penibel kontrolliert werden, damit sie keinen Cent zuviel bekommen. Andererseits trauen wir uns nicht, Unternehmer zu überwachen, deren Mehrheit auch heute noch die Gesundheit ihrer Mitarbeiter bis hin zur Körperverletzung auf das Spiel setzt. Angesichts der Geschichte kann heute die nachhaltige Respektlosigkeit dieser Unternehmer gegenüber den Arbeitsschutzbestimmungen eigentlich kein Versehen mehr sein.
-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag
 
Siehe auch:


 


2013-01-05
Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK):
https://psybel.snrk.de/wp-content/uploads/2013/01/Protokoll_ASMK_2012.pdf

Ergebnisprotokoll der 89. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 28./29. November 2012 in Hannover

Umsetzungsdefizite
Dem Bedeutungswandel im Spektrum der Arbeitsbelastungen muss in der Gesetzgebung und in der betrieblichen Praxis Rechnung getragen werden: Ein Arbeitsschutz, der psychische Belastungsfaktoren nicht oder nicht angemessen in seinen Fokus nimmt, wird in der modernen Arbeitswelt das Ziel, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Unfälle zu vermeiden und Arbeit menschengerecht zu gestalten, nicht erfüllen.
Trotz richtungsweisender Aktivitäten der Länder und anderer Arbeitsschutzakteure, trotz der Anstrengungen vieler Betriebe im Handlungsfeld psychischer Belastungen: Es mangelt an einer stärkeren Verbindlichkeit für die Betriebe und an mehr Handlungssicherheit für die Aufsichtsbehörden. Darüber hinaus muss auch die Kompetenz der verantwortlichen Akteure gefördert werden.
Defizite in Betrieben
Psychische Belastungen spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle in der Gefährdungsbeurteilung. So ergab eine Betriebsrätebefragung, dass in 58 Prozent der Betriebe mit mehr als neunzehn Beschäftigten eine Gefährdungsbeurteilung ganz oder teilweise durchgeführt wurde, darunter aber lediglich zwanzig Prozent auch psychische Belastungen ermittelten (WSI 2008/2009). Eine repräsentative Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zeigte für Klein- und Kleinstbetriebe (< 50 Beschäftigte) ein noch schlechteres Ergebnis: Nur 38 Prozent dieser Betriebe hatte eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt, nur sechs Prozent ermittelten davon auch psychische Belastungen. (Sczesny, C., Keindorf, S., Droß, P. 2011, S.45ff.). Die jüngsten Ergebnisse der Dachevaluation der GDA bestätigen die unzureichende Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen. Von den befragten 6.500 Arbeitgebern antwortete nur jeder Zweite, dass in seinem Betrieb eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde. Von diesen Betrieben berücksichtigte nur jeder fünfte Betrieb psychische Belastungen (soziale Beziehungen, Arbeitszeitgestaltung). Je kleiner der Betrieb, desto seltener lag eine Gefährdungsbeurteilung vor und desto geringer war der Anteil von Betrieben, die psychische Belastungsfaktoren ermitteln (BMA 2012, S. 10f.). Über die anschließende Umsetzung von Maßnahmen gibt es bisher keine Erkenntnisse. Die Gründe für die unzureichende Beurteilung von Arbeitsbedingungen und vermutlich noch geringere Umsetzung geeigneter Maßnahmen sind vielfältig. Es fehlt das Verständnis für psychische Belastungen, die Anforderungen sind unklar, es herrscht Unsicherheit über anzuwendende Instrumente und es mangelt an der Kompetenz der zuständigen Akteure. Die Begriffsdefinitionen, Verpflichtungen und Grundsätze im Arbeitsschutzgesetz (z.B. §§ 2, 3, 4, 5 ArbSchutzG) reichen offenbar nicht, um psychische Belastungen angemessen zu berücksichtigen und Arbeitsbedingungen menschengerecht zu gestalten. Auch andere geltende gesetzliche Regelungswerke werden nicht in erforderlichem Maße umgesetzt, obwohl die Beurteilung psychischer Belastungsfaktoren mittelbar oder unmittelbar enthalten ist (Arbeitssicherheitsgesetz [gemeint ist wohl “Arbeitsschutzgesetz”], Bildschirmarbeitsverordnung, etc.).
Defizite im Aufsichtshandeln
Wie in den Betrieben werden psychische Belastungen auch von den Gewerbeaufsichten in der Überwachungspraxis nicht angemessen berücksichtigt (Beck D., Richter G., Lenhardt U. 2012). Die Gründe dafür unterscheiden sich nicht wesentlich von denen in den Unternehmen. Es herrscht auch bei den Aufsichtsbeamtinnen und –beamten noch eine große Unsicherheit bei diesem Thema und die Beurteilungsmaßstäbe für die Angemessenheit von Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen sind unklar. Trotz bestehender Konzepte, existierender Handlungshilfen und Qualifizierungsoffensiven der Arbeitsschutzbehörden müssen sich die vorwiegend technisch ausgebildeten staatlichen Aufsichtspersonen den Zugang zu den „modernen“ Belastungen im Aufsichtshandeln noch besser erschließen. Die Veränderungen im Anforderungsprofil des Aufsichtspersonals durch Neueinstellungen oder Nachbesetzungen von Angehörigen anderer nicht technisch ausgebildeter Berufsgruppen, vollzieht sich nur langsam. Erschwerend kommt hinzu, dass die rechtliche Unverbindlichkeit dafür sorgt, dass im Spannungsfeld zwischen Unternehmensleitungen und staatlicher Aufsicht die Durchsetzungsfähigkeit für konkrete Forderungen an die Betriebe stark eingeschränkt ist.

(Link nachträglich eingefügt)
Zu guter Letzte: Es gibt Betriebe, die nach OHSAS 18001 zertifiziert worden sind, obwohl ihnen mitbestimmte Prozesse zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz fehlen. Manche Zertifizierungen durch externe Auditoren (auf die sich die Gewerbeaufsichten leider formal verlassen) sind also nur eine Farce.

Geringe Akzeptanz der Betriebe

http://hessen-thueringen.dgb.de/themen/++co++e6a2e132-bac9-11e1-784d-00188b4dc422?t=1, Vortrag-Bettina-Splittgerber-Psychische-Belastungen-als-Thema-der-GDA.pdf, S. 11:

Bettina Splittgerber
Referatsleiterin HSM
Psychische Belastungen als Thema der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA)


Was sind aus Sicht der Gewerbeaufsichtsbeamten die größten Hindernisse, das Thema der psychischen Belastungen in der Praxis aufzugreifen?

  • Missverhältnis zwischen hohem Zeitbedarf für ausführliche Beratung und knapper Zeit im Rahmen der üblichen Revisionstätigkeit / knappe Personalressourcen
  • Mangelnde Kompetenzen und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet (in Verbindung mit zu wenig praxisgerechten Konzepte und Anleitungen)
  • Zu wenig Unterstützung in der eigenen Organisation, die psychischen Belastungen zu einem Querschnittsthema der Aufsicht zu machen
  • Unsicherheit von Technikern, mit einem ,,weichen” Thema umzugehen
  • Auch die rechtliche Grundlagen werden als ,,weich” empfunden: Wie übt man Aufsicht (Überwachung, Sanktionen …) bei psychischen Belastungen aus?
  • Geringe Akzeptanz der Betriebe, sich auf das Thema einzulassen

(Hervorhebung ebenfalls im Originaltext)

Wie "streng" ist das Arbeitsschutzgesetz wirklich?

Ursula von der Leyen in einem SZ-interview, 2012-07-20, S. 5

… Wir haben ein strenges Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitgeber verpflichtet, auch den psychischen Arbeitsschutz ernst zu nehmen. Die Handynutzung ist nur eine Synonym für dieses große Thema. Das Wort psychischer Arbeitsschutz ist so sperrig, das versteht erst mal keiner, übrigens auch Unternehmen selten. Oder man hat ein Vorurteil und sagt, das sind die, die ein Psychoproblem haben. Das stimmt aber alles nicht. Mir geht es darum, die Diskussion anzufachen, dass es ein Problem gibt, um dann zusammen mit den Arbeitgebern, Gewerkschaften, Ländern und Gewerbeaufsicht eine Strategie zu entwickeln, was wir tun können, um den Schutz für die Arbeitnehmer zu verbesern. …

(Link und Kursivsatz nachträglich eingetragen)
Wie streng kann das Arbeitsschutzgesetz sein, wenn heute noch etwa zwei Drittel der Unternehmen psychische Belastungen nicht in ihren Arbeitsschutz einbezogen haben?
 


Antwort aus dem BMAS (2012-07-31) auf eine von mir an das BMAS gestellte Frage:

Das Gesetz ist streng, wie die BM’in das deutlich gemacht hat.
Richtig ist aber auch, dass es noch nicht flächendeckend und vollständig angewandt wird insbesondere bei Gesundheitsrisiken durch psychische Belastungen.
Diesem Defizit, das Sie zu Recht ansprechen, wollen wir, Bund, Länder und UVT, im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) begegnen. Wir haben uns mit den Sozialpartnern ab 2013 auf das Ziel “Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen” verständigt.
Ich erwarte, dass wir in diesem Feld schnell Fortschritte erzielen werden.
Die breite öffentliche Diskussion dazu sehe ich schon als einen solchen Fortschritt an.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/gda-leitlinie-beratung-und-ueberwachung-bei-psychischer-belastung-am-arbeitsplatz/

Frustrierte Gewerbeaufsicht

Schon im März 2012 propagierte auch ver.di eine Art “Anti-Stress-Verordnung”
https://sozialpolitik.verdi.de/publikationen/sopoaktuell/2012/#sopo_aktuell-nr-118.

ver.di fordert schärfere Sanktionen bei fehlender Gefährdungsbeurteilung
Knapp zwei Drittel der Beschäftigten müssen nach eigenem Urteil seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten, psychische Belastungen und Erkrankungen nehmen zu, ein Großteil der Beschäftigten glaubt nicht daran, die Tätigkeit bis zum Rentenalter ausüben zu können. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit bis hin zum Verlust greifen mit all ihren Folgen für den Einzelnen und die Unternehmen immer weiter um sich. Das Instrument, das diesen Entwicklungen entgegenwirken soll, kommt in den Unternehmen uneingeschränkt bis gar nicht zur Anwendung.
Eine aktuelle Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bei 1.000 kleinen und mittelständischen Betrieben hat ergeben, dass 62 % dieser Betriebe keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und dass 93,7 % der Betriebe keine psychischen Gefährdungen erfasst haben.
Und das, obwohl psychische Störungen mit 9,3 % aller AU-Tage mittlerweile der vierthäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit ist.
Dieser Zustand ist nach mehr als 15 Jahren Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) völlig inakzeptabel. ver.di fordert deshalb eine Verschärfung von Sanktionen, wenn der Betrieb seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsschutzgesetz nicht nachkommt.
sopo_aktuell_Nr._118_v_07_03_2012 (PDF, 2 MB)


 
Und in https://sozialpolitik.verdi.de/publikationen/sopoaktuell/2012/data/sopoaktuell  118 Sanktionen bei fehlender Gefhrdungsbeurteilung_inkl Anlage.pdf (oder http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/sopo_aktuell_Nr._118_v_07_03_2012.pdf) findet man auf der PDF-Seite 29 dann dies:


Den Beratungsresistenten beikommen
Auf der vergangenen A+A in Düsseldorf (Oktober 2011) referierte Bernhard Räbel von der Gewerbeaufsicht in Sachsen-Anhalt zum Thema »Neue Wege in einer modernen Arbeitsschutzverwaltung«. Zur Frage der Sanktionen sagte er dort wörtlich: »Mag sein, dass die in Arbeit befindliche ‚Leitlinie Psychische Belastungen’ der GDA [Suche, GDA-Leitlinien] letztlich diesen Sollzustand teilweise beschreiben kann – doch eines muss unbedingt beachtet werden: Beratungsinstrumente und Empfehlungen für die Willigen haben wir genug, in nahezu unübersichtlicher Vielfalt – aber kein einziges die Beratungsresistenten zwingendes Instrument. Wir haben gewissermaßen die Fußgängerzone allseitig gekennzeichnet, dürfen aber keinen Poller stellen, dürfen den mit 130 durchrasenden nicht blitzen – erst wenn ein Kind überfahren ist, helfen, mit den Mitteln des Strafgesetzbuches zu handeln. Liebe Fachkollegen, es gilt, auch unsere Mitarbeiter vor Frust zu schützen.«

(Links und Hervorhebungen nachträglich eingetragen)
Thematisierung in den Medien: Bitte recherchieren. Werden Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht unter Druck gesetzt, wenn sie sich so äußern?
PDF-Seite 27:


Arbeitsschutzregelwerk und Arbeitsschutzaufsicht brauchen stärkere Sanktionsmöglichkeiten
Das Regelwerk des Arbeitsschutzes und die entsprechende Aufsichtspraxis der Arbeitsschutzbehörden sind bisher zu wenig mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet. Vor allem bei der anstehenden Neufassung der bisherigen BGV A1 (bzw. GUV-V A1 im öffentlichen Bereich) zur DGUV Vorschrift 1 böte sich aus Sicht der Gewerkschaftsvertreter in der Selbstverwaltung der Unfallversicherung die Gelegenheit, dies nachzuholen. Das Unterlassen oder Verweigern einer gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber wäre dann strafbar und könnte von den Aufsichtspersonen schärfer geahndet werden.
Unter den Akteuren der gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) wird derzeit eine Debatte darüber geführt, ob und wie die Sanktionsmöglichkeiten der Arbeitsschutzbehörden erweitert werden sollen oder können. Dies vor allem im Hinblick darauf, dass viele Arbeitgeber ihrer gesetzlichen Verpflichtung zu einer Gefährdungsbeurteilung nicht nachkommen. Hier sind zwei zentrale Probleme des dualen Arbeitsschutzsystems berührt, nämlich die Vollzugsdefizite vor allem auf Grund fehlender personeller und materieller Ressourcen und damit zusammenhängend die nicht ausreichenden Sanktionsmöglichkeiten auf der rechtlichen Ebene.
Kritik der SLIC-Kommission schon 2006
Diese Probleme hatten bereits im Jahr 2006 im Bericht zum deutschen Arbeitsschutzsystem des »Ausschusses hoher Aufsichtsbeamter« der EU (SLIC) [Senior Labour Inspectors Committee] eine wichtige Rolle gespielt (siehe Gute Arbeit. 6/2006, Seite 22-24). Dort war unterstrichen worden, anspruchsvollen Arbeitsschutzzielen müssten auch ausreichende Ressourcen der Vollzugsbehörden gegenüber stehen. Bereits auf der Basis der ihr vorliegenden Daten des Jahres 2002 hatte die SLIC-Kommission seinerzeit bezweifelt, dass dies z. B. für Deutschland der Fall sei.

Wieder PDF-Seite 29:


Der Vorschlag würde zur GDA-Leitlinie Gefährdungsbeurteilung passen
Dazu »passt« es, dass Vertreter der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände in der Selbstverwaltung diese Vorschläge geradezu reflexhaft ablehnen. …

Siehe auch: http://blog.psybel.de/stichwort/bundestagsdrucksache-1710229/

Begehungen durch Arbeitsschutzfachleute und den Betriebsrat

Hier finden Sie ein paar Hinweise, worauf bei Begehungen von Arbeitsplätzen hinsichtlich der Qualität von Gefährdungsbeurteilungen zu achten ist.
http://blog.psybel.de/wie-die-aufsicht-prueft/#lv52, LV 52, Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder, darin aus dem Anhang 6 GB-Check Prozessqualität – Arbeitshilfe Interviewleitfaden zur Bewertung des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung,  2009, S. 26 und 27:

Beteiligung Führungskräfte: Die mittleren und unteren Führungskräfte wurden bei der Ermittlung und Veränderung psychischer Belastungen beteiligt? 

  • Wie?
  • Melde-/ Beschwerdewesen, durch die Methodenwahl z.B. Fragebogen, Gruppenmoderation, MAG, Einzelinterviews

Planungen: Gefährdungsbeurteilung wurde systematisch geplant.

  • Wer war mit der Umsetzung beauftragt?
  • Wurden Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festgelegt?
  • Beurteilungsablauf festgelegt?

Risikofaktoren: Die wesentlichen Risikofaktoren für psychische Fehlbelastung werden berücksichtigt.

  • Abgleich mit Merkmalliste

Vollständigkeit: Alle Arbeitsbereiche und Tätigkeiten wurden auf psychische Belastungen hin beurteilt.

  • Wurden Prioritäten gesetzt?
  • Welche Bereiche wurden ausgelassen?
  • Aus welchem Grund?

Maßnahmenfestlegung: Bei psychischen Fehlbelastungen wurden Maßnahmen festgelegt.

(nachträgliche Anmerkung in eckigen Klammern)
 
Siehe auch:

 
(Aktualisierung: 2012-06-23. Ursprüngliches Datum: 2011-10-21)

Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2010

http://osha.europa.eu/fop/germany/de/statistics/statistiken

Der Bericht [der Bundesregierung] bietet neben grundlegenden arbeitsweltbezogenen Daten zu Bevölkerung und Erwerbstätigkeit insbesondere Daten der Unfallversicherungsträger zu Arbeits- und Wegeunfällen und Berufskrankheiten. Darüber hinaus werden auch das Verrentungsgeschehen und Arbeitsunfähigkeitsdaten analysiert. Abgeleitet aus letzteren werden volkswirtschaftliche Kosten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abgeschätzt. Weitere Daten zu den Unfallversicherungsträgern und zur Gewerbeaufsicht runden den Überblick über die Entwicklungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz ab. Zusätzlich werden Daten aus der Schülerunfallversicherung ausgewertet.
Im diesjährigen Schwerpunkt befasst sich der Bericht mit dem Öffentlichen Dienst. Neben der Beschreibung der Personalstruktur werden die physischen und psychischen Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst mit denen in Industrie, Handwerk und Dienstleistungsbereich verglichen. Auch auf gesundheitliche Beschwerden, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten wird kurz eingegangen. Darüber hinaus wird das Restrukturierungsgeschehen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen dargestellt.

http://osha.europa.eu/fop/germany/de/statistics/statistiken/suga/suga2010
S. 22


Arbeitsprogramm: Gesund und erfolgreich arbeiten im
Büro
Ziel des Arbeitsprogramms ist eine Verringerung der Häufigkeit und Schwere von Muskel-Skelett-Erkrankungen von Beschäftigen an Büroarbeitsplätzen durch die Etablierung und Stärkung der Präventionskultur in den Unternehmen. Die systematische Wahrnehmung des Arbeitsschutzes soll gefördert und die psychischen Belastungen sollen verringert werden. [Wieder der populäre Fehler. Richtig muss es heißen: psychische Fehlbelastungen sollen verringert werden.] Im Fokus steht zudem die Förderung der Gesundheitskompetenz der Mitarbeiter hinsichtlich psychischer Belastungen, um langfristig MSE [Muskel-Skelett-Erkrankungen] zu reduzieren.

S. 24


Gemeinsame Leitlinie

Als ein weiteres Thema für eine gemeinsame Leitlinie sieht die Nationale Arbeitsschutzkonferenz Beratung und Überwachung zu psychischen Belastungen vor. In 2010 hat hier eine aus Vertretungen aller drei GDA-Träger [Träger der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie] und der Sozialpartner zusammengesetzte Arbeitsgruppe ein „Konturenpapier“ zum gemeinsamen Grundverständnis von Beratung und Überwachung zum Thema psychische Belastungen entwickelt.

S. 25


Nationale Arbeitsschutzkonferenz

Darüber hinaus hat die NAK [Nationale Arbeitsschutzkonferenz] erste grundlegende Beschlüsse zum Zeitplan und der Umsetzung des Zielableitungsprozess für die GDA-Periode ab 2013 getroffen. Weiterhin hat sie die Erarbeitung eines gemeinsamen Grundverständnisses bei Überwachung und Beratung zum Thema ‚Psychische Belastungen‘ beauftragt.

S. 26


Gemeinsamer Jahrestätigkeitsbericht der deutschen Arbeitsaufsichtsbehörden

Neben der Aufgabenwahrnehmung in der GDA erfolgte eine Koordinierung der Aktivitäten der Arbeitsschutzaufsichtsbehörden der Länder durch den Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI). So haben die Länder unter anderem neben den gemeinsamen Länderpositionen zur Arbeitsschutzorganisation, Systemkontrolle und zu psychischen Belastung beschlossen, Konzepte für ein gemeinsames Grundverständnis über Qualitätskriterien der staatlichen Aufsicht, risikoorientierte Aufsichtstätigkeiten sowie Grundelemente der Steuerung der Aufsichtstätigkeit zu entwickeln.

(Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingefügt)
In dem Bericht gibt es auch noch einige interessante Tabellen und Grafiken.
Interessant ist auf S. 22 der Satz “Im Fokus steht zudem die Förderung der Gesundheitskompetenz der Mitarbeiter hinsichtlich psychischer Belastungen, um langfristig MSE zu reduzieren.” Ich bin mir hier nicht sicher, ob “psychisch” mit “physisch” verwechselt wurde. Wie auch immer, es geht darin um Verhaltensprävention, d.h. um das Verhalten von Mitarbeitern. Betriebsräte und Personalräte müssen hier darauf achten, dass im Arbeitsschutz die Verhältnisprävention Vorrang hat. Da aber Verhaltensprävention und Verhältnisprävention im Gesundheitsmanagement durchaus zusammengehören und sich auch sinnvoll ergänzen, benötigen Betriebsräte Kompetenz und Durchsetzungsvermögen in beiden Bereichen. Sie haben hier ein Mitbestimmungsrecht, zu dessen Ausübung sie das Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet: Nach dessen § 87 kann die Arbeitnehmervertretung nicht nur mitbestimmen, sondern sie hat mitzubestimmen.

Endlich oben angekommen

http://blog.betriebsrat.de/burn-out/von-der-leyen-mehr-arbeitsschutz-gegen-burn-out/

Von der Leyen: Mehr Arbeitsschutz gegen Burn-out
Endlich scheint es auch in oberen Kreisen angekommen zu sein: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen kündigte an, sie wolle den Schutz vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zum Schwerpunkt der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) im nächsten Jahr machen. …

Die Betriebe in die Pflicht nehmen

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_wirtschaft/article13774163/Burn-out-als-Chefsache.html

Von der Leyen kündigt Kampagne gegen psychische Belastung am Arbeitsplatz an
Ministerin will kein schärferes Gesetz, sondern Firmenstrategien
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will Arbeitnehmer besser vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz schützen und dabei die Betriebe in die Pflicht nehmen. “Das ist für mich eines der großen Ziele im Arbeitsschutz”, sagte von der Leyen “Welt Kompakt”. “Wir sind in den letzten Jahrzehnten weit vorangekommen, um schwere körperliche Schäden durch Arbeit, etwa durch Fließbandarbeit, deutlich zu reduzieren. Das können wir bei den psychischen Belastungen auch schaffen.
Im kommenden Jahr werde die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie mit den Ländern und den Unfallversicherungsträgern einen Schwerpunkt setzen und die Konzepte mit Hilfe der Arbeitgeber und Gewerkschaften in die Betriebe hineintragen, kündigte die Ministerin an”

Sich beispielsweise an die seit 1996 bestehende Gesetze zum Arbeitsschutz zu halten, könnte eine gute Firmenstrategie sein. Angesichts der bestehenden Zustände wäre das sogar ziemlich innovativ. Bisher nämlich griff die große Mehrheit der Arbeitgeber das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) nicht auf, worauf die Arbeitsministerin wider besseren Wissens nicht hinweisen möchte.
Noch ein sachlicher Fehler, der aber ziemlich weit verbreitet ist: Es geht nicht um die Abschaffung psychischer Belastungen. Eine Kampagne gegen psychische Belastungen am Arbeitsplatz würde Arbeitsplätze beseitigen. Was die Ministerin wohl meint, ist eine Kampagne gegen psychische Fehlbelastungen. Fallweise kann auch ein Mangel an stimulierenden psychischen Belastungen eine Fehlbelastung sein.

Prävention im Wandel der Arbeitswelt

http://www.dnbgf.de/fileadmin/texte/Downloads/uploads/dokumente/2011/Praevention_im_Wandel_der_Arbeitswelt_-_Programm.pdf

Prävention im Wandel der Arbeitswelt
Mensch – Organisation – Technik
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie in Hessen
RKW-Arbeitskreis „Gesundheit im Betrieb“
Donnerstag, 1. März 2012, 9:30 bis 17 Uhr
Kongresszentrum Darmstadtium, Schlossgraben 1, 64281 Darmstadt

 
Hier stimmt das Gleichgewicht:


Workshop 7: Betriebliche Verantwortung und Eigenverantwortung für Gesundheit
Sicherheit und Gesundheit sind ein Ergebnis äußerer Einflüsse, zu denen die Arbeitsbedingungen zählen, als auch das Ergebnis des persönlichen Lebensstils. Beide wirken zusammen auf die Gesundheit der Beschäftigten. So entsteht ein Spannungsfeld, in dem die Verantwortung des Betriebs und die Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre Gesundheit zu bestimmen sind. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: Soll und kann der Betrieb die Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre Gesundheit fördern? Welche Voraussetzungen erfordert eigenverantwortliches Handeln im Betrieb?
Statt einer Kontroverse über einseitige Verantwortungszuschreibung wird das Spektrum betrieblicher und individueller Möglichkeiten der Gesundheitsförderung aufgezeigt. Erfolg versprechend ist die angemessene Kombination aus persönlicher Eigenverantwortung und betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Zu klären sind deshalb die Beiträge, die von beiden Seiten erwartet werden können.
Moderation: Hans Günter Abt (Unfallkasse Hessen),
Dr. Werner Scherer (Vereinigung der hessischen Unternehmensverbände)
Beiträge von: Dr. Martin Kern (Infraserv Höchst)

Bei der Moderation fehlt das Gleichgewicht möglicherweise. Wo ist die Arbeitnehmerseite?