BAuA: Verhältnisprävention hat Vorang

http://www.baua.de/de/Presse/Pressematerialien/Dresdner-Treffpunkt/Psychische-Belastung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

… „Maßnahmen der Verhältnisprävention am Arbeitsplatz sollten dabei Vorrang vor Maßnahmen der Verhaltensprävention beim Beschäftigten haben, am besten ist eine Kombination“, so Dr. Richter. Dafür sollten Betriebe ihre Beschäftigten in Planungs-und Entscheidungsprozesse einbinden, starre und autoritäre Strukturen aufheben, mit flexiblen Arbeitszeiten unterstützen und Neuorganisationen sowie die Einführung neuer Hard- und Software mit Schulungen und Weiterbildung begleiten. Neben einem guten Projekt- und Zeitmanagement werden die sozialen und kommunikativen Kompetenzen der Beschäftigten in allen Bereichen der Wirtschaft zunehmend wichtiger. Auch sei es flankierend wichtig, mit betrieblichem Gesundheitsmanagement einen gesunden Lebensstil zu vermitteln. … 

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Siehe auch: Verhältnisprävention ist wirksamer

Wenn Sachargumente nicht mehr helfen

http://www.wirtschaftspsychologie-aktuell.de/Material_4_2003/62.pdf

Arbeit & Gesundheit
2003/62 Wirtschaftspsychologie aktuell
Arbeitsschutz oder neue Qualität der Arbeit?
Von Thomas Webers
… Da nutzt es natürlich wenig zu klagen, Unternehmer hätten nicht verstanden, dass sie nach dem Grundgesetz eine soziale Verantwortung tragen und über das Arbeitsschutzgesetz dazu verpflichtet sind, auf dem Niveau der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse und dem des Standes der Technik für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigen Sorge zu tragen. Lebenslanges Lernen
Was wäre, wenn man „Arbeitsschutz“ nun einmal anders denken würde? Stärker präventiv ausgerichtet? Dann könnte man durchaus zu der Sichtweise kommen, dass man mit der bislang angewandten „arbeitspädagogischen Philosophie“ im Arbeits- und Gesundheitsschutz (erhobener Zeigefinger, zur Not der Rohrstock) allein nicht weiter kommt. …

So ist es. Nur zu klagen nützt nicht, aber es kann helfen, den Rohrstock wenigstens im Köcher zu haben.
Thomas Webers schrieb seinen sehr lesenswerten Artikel im Jahr 2003. Der erforderliche Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ist aber seit dem kaum weitergekommen, obwohl die Aufsichtsorgane bisher so große Zurückhaltung zeigten, wenn nicht gar Schüchternheit. Ich glaube, dass vielen Arbeitgebern die anstehenden Veränderungen zu sehr ans Eingemachte gehen (s. Perry Jordan). Sie wollen sich trotz guter Sachargumente einfach nicht an die ihnen lästigen Vorschriften halten, denn der ganzheitliche Arbeitsschutz macht (wo er funktioniert) so manches traditionelle “Führungsinstrument” sichtbar, dessen Anwendung nicht so gute Personaler (die gibt es eben auch) niemals offen zugeben würden. Das genaue Hinsehen, das der ganzheitliche Arbeitsschutz erzwingt, ist für schlechte Unternehmensführungen natürlich besonders beängstigend.
Die Praxis zeigt jetzt klar, dass zumindest der Einstieg in den ganzheitlichen Arbeitsschutz ohne Nutzung von Rechtsmitteln meistens nicht funktioniert. 1996 liegt jetzt lange genug zurück in der Vergangenheit, um sich an den ganzheitlichen Arbeitsschutz gewöhnt haben zu können. Bei Unternehmen, die ihn heute immer noch missachten, halfen und helfen Sachargumente also offensichtlich nicht weiter. Denn so wenig, wie Sachargumente Steuerzahlungen sicherstellen, so wenig helfen Sachargumente dem Arbeitsschutz. Steuerflüchtlinge haben kein schlechtes Gewissen, wenn sie den aus ihrer Sicht weniger erfolgreichen Menschen “ihr” Geld vorenthalten, und wer den ganzheitlichen Arbeitsschutz vernachlässigt, hat kein schlechtes Gewissen, “Minderleister” durch Krankheit zu verlieren. Schließlich tragen Mitarbeiter ja Eigenverantwortung für ihre Gesundheit. Außerdem ist für viele Arbeitgeber die Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz ein Graus. Wenn noch mehr Arbeitnehmervertretungen aufwachen, dräut der Untergang des Abendlandes. Fazit: Gegen solche Einstellungen hilft nur eine nachhaltige Aufsicht.
Zu den anständigen Unternehmern: Das Beste, was passieren kann, ist, dass nach einem wie auch immer erreichten Einstieg in den ganzheitlichen Arbeitsschutz der Unternehmer souverän die Initiative übernimmt. Souverän ist ein Arbeitgeber, wenn er den an Verhältnisprävention ausgerichteten Arbeitsschutz ohne Ablenkungsmanöver in sein Gesundheitsmanagement integriert, also der Gefährdungsbeurteilung und der Mitbestimmung eine hohe Bedeutung beimisst. Dann kann so ein Unternehmen zum Maßstab für Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden. Souveräne Arbeitgeber (die gibt es!) fürchten sich weder vor der Gefährdungsbeurteilung noch vor der mit ihr verbundenen Mitbestimmung. Und gute Betriebsräte (die auch Kompetenz aufbauen müssen) können solchen Unternehmen helfen, dass sich Bewerber und die Belegschaften sich mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz im Unternehmen wohl fühlen.

Arbeitsschutz auf dem Prüfstand

http://www.gda-portal.de/de/pdf/PM-Evaluation.pdf

Arbeitsschutz auf dem Prüfstand: Qualitätsbarometer beschlossen
In punkto Arbeitsschutz wird es in Deutschland künftig ein Qualitätsbarometer geben: Dazu befragen die zuständigen Institutionen in den kommenden Monaten insgesamt ca. 5000 Beschäftigte und insgesamt rund 6500 Verantwortliche in den Betrieben zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Die Umfrage wird vom Meinungsforschungsinstitut Infratest durchgeführt und soll regelmäßig wiederholt werden.
„Bund, Länder und gesetzliche Unfallversicherung bündeln zunehmend ihre Kompetenzen, um den Arbeitsschutz noch effizienter und schlagkräftiger zu machen“, sagt Steffen Röddecke, Vorsitzender der Nationalen Arbeitschutzkonferenz. „Mit gemeinsamen Programmen zu ausgewählten Brennpunkten im Arbeitsschutz, durch größere Praxisnähe des Vorschriften- und Regelwerks sowie durch eine stärker koordinierte Beratungs- und Überwachungstätigkeit wollen wir nachhaltig für sichere und gesündere Arbeitsplätze sorgen“.
Wie wirksam der Gesundheitsschutz in den Betrieben wirklich ist, wollen die mit der Arbeitsschutzaufsicht betrauten Institutionen und das BMAS durch ein im Rahmen der GDA beschlossenes Qualitätsbarometer herausfinden. Hierzu werden neben der Befragung der Betroffenen auch statistische Daten, zum Beispiel zu Arbeitsunfällen und Erkrankungen, ausgewertet. In den Interviews werden die Beschäftigten nach gesundheitlichen Beschwerden gefragt, die sie auf Arbeitsbedingungen zurückführen. Arbeitgeber sollen vor allem die Arbeit der Aufsichtsdienste des Staates (Gewerbeaufsichtsämter und Ämter für Arbeitsschutz) und der Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaften und Unfallkassen) beurteilen. Erste Zwischenergebnisse werden noch diesen Herbst erwartet.
Zur GDA:
Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) wird von Bund, Ländern und gesetzlicher Unfallversicherung getragen. Ziel ihrer Zusammenarbeit ist es, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch einen präventiv ausgerichteten und systematisch wahrgenommenen Arbeitsschutz zu verbessern und zu fördern.
Weitere Informationen:
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie: www.gda-portal.de
Kontakt:
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie
c/o Geschäftsstelle der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz
Sabine Sommer
Tel: 030 515 48 4212

Interessant ist dieser Satz: “Arbeitgeber sollen vor allem die Arbeit der Aufsichtsdienste des Staates (Gewerbeaufsichtsämter und Ämter für Arbeitsschutz) und der Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaften und Unfallkassen) beurteilen.” Die die INQA schreibt: “Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.” Warum also werden nicht die Personalräte und die Betriebsräte befragt? Warum dürfen nicht auch die Arbeitnehmervertreter als wichtige Treiber (mit eben nur “vereinzelter” Hilfe der Arbeitsschutzbehörden) des ganzheitlichen Arbeitsschutzes die Arbeit der Aufsichtsdienste des Staates beurteilen?
Die Arbeitgeber zu fragen, ist so, als ob man nur Leute, die nicht so gerne Steuern zahlen möchten, die Arbeit der Steuerfahndung beurteilen lassen wollte, aber die Kommunen (und Andere, die Steuerzahlungen brauchen) nicht befragen möchte.
Bedenklich ist auch dieser Satz: “In den Interviews werden die Beschäftigten nach gesundheitlichen Beschwerden gefragt, die sie auf Arbeitsbedingungen zurückführen.” Hier wird von vorneherein ein angreifbares Ergebnis vorbereitet, das man als “subjektiv” abtun kann, denn es wird von den Beschäftigten verlangt, Fehlbelastungs- bzw. Fehlbeanspruchungsfolgen laienpsychologisch auf Arbeitsbedingungen zurückzuführen. Es gibt inzwischen genügend Kurzverfahren (z.B. COPSOQ oder selbst der von einem arbeitgebernahen Institut entwickelte KPB), mit denen Arbeitnehmer direkt Belastungen beschreiben können. Daran könnte sich Infratest anlehnen.
Für ein ernst gemeintes Qualitätsbarometer wären auch diese Fragen an Mitarbeiter sinnvoll (Beispiele):

  1. Werden in ihrem Unternehmen psychische Belastungen von Gefährdungsbeurteilungen erfasst?
  2. Gibt es dazu eine Betriebsvereinbarung?
  3. Können Mitarbeiter die Gefährdungsbeurteilung zu ihrem Arbeitsplatz jederzeit einsehen?
  4. Stellt die Gefährdungsbeurteilung die Situation Ihrer Arbeitsbedingungen richtig dar?
  5. Wurde Ihnen in der Arbeitsschutzunterweisung die Unterschiede zwischen Verhaltens- und Verhältnispräventione sowie zwischen Fehlbeanspruchung und Fehlbelasung verdeutlicht?
  6. Sind im Gesundheitsmanagement ihres Unternehmens die Verhaltensprävention und Verhältnisprävention im Gleichgewicht?
  7. Müssen Sie die Nutzung von Einrichtungen zur Gesundheitsvorsorge, die im Rahmen eines Gesundheitsmanagements angeboten werden, (teilweise) selbst bezahlen?

Die GDA bräuchte im Grund nur zu veranlassen, dass konsequent Aufsicht geführt wird. Das wäre das gesetzlich vorgeschriebene Qualitätsbarometer. Nun trägt auch noch die GDA dazu bei, dass die Mitbestimmung umgangen wird.
 
Nachtrag (2012-07): Ergebnisse der Befragung werden in http://blog.psybel.de/psychische-belastungen-bei-80-der-betriebe-nicht-beurteilt/ angesprochen.

Lieber Herr Daniel Bahr …

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister,
Wenn man den Nachrichten glauben schenken kann, werden Sie die Politik ihres Vorgängers fortsetzen. Wie diese Politik aussieht, wurde am 3.8.2010 in der Süddeutschen Zeitung gut dargestellt:

… Die Vorbehalte [der Firmen] gegenüber guter Prävention zeigen auch wieder, dass die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler [FDP] falsch sind, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einzufrieren. Damit würden künftig die Arbeitnehmer alleine dafür zahlen, dass Firmen durch schlechte Vorsorge die Gesundheit ihrer Belegschaft gefährden.

(Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingetragen)
Tatsache ist, dass Unternehmen in Deutschland massenhaft gegen die Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen dürfen. Politiker wie Sie sehen dabei untätig zu oder helfen sogar den Arbeitgebern dabei, im betrieblichen Gesundheitsmanagement der Verhaltensprävention Vorrang vor der Verhältnisprävention zu geben und damit die vorgeschriebenen Prioritäten des Arbeitsschutzes umzudrehen.
Ich halte die Politik ihres Vorgängers für unredlich, weil sein Ministerium den Anschein erweckte, dass es die Vorbehalte der Firmen gegenüber guter Prävention (d.h. in der Praxis: Missachtung des Arbeitsschutzes durch die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland) billige: Die Darstellung des Themas “Gesundheitsmanagement” durch das BMG sieht so aus, als ob sie vom Arbeitgeberverband geschrieben worden wäre, dessen Mitglieder seit 1996 in ihrer Mehrheit die Forderungen des ganzheitlichen Arbeitsschutz ignorieren. Dass denen das so nachhaltig gelingt, zeigt, wie Anarchie heute aussieht. Sie ist von der Straße in die komfortableren Umgebungen der Führungsetagen von Wirtschaft und Politik umgezogen: Unternehmen können sich heute anscheinend nach Lust und Laune aussuchen, ob sie Schutzbestimmungen einhalten möchten oder auch nicht. Dabei werden von dem Bundesgesundheitsminister und der Arbeitsministerin auch noch unterstützt.
“Eigenverantwortung” ist der zeitgemäße Code für “selber zahlen”. Soll damit die “zweit Säule” der Krankheitskostenfinanzierung legitimiert werden, die die Arbeitgeber aus deren Verantwortung entlässt? Von den Versicherten Eigenverantwortung zu fordern und gleichzeitig den Verursachern von Erkrankungsrisiken billigend bei der Umgehung des Arbeitsschutzes zuzusehen, zeigt, was “mitfühlender Liberalismus” tatsächlich bedeutet: Frechheit siegt. Ich hoffe, dass die nächsten Bundestagswahlen dem ein Ende setzen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Götz Kluge
 


http://www.tagesschau.de/inland/citybkk114.html, 2011-05-19:

Kassen versprechen Besserung – Die Tricksereien, mit denen Krankenkassen versucht haben, Versicherte der City BKK abzuwimmeln, verstoßen gegen das Verbraucherrecht. Das Ultimatum von Gesundheitsminister Bahr und die Drohung der Union, notfalls die Vorstände haften zu lassen, zeigen nun Wirkung. …

Mit was für einem Stil berichtet hier die Tagesschau? Viel Wind um “Tricksereien” der Kassen, aber wo bleibt die journalistische Neugier? Die Mehrheit der Unternehmen missachtet seit Jahren den Arbeitsschutz und belastet damit die Kassen und somit ebenfalls die Gemeinschaft der Versicherten. Warum fragt die Tagesschau nicht, warum der Minister und die Union einerseits rechtswidriges Verhalten der Kassen so schnell abstellen können, aber andererseits das rechtswidrige Verhalten von Unternehmen, die diese Kassen belasten, hinnehmen?
 


Die FDP kann’s mit kompetenten Leuten in Berlin aber auch besser:
http://blog.psybel.de/kompetente-fragen-der-fdp/

Kandidatenpositionen zur Gefährdungsbeurteilung

Ich hatte 14 Listen, die bei der Sozialwahl 2011 kandidieren, diese Frage gestellt: “Für Entscheidungen zur Sozialwahl 2011: Ist es ein Verstoß gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzes, wenn ein Arbeitgeber psychische Belastungen *nicht* in die Gefährdungsbeurteilung mit einbezieht? (Ja/Nein)”
Vier haben bisher geantwortet.

  • Drei von ihnen gaben Antworten, die “Ja” bedeuten.
  • Eine wollte nicht Position beziehen und verwies mich an die BAuA.

Präventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz II

2011-05-18, PAGS-Forum II in Dresden
http://www.baua.de/de/Aktuelles-und-Termine/Veranstaltungen/2011/05.18-PAGS-Forum.html
 
Faltblatt:
http://www.baua.de/de/Aktuelles-und-Termine/Veranstaltungen/2011/pdf/Programm-PAGS-II.pdf?__blob=publicationFile&v=3

  • 16:30 – 18:00
    Projektvorstellung
    Möglichkeiten der Erfassung der psychischen Belastungen der Mitarbeiter
    Dr. Wolfgang Tittes, Infineon
  • 18:30 – 20:00
    Projektvorstellung
    Gefährdungsbeurteilung mit Schwerpunkt „psychische Belastung“,
    Helmut Lutzmann, Vandemoorteele
  • 20:00 – 21:00
    Diskussion, Fragen, Hinweise aus der eigenen Arbeit der Teilnehmer, Ausblick auf das PAGS-Forum III „Führungskräfteschulung“

Arbeitsschutz mit Verbesserungspotential bei der Bundesverwaltung

http://www.uk-bund.de/?bereich=AGS&sizeadd=0&images=1&hbid=2&uknid=449

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Psychische Belastung ermitteln? Die Prüfliste der Unfallkasse kann helfen.
Das Thema ist allgegenwärtig. Es vergeht kaum ein Tag ohne Meldung in der Fachpresse über den vermeintlichen Anstieg der psychischen Belastung und der Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten.
Die Arbeitgeber stehen unter Druck, müssen etwas tun. Doch schon beim ersten Schritt, der gründlichen Situationsanalyse, tun sich viele schwer. In der Bundesverwaltung wird gerade einmal in jeder vierten Dienststelle eine Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung durchgeführt. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die wir bei Fachkräften für Arbeitssicherheit im vergangenen Jahr durchgeführt haben.
Dabei bietet sich die Gefährdungsbeurteilung für einen Einstieg in das Thema geradezu an. Und den Behörden der Bundesverwaltung steht mit der Prüfliste Psychische Belastung sogar ein kostenloses und hochwertiges Bewertungsinstrument zur Verfügung. …

Und trotzdem kommt die Bundesverwaltung in die Positivliste:
http://blog.psybel.de/positivliste/#comment-151

Unerhört!

Süddeutsche Zeitung 2011-05-13:

Nun hat sich auch der neue Gesundheitsminister [Daniel Bahr] eingemischt und die Krankenkassen, die eine Übernahme von Versicherten aus der pleitegegangenen City BKK verweigern, scharf gerügt. “Dieses Vorgehen der Krankenkassen ist unerhört, und dieses Vorgehen ist rechtswidrig”, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Freitag in Berlin. Die Versicherten der City BKK hätten das Recht, ihre künftige Krankenkasse frei zu wählen.

Daniel Bahr bereitete bisher die Politik Philipp Röslers vor, nun kann er sie als Gesundheitsminister selbst machen. Seine Empörung über rechtswidriges Vorgehen ist aber unangebracht, denn sein eigenes Ministerium marginalisiert doch auch die Gesetze und die Rechtsprechung.
Beispiel: Die Mehrheit der deutschen Unternehmen setzt die Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes schon seit vielen Jahren einfach nicht um. Das Bundesgesundheitsministerium kommt aber in seinen Empfehlungen nicht auf die Idee, diesem rechtswidrigen Verhalten vieler Arbeitgeber wenigstens mit ordentlicher Aufklärung zu begegnen. Zitat (mit von mir eingefügten Erweiterungen und Korrekturen):

Die Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention) und Maßnahmen, die [auf die] Arbeitsbedingungen analysieren [ausgerichtet sind] (Verhältnisprävention). [Dabei beginnt die Verhältnisprävention mit der Analyse von Gefährdungen durch mögliche physische und psychische Fehlbelastungen.] Oftmals ist eine klare Trennung in der Praxis nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da die Bereiche sich gegenseitig beeinflussen. [Hinsichtlich der Vorschriften des Arbeitsschutzes hat jedoch die Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention: Der Arbeitsschutz fragt nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen!]
So verursachen z.B. Über- und Unterforderung von Beschäftigten Stress und Demotivation. Um diese Auswirkungen zu vermeiden sind neben Kursen zur Stressbewältigung auch Änderungen der Arbeitsbedingungen notwendig [können neben notwendigen Änderungen der Arbeitsbedingungen (vorgeschriebene Verhältnisprävention) beispielsweise auch Kurse zur Stressbewältigung angeboten werden (zusätzliche Verhaltensprävention)]. Nachfolgend sind mögliche Maßnahmen beispielhaft dargestellt:

Kategorie Verhaltensorientierte Maßnahmen Verhältnisorientierte Maßnahmen
Ganzheitlicher Arbeitsschutz Kurse der Gewerbeaufsicht für Firmenleitungen

Kurse der Gewerbeaufsicht für Betriebs- und Personalräte:

Klare Information der Aufsichtsorgane im Internet an Arbeitnehmer

Befolgung der Arbeitsschutzvorschriften und der Mitbestimmung beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz, z.B.:

Ernährung Ernährungskurse, Ernährungsberatung gesunde Kantinenkost
Bewegung/Ergonomie Rückenkurse, Walking gesundheitsfördernde Arbeitsplatzgestaltung
Stressbewältigung Kurse zur Entspannung, Stressmanagement, Weiterbildung gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung
Suchtprävention Kurse zur Tabakentwöhnung, Hilfs- und Beratungsangebote Rauchfreier Betrieb, Verbesserung des Betriebsklimas (Mobbing, Mitarbeiterführung)
Organisationsgestaltung   Etablierung von Gesundheitszirkeln, bauliche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
Arbeitsgestaltung   Arbeitsplatzwechsel, flexible Arbeitszeiten
Unternehmenskultur   Leitbild, transparente Kommunikation, Führungskompetenz, Mitbestimmung
Aufsicht   Ausreichende Ausstattung der Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsichten, damit Aufsichtspersonen wirklich ernsthaft prüfen können.

(Quelle: Bundesgesundheitsministerium. Da die Tabelle unvollständig ist, habe ich noch zwei Tabellenzeilen und ein Wort nachträglich hinzugefügt.)
Die folgende Behauptung im Web-Auftritt des Ministeriums ist schlicht falsch:

Die Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention) und Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention).

Prävention (welcher Art auch immer) kann sich sich natürlich nicht nur auf die Analyse beschränken, sondern die Analyse ist nur ein Teil der Maßnahmen der Verhältnisprävention! Sie ist der erste Schritt für weitere Maßnahmen. Vergessen hat das BMG die Maßnahmenfestlegung, die Implementierung der Maßnahmen, die Wirksamkeitskontrolle der Implementierung sowie die all das begleitende Dokumentation und Unterweisung.
Eigentlich gehe ich davon aus, dass im Bundesgesundheitsministerium sowohl der Umfang der Verhältnisprävention wie auch der Vorrang der Verhältnisprävention vor der Verhaltensprävention bekannt sein sollte. Dann wäre dem Ministerium hier kein Fehler unterlaufen, sondern es würde Desinformation verbreiten, mit dem Ziel der Marginalisierung der Vorschriften und der Rechtsprechung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Eine Alternative zu meiner Unterstellung ist Unwissen im Ministerium, zumindest bei der Überprüfung eines vielleicht von externen Beratern geschriebenen Textes. Das wäre aber auch keine gute Entschuldigung.
Zwar ist auf Bundesebene das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für den Arbeitsschutz zuständig; wenn jedoch das Bundesministerium für Gesundheit Gesundheitsthemen in der Arbeitswelt aufgreift, dann sollte auch dieses Ministerium die Gelegenheit nutzen, seit 1996 nun wirklich nicht mehr unabsichtlich übersehene Pflichten der Arbeitgeber im Arbeitsschutz darzustellen. Es wäre allerdings ein Vorurteil, jetzt bei einem FDP-geführten Ministerium libertäre Nachsicht gegenüber unternehmerischen Pflichtverletzungen zu vermuten, denn bereits seit 1996 haben fast alle Parteien die Verwirklichung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes vernachlässigt. Da die Bürger einen großen Teil ihres Lebens in der Arbeitswelt verbringen, ist der Arbeitsschutz jedoch keine unwichtige Nebensache.
 
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2011/03/07/arbeitsschutz-in-bg/

Liebe Ministerin für Arbeit und Soziales…

An die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
 
Sehr geehrte Frau Dr. Ursula von der Leyen,
Seit 1996 haben Arbeitgeber die psychische Belastung am Arbeitsplatz in den ganzheitlichen Arbeitsschutz einzubeziehen. Trotzdem missachtet die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland die Vorschriften des Arbeitsschutzes.
Als Bundesministerin für Arbeit und Soziales (und auch als Ärztin) haben Sie auf Bundesebene die Verantwortung für den Arbeitsschutz. Sie mögen nun auf die Zuständigkeit der BAuA und der Landesbehörden verweisen wollen, die sehr gutes Informationsmaterial zur Verfügung stellen. Aber offensichtlich dient die Arbeit dieser Organe nicht der Durchsetzung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes.
In den Gewerbeaufsichten und in den Berufsgenossenschaften gibt es Aufsichtspersonen, die besser prüfen würden, wenn sie den Rückhalt und die Ressourcen dafür hätten. Beispielsweise ist es ziemlich einfach, sich in den Betrieben zeigen zu lassen, wie die psychisch wirksame Arbeitsbelastung in die Gefährdungsbeurteilungen einbezogen werden. Mängel sind hier klar zu erkennen. Verbesserungsmaßnahmen können entsprechend eingefordert werden. Das muss jetzt dringend geschehen, und zwar flächendeckend. Es ist seit 1996 schon zu viel Zeit verloren gegangen.
Wann wird es aus aus Ihrer Sicht soweit sein, dass Unternehmen die Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutz beachten und insbesondere der Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention geben? Denn der Arbeitsschutz fragt nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen.
Mit freundlichen Grüßen
Götz Kluge
 
PS aus einem Kommentar auf Seite 4 in der SZ 2010-08-03, der an ihren Kollegen (auch ein Arzt) gerichtet ist:

… Die Vorbehalte [der Firmen] gegenüber guter Prävention zeigen auch wieder, dass die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler falsch sind, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einzufrieren. Damit würden künftig die Arbeitnehmer alleine dafür zahlen, dass Firmen durch schlechte Vorsorge die Gesundheit ihrer Belegschaft gefährden.

(Link nachträglich eingefügt)

Kein Stress mit dem Stress

2012-07-20:
Schon ziemlich stressig, den Aktualisierungen bei psyGa-transfer zu folgen.
Kann auch sein, dass ich diese sehr übersichtliche Seite jetzt erst entdeckt habe: http://psyga-transfer.de/medien/

 


2012-07-06:
http://www.bkk.de/presse-politik/presse/bkk-pressemitteilungen/itemId/118, Neuauflage (im Wesentlichen wegen kleiner Änderungen bei den Kooperationspartnern):

Burnout muss nicht sein: Handlungshilfe für Führungskräfte zur Förderung der psychischen Gesundheit erschienen…
…Unter dem Titel „Kein Stress mit dem Stress – Lösungen und Tipps für Führungskräfte und Unternehmen“ zeigt die neue Publikation auf, was Vorgesetzte tun können, um Umfang und Ursachen psychischer Belastungen zu identifizieren. Sie gibt Führungskräften konkrete Tipps und Lösungsansätze, wie die psychische Gesundheit von Beschäftigten in Unternehmen durch einen gesundheitsgerechten Führungsstil gefördert werden kann. Von Burnout über Arbeitsverdichtung bis hin zur Work-Life-Balance bietet der Sammelordner konkrete Praxishilfen, ergänzt durch bewährte Lösungsbeispiele aus Unternehmen. …

Inhalt:

• Stress mit dem Stress? Oder: Warum Sie diese Broschüre lesen sollten
• Stress und psychische Gesundheit
• Daten und Fakten
• Selbst-Test: Wie belastet bin ich?
• Schnell-Test: Wie belastet sind meine Mitarbeiter?
• Führung und psychische Gesundheit: Wie Sie die Ressourcen Ihrer Mitarbeiter ausbauen und Stress aktiv abbauen
• Checkliste: Stärken aufbauen
• Psychische Belastungen verringern, begrenzen und vermeiden: Schluss mit dem Dauerstress
• Checkliste zum Stressabbau: So können Sie Stress bei Ihren Mitarbeitern vermeiden
• Der gesetzliche Rahmen für die Förderung der psychischen Gesundheit

Die o.g. Handlungshilfe bitte nicht verwechseln mit dem folgenden Leitfaden der Arbeitgeberseite:
http://blog.psybel.de/leitfaden-zum-umgang-mit-psychisch-beanspruchten-mitarbeitern/
“Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden für Führungskräfte und Personalmanager”

Siehe auch: http://psyga-transfer.de/praxishilfen/handlungshilfen/
 


2011-05-02 (erste Version dieses Artikels):
http://www.move-europe.de/, BKK, INQA, DNBGF:

News im Mai

 
Kein Stress mit dem Stress – Eine Handlungshilfe für Führungskräfte
Nach der erfolgreichen Handlungshilfe für Beschäftigte ist nun auch die Handlungshilfe für Führungskräfte erschienen. Diese Handlungshilfe beschäftigt sich mit der Frage, was Führungskräfte gegen den ständig steigenden Stress den Druck tun können. Für sich selbst genauso wie für Ihre Mitarbeiter. Wie Sie dafür sorgen können, dass Sie und Ihre Mitarbeiter im komplexen Arbeitsalltag erfolgreich agieren, ohne ständig über die Grenzen der Belastbarkeit gehen zu müssen. Studien und die Erfahrungen aus der Praxis in Unternehmen zeigen: Um als Führungskraft erfolgreich zu sein, ist die Kompetenz im Umgang mit psychischer Belastung und Stress unverzichtbar. mehr
 
Qualitätskriterien für das betriebliche Gesundheitsmanagement im Bereich der psychischen Gesundheit
Das Dokument stellt den gegenwärtigen Stand der Arbeiten zur Entwicklung
von Qualitätskriterien für das betriebliche Gesundheitsmanagement im Bereich der psychischen Gesundheit vor. Diese Entwicklungsarbeiten sind Teil des Projektes „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – psyGA-transfer“, mit dem die Verbreitung guter Praxis in diesem Handlungsfeld in Betrieben und Organisationen in Deutschland unterstützt werden soll.
mehr
 
Selbsteinschätzungsinstrument für das betriebliche Gesundheitsmanagement im Bereich der psychischen Gesundheit
Das in dieser Broschüre enthaltene Instrument soll Praktiker dabei unterstützen, den ISTStand von Organisationen im Bereich der Förderung psychischer Gesundheit einzuschätzen und daraus Anhaltspunkte für die Verbesserung der Praxis ableiten zu können. mehr

(Der DNBGF-Server hatte beim Download der PDF-Dateien gelegentlich Schluckauf. Darum sind die Dateien hier in meinem Blog abgespeichert.)
 
In http://www.arbeitstattstress.de/2011/04/factsheets-zum-thema-stress/ (ein anderes Blog) gibt es zum Thema Stress noch Links zur Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.