Die TAZ sagt auch noch etwas dazu

Mit acht Tagen Verspätung füllt die TAZ (die tageszeitung) auf Seite 6 noch ein kleines Spaltenstückchen mit einer Meldung über die Arbeitsministerin van der Leyen, die jetzt etwas gegen Überlastung am Arbeitsplatz tun will. Zwei Spaltensegmente auf Seite 16 belegte dazu noch Simone Schmollack unter dem Kommentartitel “Ministerin ganz ohne Burnout“. Sehr originell. Schmollack maulte, dass sich die Arbeitsministerin in Themen der Familienministerin und der Gesundheitsministers einmische. Dann widmete sie sich dem Burn-Out als Modebegriff. Das ist nach all den Ungenauigkeiten in der Diskussion zu dem Thema eben im Augenblick die Mode.
Klar, das Thema war in den letzten Monaten populärer geworden, und dann musste nach langer Enthaltsamkeit zu diesem Thema auch die TAZ etwas dazu sagen. Schmollak machte das wie Kristian Weber in der Süddeutschen Zeitung (2011-10-22, S. 24), nur kürzer.
Angesichts ihrer Zuständigkeiten im Arbeitsschutz auf Bundesebene kann man der Arbeitsministerin legitim eigentlich nur vorwerfen, dass sie die Überlastung am Arbeitsplatz erst jetzt aufgreift und nicht deutlich genug macht, dass die Mehrheit der Arbeitgeber seit 1996 (und trotz wichtiger BAG-Beschlüsse im Jahr 2004) ihre Pflichten im ganzheitlichen Arbeitsschutz fortgesetzt und wissentlich mißachtet hatte. Nicht nur die Bundesfamilienministerin und der Bundesgesundheitminister kamen der Bundesarbeitsministerin zuvor, sondern besonders deutlich (hoffentlich auch weiterhin) wurde hier bereits Christine Haderthauer, die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
Es ist zwar ein bisschen verkehrt herum, aber die TAZ könnte vielleicht auch noch nach dem Kommentar etwas recherchieren. In der Redaktion weiß man vermutlich nicht, dass die große Mehrheit der Unternehmen seit Jahren gegen die Arbeitsschutzbestimmungen verstößt, weil diese Arbeitgeber die psychisch wirksamen Belastungen in ihn nicht mit einbeziehen. Wenn man Kommentare über die Arbeitsministerin und Burn-out schreibt, könnte es nicht schaden, die Aufgaben der Arbeitsministerin zu kennen. Möglicherweise ist das Thema der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz aber auch nur uninteressant für die taffe TAZ. Oder vielleicht rafft sich ja doch aus dieser so vorbildlichen Redaktion noch jemand zu einer ordentlichen Recherche auf. (Ich hatte die Redaktion auch als TAZ-Genosse schon früher darum gebeten.) Zu der These “Zu viele Organisationen drücken sich vor dem Arbeitsschutz” könnte die TAZ damit in Berlin beginnen, also noch in Simone Schmollaks Nähe.
Anmerkung: Die Begeisterung der FDP-Gesundheitsminister für das Betriebliche Gesundheitsmanagement ist mit Vorsicht zu genießen. Siehe: Gesundheitsmanagement als Schleier.

Von der Leyen kündigt Kampagne an

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/von-der-leyen-plant-kampagne-gegen-burn-out-1.2652967
Wie auch die Saarbrückener Zeitung meldet, plant Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eine breit angelegte Kampagne zur Bekämpfung psychischer Überbelastungen in der Arbeitswelt. Mit den Tarifpartnern, Sozialversicherungsträgern sowie Länderexperten wolle sie im kommenden Jahr “wirksame Maßnahmen” gegen diese Probleme entwickeln, kündigte von der Leyen der Zeitung zufolge an.
Strengere Gesetze seien, so die Zeitung, nach Ansicht von der Leyens nicht nötig.

Schon jetzt gebe es strenge Arbeitsschutzbestimmungen auch mit Blick auf seelische Belastungen.
Studien zeigten aber, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit“. Daher müsse man besser informieren und Lösungswege aufzeigen. Dies solle die von ihr geplante “breit angelegte Kampagne” erreichen.

(Link und Hervorhebung nachträglich eingefügt)
Hier stimmt fast alles, vielleicht auch die “Hilflosigkeit”. (Gibt es erlernte Hilflosigkeit auch bei Organisationen?) Aber die “Unwissenheit” wurde von zu vielen Arbeitgebern geradezu proaktiv gepflegt. Mitarbeiter und Betriebsräte, die auf das Thema aufmerksam machten, wurden unter Druck gesetzt. Dokumentiert wird die Absichtlichkeit des Unwissens der Arbeitgeber einfach dadurch, dass die Gewerkschaften das Thema schon vor Jahren aufgriffen. Das ist gut dokumentiert. Die Arbeitgeber wussten, was sie taten und was sie unterließen: Tausendmal diskutiert, und doch ist nichts passiert.
Sehr gut ist, dass die Arbeitsministerin strengere Gesetze nicht für nötig hält. Strengere Gesetze wären meiner Ansicht nach sogar schädlich. Aber Arbeitgeber, die ohne einen ausreichenden Arbeitsschutz die Gesundheit ihrer Mitarbeiter riskieren, müssen leichte in Haftung genommen werden können.
Woran wir uns wieder gewöhnen müssen, ist ein Rechtsstaat, in dem Unternehmen geltene Schutzgesetze zu beachten haben und in dem Aufsichtbehörden diese Schutzgesetzen durchsetzen können und dürfen. Dabei gibt es häufig noch ein Problem: Manche Arbeitgeber schaffen es gerade noch, Betriebsräte “einzubeziehen”, das Wort “Mitbestimmung” fehlt dann häufig sogar schon in ihrem Vokabular. Das behindert die Umsetzung der als Rahmenbestimmungen formulierten Regeln des Arbeitsschutzes. Betriebsräte bestimmen mit. Es herrscht sogar Mitbestimmungspflicht! Es geht also nicht nur um mehr Respekt vor Schutzgesetzen, sondern auch um das Betriebsverfassungsgesetz und um die Förderung der Betriebsräte beim Aufbau der für ihre Aufgaben erforderlichen Kompetenzen.
Komplettes Interview: http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/interview-vdl-saarbruecker-zeitung-2011_12_27.html
 
Anmerkung: In der Süddeutschen Zeitung wurde im Oktober eine vermeintlich hysterische Verwendung des Begriffes “Burn-out” kritisiert. Die nüchtern geschriebene Meldung der Saarbrückener Zeitung gaben die Süddeutschen unter dem Titel “Von der Leyen plant Burn-out-Gipfel” wieder.

Wir brauchen keine neuen Gesetze

http://www.focus.de/finanzen/karriere/psychiater-mathias-berger-gewerbeaufsicht-soll-gegen-burn-out-einschreiten_aid_695332.html

Psychiater Mathias Berger: Gewerbeaufsicht soll gegen Burn-out einschreiten
Sonntag, 18.12.2011, 17:21
Unfallschutz im Betrieb ist Pflicht. Zum Schutz vor psychischen Erkrankungen aber gibt es keine Regeln. Das muss sich ändern, fordert der Freiburger Psychiatrieprofessor Mathias Berger im Gespräch mit FOCUS.
Berger forderte die Politik auf, einzugreifen. Gewerbeaufsicht und Betriebsärzte müssten die Möglichkeit haben, in Betrieben Risiken für so genanntes Burn-out abzustellen.
Deutschland brauche eine Regelung, die klarstelle, dass Arbeitgebern die Fürsorgepflicht auch im Falle psychischer Belastung obliege, sagte der Leiter der Freiburger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie dem FOCUS.

Das ist (trotz guter Absicht) nicht ganz richtig: Es gibt diese Regeln schon seit vielen Jahren, nämlich u.A. das Arbeitsschutzgesetz. Deswegen haben die Gewerbeaufsicht und die Betriebsärzte längst die Möglichkeit, “in Betrieben Risiken für so genanntes Burn-out abzustellen”. Nur hatten sie in der Vergangenheit von diesen Möglichkeiten nicht ausreichend Gebrauch gemacht. Die Politik muss also nicht mit neuen Gesetzen eingreifen, sondern sie muss z.B. aufhören, die Gewerbeaufsichten zu schwach zu halten und damit eine ernsthafte Umsetzung der Arbeitsschutzgesetzes auszubremsen.
In Deutschland waren es bislang vorwiegend die Betriebsräte, die hier gegen die nachhaltige Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen vorgingen.

Kaum ein Unternehmen handelt

http://www.arbeitssicherheit.de/de/html/nachrichten/anzeigen/696/Burnout/

Stressbedingte Arbeitsausfälle | 07.12.2011
Burnout: Kaum ein Unternehmen handelt
Betrachtet man den Schaden, den Burnout nicht nur Betroffenen, sondern auch den Firmen und der deutschen Wirtschaft verursacht, stellt sich die Frage, warum nicht aktiver gegen die stressbedingte Erkrankung vorgegangen wird. Ein möglicher Grund: Es gibt zu wenig Therapeuten!

Gefahr erkannt, aber nicht gebannt
Da stellt sich die Frage, warum nicht aktiver gegen die psychische Belastung angegangen wird, und zwar dort wo sie ursächlich entsteht: am Arbeitsplatz. Denn für Burnout machen Experten schließlich schlechte Arbeitsbedingungen verantwortlich. Doch die Resonanz ist gering. Einer Studie der EU-Osha zufolge sind zwar vier von fünf europäischen Managern besorgt angesichts des steigenden Stressaufkommens in den Unternehmen. Dagegen unternehmen tun aber nur weniger als ein Drittel der Firmen. Im europaweiten Vergleich schneidet Deutschland schlechter ab. Nur etwa 15 Prozent der Firmen sind in Sachen Burnout aktiv, in Europa immerhin 26 Prozent im Schnitt.

Unternehmen stehen in der Pflicht
Unterdessen empfiehlt die Prüfgesellschaft Dekra, dass Unternehmen stärker gegen eine stressbedingte Belastung am Arbeitsplatz vorgehen. Denn das Krankheitsbild de Burnouts entwickle sich zunehmend zum »modernen Arbeitsunfall«. Betriebe schenkten der Gesundheitsprävention ihrer Angestellten einfach zu wenig Aufmerksamkeit.

Hervorhebung nachträglich eingefügt
In dem Artikel wird die Kritik an mangelnder Verhältnisprävention mit mangelnder Patienten-Versorgung vermischt. Und Burnout wird wieder als Krankheit dargestellt, dabei sind in der Regel die daraus resultierenden Depressionen die Krankheit. Aber leider findet das Thema anscheinend nur dann Aufmerksamkeit, wenn “Burnout” gerufen wird.
Im Kern trifft der Artikel den Punkt: Die große Mehrheit der Unternehmen ignoriert ihre Pflichten. Wenn man die Verantwortlichen daraufhin anspricht, reagieren sie auch noch beleidigt oder lenken vom Problem mit Wohltaten irgend eines auf Vorzeigbarkeit hingetrimmten “Gesundheitsmanagements” ab, die nichts mit der vorgeschriebenen Verhältnisprävention zu tun haben. Die betreffenden Unternehmen scheinen sich das leisten zu können, obwohl ihre Missachtung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes eindeutiger belegbar ist, als ein in vielen Fällen (jedoch nicht in allen Fällen) bestehender Zusammenhang zwischen psychischer Fehlbelastung und Erkrankung. Anscheinend ist der Verstoß gegen die Regeln eines vollständigen Arbeitsschutzes bei den heutigen Möglichkeiten von Unternehmen, ziemlich unbehelligt Recht zu brechen, nicht aufsehenerregend genug, um in den Medien so häufig thematisiert zu werden, wie die unüberraschenden Folgen des Rechtsbruchs, der “Burnout”.

Keine ZEIT für Recherche

Nun auch DIE ZEIT: Noch jemand ohne Burn-out?, fragt die ZEIT49/2011 (2011-12-01) auf der Titelseite (nachdem sie dort eine Woche zuvor K. T. v&z. Guttenberg Platz einräumte). Burn-out ist in der WISSEN-Rubrik ihr Thema und Titel des Beitrages von Harro Albrecht auf Seite 39.
Markus Pawelezik schreibt dann auf Seite 40 über eine Gefühlte Epidemie. Er nennt zum Beispiel als einen kulturellen Faktor für die zunehende Erschöpfung: “ein einseitiger wie naiver Hedonismus: möglichst viel konsumieren, um möglichst große Lust zu erleben.” Der Psychiater, Philosoph und Sprachwissenschaftler sollte eigentlich besser wissen, was Hedonismus bedeutet.
Ein schon interessanteres Gespräch, dass Harro Albrecht und Ulrich Schnabel mit dem Verhaltenstherapeuten Nico Niedermeier geführt hatten, finden Sie auf Seiten 41. “Extrem viel Adrenalin” ist die sich auch hier wieder auf einzelne Betroffene fokussierende Überschrift, für deren Auswahl man Nico Niedermeier nicht haftbar mache kann. Auch kann man einem Verhaltenstherapeuten nicht vorwerfen, dass die Verhältnistherapie (Verhältnisprävention wäre noch besser) nicht sein Geschäft ist.
Es wäre die Aufgabe von Harro Albrecht und Ulrich Schnabel gewesen, hier gründlicher zu recherchieren. Dazu müssten sie sich aber für den heute vorgeschriebenen ganzheitlichen Arbeitsschutz erst einmal interessieren – und für die bisher von den Aufsichtsbehörden zugelassene Vernachlässigung des Arbeitsschutzes. Das Thema ist aber vielleicht auch für einige ZEIT-Schreiber zu unanschaulich und zu kompliziert: Seit 1996 haben die Unternehmen die Pflicht, psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Die Mehrheit der Arbeitgeber ignorieren diese Pflicht, mit der Fehlbelastungen vorgebeugt werden soll. Zu erkennen, dass durch die Vernachlässigung des Arbeitschutzes bei der heute durchaus zu beobachtenden Arbeitsverdichtung das Gefährdungsrisiko steigt, ist für die Macher des heutigen Burn-out-Dossiers vermutlich eine doch zu große intellektuelle Herausforderung.
Angesichts des inzwischen existierenden Wissens ist diese Vernachlässigung wohl kein Versehen mehr. Die dafür verantwortlichen Unternehmen versuchten bisher also vorsätzlich, die psychisch wirksamen Belastungen aus dem Arbeitsschutz auszuklammern. Die Folgen alleine schon dieser Einstellung sollten Harro Albrecht und Ulrich Schnabel doch klar sein.
Es ist gut, die Begriffe zu klären. “Burn-out” ist tatsächlich ein oft zu leichtfertig missbrauchter Begriff. Der Begriff des “Hedonismus” kann hier aber auf eine viel längere Leidenszeit zurückblicken. Wer besser versteht, was Hedonismus bedeutet, kann auch über Burn-out vernünftiger schreiben. Dann auch noch Aussagen zum Grad der Arbeitsbedingtheit von Burn-out und Depressionen zu machen, ohne die oft schon vorsätzliche Vernachlässigung Arbeitsschutzes in Deutschland auch nur andeutungsweise zu erwähnen, ist schon eine ziemlich schwache Leistung.
Die schlechte Nachricht ist also: Die so anspruchsvolle ZEIT zeigt am 1. Dezember nur die Hälfte des Problems. Sie hat wichtige Positionen zum Thema ignoriert. Die gute Nachricht: Wie man es besser macht, können Harro Albrecht, Ulrich Schnabel und Markus Pawelezik bei der ZEIT nachlesen: “So können Arbeitgeber bei Burn-out helfen, Psychisch kranke Mitarbeiter fallen oft lange aus. Was Arbeitgeber tun können, um mit guten Arbeitsbedingungen psychischen Erkrankungen vorzubeugen, erklärt Sabine Hockling.”: http://www.zeit.de/karriere/beruf/2011-11/burnout-hilfe-arbeitgeber. Und David Hugendick stellte in der ZEIT die Frage nach dem “System der Arbeit”: http://blog.psybel.de/2011/11/01/muedigkeitsgesellschaft/. Da beginnt die Verhältnisprävention.

Gejammer: Die Not der Psychiater

Andreas Meißner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München. Auch ist er
Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Münchner Nervenärzte und Psychiater. Er schreibt heute in der Außenansichten-Rubrik (Seite 2) der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel Die Not der Psychiater:

Alle reden vom Burn-out, kaum einer von den Menschen mit Psychose oder Depressopn. Patienten und Helfer bleiben allein. …
… Studien haben gezeigt, dass ein Viertel der psychisch Kranken eine Psychotherapie machen, was jedoch drei Viertel des zur Verfügung stehenden Budgets verschlingt. Die anderen 75 Prozent der Patienten werden dagegen durch Nervenarzte und Psychiater behandelt – ihnen stehen lediglich die restlichen 25 Prozent des entsprechenden Honorartopfes zur Verfügung. Dadurch wächst die Gefahr, dass die psychotherapeutische Behandlung oft leichter, dafür eloquenter psychisch Kranker, die meist noch über ein stabiles soziales Netz und einen Arbeitsplatz verfügen, vieles an Ressourcen verbraucht. Ressourcen, die dann fehlen für die psychiatrische Versorgung von Patienten mit ausgeprägten Störungen wie schweren Depressionen und Psychosen.
Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen sind daher gefordert, die Schieflage in der Versorgung psychisch Kranker zu korrigieren …

Wenn Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen, Psychiater und Journalisten (auch der SZ) ihren Job ordentlich machen würden, dann wäre die seit vielen Jahren auch von den Kassen und Journalisten tolerierte Mißachtung der Pflicht der Unternehmen zum Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz längst deutlich thematisiert worden. Die Krankenkassen (und damit ihre Kunden) hätten weniger Kosten und auch der von Andreas Meißner angepeilte nicht durch Fehlbelastungen am Arbeitsplatz geschädigte Rest der psychisch Erkrankten hätte weniger Wartezeiten in der Psychotherapie und der Psychiatrie. Andreas Meißner müsste dann auch nicht so sehr über fehlende Ressoucen jammern, die ihm die Psychotherapeuten mit ihren “eloquenten” Klienten angeblich wegschnappen.
(Nachtrag, 2011-11-28: Zum Burnout einer großen Gruppe von weniger “eloquenten” Betroffenen gibt es interessante Anmerkungen von Prof. Johannes Siegrist ab 53m30s im Podcast einer Sendung Ständig unter Druck bei dradio.de. Und noch etwas: “Der Trend ist klar. Und es trifft durchweg den Otto Normalverbraucher, der [wegen Burnout] dann still und heimlich und mit Abschlägen in der Erwerbsminderungsrente verschwindet.”)
Besonders erstaunlich finde ich in Andreas Meißners SZ-Beitrag, dass der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie anscheinend Psychotherapie nicht versteht:

… Dabei wäre oft gar nicht gleich eine tiefgehende Psychotherapie nötig, wie sie mit durchschnittlich 40 Stunden durchgeführt wird und mit einem festen Satz von 80 Euro pro Stunde schnell hohe Kosten verursacht. Nicht jeder Burnout-Betroffene muss seine Kindheit aufarbeiten – nicht jeder will das auch. …

Meißner hat wohl nicht bemerkt, dass schon seit einiger Zeit auch nicht jeder Psychotherapeut die Kindheit seiner Klienten aufarbeiten will. Kennt Meißner in der Psychotherapie nur die Psychoanalyse? Warum unterschlägt er das ganze Spektrum der verhaltenstherapeutischen Therapien? Damit schreckt Meißner Menschen vor der Psychotherapie ab, die eine Psychoanalyse weder brauchen noch wollen.

Burnout nun auch bei "hart aber fair"

2011-11-14:
• ARD, 03:25 Uhr
2011-11-15:
• ARD, 03:25 Uhr
• WDR, 08:45 Uhr
• 3sat, 10:15 Uhr
• EinsExtra, 20:15 Uhr
2011-11-16:
• EinsExtra, 07:45 Uhr
http://www.wdr.de/tv/hartaberfair/ (2011-11-13):

Sendung vom 14.11.2011 
Burnout – Modekrankheit oder echte Seuche?
Millionenfach leiden Menschen an Burnout, sind erschöpft, depressiv, angstgepeinigt. Eine Quittung für das moderne Leben: gehetzt und ständig erreichbar? Oder ist Burnout eine Modekrankheit, die nur besser klingt als Depression?

Aus dem gewohnten Talkshowgästepool wieder dabei sind:

  • Andreas Biermann, der Fußballer
  • Leni Breymaier, die Gewerkschafterin (ver.di)
  • Bernd Sprenger, der Arzt
  • Tim Mälzer, der Koch
  • RA Helmut Naujoks, der von Talkshows abonnierte Arbeitgeberanwalt

Dass auch “hart aber fair” mehr an Show als an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema “Burnout” interessiert ist, sieht man an der Teilnahme des RA Naujoks. Fachleute, die in der Sache kompetenter die Arbeitgeberseite vertreten könnten, wären A. Hofmann, K.- J. Keller und R. Neuhaus. Außerdem gibt es auch einige Arbeitgeber, die ganzheitlichen Arbeitsschutz praktizieren. Warum wurde hier keiner eingeladen? Bei einem RA wie Naujoks dagegen wäre es konsequenter, ihm seinen Kollegen Jens Gäbert gegenüberzustellen. Da käme dann wirklich Butter bei die Fische. Der WDR hat aber Gäbert wohl nicht in seinem Pool, und leider auch nicht Jochen Prümper, der zusammen mit Bernd Sprenger hätte anreisen können.
Moderator ist natürlich Frank Plasberg, immer für quotenträchtige Themen offen. Mal sehen, ob er der erste Moderator zu Burnout-Talks ist, der versteht, dass die Mehrheit der Arbeitgeber die Regeln des Arbeitsschutzes missachtet und dass das natürlich auch die ablehnende Einstellung der Unternehmer zu ihrer Pflicht erhellt, psychische Fehlbelastungen zu mindern. Vermutlich wird auch in dieser Runde wieder einmal nicht klar werden, dass der seit 1996 geduldete Rechtsbruch tatsächlich Menschen schaden kann.
Und der Unterschied zwischen Belastung und Beanspruchung sowie zwischen Verhältnisprävention (Priorität des Arbeitsschutzes) und Verhaltensprävention (Priorität der Arbeitgeber) ist für Talk-Magazine vermutlich ohnehin viel zu kompliziert. So wird’s dann bei den üblichen individualpsychologischen Ratschlägen bleiben, beim “persönlichen Erleben”. Strukturelle Fragen und der Ansatz des ganzheitlichen Arbeitsschutzes sind leider für Talk-Formate zu anspruchsvoll. Das zeigt der (noch vor der Sendung wieder gelöschte) Eintrag von Frank Plasbergs Firma Ansager und Schnipselmann GmbH & Co KG in http://www.wernerschell.de/forum/neu/viewtopic.php?t=16541 (2011-11-14, 13:00):

In unserer Sendung hart aber fair (montags, 21 Uhr mit Frank Plasberg, ARD) wollen wir am 14.11.2011 über das Thema Burnout diskutieren. Für ein Einzelgespräch im Rahmen der Sendung suchen wir eine(n) “Burnout-Betroffene(n)” aus dem Pflegebereich (Krankenhaus, Heim, häusliche Pflege, Pflegestationen etc.).

Es geht uns aber weder um Kritik an einzelnen Arbeitgebern noch der Gesamtbranche als solche. Es geht vielmehr um das persönliche Erleben einer solchen Situation, um Auslöser, Warnzeichen und mögliche Wege heraus. 

Was ist das denn für ein Journalismus? Nachtrag (2011-11-14, 20:45): Der obige Text war um 13:00 noch online. Jetzt sieht der Text anders aus:

Die Redaktion suchte einen Betroffenen. Hier war ein entsprechender Suchtext eingestellt. Dieser Text hat sich erledigt. Heute läuft die Sendung. Siehe den nachfolgenden Hinweis. 

Es ist nun dank des Forenbetreibers nicht mehr im Originaltext nachvollziehbar, wie Frank Plasberg die Richtung seiner Sendung vorbestimmt.
21:10: Bernd Sprenger weist auf Verhältnisprävention und Verhaltensprävention hin. Das ist Plasberg wohl schon zu kompliziert, um nachzuhaken.
21:10: RA Naujoks meint, die Arbeitgeber seien selbst daran interessiert, dass die Mitarbeiter keinen Burnout bekommen. Das ist einfach nicht glaubwürdig: Die Mehrheit der Arbeitgeber darf sich seit 1996 über das Gesetz stellen und ihre Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ignorieren.
21:15: Frank Plasberg verfolgt seine Linie, dass “die ordentliche Analyse immer bei einem selbst beginnt”.
21:25: Das Publikum klatscht an merkwürdigen Stellen, auch als Tim Mälzer im Scherz meinte, dass er alle ver.di-Leute rauswerfenwürde.
21:35: Sprenger kritisiert Naujoks. Plasberg lenkt den Talk schnell wieder auf Mälzer um.
21:43: Leni Breymaier weist auf die Änderungen im Arbeitsschutz hin, Plasberg moderiert weg.
21:52: Wichtiger Hinweis von Tim Mälzer: Sein “Burnout” ist geheilt, aber Versicherungen gehen von einem bleibend erhöhten Risiko aus.
21:55 – 22:03 Lange human touch Einlage mit Andreas Biermann.
22:15: Sprenger weist auf notwendige Ausgewogenheit zwischen Verhältnis- und Verhaltensprävention hin.
Auf der Website zu “hart aber fair” wird Bernd Sprengers Position einseitig falsch dargestellt:

Dr. Bernd Sprenger 
Der Facharzt für Psychosomatische Medizin betreut seit mehr als 15 Jahren Burnout-Patienten und rät: Der Schutz vor Burnout beginnt im Kopf. Denn wenn die Einstellung zur Arbeit stimmt, kann einem der größte Stress nichts anhaben.
Biographie (Homepage von Dr. Bernd Sprenger)

Sprenger steht für Ausgewogenheit. Nur die Hälfte seiner Position darzustellen, ist journalistische Stümperei. Der Infotainment-Unternehmer Frank Plasberg (oder das Redaktionsteam seines Unternehmens) suchte sich auch bei Sprenger gnadenlos nur das aus, was zur Tendenz passt, die Plasberg seiner Sendung geben will. Dass dabei Sprengers Position verzerrt dargestellt wird, ist wohl kennzeichnend für Plasbergs Art von Journalismus. An der Sachlichkeit und Ausgewogenheit, die Sprenger während der Sendung immer wieder einzubringen versuchte, war Plasberg überhaupt nicht interessiert.
Passend zu Plasbergs Konzept gab es übrigens auch ein in der Show eingespielter Clip, in mit dem die Burnout-Therapie als Geschäft dargestellt wurde. Das ist sie ja in unserem Gesellschaftssystem auch, wie jede professionelle Therapie. Dazu wählte der Medien-Unternehmer Plasberg wenige verhaltensorientierte Fragen aus einem Fragebogen aus, der irgendwie im Zusammenhang mit Bernd Sprenger steht und ließ sie mit einem negativen Geschmäckle aus dem Off kommentieren. So macht Plasberg mit dem Burnout-Geschäft sein Talk-Geschäft.
 
Siehe auch in diesem Blog:

Extern:

Hysterische Hysterie-Kritik

Der Journalist Christian Weber benutzt in seinem etwas hysterisch geratenen Artikel “Die Burn-out-Hysterie” (SZ 2011-10-22, S. 24, Untertitel: “Die anhaltende Debatte um das scheinbar zunehmende Leiden zeugt von einem falschen Verständnis psychischer Krankheiten”) einen alten Trick: Die Kritik von Absichten, die der Kritiker dem Kritisierten unterstellt:

Wer mit Hilfe der Psychiatrie die Arbeitsbedingungen und Zwänge des modernen Lebens kritisieren will, tut den Ausgebrannten nichts Gutes. Er nährt die Illusion, dass ein bisschen Umbau in Betrieb und Gesellschaft psychische Krankheiten beseitigen könnte; und dass nur die Anderen schuld seien am eigenen Zustand.

Wo ist denn jemand mit signifikantem Einfluss, der mit Hilfe der Psychiatrie die Arbeitsbedingungen und Zwänge das modernen Lebens kritisieren will? Das Instrument der Kritik ist nicht die Psychiatrie, sondern die Organisations- und Arbeitspsychologie. Wenn die Psychiatrie einschreiten muss, ist es nämlich schon zu spät. Christian Webers Kritik, es gäbe die Illusion, “dass ein bisschen Umbau in Betrieb und Gesellschaft psychische Krankheiten beseitigen könnte; und dass nur die Anderen schuld seien am eigenen Zustand” ist unredlich. Eine solche Illusion gibt es zumindest nicht bei denen, die den Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz vorantreiben. Es ist also wohl Christian Weber, der hier Probleme mit der Realität hat und das dann auch noch in der SZ-Rubrik “Wissen” in die Welt setzt.
Psychosomatische Störungen durch psychische Fehlbelastung gibt es. Insbesondere Sozialstress in der Herde beobachtet beispielsweise mein Vetter in seinem (auch in schwierigen Zeiten erfolgreichen) großen Milchproduktionsbetrieb. Gibt es zuviel davon, dann wird die Milch zwar nicht sauer, aber weniger. Das bedeutet niedrigere Produktivität. Darum reduziert mein Vetter schädlichen Stress, wo das möglich ist. Gelegentlich bietet er seinen Viechern auch Stress, der anregend ist. Wichtig dabei: Trittbrettfahrer und Simulanten, die sich ihre Krankheiten anlesen, gibt es unter den Kühen eher weniger.
Nun von der Natur von Kühen mit Leseschwäche zu uns Menschen. Christian Weber meint:

Viel wahrscheinlicher ist, dass Angst und Depression, Zwang und Psychose zur Natur des Menschen gehören wie körperliche Krankheiten. Das Hirn ist die wahrscheinlich komplexeste Struktur des Universums; wie sollte es ein Leben lang fehlerfrei arbeiten?

Schon wieder kämpft Weber gegen eine Behauptung, die er sich einbildet. Die Menschen nehmen das Gegenteil dessen an, was Weber glaubt: Sie glauben nicht an Fehlerfreiheit des Gehirns und konstruierten sich deswegen einige ganz erfolgreiche Fehlerkorrekturverfahren (z.B. die Demokratie, in der dann wiederum Schutzgesetze beschlossen wurden). Es hilft uns nicht viel weiter, mit der “Natur” der Menschen zu argumentieren in einer Umwelt (nicht nur Arbeitsumwelt), die sich durch das Wirken der Menschen viel intensiver verändert hat, als die evolutionäre Entwicklung unserer Gehirne. Das ist nicht schlecht, aber wir müssen mit dieser “unnatürlichen” Entwicklung auch “unnatürlich” umgehen. Teilweise gelingt uns ja schon: Wir wenden uns mit Verstand der Arbeits- und Organisationspsychologie zu, aber nicht, um alle psychischen Krankheiten abzuschaffen, sondern um besser zu arbeiten und zu leben. Christian Webers Gehirn (die wahrscheinlich komplexeste Struktur des Universums?) kennt den Anspruch des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht.
Es gibt Leute, die sich mit dem Thema, dem Christian Webers Kollegen gerne den Titel  “Burn-out” geben, gut auskennen:

Meine eigene Kritik benutzt nicht die Psychiatrie als Instrument der Kritik an der neuen Arbeitswelt, sondern konzentriert sich auf die schlichte Tatsache, das in den meisten Betrieben überhaupt gar nicht erst in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise hingesehen wird, wie die Belastungen aussehen und ob sie Fehlbelastungen sein könnten. Diese Missachtung von Schutzvorschriften kann nämlich nachgewiesen werden. Das scheint der Süddeutschen Zeitung zu kompliziert zu sein. Aber die Bouleverd-Presse in München griff das Thema Anfang dieser Woche und mit Christa Haderthauers staatsministerieller Nachhilfe auf, natürlich wieder unter dem “Burn-out”-Titel: Die Abendzeitung München bemühte zwar “Burnout-Detektive” und “Burnout-Aufpasser”, aber sie kommt damit dem Problem unzureichender Aufsicht im Arbeitsschutzpraxis immer noch näher, als die Süddeutsche Zeitung das bisher vermochte. Der Boulevard braucht wohl den Burnout-Begriff. Endlich wurde eines der Hauptprobleme dort einfach erklärt auf den Punkt gebracht: Die Unternehmen halten sich nicht an die Regeln. Darum ist nun Aufsicht nötig.
Ein anderer Minister Bayerns, Markus Söder, kündigte in dieser Woche dann auch noch einen Burnout- und Psychiatrie-Beauftragten an. Diese Kombination finde ich problematisch. Politiker neigen halt zur Vereinfachung. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass es eine generelle Burnout-Hysterie gebe. Dass zu viel und zu platt von “Burnout” geschrieben wird, ist doch auch eine Folge der Forderung nach Vereinfachung komplexer Themen. Die unsaubere Verwendung des Begriffes verdient Kritik, aber Christian Weber setzt sie falsch an und forkussiert auf die Diagnose von Erkrankungen. Die Burnout-Thematisierungen von Christa Haderthauer und Markus Söder zielen aber (endlich den Regeln des Arbeitsschutzes entsprechend) auf die Prävention ab. Da geht es um die Diagnose des Zustandes von Arbeitsplätzen.
Michaela Mosers Kritik in (in Perspektive Mittelstand) ist auch nicht zimperlich: “Burnout-Geschwafel löst nicht das Problem” (http://www.perspektive-mittelstand.de/Erschoepfungsinflation-Burnout-Geschwafel-loest-nicht-das-Problem/management-wissen/4331.html). Aber ihr Schluss ist wichtig:

… Noch problematischer ist indes, dass den meisten, das Thema Burnout mittlerweile zum Halse raushängt. Denn ist das Erschöpfungssyndrom mal endgültig durch das mediale Dorf getrieben, wird die Berichterstattung, ebenso wie nach dem Depressions-Hype um den Tod von Robert Enke, wieder abflauen. Und damit letztlich auch der Handlungsdruck zur Burnout-Prophylaxe – sowohl bei Arbeitgebern als auch jenen die Burnout-gefährdet sind. Genau dies aber wäre fatal – nicht für die Betroffenen, sondern auch die Arbeitswelt von morgen und nicht zuletzt die deutsche Wirtschaft insgesamt!

FOKUS lenkt den Fokus ab

das FOKUS Magazin 43 vom 24. Oktober widmet sich dem Thema Burnout.

  • Endlich mehr Zeit haben. Burnout vermeiden: Wie Sie Ihr Leben klug organisieren
  • Ruhe finden: Wer immer erreichbar ist, erreicht nichts. Wie man seinen Alltag ohne Hektik meistert
  • Langsamkeit wagen: Die Zeitberater Karlheinz und Jonas Geißler über die Illusion, alles im Griff zu haben
  • Zeit gewinnen: Die besten Tipps von Simplify-Lehrer und Bestsellerautor Tiki Küstenmacher

Das Burda-Magazin FOCUS konzentriert sich wieder auf die Beratung seiner Leser zu individuellen Lebensbewältigung. Sie sollen ihre Burnout-Probleme selbst lösen, obwohl bekannt ist, dass die große Mehrheit der Unternehmen sich im Bereich der psychisch wirksamen Belastungen nicht an die Vorschriften des Arbeitsschutzes hält. Statt dessen füllt das Magazin seine Seiten mit angestaubten Binsenweisheiten von Zeit- und Simplify-Gurus, um schnell mal wieder auf der aktuellen Burnout-Welle in den Medien mitsurfen zu können. Auch in einem Online-Artikel zu Markus Söders (CSU) “Burnout-Beauftragten” in Bayern ziehen die Pressemeldungsabschreiber des FOKUS Magazins das Thema im Zusammenspiel mit Söder (“Ich habe zum Glück von Natur aus eine starke Konstitution”) schnell wieder auf die individualpsychologische Schiene. Von den “Burnout-Detektiven” Christine Haderthauers (CSU) will das FOKUS Magazin seine Leser dagegen nichts wissen lassen.
Die Konsequenzen des ganzheitlichen Arbeitsschutzes gehen wohl auch an’s Eingemachte der FOCUS-Chefredakteure, denn hier kommen Führungsstile auf den Prüfstand. Angesichts der Einstellung des FOCUS zum Umgang mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz sollte sich die Gewerbeaufsicht in München die Arbeitsbedingungen in dem Unternehmen doch einmal genauer ansehen: Vielleicht kennen die überwiegend vor Bildschirmen sitzenden FOCUS-Redakteure ihre Rechte überhaupt nicht. Die Gewerbeaufsicht könnte dann (z.B. nach einer Begehung) mit den Chefredakteuren eine Zielvereinbarung treffen, mit der der Arbeitsschutz auch in der Redaktion etwas bekannter würde.

Vorzeitiger unfreiwilliger Ruhestand

http://www.sueddeutsche.de/karriere/
vorzeitiger-unfreiwilliger-ruhestand-aufhoeren-weil-die-seele-leidet-1.1165601

Aufhören, weil die Seele leidet
16.10.2011, 17:23
Von Thomas Öchsner
Psychische Erkrankungen sind mittlerweile der Hauptgrund für den unfreiwilligen Vorruhestand – und der kommt immer früher: Wer vor 30 Jahren vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden musste, war im Durchschnitt 56 Jahre alt. Heute sind vor allem diejenigen, die wegen seelischer Leiden aufhören, wesentlich jünger. Das hat mehrere Gründe. …

Auf Seite 4 (SZ 2011-10-17) gab es dann von “tö” den Kommentar “Wenn Arbeit krank macht”. Der Kommentarschreiber liest anscheinend seine eigene Zeitung nicht. Und er suchte auch nicht in ihrem Archiv: “Wenn Arbeit krank macht” war an gleicher Stelle schon einmal der Titel eines Kommentars, und zwar in der SZ 2010-08-13.
“tö” fragt: “Was zu tun ist?”. Seine Antworten: “Arbeitnehmer müssen lernen, an sich selbst keine überzogenen Ansprüche zu stellen, und die Arbeitgeber dürfen ihre Untergebenen nicht als moderne Arbeitssklaven behandeln …”
Davon, dass diese beiden (die Situation nicht ganz nicht falsch, aber auch nicht ausreichend beschreibenden) Klischees wiedergekäut werden, werden sie auch nicht hilfreicher. Sie lenken von einem ganz anderen Problem ab: Wieso kommt der Kommentator nicht auf die Idee, zu fragen, ob überhaupt ehrlich und diszipliniert gefragt wird, “was zu tun ist”? Einiges, was zu tun ist, ist nämlich seit vielen Jahren vorgeschrieben, wird aber nicht getan. Je nach Quelle kann man erfahren, dass seit Jahren 16% bis (sehr optimistisch geschätzt) 50% der Unternehmer psychisch wirksame Belastungen nicht in die vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen mit einbeziehen. Seit spätestens 2004 verstößt die Mehrheit der Unternehmen gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes und die dazu gehörnden Urteile. Was wäre dagegen zu tun? Aufsicht! Und dass es an Aufsicht fehlt, sollte bei der SZ inzwischen auch bekannt sein.
Wenn die Leute locker bei Rot über die Ampel fahren dürften, würde sich sich doch auch niemand wundern, wenn mehr Verkehrsunfälle passieren. Es kann da doch keine allzu große geistige Herausforderung sein, zu fragen, wie sich der gewohnheitsmäßige Verstoß gegen die Pflicht der Arbeitgeber zum Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz (schon ganz am Anfang, also beim Fragen nach Gefährdungen) auf psychische Erkrankungen auswirkt.
SZ 2010-08-13, S. 4:

… Die Vorbehalte [der Firmen] gegenüber guter Prävention zeigen auch wieder, dass die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler [(damals war er das noch)] falsch sind, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einzufrieren. Damit würden künftig die Arbeitnehmer alleine dafür zahlen, dass Firmen durch schlechte Vorsorge die Gesundheit ihrer Belegschaft gefährden.

 



http://www.tagesschau.de/inland/fruehrente100.html

Zahlen im vergangenen Jahr laut Zeitung angestiegen
Psychische Erkrankungen häufiger Grund für Frührente
Die Zahl der Arbeitnehmer, die wegen einer psychischen Erkrankung vorzeitig in Rente, ist im vergangenen Jahr gestiegen. Das berichtet die “Süddeutsche Zeitung” unter Berufung auf neue Zahlen der Deutschen Rentenversicherung.
Demnach mussten sich im Jahr 2010 bundesweit fast 71.000 Frauen und Männer wegen seelischer Störungen vor Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren in den Ruhestand verabschieden. 2009 waren es noch knapp 64.500 gewesen. …

 


Abendzeitung München / dpa:
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.rente-mit-depression-still-und-heimlich-in-die-fruehverrentung.c4d6a420-17fd-4ca7-878e-15e61e25d746.html

Mit Depression still und heimlich in die Frühverrentung
… Burnout ist kein neues Phänomen, aber es breitet sich aus wie ein Ölfleck auf dem Wasser. Die internationalen Konzern-Verflechtungen bei zunehmendem Konkurrenzdruck führen zu höheren Anforderungen an die Arbeitnehmer. Dabei spielen individuelle Fähigkeiten auch eine wichtige Rolle: Manche sind stress-resistenter als andere, die dann auch früher ans Limit kommen.
Um die fatale Entwicklung zu bremsen, muss nach Überzeugung aller Experten in den Betrieben vorbeugend gegengesteuert werden: Das Bundesgesundheitsministerium will dazu in Zusammenarbeit mit Firmen demnächst ein Stressabbauprogramm für Beschäftigte auflegen. …

Nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit. Warum weist die DPA auf die Bedeutung der individuellen Resilienz hin ohne auch die einfach nachprüfbare Missachtung der Arbeitsschutzregeln durch die Mehrheit der Unternehmen zu erwähnen? Warum will das Bundesgesundheitsministerium ein Stressabbauprogramm auflegen anstatt die Unternehmen endlich durch gründliche Gewerbeaufsicht zur Einhaltung bereits bestehender Vorschriften bewegen?
Die gute Nachricht: Wie man es richtig macht, zeigte jüngstens (entgegen meinen eigenen Vorurteilen) ausgerechnet eine CSU-Landesministerin. Und bereits im Jahr 2009 bohrte (entgegen meinen weiteren Vorurteilen) die FDP in Berlin an den richtigen Stellen nach. Hier sind ein paar Politiker der Presse voraus.