Schädlicher Stress beschleunigt das Altern

http://www.scinexx.de/dossier-detail-618-9.html (Nadja Podbregar, 2013-01-25)

Warum Stress alt macht
Psychische Belastung wirkt auf die Chromosomen
Wenn ein Mensch über längere Zeit gestresst ist, sieht man ihm die psychische Belastung oft auch an: Er wirkt grau und müde und scheint sogar mehr Falten bekommen zu haben. Ob dieser subjektive Eindruck trügt oder ob Stress uns tatsächlich körperlich schneller altern lässt, war lange Zeit unklar. Unter anderem deshalb, weil die Prozesse der Zellalterung und ihre Einflussfaktoren erst in den letzten Jahren genauer ergründet worden sind. Inzwischen aber zeigt sich, dass psychischer Stress tatsächlich das Altern auf zellulärer Ebene beschleunigt. […]

[…] “Psychologischer Stress könnte die Zellalterung theoretisch auf drei ganz unterschiedlichen Wegen beeinflussen”, erklärt [Elizabeth Blackburn].

  • “Er könnte die Funktion oder Zahl der Abwehrzellen und damit das Immunsystem verändern,
  • er könnte den oxidativen Stress durch aggressive Moleküle erhöhen
  • oder aber die Aktivität des Enzyms Telomerase beeinträchtigen.”

[…]

Mit “psychologischer Stress” und mit “psychische Belastung” sind hier wohl solche Belastungen gemeint, mit denen Sie sich nicht wohlfühlen.

Unseriöse "Studie" der Techniker Krankenkasse

Die ARD-Tagesschau meldet heute (http://www.tagesschau.de/inland/stress132.html):

[…] Mehr als jeder zweite Erwachsene gibt an, mehr unter Druck zu stehen als noch vor wenigen Jahren. “Deutschland ist stark gestresst”, fasst TK-Chef Jens Baas das Ergebnis der Studie “Bleib locker, Deutschland” zusammen. […]

 
TK-Studie: http://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/590188/Datei/115474/TK_Studienband_zur_Stressumfrage.pdf

[…] Was der eine durch einen Ausgleich im Privatleben schafft, erscheint dem anderen als ein nicht zu bewältigendes Problem, das ihm den Schlaf raubt. Daher ist es so wichtig, die Menschen zu einem gesundheitsförderlichen Umgang mit Belastungen zu befähigen, damit Stress und Stressempfinden nicht krank machen. […] Ein entscheidender – aber anders als vielfach dargestellt nicht der einzige – Faktor ist dabei der Job. Die Menschen hierzulande nennen ihn den unangefochtenen Stressfaktor Nummer eins. Daher unterstützen wir mit unserem betrieblichen Gesundheitsmanagement Unternehmen dabei, für ihre Mitarbeiter eine gesunde Stressbalance zu schaffen. […]

Die “Studie” mit dem dümmlichen Titel “Bleib locker, Deutschland – TK-Studie zur Stresslage der Nation” ist ein Propagandapapier für die Verhaltensprävention und verschleiert den Rechtsbruch, den die Mehrheit der Arbeitgeber auch heute noch im verhältnispräventiv angelegten Arbeitschutz begeht: Im letzten Jahr dokumentierte sogar der Bundestag, dass etwa 80% der Betriebsleitungen ihre Pflicht missachteten, die von Stressoren ausgehenden psychischen Belastungen zu beurteilen. Diese Arbeitgeber konnten sich dank systematisch überforderter Gewerbeaufsichten jahrelang über geltendes Recht stellen: Sie weigerten sich einfach, ihren gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten in der Verhältnisprävention gerecht zu werden.
Es ist nicht abwegig, anzunehmen, dass dieser Rechtsbruch zu einer Verschlechterung der Belastungssituation an den Arbeitsplätzen in Deutschland beigetragen hat. Die TK jedoch blendet die inzwischen gut bekannten Pflichtverletzungen der Mehrheit der Arbeitgeber als mögliche Ursache der heutigen Stressbelastung nun einfach aus. Stattdessen propagiert sie ein “Gesundheitsmanagement”, dass überwiegend verhaltenspräventiv angelegt ist und sich den einzelnen Mitarbeiter vorknöpft.
Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Resilienz bei Arbeitnehmern. Aber es gibt auch unterschiedlich gute und schlechte Arbeitsplätze. Warum geht die TK ausgerechnet auf jenen Bereich der Maßnahmen gegen Fehlbelastungen nicht ein, in dem die Mängel inzwischen gut bekannt sind?
Mit welchen Interessen veröffentlicht die TK ein derart unseriöse “Studie”? Könnte es für einen Krankenversicherer wirtschaftlich von Vorteil sein, die Ursachen psychischer Erkrankungen vorwiegend auf Schwächen und Defizite der einzelnen Versicherungsnehmer zurückzuführen? Hat die TK auch als Arbeitgeber ein Interesse daran, die Pflicht der Arbeitgeber zur einer gegen schädlichen Stress gerichteten Verhältnisprävention zu verschweigen?
Es geht auch anders: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist mit ihrem aktuellen Praxisleitfaden für Arbeitgeber schon viel weiter als die TK. Die BDA sagt inzwischen klar, was zu tun ist: Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz – Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung. Der Unterschied zwischen Gesundheitsmanagement und Arbeitsschutz wird in dem Leitfaden korrekt deutlich gemacht.
 

Schwere und langanhaltende Konsequenzen

Was Sie heute mit Nerven wie Drahtseilen bewältigen, könnte später teuer bezahlt werden müssen.
http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-16719-2013-10-02.html

[…] “Unsere Studie zeigt, dass normale psychosoziale Stressfaktoren schwere und langanhaltende physiologische und psychologische Konsequenzen haben können”, konstatieren [Lena] Johansson und ihre Kollegen. Solche stressreichen Ereignisse seien durchaus ein Risikofaktor für eine Demenz im höheren Alter. Denn Stress kann eine Reihe von physiologischen Reaktionen im Zentralnervensystem, Stoffwechsel, Immunsystem und dem Herz-Kreislaufsystem auslösen, wie sie erklären. Diese stressbedingten Veränderungen wiederum machen den Körper und speziell das Gehirn anfälliger für die Prozesse, die später zu Demenzerkrankungen führen. […]

Siehe auch: BMJ Open 2013;3:e003142 doi:10.1136/bmjopen-2013-003142

Zu gesunder Arbeit surfen

In http://www.heise.de/resale/meldung/Surftipp-der-Woche-Gesunde-Arbeit-1955804.html wird auf die Kampagne “Gesunde Arbeit” des Berufsverbandes deutscher Psychologinnen und Psychologen hingewiesen.
Broschüren „Gesunde Arbeit“ (http://www.bdp-verband.org/bdp/archiv/gesunde-arbeit/):

  • Teil 1: Burnout – Was Unternehmen und Führungskräfte tun können
  • Teil 2: Führung und Gesundheit – Wie Führungskräfte die Gesundheit der Mitarbeiter fördern können
  • Teil 3: Gefährdungsbeurteilung – Psychische Belastung bei der Arbeit
  • Teil 4: Gesunde Arbeitsbedingungen – Was Unternehmen tun können
  • Teil 5: Stress – Was tun bei Stress?

Fehlbelastungsmeldung: Der Betriebsrat hilft

Pressemeldung des TÜV (TÜV-Arbeitsmediziner vom Arbeitskreis Arbeitsmedizin beim Verband der TÜV e. V. (VdTÜV),
http://www.presseportal.de/pm/65031/2548073/psychische-belastungen-am-arbeitsplatz-nicht-warten-bis-es-zu-spaet-ist):

[…] Die TÜV-Arbeitsmediziner raten Arbeitnehmer andauernden psychischen Stress am Arbeitsplatz sowie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch ernst zu nehmen und sich an ihren Arbeitgeber zu wenden, der im Zuge seiner gesetzlichen Fürsorgepflicht für die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter sorgen muss. Der Mitarbeiter sollte den Arbeitgeber beauftragen, den Betriebsarzt anzurufen. Den medizinischen Grund der Anfrage muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht offen legen. Der Betriebsarzt stellt im Rahmen einer Arbeitsplatz- und Gefährdungsbeurteilung sowie individuellen Untersuchung des Beschäftigten die Ursachen für eine psychische Belastung fest. Ziele der Beratung sind gezielte individuelle Lösungen zur Suchtprävention und Stressabbau. Generell sollte der Schutz vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz so selbstverständlich sein, wie der Schutz vor Lärm oder Chemikalien. Die TÜV- Arbeitsmediziner betonen, dass Betriebsärzte gegenüber den Arbeitgebern der Schweigepflicht unterliegen, sodass betroffene Mitarbeiter keine Konsequenzen zu befürchten haben. Die Kosten des Betriebsarztbesuchs hat der Arbeitgeber zu tragen.
Die Arbeitsmediziner der TÜV-Unternehmen kümmern sich in Betrieben und Organisationen um die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, unabhängig von der Berufsgruppe und Hierarchieebene. Sie beraten Arbeitnehmer individuell am Arbeitsplatz und -umfeld sowie Arbeitgeber im Rahmen ihrer gesetzlichen Führsorgepflichten in Bezug auf die Sicherheit der Mitarbeiter im Unternehmen. […]

So könnte es theoretisch laufen. Praktisch gibt es Betriebsärzte (und Arbeitsschutzverantwortliche), die den fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung und ihren Betrieben jahrelang nicht angesprochen haben.
Arbeitnehmer sollten sich also zunächst an den Betriebsrat wenden und dort besprechen, an wen sie sich wenden könnten. Wenn der Betriebsrat aber schon mit den Begriffen “Belastung”, “Fehlbelastung”, “Beanspruchung”, “Verhältnisprävention” und “Verhaltensprävention” nichts anfangen kann, dann wird er seinen Klienten nicht gut helfen können. Ein Warnsignal ist auch, wenn Betriebsräte nicht einmal sicherstellen können, dass ihre eigene Belastungssituation in der Gefährdungsbeurteilung zu ihren Arbeitsplätzen ordentlich beschrieben wird. Solche Betriebsräte verstehen nicht, welche Pflichten der Arbeitgeber jenen Mitarbeitern gegenüber hat, die im sehr konfliktbehafteten Bereich des Personalwesens arbeiten. Wie soll der Betriebsrat Andere schützen, wenn er sich selbst nicht schützen kann?
Wichtig: Der Betriebsrat sollte auch wichtige Prioritäten kennen, die das Arbeitsschutzgesetz festschreibt. Gemäß Arbeitsschutzgesetz gilt: Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen. Zunächst muss der Arbeitgeber also versuchen, den Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Priorität wird in der Pressemeldung des TÜV nicht so recht deutlich.

2004: Scheuklappen-Taktik in vielen Betrieben

http://www.upgrade-hr.com/wp-content/uploads/2010/11/Kostenfaktor_Stress.pdf, 2004-09-23

[…]
Scheuklappen-Taktik in vielen Betrieben
Dass zunehmender Druck am Arbeitsplatz zu gesundheitlichen Schäden führt, gehört noch längst nicht in jedem deutschen Unternehmen zum allgemeinen Kenntnisstand. Das ist erstaunlich, denn die Bertelsmann Stiftung hatte schon für das Jahr 2001 errechnet, dass depressive Störungen zu einem Produktionsausfall von beinahe drei Milliarden Euro in Deutschland geführt haben – ein Wert, der bei jeder Führungskraft für gesteigerte Aufmerksamkeit sorgen sollte. Doch die Realität sieht oft leider ganz anders aus: Obwohl das Arbeitsschutzgesetz den Unternehmen ausdrücklich die Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung auch für psychische Belastungen vorschreibt, bleiben laut DGB-Analyse 95 Prozent der deutschen Firmen untätig. Die Folge: Wer in solchen Firmen Probleme mit dem Arbeitsumfeld oder dem Leistungsdruck hat, dem wird schnell das Etikett »nicht belastbar« oder gar »Drückeberger« angehängt. Dabei steht Unternehmen mit der Zertifizierung nach OHSAS 18001 (»Occupation Health and Safety Management«) ein leistungsfähiges Arbeitsschutz-Managementsystem zur Verfügung. Die Stadtwerke München setzen dieses System bereits seit Jahren erfolgreich im täglichen Betrieb ein. […]

[…] Dass Zertifizierungen nach OHSAS 18001 für deutsche Unternehmen immer interessanter werden, bestätigt auch Lutz Wilink, TÜV Management Service: »In Amerika ist die Pflege des Human Capital längst etabliert – auch bei uns in Europa werden langfristig die Firmen Vorteile haben, die sich aktiv in der Gesundheitsvorsorge für ihre Mitarbeiter engagieren.« Die Vorteile der OHSAS 18001 liegen für Lutz Wilink klar auf der Hand: »Dieser Standard ist weltweit anerkannt und ist analog zur bewährten Qualitätsnorm ISO 9001 und Umweltschutznorm ISO 14001 aufgebaut – das vereinfacht die Integration in bestehende Managementsysteme ganz erheblich!«
Wer die psychische Belastung am Arbeitsplatz analysieren und reduzieren möchte, sollte entsprechende Projekte oder Programme idealerweise in bestehende Arbeitsschutzmanagementsysteme integrieren. Das geht z.B. auch mit dem von TÜV SÜD und Upgrade Human Resources entwickelten Balance-Check (siehe auch Interview links). Das Fragebogen-Konzept soll einen Ausgleich zwischen den vorhandenen Ressourcen und den tatsächlichen Belastungen in einem Unternehmen schaffen. Eswird bereits erfolgreich eingesetzt. […]

Auch hier erweist sich wieder: Das Thema “psychische Belastungen” war schon seit 2004 genügend bekannt. Solche Dokumente zeigen, dass viele Unternehmer schon seit langer Zeit wissen mussten, dass sie ihre Pflichten im Arbeitsschutz missachten. Sie ließen den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz vorsätzlich schleifen.

Nichts verpasst bei M. Illner

M. Illner, Phönix. Es geht um Stress. Illners Team hat sich die originelle Frage, ob Arbeit krank mache, als Aufmacher selbst ausgedacht: “Ausgepowert, ausgelagert, ausgebeutet – Macht Arbeit krank?”. Gähn.
Neue Erkenntnise gab’s beim Talk heute nicht. Sie haben nichts verpasst.

Man kann nicht ohne Ende draufpacken

“Man kann nicht ohne Ende draufpacken” ist wohl einer von vielen Beiträgen, mit dem die Medien auf den Stressreport 2012 reagieren. Der SPIEGEL machte ein Interview mit der Verfasserin des Reports.
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/burn-out-und-stress-im-job-was-zur-belastung-fuehrt-a-880940.html

Arbeitgeber müssen in Zukunft dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter nicht psychisch erkranken. Doch kaum einer weiß, was genau die Überbelastung verursacht. Im Interview erklärt Psychologin Andrea Lohmann-Haislah, was zu Stress führt. Arbeitspensum und Termindruck haben wenig damit zu tun. …

Nicht “in Zukunft”, sondern schon seit vielen Jahren.


KarriereSPIEGEL: Was kann ein Arbeitgeber tun, um arbeitsbedingte psychische Erkrankungen zu verhindern?
Lohmann-Haislah: Die Unternehmen müssen eine Gefährdungsbeurteilung machen. Das schreibt der Gesetzgeber in Paragraph 5 des Arbeitsschutzgesetzes vor – dort sind die psychischen Belastungen explizit einbezogen.

Nicht explizit, aber durchaus durch Gerichtsurteile, Feststellungen des Bundestages, die Bildschirmarbeitsverordnung usw. gilt, dass auch der Bereich der psychischen Belastungen bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes in einem Betrieb zu berücksichtigen ist. Explizit wird der Einbezug psychischer Belastungen vermutlich erst in Zukunft im Arbeitsschutzgesetz stehen.
Immerhin ist die Gefährdungsbeurteilung jetzt in den Medien kein Fremdwort mehr.

Stress am Arbeitsplatz – was belastet Sie am meisten?

B5 aktuell, Sonntags um 11, http://www.br.de/radio/b5-aktuell/programmkalender/sendung505700.html

… Stress am Arbeitsplatz – was belastet Sie am meisten?
Zu Gast bei Sabine Straßer ist Alexander Jungkunz, stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten …

Nach der Sendung kann ein Pocast heruntergeladen werden. Der Teil zum Stress beginnt ab 27m25s.