Wenn Sachargumente nicht mehr helfen

http://www.wirtschaftspsychologie-aktuell.de/Material_4_2003/62.pdf

Arbeit & Gesundheit
2003/62 Wirtschaftspsychologie aktuell
Arbeitsschutz oder neue Qualität der Arbeit?
Von Thomas Webers
… Da nutzt es natürlich wenig zu klagen, Unternehmer hätten nicht verstanden, dass sie nach dem Grundgesetz eine soziale Verantwortung tragen und über das Arbeitsschutzgesetz dazu verpflichtet sind, auf dem Niveau der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse und dem des Standes der Technik für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigen Sorge zu tragen. Lebenslanges Lernen
Was wäre, wenn man „Arbeitsschutz“ nun einmal anders denken würde? Stärker präventiv ausgerichtet? Dann könnte man durchaus zu der Sichtweise kommen, dass man mit der bislang angewandten „arbeitspädagogischen Philosophie“ im Arbeits- und Gesundheitsschutz (erhobener Zeigefinger, zur Not der Rohrstock) allein nicht weiter kommt. …

So ist es. Nur zu klagen nützt nicht, aber es kann helfen, den Rohrstock wenigstens im Köcher zu haben.
Thomas Webers schrieb seinen sehr lesenswerten Artikel im Jahr 2003. Der erforderliche Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ist aber seit dem kaum weitergekommen, obwohl die Aufsichtsorgane bisher so große Zurückhaltung zeigten, wenn nicht gar Schüchternheit. Ich glaube, dass vielen Arbeitgebern die anstehenden Veränderungen zu sehr ans Eingemachte gehen (s. Perry Jordan). Sie wollen sich trotz guter Sachargumente einfach nicht an die ihnen lästigen Vorschriften halten, denn der ganzheitliche Arbeitsschutz macht (wo er funktioniert) so manches traditionelle “Führungsinstrument” sichtbar, dessen Anwendung nicht so gute Personaler (die gibt es eben auch) niemals offen zugeben würden. Das genaue Hinsehen, das der ganzheitliche Arbeitsschutz erzwingt, ist für schlechte Unternehmensführungen natürlich besonders beängstigend.
Die Praxis zeigt jetzt klar, dass zumindest der Einstieg in den ganzheitlichen Arbeitsschutz ohne Nutzung von Rechtsmitteln meistens nicht funktioniert. 1996 liegt jetzt lange genug zurück in der Vergangenheit, um sich an den ganzheitlichen Arbeitsschutz gewöhnt haben zu können. Bei Unternehmen, die ihn heute immer noch missachten, halfen und helfen Sachargumente also offensichtlich nicht weiter. Denn so wenig, wie Sachargumente Steuerzahlungen sicherstellen, so wenig helfen Sachargumente dem Arbeitsschutz. Steuerflüchtlinge haben kein schlechtes Gewissen, wenn sie den aus ihrer Sicht weniger erfolgreichen Menschen “ihr” Geld vorenthalten, und wer den ganzheitlichen Arbeitsschutz vernachlässigt, hat kein schlechtes Gewissen, “Minderleister” durch Krankheit zu verlieren. Schließlich tragen Mitarbeiter ja Eigenverantwortung für ihre Gesundheit. Außerdem ist für viele Arbeitgeber die Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz ein Graus. Wenn noch mehr Arbeitnehmervertretungen aufwachen, dräut der Untergang des Abendlandes. Fazit: Gegen solche Einstellungen hilft nur eine nachhaltige Aufsicht.
Zu den anständigen Unternehmern: Das Beste, was passieren kann, ist, dass nach einem wie auch immer erreichten Einstieg in den ganzheitlichen Arbeitsschutz der Unternehmer souverän die Initiative übernimmt. Souverän ist ein Arbeitgeber, wenn er den an Verhältnisprävention ausgerichteten Arbeitsschutz ohne Ablenkungsmanöver in sein Gesundheitsmanagement integriert, also der Gefährdungsbeurteilung und der Mitbestimmung eine hohe Bedeutung beimisst. Dann kann so ein Unternehmen zum Maßstab für Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden. Souveräne Arbeitgeber (die gibt es!) fürchten sich weder vor der Gefährdungsbeurteilung noch vor der mit ihr verbundenen Mitbestimmung. Und gute Betriebsräte (die auch Kompetenz aufbauen müssen) können solchen Unternehmen helfen, dass sich Bewerber und die Belegschaften sich mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz im Unternehmen wohl fühlen.

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