Gerd Hoofe, BMAS

http://www.psykl.med.tum.de/index.php?option=com_content&task=view&id=53&Itemid=37 und
http://www.bmas.de/portal/49270/2010__11__22__kongress__psych__erkrankung.html

Großes Interesse am dritten bundesweiten Kongress “Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz”

In seinem Grußwort erklärte Gerd Hoofe, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS]: „Eine innovative und mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur kann nicht per Gesetz verordnet werden. Prävention ist und bleibt der beste Gesundheitsschutz und wirkt am effektivsten, wenn sie systematisch wahrgenommen wird. Deshalb unterstützt das BMAS im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit [INQA] die Entwicklung und Verbreitung von Erkenntnissen, Instrumenten und Gestaltungslösungen für gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen und liegt damit voll auf der Linie der Europäischen Kommission.“

(Abkürzungen in eckigen Klammern und Hervorhebungen nicht im Originaltext)
Gert Hoofes Partei (CDU) schreckt nicht davor zurück, bei der Verteidigung ihrer Vorstellung von christlich-abendländischer Kultur die Gesetzgebung durchaus zu bemühen. Bei Unternehmenskultur fehlt dann der Eifer. Außerdem gibt der Staatssekretär ganz unnötige Ratschläge. Es geht nicht darum, “eine innovative und mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur per Gesetz zu verordnen”, sondern es geht darum, dass sich in einem Rechtsstaat auch Unternehmen an bestehende Schutzvorschriften zu halten haben. Wenn es wirklich wollte, könnte das BMAS viel entschiedener dafür sorgen, dass die Vorschriften des Arbeitsschutzes endlich respektiert werden. Es engagiert sich ja auch tüchtig bei anderen Überwachungsaufgaben.
Die große Mehrheit der Unternehmen missachtet die Vorschriften des Arbeitsschutzes. Das ist einfach nachprüfbar. Klar kann man den Arbeitsschutz nicht verordnen, wenn sogar ein Staatssekretär den Unternehmen die Missachtung grundlegender Pflichten durchgehen lässt. Wer die Verantwortung des BMAS für die schwache Überwachung der Unternehmen durch die Gewerbeaufsicht verstehen will, sollte die Ressourcen für die politisch ausgebremsten Gewerbeaufsichtler einmal mit dem Apparat vergleichen, mit dem Sozialhilfeempfänger bis in ihr Liebesleben hinein kontrolliert werden.
Die INQA leistet hervorragende Arbeit, die aber von den Gewerbeaufsichten nicht ausreichend unterstützt werden kann. Ohne die Durchsetzung des Arbeitsschutzrechtes kann die INQA nicht viel weiterkommen. Der nachhaltige Widerstand vieler Arbeitgeber gegen den Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz seit 1996 (bzw. spätestens seit den BAG-Beschlüssen im Jahr 2004) sollte auch Gerd Hoofe klargemacht haben, dass die guten Argumente der BAuA und der INQA in den Betriebsleitungen kaum jemanden interessieren.
Siehe auch: http://www.google.de/search?q=Gerd-Hoofe+psychische-belastung
 


Wenn Ihnen meine Unternehmerschelte zu pauschal ist: Ich bin dankbar für jeden Hinweis, mit dem ich meine leider immer noch recht knappe Positivliste ergänzen kann.

Rahmenkonzept Gesundheitsmanagement

http://masgff.rlp.de/no_cache/ministerium/gesundheitsmanagement/?cid=98374&did=52606&sechash=794da397
Ministerium für Arbeit, Soziales
Familie und Gesundheit Rheinland-Pfalz,
Referat Personal und Organisation,
Rahmenkonzept Gesundheitsmanagement in der Landesverwaltung,
S. 16:


7. Psychische Belastung am Arbeitsplatz …
7.1. Mindeststandard …
7.1.1. Gefährdungsanalyse und Umsetzung der Folgemaßnahmen
Ein erweitertes, präventiv ausgerichtetes Verständnis des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes kommt insbesondere mit der europäischen Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz zum Tragen, die mit dem Arbeitsschutzgesetz umgesetzt wurde. Ziel ist, nicht nur Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vorzubeugen, sondern darüber hinausgehend die Arbeit gesundheits- und persönlichkeitsfördernd zu gestalten. Die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes zielt daher auch auf die Verminderung von arbeitsbedingtem Stress und psychischen Belastungen. …

Erst kommt die Gefährdungsbeurteilung!

2012-07-15:
BAG, Beschluss vom 8.11.2011, 1 ABR 42/10
Eine Arbeitgeberin wollte verhindern, dass eine Unterweisung ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird. Das gelang ihr. Der Gesamtbetriebsrat verlor, aber das Urteil ist sehr hilfreich für Arbeitnehmervertreter, denn es bedeutet, dass allen Arbeitsschutzmaßnahmen eine Gefährdungsbeurteilung vorauszugehen hat. Die Unterweisung setzt eine Gefährdungsbeurteilung voraus, damit darin die in der Gefährdungsbeurteilung gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigt werden können.
Jetzt führen viele Betriebe ein Gesundheitsmanagement ein und wollen damit auch den Arbeitsschutz rechtssicher machen. Gerne wird noch ein Zertifikat nach OHSAS 18001 besorgt, damit Berufsgenossenschaft und Gewerbeaufsicht milde gestimmt werden. Die Unternehmen zeigen ihre Einführungs-Projekte stolz vor und meinen, das könne bereits als Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und der mit ihm verbundenen Vorschriften dargestellt werden. Solange diesen Maßnahmen aber keine mitbestimmt zustandegekommene Gefährdungsbeurteilung zugrunde liegen, sind das keine legitimen Arbeitsschutzmaßnahmen. Sollte versucht werden, Gesundheitsschutzmaßnahmen im Nachhinein als bereits implementierte Arbeitsschutzmaßnahmen zu darzustellen, müsste wohl auch überprüft werden, ob die Mitbestimmung behindert worden ist.
Ein Auszug aus dem BAG-Beschluss (http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&nr=15760):

16. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Hierzu gehört auch die durch § 12 ArbSchG dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung, die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu unterweisen (BAG 8. Juni 2004 – 1 ABR 13/03 – zu B I 2 b cc der Gründe mwN, BAGE 111, 36). Einigen sich die Betriebsparteien nicht über Art und Inhalt der Unterweisung, hat das die Einigungsstelle zu regeln. Hierbei hat sie die Erkenntnisse einer Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) zu berücksichtigen und die konkrete arbeitsplatz- oder aufgabenbezogene Unterweisung daran auszurichten. Sie kann sich nicht darauf beschränken, allgemeine Bestimmungen über die Unterweisung zu Gefahren am Arbeitsplatz aufzustellen. Dies hat der Senat in einem Parallelverfahren mit denselben Verfahrensbevollmächtigten im Beschluss vom 11. Januar 2011 (- 1 ABR 104/09 – Rn. 17 ff., EzA BetrVG 2001 § 87 Gesundheitsschutz Nr. 5) im Einzelnen begründet. Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Rechtsbeschwerde fest.

Parallelbeschlüsse des 1. Senats des BAG, ebenfalls 2011-01-08: 1 ABR 64/10, 1 ABR 14/11, 1 ABR 49/10, 1 ABR 1/11, 1 ABR 15/11, 1 ABR 13/11, 1 ABR 75/10, 1 ABR 80/10, 1 ABR 8/11
 


2011-04-14:
Anfang dieses Jahres fasste das Bundesarbeitsgericht einen für den Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz wichtigen Beschluss, nach dem die Arbeitnehmervertreter eines Unternehmens in dessen Betrieben Unterweisungen durchsetzen wollten, wie sie im Arbeitsschutz vorgeschrieben sind (§ 12 ArbSchG). Die Arbeitnehmervertreter erklärten (z.B. 3 TaBV 13/10, 4 BV 16/09, ArbG Chemnitz und 9 TaBV 39/10, 1 BV 33/09, ArbG Regensburg):

Ziel der Unterweisung der Beschäftigten ist die Vermittlung von Kenntnissen über Belastungen und Beanspruchungen durch die Arbeit sowie Entlastungsmöglichkeiten, die Vermittlung des ergonomisch richtigen Umgangs mit Arbeitsmitteln, die Gestaltung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung im Sinne der menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Es sollen Grundlagen dafür geschaffen werden, dass die Beschäftigen ihre Beteiligungsrechte und -pflichten nach §§ 15 – 17 ArbSchG wahrnehmen können.

Das ist, was viele arbeitnehmerorientierte Berater heute beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz empfehlen.
Der Forderung der Arbeitnehmervertreter hat das Bundesarbeitsgericht allerdings im Januar auf Betreiben der Arbeitgeberseite widersprochen (Beschluss 1 ABR 104/09, 2011-01-11).
http://www.bundesarbeitsgericht.de/termine/januartermine.html (2011-04-14):

1. O. GmbH & Co. oHG (RAe. CMS Hasche, Siegle, Köln)
2. Betriebsrat der O. GmbH & Co oHG
3. Gesamtbetriebsrat der O. GmbH & Co. oHG
(zu 2) und zu 3) RAe. Bertelsmann und Gäbert, Hamburg) 
– 1 ABR 104/09 –
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle*.
Die Arbeitgeberin befasst sich in mehreren Betrieben mit der Herstellung, dem Einbau und der Wartung von Aufzügen, Fahrtreppen usf. Der Beteiligte zu 2) ist der Betriebsrat für den Betrieb der Region Berlin2/Brandenburg. Für diesen Betrieb wurde eine betriebsverfassungsrechtliche Einigungsstelle eingesetzt. Sie fasste zur “Umsetzung der Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes” am 30. April 2008 einen Spruch über Einzelheiten der in § 12 ArbSchG vorgesehenen Unterweisung der Beschäftigten. Der Beteiligte zu 3) ist der im Unternehmen gebildete Gesamtbetriebsrat.
Die Arbeitgeberin hält den Spruch der Einigungsstelle für unwirksam. Sie ist der Auffassung, für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG sei nicht der örtliche Betriebsrat sondern der Gesamtbetriebsrat zuständig. Überdies könne die Unterweisung der Arbeitnehmer nach § 12 ArbSchG erst geregelt werden, wenn zuvor die in § 5 ArbSchG vorgeschriebene “Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung” stattgefunden habe. Mehrere Bestimmungen des Teilspruchs stellten schließlich eine unzulässige Rahmenregelung dar, durch welche das Mitbestimmungsrecht nicht ausgeübt und der Streit der Beteiligten insoweit nicht beigelegt worden sei. Der Betriebsrat und der Gesamtbetriebsrat sind der Ansicht, der Teilspruch der Einigungsstelle sei rechtswirksam.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm entsprochen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren der Betriebsrat und der Gesamtbetriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.
LAG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 19. Februar 2009 – 1 TaBV 1871/08 –
* Nach § 76 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei Bedarf eine Einigungsstelle zu bilden, die aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern des Arbeitgebers und des Betriebsrats und einem unparteiischen Vorsitzenden besteht. Kommt eine einvernehmliche Regelung nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle durch “Spruch”. Dieser “Spruch” kann vor dem Arbeitsgericht angefochten werden.

Auf dem Weg zum BAG-Beschluss gab es gute und fachkundige Anwälte auf beiden Seiten, und viele Gerichte hatten viel Arbeit. Die Angelegenheit war also ziemlich wichtig.
Inzwischen haben manche Betriebsräte es gelernt, die Gefährdungsbeurteilung als Voraussetzung für verschiedene Prozesse in den Betrieben zu durchzusetzen, aber hier griff nun die Arbeitgeberin diesen Ansatz auf und drehte den Spieß damit um: Ohne Gefährdungsbeurteilung keine Unterweisung. Der Arbeitgeberin war das Ziel der Unterweisung wohl zu breit angelegt. Das BAG stimmte dem im Januar 2011 zu:

Pressemitteilung Nr. 1/11
Unterweisung zum Arbeitsschutz
Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Hierzu gehört auch die durch § 12 ArbSchG dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung, die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu unterweisen. Einigen sich die Betriebsparteien nicht über Art und Inhalt der Unterweisung, hat das die Einigungsstelle zu regeln. Hierbei hat sie die Erkenntnisse einer Gefährdungsanalyse (§ 5 ArbSchG) zu berücksichtigen und die konkrete arbeitsplatz- oder aufgabenbezogene Unterweisung daran auszurichten. Sie kann sich nicht darauf beschränken, allgemeine Bestimmungen über die Unterweisung zu Gefahren am Arbeitsplatz aufzustellen.
Eine zum Regelungsgegenstand „Umsetzung der Anforderungen des Arbeitsschutzes“ eingesetzte Einigungsstelle hatte durch Teilspruch allgemeine Regelungen zur Unterweisung der Beschäftigten über die Belastungen bei der Arbeit, den richtigen Umgang mit Arbeitsmitteln und die Gestaltung der Arbeitsorganisation getroffen. Eine Gefährdungsbeurteilung lag zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht vor. Das hat die Arbeitgeberin beanstandet und den Teilspruch angefochten.
Das Landesarbeitsgericht hat die Unwirksamkeit des Teilspruchs festgestellt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hatte keinen Erfolg. Die Einigungsstelle ist ihrem Regelungsauftrag nicht nachgekommen. Ihr Spruch ist unvollständig. Es fehlte an konkreten Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet waren.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 ABR 104/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Februar 2009
1 TaBV 1871/08

Im Internet gab es dazu viele Kommentare. Mal sah es so aus, als habe die Arbeitgeberin gewonnen, mal wurde ein Sieg der Betriebsräte gesehen. Besonders interessant fand ich einen Eintrag im “Arbeitnehmeranwalt Stühler-Walters Blog“:

… In Zukunft ist also für die Betriebsräte darauf zu achten, dass noch vor Verhandlungen zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes zunächst eine konkrete Gefährdungsanalyse erfolgen muss. Aus meiner Sicht folgt aus dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, dass der Betriebsrat auch bei der Unterweisung mitzubestimmen hat, dass dieser auch bereits bei der Gefährdungsanalyse selber zu beteiligen ist. Erfolgt eine konkrete betriebliche Gefährdungsanalyse nicht, so hat dies zur Folge, dass möglicherweise eine gesamte Betriebsvereinbarung zum Arbeitsschutz unwirksam sein kann.

Noch einige Hinweise:

  • Unterweisung: Vor einer Unterweisung muss klar sein, um welche Gefährdungen in einem Betrieb es konkret geht. Also kommt die Beurteilung vor der Unterweisung. Die von den Arbeitnehmervertretern beabsichtigte Aufklärung macht zwar Sinn, aber diese Grundlagen kann man zum Beispiel sehr gut mit Vorträgen kompetenter Fachleute in Betriebsversammlungen vermitteln. Unterweisungen vor Gefährdungsbeurteilungen werden durch den BAG-Beschluss nicht in Frage gestellt, wenn sie z.B. zur Vorbereitung von Umfragen benötigt werden, auf denen Gefährdungsbeurteilungen dann aufbauen.
  • Konzentration auf das Wesentliche: Betriebsräte, die den Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz voranbringen wollen, müssen sich zunächst mit aller Kraft und all ihren begrenzten Ressourcen auf  ihre Mitbestimmungspflicht (Gestaltungsimperativ) bei der Gefährdungsbeurteilung konzentrieren. Es wäre insbesondere unklug, wenn sich Betriebsräte über die Mitbestimmungsaufgaben hinausgehend  vom Arbeitgeber in die Details eines umfangreichen und komplexen Gesundheitsmanagements einbinden ließen, bevor es eine Beurteilung der betriebsspezifischen Risiken psychischer Fehlbelastungen gibt. Ohne eine solche Beurteilung fehlt dem Arbeitsschutz im Gesundheitsmanagement nämlich genau so die notwendige Grundlage, wie sie der Unterweisung ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung fehlen würde.
  • Zusammenfassung von Arbeitsplätzen: Das BAG verlangt eine konkrete Beurteilung von Arbeitsplätzen im Betrieb. Unternehmen, die bei Gefährdungsbeurteilungen dadurch Kosten sparen wollen, dass sie nur wenige Gruppen von Arbeitsplätzen mit vielen Mitarbeitern pro Gruppe beurteilen, weil aus ihrer Sicht gleichartige Arbeitsbedingungen bestehen (§ 5 Abs. 2 ArbSchG), müssen in den entsprechenden Unterweisungen auch einen größeren Bereich der Thematik der psychisch wirksamen Belastung abdecken. Werden beispielsweise alle “Büroarbeitsplätze” zusammengefasst, muss die Beurteilung den unterschiedlichen Belastungen an diesen Arbeitsplätzen gerecht werden. Der BAG-Beschluss hilft Betriebsräten, den Arbeitgeber dazu anzuregen, bei der Festlegung der “Gleichartigkeit” von Arbeitsplätzen nicht zu weit zu gehen.
  • Gesundheitsmanagement: Ohne Gefährdungsbeurteilung kann ein Unternehmen nicht legitim erklären, dass ein “betriebliches Gesundheitsmanagement” den Arbeitsschutz mit einschlösse. Es scheint gelegentlich so, dass falsch herum begonnen wird: Erst wird mit werbewirksamen Maßnahmen die Kür versucht, dann erst kommt die Pflicht der Gefährdungsbeurteilung, obwohl ohne sie keine Arbeitsschutzmaßnahmen definiert und umgesetzt werden können.
    • Kür: Der Schwerpunkt liegt hier oft bei der Verhaltensprävention. Die Verhältnisprävention ist dagegen Pflicht. Im Rahmen eines umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements können generell Maßnahmen im Bereich der psychischen Belastung und Beanspruchung so definiert und umgesetzt werden, dass ein Unternehmen sogar werbewirksam behaupten kann, dass es “über die gesetzlichen Vorschriften hinaus” ginge.
    • Pflicht: Aber ohne mitbestimmt erstellte Gefährdungsbeurteilungen erfüllen die Maßnahmen des Gesundheitsmanagements die Vorschriften des Arbeitsschutzes (sowie der Bildschirmarbeitsverordnung, der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge, des Sozialgesetzbuches usw.) noch lange nicht! Eine solche Maßnahme ist beispielsweise die Schulung von Führungskräften zum Thema der psychischen Belastung und Beanspruchung. Nach dem BAG-Beschluss ist nun klar, dass solche Schulungen ohne vorhergehende Gefährdungsbeurteilungen die Vorschriften des Arbeitsschutzes nicht erfüllen können.
      Arbeitnehmervertreter müssen darauf achten, dass vor der Verhaltensprävention die vorgeschriebene Verhältnisprävention kommt. Ganz in diesem Sinn ist auch der BAG-Beschluss: Eine korrekte Gefährdungsbeurteilung beschreibt vor der Unterweisung den Zustand der Arbeitsbedingungen. Das hilft zu vermeiden, dass Unterweisungen über den Umgang mit “auffälligen” Mitarbeitern (Verhaltensprävention und -modifikation individueller Mitarbeiter) die eigentlich geforderten Unterweisungen zur Vermeidung (durch Verhältnisprävention) von arbeitsbedingten Fehlbelastungen verdrängen.

Einfach gesagt: In diesem Fall haben die Arbeitnehmervertreter nur insofern “verloren”, als dass einem Einspruch der Arbeitgeber stattgegeben wurde und nun die Arbeitnehmervertreter die Verfahrenskosten tragen müssen. (Ich vermute, dass hier eine Gewerkschaft geholfen hat.) Das war es wert, denn mit dem Beschluss des BAG können innovative Betriebsräte sehr gut leben.
 
Anmerkung: In http://blog.psybel.de/unterweisung/ ist die Qualität der Unterweisung Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung, hier folgt die Gefährdungsbeurteilung also der Unterweisung. Das macht bei einem schon laufenden und zyklischen Arbeitsschutzprozess Sinn. Auch kann es nötig sein, schon vor der Gefährdungsbeurteilung Schulungen durchzuführen, wenn Gegenstand der Schulung die Gestaltung, Durchführung und Zielsetzung der Gefährdungsbeurteilung ist.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/arbeitsschutztraining-von-leitenden-angestellten/

EIBE

http://www.bmas.de/portal/25022/f372__forschungsbericht.html

F 372 Forschungsbericht: Entwicklung und Integration eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (EIBE)
Stand: März 2008
Verfügbarkeit: als PDF verfügbar
Art.-Nr.: FB372
Grafik: Cover des Bericht zur Umsetzung des Projekts EIBE
Ziel: Inhaltliche Ausgestaltung des § 84 Absatz 2 SGB IX bezüglich standardisierter Kriterien eines betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Siehe auch: http://www.bmas.de/portal/2244/2007__07__02__jobbilanz__praes__eibe.html

Verhaltens- und Verhältnisprävention

http://www.leitbegriffe.bzga.de/bot_angebote_idx-90.html:


Verhältnisprävention steht für Strategien, die auf die Kontrolle, Reduzierung oder Beseitigung von Gesundheitsrisiken in den Umwelt- und Lebensbedingungen, auf die Verringerung oder Beseitigung von Krankheits- und Unfallursachen in den allgemeinen Lebens-, Arbeits- und Umweltverhältnissen bzw. auf die Herstellung gesunder Verhältnisse abzielen. Es gibt viele klassische Felder der Verhältnisprävention, zum Beispiel

  • die Veränderung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben (Arbeitsschutz, Humanisierung der Arbeit, Betriebliche Gesundheitsförderung),
  • die kommunalen Aktivitäten zur Verbesserung der öffentlichen hygienischen, Wohn-, Verkehrs- und allgemeinen Sicherheitsbedingungen (Bäderaufsicht, Kanalisation),
  • die überregionalen, nationalen und internationalen Aktivitäten im Bereich der Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Steuer-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Städtebau-, Verkehrs-, Umwelt- und Verbraucherpolitik bzw. des Gesundheits-, Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzes.


Verhaltensprävention ist ein Sammelbegriff für Strategien, die die Beeinflussung von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen beinhalten. Verhaltensprävention kann abzielen auf

  • die Initiierung und Stabilisierung von gesundheitsfördernden Verhaltensweisen (gesunde Ernährung, körperliche Bewegung, safer sex) oder
  • die Vermeidung und Veränderung von gesundheitsriskanten Verhaltensweisen (Rauchen, Alkoholmissbrauch, falsche Ernährung).

(Absätze über Verhaltens- und Verhältnisprävention in diesem Zitat w.g. Reihenfolge im folgenden Zitat vertauscht)
 
http://www.sifawiki.de/index.php?title=Gesundheitsschutz:


Verhältnisprävention
Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen ist Grundlage für die gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitsplätze und Arbeitsabläufe. Das Arbeitsschutzgesetz verlangt, dass Belastungen etwa durch Gefahrstoffe, Lärm aber auch durch mögliche psychische Überlastung in einer Gefährdungsbeurteilung identifiziert werden. Mit geeigneten Maßnahmen müssen Gefährdungen verringert oder ganz beseitigt werden. Für die Maßnahmen ist im Arbeitsschutzgesetz eine Wirksamkeitskontrolle vorgeschrieben. Ergonomische Faktoren wie Beleuchtung, Raumklima oder Arbeitsplatzmaße können optimiert werden.
Verhältnisprävention bedeutet das Verändern der Umgebung, um damit sowohl die physische wie auch die psychische Integrität der Mitarbeiter zu sichern. Zum Beispiel kann die Arbeit so gestaltet werden, dass der Arbeitende mehr Handlungsspielraum hat und damit seine Tätigkeit selbständiger gestalten kann. Mehr Arbeitszufriedenheit kann Stress, Depressionen oder anderen Beschwerden vorbeugen.
Verhaltensprävention
Die Information über Gesundheitsgefahren und das Einüben gesundheitsgerechten Verhaltens gehören ebenfalls zu den betriebsärztlichen Aufgaben. So sehen etwa die Gefahrstoffverordnung und die Biostoffverordnung verbindlich die Aufklärung und Beratung der Beschäftigten durch den Betriebsarzt vor.
Beispiele für weitere Maßnahmen der Verhaltensprävention sind etwa Trainings für richtiges Sitzen, richtiges Tragen (Rückenschule), ein Hautschutzplan oder richtiges Verhalten im Straßenverkehr (Wegeunfall). An Bedeutung gewinnen auch Angebote zur Stress-Bewältigung und zum Umgang mit Mobbing. Ebenso dazu gehören der aktive Nichtraucherschutz und Angebote zur Rauchentwöhnung.

 
Freistaat Sachsen: Psychische Fehlbelastungen in der Arbeitswelt vermeiden, 2007, S. 12
http://www.arbeitsschutz-sachsen.de/publications/broschueren/psycho.pdf

  1. Verhältnispräventive Maßnahmen: Eine nachhaltige Verbesserung der psychischen Gesundheit Ihrer Mitarbeiter setzt die Gestaltung der Arbeitsbedingungen voraus.
    • Beteiligen Sie Ihre Mitarbeiter von Anfang an! Als Experten in eigener Sache sind sie die wichtigsten Ratgeber.
    • Gemeinsam entwickelte Lösungen erhöhen zudem die Akzeptanz der Maßnahmen und Motivation der Beschäftigten.
  2. Verhaltenspräventive Maßnahmen: Maßnahmen, die das gesundheitsgerechte Verhalten der Mitarbeiter stärken, dienen als sinnvolle Ergänzung.

 
http://blog.psybel.de/2011/02/14/wie-die-aufsicht-prueft/#lv52, LV 52, 2009,
aus “Anhang 6 GB-Check Prozessqualität – Arbeitshilfe Interviewleitfaden zur Bewertung des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung”, S. 27:

Maßnahmenfestlegung: Bei psychischen Fehlbelastungen wurden Maßnahmen festgelegt.

  • Vorrang Verhältnisprävention vor Verhaltensprävention eingehalten?

 
PS: Danke für die Blumen 🙂

Arbeitsschutzanerkennung für Hamburger Betriebe

http://www.hamburg.de/aufsichtskonzept/57382/start-liste-alle-gruppe1.html

Das Amt für Arbeitsschutz überprüft im Rahmen des “Hamburger Arbeitsschutzmodells ABS – Aufsicht, Beratung, Systemüberwachung” die Arbeitsschutzsysteme der Hamburger Betriebe und hat bereits die folgenden Betriebe in die höchste Kategorie eingestuft: Betriebe mit einem vorbildlichen Arbeitsschutzsystem. …

Neuer Link: http://www.hamburg.de/ausgezeichnete-betriebe/

Konferenz über Arbeitnehmer ohne Arbeitnehmervertreter?

http://bmg.bund.de/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung/seelische-gesundheit/gesundheit-und-wohlbefinden-am-arbeitsplatz.html
Aus dem Hintergrundpapier zur EU-Konferenz “Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz” am 3. März 2011:

Bei der Organisation ansetzende Aktivitäten sind erforderlich, um Gesundheitsrisiken besser bestimmen und in bestimmte Maßnahmen invertieren zu können, z.B. in eine Verbesserung der Arbeitsplatzkultur und der Kommunikation sowie Möglichkeiten für Rückmeldungen, eine bessere Mitarbeiterführung, leichter zu bewältigende Arbeitslast, flexiblere Arbeitsregelungen und Aufstiegsmöglichkeiten.
Solche Maßnahmen können auch auf Einzelpersonen ausgerichtet sein, um die Belastbarkeit und Fähigkeit zur Bewältigung stressiger Siruationen zu stärken. Auch Mitarbeiter müssen Verantwortung für den Erhalt ihrer Gesundheit übernehmen. Sie können mit den Arbeitgebern bei der Entwicklung eines für die psychische Gesundheit förderlichen Arbeitsumfeldes partnerschaftlich zusammenarbeiten.

Das Agenda-Setting der Wirtschaftsverbände funktioniert. Der Trick ist, das Richtige zu sagen, dabei aber die Prioritäten zu verschieben. Im Arbeitsschutz haben an der Einzelperson ansetzende Maßnahmen die niedrigste Priorität. Die Verantwortung liegt beim Arbeitgeber. Klar sichtbar ist heute aber, dass Arbeitgeber sich schlicht nicht an die Arbeitsschutzvorschriften halten. Anstelle hier anzusetzen, fällt das Ministerium den Aufsichtsbehörden in den Rücken, die es ohnehin schon schwer haben, den Arbeitgebern den Vorrang der Verhältnisprävention vor der Verhaltensprävention klarzumachen.
Geradezu eine Frechheit ist es, wenn das BMG Mitarbeiter auffordert, Verantwortung für den Erhalt ihrer Gesundheit zu übernehmen, indem sie mit den Arbeitgebern bei der Entwicklung eines für die psychische Gesundheit förderlichen Arbeitsumfeldes partnerschaftlich zusammenarbeiten. Die Mitarbeiter (Betriebsräte, Personalräte, Gewerkschaften) sind hier schon seit langem die treibende Kraft und brauchen keine Ratschläge von ihnen hinterherhinkenden Ministerien, die duldend zusehen, wie die Schutzrechte der Arbeitnehmer missachtet werden. Der Minister hat außerdem möglicherweise Schwierigkeiten, das Wort “Mitbestimmung” zu benutzen. Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht für BAuA/GRAziL) sehen immer noch so aus:

  1. Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
  2. Geringe Handlungskompetenz: Weder bei betrieblichen noch bei überbetrieblichen Arbeitsschutzakteuren ist in der Breite eine ausreichende Kompetenz zum Umgang mit dem Thema “Psychische Belastungen” vorhanden.
  3. Schwierige Kooperation: Von Betriebsrat, Arbeitgeber und betrieblichen Arbeitsschutzakteuren bei der GB zu psychischen Belastungen bzw. unzureichende Abstimmung der Akteure untereinander.

Mehr dazu: http://blog.psybel.de/2011/02/03/ganzheitlicher-arbeitsschutz-nur-bei-16prozent-der-betriebe/
Aus der Pressemeldung: Dem Teilnehmerkreis gehören u.a. Regierungsvertreter, Unternehmensvertreter, Verbände der Sozialpartner und Institutionen der sozialen Sicherheit an. Ist “Gewerkschaften” jetzt ein Unwort? Wird hier über Arbeitnehmer gesprochen, anstatt mit ihnen zu sprechen?

Arbeitsschutz ist ein vorgeschriebenes Element der betrieblichen Gesundheitsförderung

Zum Netzwerk Unternehmensnetzwerk zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in der Europäischen Union e.V. gibt es eine Broschüre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit dem Titel: Unternehmen unternehmen Gesundheit. Darin geht es um betriebliche Gesundheitsförderung (BGF; auch betriebliches Gesundgeitsmanagement, BGM) und unter Anderem auch um die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen.
Eine Vorbemerkung: Die große Mehrheit der Unternehmen hält es nicht für erforderlich, in der vorgeschriebenen Weise psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in die Beurteilung der von Arbeitsplätzen ausgehenden Gefährdungsrisiken einzubeziehen. Die in einem Rechtsstaat naheliegende Maßnahme zur Verringerung psychisch wirksamer Fehlbelastungen bestünde also konsequenterweise darin, die seit 1996 bestehenden Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes auch wirklich durchzusetzen, denn das Verbesserungspotential ist riesig. Erstaunlicherweise gibt das Ministerium hier aber wenig Anregungen. Es müsste deswegen geprüft werden, inwieweit bei der Erstellung der Broschüre Vertreter der Unternehmen mitgewirkt haben, die es selber nicht für erforderlich halten, sich nach dem Arbeitsschutzgesetz und den Betriebsverfassungsgesetz zu richten. Die Toleranz der Politiker gegenüber Schutzrechte missachtenden Unternehmen muss schon seit vielen Jahren recht groß sein, denn sie sorgen seit 1996 nicht dafür, dass die Gewerbeaufsichten die Unternehmen ausreichend proaktiv und sorgfältig kontrollieren können. Angesichts der Offensichtlichkeit und der Nachhaltigkeit der tolerierten Missachtungen ist es direkt anstrengend, die Untätigkeit der Politik für einen Zufall zu halten.
Nun zur Broschüre selbst: Im Vorwort von Unternehmen unternehmen Gesundheit schreibt Dr. Philipp Rösler (Bundesgesundheitsminister):

Denn wenn die körperliche und psychische Arbeitsbelastung, Krankheits- und Burn-out-Quoten sinken und gleichzeitig die Motivation, die Leistungsfähigkeit und die Kreativität der Belegschaft steigen, profitieren alle im Unternehmen davon.

Das klingt gut, zeigt aber auch den populärpsychologischen Ansatz der Broschüre, denn auch zu wenig Arbeitsbelastung kann eine Fehlbelastung sein. Die Aufgabe der Arbeitgeber besteht nämlich nicht im Senken von psychischen Belastungen, sondern die Arbeitgeber haben psychische Fehlbelastungen zu beseitigen oder zu mindern. Arbeitnehmer brauchen Belastungen, denn für den Umgang damit werden sie bezahlt. Nicht bezahlt werden sie für Fehlbelastungen.
Was sind nun Fehlbelastungen? In Betrieben mit Arbeitnehmervertretungen (Betriebsräte, Personalräte) vereinbaren diese Vertretungen mit dem Arbeitgeber, was in einem gegebenen Betrieb Fehlbelastungen sind. Die Arbeitnehmer werden hier nicht entgegenkommenderweise einbezogen, sondern sie bestimmen mit. Der Minister hat möglicherweise Hemmungen, das zu verdeutlichen. Das ist problematisch, denn Mitbestimmung ist eine kennzeichnende Voraussetzung für innerbetrieblich vereinbarte Kriterien und Prozesse des Arbeitsschutzes.
Ganz ordentlich aber klärt das BMG die “gesetzlichen Regelungen”:

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) sind für Arbeitgeber verpflichtend geregelt:

  • Als Arbeitgeber tragen Sie die Hauptverantwortung für die Überprüfung, Umsetzung und Verbesserung aller erforderlichen Maßnahmen zum Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz (ArbSchG, ASiG).
  • Zudem sind Sie als Arbeitgeber seit 2004 (laut § 84 Abs. 2 SGB IX) gesetzlich dazu verpflichtet, unabhängig von der Betriebsgröße, Maßnahmen des BEM durchzuführen, wenn ein Beschäftigter mehr als 42 Tage innerhalb von 12 Monaten arbeitsunfähig ist. Dies gilt sowohl für länger andauernde Arbeitsunfähigkeit als auch für viele aufeinanderfolgende Kurzzeiterkrankungen.

Die betriebliche Gesundheitsförderung ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Allerdings ist sie für die Krankenkassen verpflichtend geregelt:

  • Gemäß § 20a SGB V sind die Krankenkassen verpflichtet, Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu erbringen.
  • Gemäß § 65a Absatz 2 SGB V kann die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, dass bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sowohl der Arbeitgeber als auch die teilnehmenden Versicherten einen Bonus erhalten.

Im Zusammenhang mit anderen Ausführungen in der Broschüre entsteht allerdings dann doch Verwirrung, denn auf der Seite vor dieser Erklärung der gesetzlichen Regeln schreibt das Ministerium:

Die betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention), und Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention). Oftmals ist eine klare Trennung in der Praxis nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da die Bereiche sich gegenseitig beeinflussen. So verursachen z. B. Über- und Unterforderung von Beschäftigten Stress und Demotivation. Um diese Auswirkungen zu vermeiden, sind neben Kursen zur Stressbewältigung auch Änderungen der Arbeitsbedingungen notwendig. Nachfolgend sind mögliche Maßnahmen beispielhaft dargestellt.

“Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention)” sind vorgeschriebene Arbeitsschutzmaßnahmen. (Die Analyse ist übrigens nur ein kleiner Teil der Maßnahmen der Verhältnisprävention! Vergessen hat das BMG die Maßnahmenfestlegung, die Implementierung der Maßnahmen, die Wirksamkeitskontrolle der Implementierung sowie die all das begleitende Dokumentation und Unterweisung.) Wenn also Arbeitsschutz Teil der BGF ist, dann ist die BGF eben nicht in allen Teilen “freiwillig”. Und Verhältnisprävention geschieht nicht “neben” Verhaltensprävention, sondern im Arbeitsschutz hat Verhältnisprävention ganz klar Vorrang vor der Verhaltensprävention. Es ist verwunderlich, dass das ausgerechnet in einem Bundesministerium nicht verstanden wird.
Außerdem ist es mit “Kursen zur Stressbewältigung” ganz sicher nicht getan. Das Ministerium weiß das anscheinend auch nicht. Die vorgeschriebenen Unterweisungen gehen viel weiter. Dass die Broschüre das nicht darzustellen vermag, legt ebenfalls die Vermutung nahe, dass die Broschüre des BMG mit nicht unwesentlicher Hilfe der Arbeitgeber erstellt wurde.
Gelegentlich ist die Ansprache “persönlicher Probleme” von Mitarbeitern auch ein Mittel von Arbeitgebern, die “Ursachen” der “Auffälligkeit” des Verhaltens von Mitarbeitern bei diesen zu verorten und eine mitbestimmte Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu vermeiden. Das war schon immer der leichteste Weg für diese Sorte von Arbeitgebern, denn damit entlasten sie sich  und halten die Mitarbeiter gleichzeitig davon ab, Probleme offen anzusprechen. Genau aus diesem Grund konzentriert sich der Arbeitsschutz auf die Verhältnisprävention. Das ist einer der vom Bundesgesundheitsministerium nicht verstandenen Gründe für die Trennung von Verhältnisprävention und Verhaltensprävention. Die Gerichte dagegen verstehen diese Gründe. Betriebsräte haben hier die wichtige Aufgabe, diese Trennung im Sinn des Arbeitsschutzes zu verteidigen.
Wird aus den Fehlern und den Schwerpunkktsetzungen des BGM bei der Darstellung der Sachverhalte ein Desinteresse des BGM am Arbeitschutz und an der Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer deutlich? Es muss auch die Möglichkeit erwogen werden, dass die Broschüre von den Arbeitgebern selbst geschrieben wurde: In der Broschüre wird die Mitbestimmung ignoriert. Auch die Priorität der Verhältnisprävention (gegenüber der Verhaltensprävention) im Arbeitsschutz und die Tatsache, dass ein Großteil der Betriebe seit vielen Jahren versäumt hat, psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen. Der Minister und Arzt sieht zu, wie Arbeitgeber den Arbeitnehmern ihre Schutzrechte seit 1996 verweigern. Was er dagegen tun könnte, tut er nicht.
Arbeitgeber lenken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit  auf ihre freiwilligen Leistungen im “betrieblichen Gesundheitsmanagement” (BGM) bzw. in der “betrieblichen Gesundheitsförderung”. Das ist werbewirksamer als die Befolgung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes, deren Initiator dann in vielen Fällen auch noch die Arbeitnehmervertretung des Unternehmens ist. Betriebsräte können das Interesse der Unternehmen an einer werbewirksamen BGF aber durchaus nutzen: Wie glaubwürdig betriebliche Gesundheitsförderung ist, kann mit einer einfachen Frage an Unternehmen, die mit ihrer BGF werben, überprüft werden: “Ist der Einbezug psychische wirksamer Belastungen in arbeitsschutzrechtlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen bei Ihnen mit einer Betriebsvereinbarung geregelt worden?”
Für Betriebsräte nutzbar ist zum Beispiel auch der Qualitätsfragebogen zum betrieblichen Gesundheitsmanagememt (PDF, 189 KB). Fragen 3b und 3c:

Basieren die Maßnahmen zur BGF auf einer sorgfältigen und regelmäßig aktualisierten Ist-Analyse, die sich auf wichtige gesundheitsrelevante Informationen stützt: Arbeitsbelastungen, Gesundheitsindikatoren, subjektiv wahrgenommene Beschwerden, Risikofaktoren, Unfallgeschehen, Berufskrankheiten, krankheitsbedingte Fehlzeiten, Erwartungen aller betrieblichen Akteure, insbesondere der Beschäftigten? Sind alle Mitarbeiter durch geeignete Mittel der internen Öffentlichkeitsarbeit über die Vorhaben im Bereich BGF informiert?

Das geht ein bisschen in Richtung Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung. Arbeitgeber werden diesen Fragebogen zur Selbstbewertung der Qualität der BGF akzeptieren. Damit ist schon einmal ein Mindeststandard gesetzt. Um mit dem Fragebogen umgehen zu können, müssen Betriebsräte allerdings auch wissen, was ihm noch fehlt.
Wenn Arbeitsschutz ein Teil des BGM und/oder der BGF ist, dann ist der Arbeitsschutz zunächst die Pflicht. Der Rest ist Kür. Die Aufgabe der Betriebsräte wird sein, dafür zu sorgen, dass die Pflicht erledigt ist, bevor der Arbeitgeber zur werbewirksamen Kür schreitet.
 
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2011/05/13/unerhoert/ (2011-05-13)

Politik der unterbesetzten Aufsichtsbehörden

Aus der Südeutschen Zeitung von heute:

Laxe Steuerprüfung —Millionäre bevorzugt
Was für ein Leben: viel Geld verdienen, eine Villa am See besitzen – und die Gewissheit haben, dass das Finanzamt nur selten vorbeikommt. Nach Ansicht der Grünen reduzieren viele Bundesländer absichtlich die Zahl der Steuerprüfungen. Von C. Hulverscheidt

Finanzamt – Wenn der Steuerprüfer gar nicht klingelt
Steuererklärung – Steuerschummeln? Darauf achten Finanzbeamte

Bei der Gewerbeaufsicht sieht es nicht besser aus, als bei der Steuerprüfung. Dass seit 15 Jahren mehr als 80% der Unternehmen immer noch Gefährdungsbeurteilungen ohne Einbezug psychisch wirksamer Belastungen anfertigen dürfen, kann kein Zufall mehr sein. Auf einer Tagung meinte einmal eine Psychologin (die für eine Organisation im Bereich der Arbeitssicherheit Unternehmen beobachtet) zu mir, dass sie erst tätig werden dürfe, “wenn in einem Unternehmen Zustände herrschen wie bei France Télécom“. Fachkräfte, die direkt Aufdicht ausüben, möchten ihre Arbeit durchaus tun. Aber ist ihnen das auch politisch erlaubt?
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2010/11/22/mentale-belastung-am-arbeitsplatz/

Gefährdungen und deren Beurteilung

In dem hier thematisierten Beschluss des BAG geht es um die Mitbestimmung zur “Gefährdungsbeurteilung im Sinne von § 5 ArbSchG und § 3 BildscharbV”.

§ 3 Beurteilung der Arbeitsbedingungen:
Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber bei Bildschirmarbeitsplätzen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich einer möglichen Gefährdung des Sehvermögens sowie körperlicher Probleme und psychischer Belastungen zu ermitteln und zu beurteilen. 

Es geht also auch um den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz.
[Anmerkung (2016-01-12): Inzwischen wurde das Arbeitsschutzgesetz so überarbeitet, dass eine sich aus dem Arbeitsschutz ergebende Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht mehr abgestritten werden kann. Im Jahr 2004 diente die BildscharbV noch einigen Betriebsräten als Hebel, da viele Arbeitgeber das Arbeitsschutzgesetz falsch “verstanden”. Die Inhalte der BildscharbV wurden inzwischen in die ArbStättV übernommen.]
Sind psychische Belastungen ein Thema des Arbeitsschutzes?
Schon aus dem hier beschriebenen Beschluss des BAG wird deutlich, dass das seit 1997 geltende Arbeitsschutzgesetz die Arbeitgeber zu Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz verpflichtet. Und das Bundesarbeitsministerium bestätigte im Jahr 2009, dass das Thema der psychischen Belastungen unabdingbarer Bestandteil des Arbeitsschutzes ist. Damit sind psychische Belastungen eine der Gefährdungskategorien des Arbeitsschutzes. Die Arbeitgeber sind seit 1996 verpflichtet, psychische Belastungen zu beurteilen und psychische Fehlbelastungen zu mindern. Die Mehrheit der Unternehmen ignoriert diese Pflicht. Das ist möglich, weil sie nicht ernsthaft beaufsichtigt werden.
Wann tritt eine Gefährdung am Arbeitsplatz ein?
„Eine Gefährdung, die gemäß § 4 Nr. 1 ArbSchG vermieden werden soll, tritt bereits dann
ein, wenn die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beinträchtigung
ohne bestimmte Anforderungen an deren Ausmaß oder deren Eintrittswahrscheinlichkeit
besteht.“
(Bundestagsdrucksache zur Begründung zu § 4 des ArbSchG)
Was hat das Bundesarbeitsgericht am 8.6.2004 entschieden?
Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) aus Sicht des BAG:
Am 8.6.2004 konkretisierte das Bundesarbeitsgericht die Anforderungen an die
Gefährdungsbeurteilung, wie sie im Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben ist:

  • „Das Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung setzt nicht voraus, dass eine
    konkrete Gesundheitsgefahr bereits hinreichend bestimmbar wäre.“
  • „Zwar wird durch diese Beurteilung selbst die Arbeit noch nicht so gestaltet, dass
    Gesundheitsgefahren verhütet werden. Es werden vielmehr erste Gefährdungen
    ermittelt, denen ggf. durch entsprechende Maßahmen zu entgegnen ist.“
  • „… diese Beurteilung [ist] je nach Art der Tätigkeit vorzunehmen …“
    „Damit stellt sich bei der Gefährdungsbeurteilung zumindest die Frage, 

    • welche Tätigkeiten beurteilt werden sollen,
    • worin die mögliche Gefahr bei der Arbeit besteht,
    • woraus sie sich ergibt und
    • mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen
      Gefährdungsbeurteilung festgestellt werden soll.“
  • Den Spruch einer Einigungsstelle rügt das BAG, weil er:
    „keine konkrete Regelung darüber [enthält], welche Arbeitsplätze auf welche möglichen
    Gefährdungsursachen hin untersucht werden sollen…“
    Es ist festzulegen
    „welche möglichen Belastungsfaktoren an welchen Arbeitsplätzen überprüft werden
    sollen“ und „an 

    • welchen Arbeitsplätzen
    • welche Gefährdungsursachen
    • anhand welcher Kriterien

    zu beurteilen sind.“

  • Der seit 1996 erweiterte Gestaltungspielraum des Arbeitgebers
    begründet das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, und zwar gerade weil es für diesen Gestaltungsspielraum keine engen Vorgaben gibt. Das Mitbestimmungsrecht muss aber auch genutzt werden:
    „Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv
    besteht und wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen
    verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes
    zu erreichen.“
  • Der Betriebsrat hat mitzubestimmen, es besteht also eine unabdingbare Mitbestimmungspflicht!
    § 5 ArbSchG und § 3 Bildschirmarbeitsverordnung sind ausfüllungsbedürftige
    Rahmenvorschriften. Sie enthalten keine zwingenden Vorgaben, wie die
    Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist. Vielmehr lassen sie dem Arbeitgeber
    Handlungsspielräume bei der Umsetzung. … Hierbei hat der Betriebsrat nach § 87 Abs.
    1 Nr. 7 BetrVG
    mitzubestimmen.“


  1. Jens Gäbert, Mitbestimmung im Gesundheitsschutz, 2008
  2. BAG, 2004-06-08: Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 und AZ 1 ABR 13/03
    Siehe auch: http://blog.psybel.de/gefaehrdungsbeurteilung-und-unterweisung/
  3. Bundestagsdrucksachen zum Vorgang Nr. 13020347 der 13. Wahlperiode,
    „Gesetz zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien“


Siehe auch: