Suizid als Arbeitsunfall?

http://www.faz.net/artikel/C30513/psychischer-druck-von-selbstmord-erschuettert-30097234.html (Suizid als Arbeitsunfall?, 2007-10-18)

… Wenn der schlimmste Fall eingetreten ist, wollen die Ehepartner und Kinder versorgt werden. Doch fällt es ihnen oft schwer, eine Anspruchsgrundlage zu finden und ihre Voraussetzungen vor Gericht zu beweisen. “Der Suizid eines Arbeitnehmers könnte als Arbeitsunfall gewertet werden”, sagt Gerhard Röder, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart. … Die Kläger müssten darlegen, sagt Röder, dass die Ursache für das Unglück eine zugespitzte betriebliche Situation war, die dem Verstorbenen einen plötzlichen schweren Schock oder ein psychisches Trauma zugefügt hat. “Es reicht in der Regel nicht, dass sich eine Krise langsam und stetig aufgebaut hat”, betont der Anwalt. … Liege ein solcher Arbeitsunfall nicht vor, könne ein Unternehmen wegen Verletzung der allgemeinen Fürsorgepflicht oder des Arbeitsschutzrechtes haften, sagt Röder. …

Heute, am Welt-Suizid-Präventionstag, wird es wieder ernst. Arbeitsbelastung ist nicht die Hauptursache für Selbsttötungen. Es geht generell um den Umgang miteinander.
Auch in diesem Jahr nahmen sich bekannte Persönlichkeiten das Leben, die vermeintlich keine Sorgen haben müssten. Vielleicht sollten wir uns unsere wirklichen Sorgen einmal genauer ansehen. Das hilft.
Suizide können nur in seltenen Fällen als Arbeitsunfall auf die Arbeitsbedingungen in einem Betrieb zurückgeführt werden. Für den extremen Schritt zur Selbsttötung kann zwar niemals ausschließlich der Arbeitgeber verantwortlich gemacht werden, aber zu welchem Grad Arbeitsbedingungen Anteil an den Gründen für eine Selbsttötung haben, wird nach einem Suizid kaum wirklich ergebnisoffen untersucht. Selbst Arbeitnehmervertretungen haben hier Angst.
Hier muss sich etwas ändern. Richter müssten schon den fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz als ein Indiz für eine Mitschuld des Arbeitgebers werten dürfen. Derzeit hilft es Arbeitgebern sogar, vorschriftenwidrig die Beurteilung psychischer Belastungen zu vermeiden, denn das vermeidet auch eine Dokumentation, aus der Hinterbliebene Beweise gewinnen könnten.
Übrigens, um Selbsttötung geht es auch in “Eine Sitte auf der Insel Kreos” in den Essais von Michel de Montaigne. Das ist sehr lesenswert (auf Deutsch z.B. in Reclam 8308), muss aber im Zusammenhang mit den Wertvorstellungen im Frankreich des 16. Jahrhunderts gesehen werden. Aus heutiger Sicht ist das Kapitel eigentlich haarsträubend. Die Wechselwirkung zwischen sich selbst tötenden Menschen und ihren Mitmenschen als Ursache von Suizid ist aber bis heute geblieben. An dieser Wechselwirkung können wir aber auch immer wieder ansetzen. Schließlich ist sie ja der Grund dafür, dass wir Selbsttötungen nicht hinnehmen wollen.

Wie arbeitsbedingten Depressionen vorbeugen?

http://www.sifatipp.de/fachwissen/fachartikel/arbeitsschutzmanagement/wie-arbeitsbedingten-depressionen-und-suiziden-vorbeugen/ (2009-11-18)

Die durch schwer belastende Arbeitsbedingungen verursachten Suizide in Frankreich machen Schlagzeilen – und das nicht erst seit der jüngsten Krise. In Japan hat das traurige Phänomen schon seit den 80er Jahren einen eigenen Namen: Karojisatsu, übersetzt: Suizid als Folge von Depressionen durch Überarbeitung und Stress. …

Trotz allen Verantwortungsgedöns ist Deutschland hinter Frankreich, Großbritannien und Japan zurückgeblieben:

… Die Haftungsfrage
Anders als in Frankreich oder Großbritannien [oder Japan] werden arbeitsbedingte Suizide in Deutschland (noch) nicht statistisch erfasst. Das heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Für Angehörige ist die Frage nach der Ursache auch eine wichtige Haftungsfrage. Wird ein Suizid wie ein Tod durch einen Arbeitsunfall anerkannt, bestehen auch entsprechende Versorgungsansprüche. Auch wenn dieser Nachweis äußerst schwierig ist, haben in der Vergangenheit deutsche Gerichte den klagenden Angehörigen in einigen Einzelfällen Recht gegeben und Versorgungsansprüche gesichert. …

(Anmerkung in eckigen Klammern nachträglich eingefügt)
Siehe auch: Jan von Trotha: Stress am Arbeitsplatz – Haftung des Arbeitgebers auf Schadensersatz für hieraus resultierende Gesundheitsschäden?, 2009, ISBN 978-3-428-13105-1

Es muss erst viele Tote geben, bis wir aufwachen

“Ich sehe keinen Handlungsbedarf” ist eine beliebte Phrase von Wegsehern. Es fehlt oft das für das Erkennen von Handlungsbedarf notwendige Wissen. Fukushima war wohl eines der krassesten Beispiele für Unwissenheit und Hilflosigkeit im Umgang mit Risiken. Hier hatten sich die Verantwortlichen ihre Unwissenheit hart erarbeitet und auch ihre Hilflosigkeit hatten sie erfolgreich erlernt, aber manchmal lässt sich das Hinsehen lästigerweise nicht mehr vermeiden, wie ein anderes Beispiel zeigt:
http://www.tagesschau.de/inland/eheciv100.html, Es muss erst viele Tote geben, bis wir aufwachen, 2011-06-06:

tagesschau.de: Sie warnten schon 1998, dass Deutschland das EHEC-Risiko unterschätzt. Was ist das eigentlich für ein Gefühl, so spät Recht zu bekommen?
[Klaus] Weidmann: Das ist schlimm und ärgerlich! Ich habe nicht gedacht, dass das hier mal soweit kommen könnte. Das macht mich wütend. Es ist ärgerlich, dass so viele Tage vergangen sind, bis man aufwacht, um nachzudenken: Wie wollen wir die Labore ausstatten? Wer ist eigentlich verantwortlich? Wie ist das mit der Meldepflicht? Wer organisiert die Aufklärung der Bevölkerung? Das Meiste wurde in all den Jahren versäumt.

Beim Einbezug psychischer Belastungen werden die Folgen ebenfalls seit langer Zeit ignoriert. Die Todesursachen in diesem Bereich sind allerdings nicht so leicht identifizierbar, wie bei EHEC. Auf einer Tagung meinte einmal eine Psychologin (die für eine Organisation im Bereich der Arbeitssicherheit Unternehmen beobachtet) zu mir, dass sie erst tätig werden dürfe, “wenn in einem Unternehmen Zustände herrschen wie bei France Télécom”.
Die von tagesschau.de geklaute Überschrift “Es muss erst viele Tote geben, bis wir aufwachen” klingt vielleicht ein bisschen hysterisch. Aber ich könnte mir vorstellen, dass schon in Deutschland mehr Menschen an Karōshi sterben, als an EHEC. Aber Karōshi fällt weniger auf und die Ursachenkette ist weniger klar. Auch hat die Aufmerksamkeit für die verschiedenen von Menschen verursachten Todesursachen mehr mit deren Wahrnehmbarkeit als mit deren Bedeutung zu tun.
Auch ist gerne die Wirkungskette umstritten. So eindeutig wie bei biologischen Belastungen (bei EHEC) oder physikalischen Belastungen (bei Super-GAUs) werden sich Erkrankungen nur in ganz seltenen Fällen so eindeutig auf psychische Fehlbelastungen zurückführen lassen, dass für ihre Verantwortung hochbezahlte Führungskräfte für Schäden verantwortlich gemacht werden können, die sie ihren Mitarbeitern zufügten. Dazu ist nichteinmal Vorsatz nötig. Desinteresse reicht schon.
Bis 1996 waren Unternehmen hier weitgehend sicher vor Haftungsansprüchen, weil die notwendigen Gesetze fehlten.
Nach 1996 sind Unternehmen hier weitgehend sicher vor Haftungsansprüchen, weil die notwendigen Gesetze missachtet werden dürfen.
Tote helfen manchmal, “Handlungsbedarf” zwangsweise erkennen zu müssen. Am Arbeitsplatz psychoreaktiv verursachte Erkrankungen werden aber nie “genügend” Tote liefern, es sind die (bisher noch nicht auf die Opfer abwälzbaren) Kosten, die die Kassen ein bisschen aufgeweckt haben. Der nur in den seltensten Fällen mögliche Beweis, dass eine psychische Fehlbelastung eine Erkrankung verursacht hat, bekam Konkurrenz: Die Unternehmen wurden gezwungen, hinzusehen, wo sie wegen der daraus entstehenden Haftungsgründe nicht hinsehen wollen. Jetzt kann das Hinsehen (oder das Wegsehen) gemessen werden.
Der Zwang ist jedoch sehr sanft: Wer (wie die große Mehrheit der Unternehmen) psychische wirksame Belastungen seit 1996 nicht mitbestimmt in den ganzheitlichen Arbeitsschutz einbezieht, begeht nur eine Ordnungswiedrigkeit (Straftat nur bei wiederholtem Verstoß und bei Behinderung des Betriebsrates). Dieses Risiko scheint jedoch geringer zu sein, als in Gefährdungsbeurteilungen bisher ignorierbare Fehlbelastungen zu dokumentieren, und dadurch Haftungen zu riskieren, denen Unternehmer bisher ausweichen konnten. (Dreiste Hintergrundmusik dazu: Appelle an die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter.)
Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
Gewerkschaften, Betriebsräte (und gelegentlich auch Arbeitsschutzbehörden) können Lebensqualität retten, vielleicht sogar Leben.

France Télécom

http://www.ftd.de/it-medien/it-telekommunikation/:verbrennung-auf-dem-firmenparkplatz-neuer-selbstmord-erschuettert-france-telecom/60043977.html:

Verbrennung auf dem Firmenparkplatz: Neuer Selbstmord erschüttert France Télécom
Unter dem jetzigen Chef Stéphane Richard beruhigte sich die Lage, die Selbstmordserie verschwand aus den Schlagzeilen. Nun aber gibt es einen weiteren traurigen Fall: Ein 57-jähriger Mitarbeiter von France Télécom verbrannte sich auf einem Parkplatz. …

(Link nachträglich eingetragen)

Umsetzung der Mitbestimmung und Arbeitsschutz als Prozess

http://www.buero-fuer-arbeitsschutz.de/archiv/ft/2011_sem4_gefaehrdungsbeurteilung_zu_psychischen_fehlbelastungen.pdf

Arbeitsschutzseminar 4:
25.-27. Oktober 2011
Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Fehlbelastungen – Die Umsetzung der Mitbestimmung und Arbeitsschutz als Prozess
– Unter Beteiligung eines erfahrenen Praktikers –
Beginn: 25.10. 10.00 Uhr, Ende: 27.10. 14.00 Uhr
Inzwischen gehen die Arbeitswissenschaften davon aus, dass 40 Prozent des Belastungsgeschehens an den Arbeitsplätzen psychischen Belastungen zukommt, jeweils 30 Prozent verteilen sich auf körperliche Belastungen und Belastungen durch Umwelteinflüsse. Die Folgen zeigen sich auch im Krankheitsgeschehen – beispielsweise stiegen zwischen 1995 und 2009 laut AOK die beruflichen Fehlzeiten wegen psychischen Erkrankungen um 80 %, 64000 neue Rentner allein 2009 meldet die Rentenversicherung wegen psychischen Erkrankungen.
Die Anwendung der Mitbestimmung von Betriebs- und Personalräten beim Arbeitsschutzgesetz könnte diesen Trend stoppen, da das Arbeitsschutzgesetz nicht nur präventiv ausgerichtet ist, sondern umfassende Maßnahmen bei Feststellung von Gesundheitsrisiken durch die Gefährdungsbeurteilung verlangt. Hierzu liegen eine ganze Reihe positive Praxiserfahrungen und Vorgehensweisen vor, die in diesem Seminar vorgestellt werden.

  • Klärung der betrieblichen Ausgangssituation als Basis für Handlungsmöglichkeiten
  • Auswirkungen von psychischen Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit
  • Burn-out – Entwicklung und Interventionsmöglichkeiten
  • Medikamente zur Leistungssteigerung, Suizide infolge von Arbeitsbedingungen
  • Bedeutung der psychischen Belastungen in Arbeitsschutzbestimmungen
  • Regelkreise und kontinuierliche Verbesserungsprozesse im Gesundheitsschutz
  • Mitbestimmung von Betriebsräten bei Gefährdungsbeurteilung und Maßnahmenumsetzung
  • BAG – Beschlüsse 1 ABR 4/03 und 1 ABR 13/03
  • Beispiele von Betriebsvereinbarungen und Prozessen zur Umsetzung präventiver Arbeitsschutzmassnahmen
  • Vorgehen nach dem START-Verfahren zur Erfassung psychischer Belastungen
  • Darstellung in der Praxis erprobter Fragebögen – Anonymität von Befragungen
  • Darstellung, Umgang, Handhabung und die Auswertung von Fragebögen
  • Erarbeitung von Vorgehensweisen in den Unternehmen der Seminarteilnehmer

Ort: Golfhotel Bad Waldsee (http://www.waldsee-golf.de)
Seminargebühr: EUR 680,00 plus MwSt.
+ Übernachtung + Verpflegung im Tagungshotel: EUR 290,00 plus MwSt.
Freistellung: Betriebs- und Personalräte/innen (§ 37.6 BetrVG bzw. § 46.6 BpersVG I Fach-kräfte für Arbeitssicherheit (§ 5.3 ASiG) I Vertreter/innen Behinderter Menschen (§ 96.4 SGB IX) I
Dr. Max Geray • Am Felde 2 • 22765 Hamburg • Tel. 040/3905182 • Fax 040/3907587
Email: max.geray im buero-fuer-arbeitsschutz.de • www.buero-fuer-arbeitsschutz.de

Siehe auch: http://www.buero-fuer-arbeitsschutz.de/praxis/praxis_infos.html

Politik der unterbesetzten Aufsichtsbehörden

Aus der Südeutschen Zeitung von heute:

Laxe Steuerprüfung —Millionäre bevorzugt
Was für ein Leben: viel Geld verdienen, eine Villa am See besitzen – und die Gewissheit haben, dass das Finanzamt nur selten vorbeikommt. Nach Ansicht der Grünen reduzieren viele Bundesländer absichtlich die Zahl der Steuerprüfungen. Von C. Hulverscheidt

Finanzamt – Wenn der Steuerprüfer gar nicht klingelt
Steuererklärung – Steuerschummeln? Darauf achten Finanzbeamte

Bei der Gewerbeaufsicht sieht es nicht besser aus, als bei der Steuerprüfung. Dass seit 15 Jahren mehr als 80% der Unternehmen immer noch Gefährdungsbeurteilungen ohne Einbezug psychisch wirksamer Belastungen anfertigen dürfen, kann kein Zufall mehr sein. Auf einer Tagung meinte einmal eine Psychologin (die für eine Organisation im Bereich der Arbeitssicherheit Unternehmen beobachtet) zu mir, dass sie erst tätig werden dürfe, “wenn in einem Unternehmen Zustände herrschen wie bei France Télécom“. Fachkräfte, die direkt Aufdicht ausüben, möchten ihre Arbeit durchaus tun. Aber ist ihnen das auch politisch erlaubt?
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2010/11/22/mentale-belastung-am-arbeitsplatz/

Deutschland verfehlt Ziele der WHO zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz

http://www.bdp-verband.org/bdp/presse/2008/04_bericht.html

Pressemitteilung
Nr. 04/08
22. April 2008

Anstieg psychischer Probleme in der Arbeitswelt

Deutschland verfehlt Ziele der WHO zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz
Deutschland erreicht die von der Weltgesundheitsorganisation gesteckten Ziele zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz nicht. Dies geht aus dem Bericht des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) 2008 zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz hervor. Während die Zahl der Arbeitsunfälle zurückgeht, nimmt die der psychischen und Verhaltensstörungen drastisch zu. Ihr Anteil an den Ausfalltagen ist von 6,6% auf 10,5% angewachsen. Es wird geschätzt, dass allein die depressiven Verstimmungen bereits 2020 nach den Herzerkrankungen an zweiter Stelle stehen werden. Dieser Anstieg ist zu hoch, um sich aus der größeren Bereitschaft und Fähigkeit, eine psychische Störung als solche zu diagnostizieren, zu erklären.
Ursachen liegen dem BDP-Bericht zufolge in Zeitdruck, Komplexität der Arbeit und Verantwortung der Beschäftigten, fehlenden Partizipationsmöglichkeiten, prekären Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit und Zeitarbeit, mangelnder Wertschätzung, defizitärem Führungsverhalten sowie einem Ungleichgewicht zwischen beruflicher Verausgabung und erhaltener Entlohnung. “Wir haben in Deutschland nicht nur ein Problem mit Managergehältern, wir haben einen weit verbreiteten Mangel an Managerqualitäten”, so BDP-Vizepräsidentin Thordis Bethlehem, der sich auch in psychischen Problemen von Beschäftigten niederschlägt.
Nicht nur Arbeitslosigkeit, sondern auch die permanente Sorge um den Arbeitsplatz, so geht aus dem Bericht hervor, ist mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden. Arbeitsüberlastung, hoher Erfolgsdruck und Mangel an sozialer Anerkennung führen unter denen, die permanent um ihren Job fürchten, zu ausgeprägten sozialen Spannungen und chronischem Stress. Arbeitslose, so zeigte sich bei Untersuchungen, haben ein hohes Maß an somatoformen Beschwerden und eine besonders niedrige Lebensqualität. Etwas geringer sind diese Beschwerden bei Berufstätigen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen, während Berufstätige in einem sicheren Arbeitsverhältnis weniger betroffen sind
Kosteneinsparungen in Unternehmen und die daraus zum Teil erwachsende stärkere Arbeitsbelastung führen aber nicht nur zu einer höheren Zahl von Krankentagen aus psychischen Gründen, sondern verändern das Arbeitsklima: Intrigen und Mobbing nehmen zu. Auch die berufsbedingte Trennung von Partnern, die mit der gesellschaftlich geforderten Flexibilität von Arbeitnehmern häufig einhergeht, führt zu psychischen Belastungen, insbesondere bei Frauen, die mit Berufstätigkeit und Familienarbeit stärker gefordert bis überfordert sind.
Der Bericht widmet einzelnen Berufsgruppen mit besonderen Belastungen spezielle Aufmerksamkeit. Dazu gehören Ärzte, Lehrer und Lokführer. Mindestens 20 Prozent der Ärzte, heißt es im Bericht, leiden an einem Burnout-Syndrom, einer individuellen Reaktion auf berufliche Überforderung bzw. ungünstige Stressbewältigung, rund 10 Prozent an einer substanzbezogenen Störung; die Suizidraten sind bei Medizinern bis zu 3-fach erhöht, bei Medizinerinnen bis zu 5-fach. Die Risikofaktoren für Lehrer liegen laut BDP-Bericht vor allem in der fehlenden Balance von Wollen, Sollen und Können. Die nach wie vor hohe Zahl von Frühpensionierungen (24%), insbesondere an Grund- und Hauptschulen, ist alarmierend.
Entschieden fordert der BDP ein nachhaltiges betriebliches Gesundheitsmanagement, geeignete Methoden bei der Personal- und Organisationsentwicklung und Präventionsprogramme, wie sie z.B. die Deutsche Bahn wegen des Traumatisierungsrisikos für Lokführer etabliert hat. Neue Arbeitsbedingungen, so heißt es, verlangen neue Fähigkeiten, z.B. die, widerstandsfähig gegenüber äußeren Belastungen und Krisensituationen zu sein. Resilienz lautet das Zauberwort für eine Eigenschaft, die laut BDP bis zu einem gewissen Grad trainierbar ist. In den am Schluss des Berichts formulierten Empfehlungen für Politik und Wirtschaft fordert der Verband dazu auf, die bereits existierenden gesetzlichen Regelungen in Verwaltung und Wirtschaft endlich umzusetzen statt über steigende Gesundheitskosten zu lamentieren.

Christa Schaffmann, Pressesprecherin

Die BDP gibt der Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention. Sie marginalisiert den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Nicht “Resilienz” ist das Zauberwort, sondern eine an den Arbeitsbedingungen ansetzende Verhältnisprävention. So haben die Bürger das in Europa demokratisch beschlossen.