Psychische Belastung trotz Gesundheitsmanagement hoch

https://www.haufe.de/oeffentlicher-dienst/newsDetails?newsID=1299569770.31 (2010-03-08)

… Der Belastungs-Index ist trotz Zunahme des Gesundheitsmanagements in deutschen Unternehmen und dem Bekenntnis zur Mitarbeiterorientierung im Rahmen von Work-Life-Balance-Konzepten relativ hoch. …

Angesichts der häufigen Marginalisierung der im Arbeitsschutz vorgeschriebenen Verhältnisprävention ist das kein Wunder. In der überwiegenden Masse der Programme betrieblicher Gesundheitsförderung wird allerdings immer noch ein Schwergewicht auf die Beeinflussung des Verhaltens Einzelner gelegt. Es ist immer wieder erstaunlich, dass wir uns über psychische Fehlbelastungen wundern, obwohl die Regelverstöße im Bereich des Arbeitsschutzes (der Teil des Gesundheitsschutzes ist) oft sehr offensichtlich sind. Schutzbestimmungen zu missachten hat eben nun einmal schädliche Auswirkungen.

16. Betriebsrätekonferenz 2011

Düsseldorf, 15.09. bis 16.09.2011
http://www.dgfp.de/seminare/seminar/424

[2011-09-15] 15.30 Uhr
… Psychische Beanspruchung von Mitarbeitern und Führungskräften: Befragungsergebnisse und Konsequenzen,
Dr. Sascha Armutat, Leiter Forschung und Themen, Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V., Düsseldorf …

Verhaltensprävention (Arbeit an der individuellen Beanspruchbarkeit) ist hilfreich, aber nur die halbe Miete. So richtig begeistern für die Verhältnisprävention (Arbeit an den arbeitsbedingten Belastungen) kann sich die DGFP aber immer noch nicht, obwohl die meisten ihrer Mitglieder hier eine Überprüfung durch die Aufsichtsbehörden und die Berufsgenossenschaften (wenn diese ihren Job machen dürften) nicht überstehen würden. Logischerweise sehen Betriebsräte genau bei der Verhältnisprävention Verbesserungsbedarf. Woran mag es nur liegen, dass die DGFP hier keine Hilfe anbietet?

Das Zeitalter der Depression

http://www.zukunftsforum-personal.de/programm_2011.html
2011-10-07

Das Zeitalter der Depression: Fluch der Freiheit?
Impulsgeber: Prof. Dr. Heiner Keupp, LMU München

Siehe auch: http://www.google.com/search?q=Zeitalter-Depression+Keupp
 
http://www.dnbgf.de/fileadmin/texte/Downloads/uploads/dokumente/2011/Keupp.pdf (Seiten 62/63 und 63/63):
Verhaltensprävention:

Auf das Individuum gerichtete Präventionsprojekte können hilfreiche Angebot sein, sich in diesen gesellschaftlichen Umbruchprozessen Unterstützung bei einer Neuorientierung, Reflexion und Selbstorganisation zu holen. Sie sollten keinesfalls „Trainingslager“ für Fitness im globalen Netzwerkkapitalismus liefern. Sie stellt einen Rahmen der „inneren Modernisierung“ dar, aber die Frage, was in diesem Rahmen Emanzipation oder Affirmation sein kann, bleibt auf der Tagesordnung.

Verhältnisprävention:

Eine Strategie der universellen oder Verhältnisprävention muss letztlich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zielen und dazu ist nicht nur die professionelle Arbeitsgestaltung gefragt, sondern die aktive Beteiligung der Betroffenen, denen bewusst ist, dass individuelle Selbstsorge nur im Rahmen kollektiver Interessenvertretung (z.B. in Selbsthilfegruppen, Netzwerken, Gewerkschaften, Attac) möglich ist.

ISTA – ein Fragebogen zur Verhältnisprävention

Im Gegensatz zum WAI (ABI) und zur MAF, ist das “Instrument zur stressbezogenen Tätigkeitsanalyse” (ISTA[1]) sehr gut für den Einsatz im ganzheitlichen Arbeitsschutz geeignet.
Achten Sie bei Fragebögen generell darauf, wie die BAuA sie in ihrer Toolbox bewertet. Insbesondere muss für im ganzheitlichen Arbeitsschutz angegebene Verfahren unter “Gestaltungsbezug” erkennbar sein, dass das Verfahren der Verhältnisprävention dient.
http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-und-Praxisbeispiele/Toolbox/Verfahren/ISTA.html

ISTA: Instrument zur Stressbezogenen Arbeitsanalyse, Version 6.0

Gestaltungsbezug: Quantitative Verfahren der Verhältnisprävention
Analysetiefe: Expertenverfahren

Gütekriterien: Reliabilität und Validität vorhanden

http://de.wikipedia.org/wiki/Instrument_zur_stressbezogenen_Tätigkeitsanalyse, BAuA:

ISTA ist ein Instrument zur Messung von aufgaben-, organisations- und arbeitsumgebungsbezogenen Belastungen. Das Instrument gehört ist ein quantitatives Expertenverfahren der Verhältnisprävention. In der Toolbox der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erfüllt es die Gütekriterien der Reliabilität und Validität.[1]
Ein Einsatzgebiet des ISTA ist die Untersuchung der von den Arbeitsbedingungen ausgehenden psychischen Belastung im Rahmen der im betrieblichen Arbeitsschutz vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung.
Entwickelt wurde das Verfahren auf der Grundlage der transaktionalen Stresstheorie von Lazarus und der Handlungsregulationstheorie. Es identifiziert förderliche und hinderliche Faktoren für Wohlbefinden sowie Gesundheit und klärt Zusammenhänge zwischen Ressourcen und Stressoren.


 
In den Informationen der Uni Frankfurt (Arbeits- und Organisationspsychologie) zum ISTA gibt es auch eine Liste von Kategorien psychischer Belastungen:
http://web.uni-frankfurt.de/fb05/psychologie/Abteil/ABO/forschung/ista.htm

… Das Instrument zur Stressbezogenen Tätigkeitsanalyse ISTA ist eines der wichtigen deutschsprachigen Instrumente zur Messung von aufgaben-, organisations- und arbeitsumgebungsbezogenen Belastungen am Arbeitsplatz. Theoretische Grundlage sind psychologische Stresstheorien (sensu Lazarus) sowie die Handlungstheorie. Das Instrument wurde in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet. Derzeit aktuell ist die Version ISTA 6.0 vom Mai 1998 (vorige Fassung: ISTA 5.1, Okt. 1995). Folgende Merkmale werden erfaßt:

  • Arbeitskomplexität,
  • Handlungsspielraum,
  • Zeitspielraum,
  • Partizipation,
  • Variabilität,
  • Unsicherheit,
  • Arbeitsorganisatorische Probleme,
  • Zeitdruck,
  • Konzentrationsnotwendigkeiten,
  • Arbeitsunterbrechungen,
  • Unfallgefährdung,
  • Umgebungsbelastungen,
  • Kommunikationsmöglichkeiten,
  • Kooperationserfordernisse,
  • Kooperationsspielraum,
  • Kooperationszwang


 
[1] Verwechselungsgefahr: Hier wird über das verhältnisorientierte “Instrument zur Stressbezogenen Arbeitsanalyse” gesprochen, nicht über den verhaltensorientierten “Ich-Struktur-Test nach Ammon”, der später kam. (Man könnte vielleicht sagen, dass dieser “Ich-Struktur-Test” einer “Deutschen Akademie für Psychoanalyse” zwar psychischen Belastungen erforscht, aber dass die Wahl des Akronyms “ISTA” eher psychische Fehlbelastungen, Kopfschmerzen, Augenrollen usw. verursacht. Den im Jahr 1995 verstorbenen Ammon kann man für diese Namenswahl nicht verantwortlich machen. Passen Sie also auf, dass Sie im Arbeitsschutz das ISTA nach Semmer, Zapf und Dunckel erwischen.)

KPB

http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-und-Praxisbeispiele/Toolbox/Verfahren/KPB.html

KPB: Kurzverfahren Psychische Belastung

Gestaltungsbezug: Quantitative Verfahren der Verhältnisprävention
Analysetiefe: Orientierendes Verfahren

Gütekriterien: Das KPB erfüllt als orientierendes und ein auf die Anwendung durch betriebliche Akteure ausgerichtetes Verfahren grundsätzlich die normativen Anforderungen der DIN EN ISO 10075 im Hinblick auf Objektivität, Reliabilität und Validität.
..

Nach meinem Eindruck gibt es ein bisschen zu viel Werbung für das Verfahren. Das mag daran liegen, das wegen seiner Einfachheit angenommen wird, dass seine Anwendung nicht viel Zeit und Geld koste. Angepriesen wird das KPB vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, einem eingetragenen Verein (ifaa e. V.). Mitglieder des ifaa sind die Verbände der Metall- und Elektroindustrie sowie der Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie, GESAMTMETALL, Berlin

FOCUS widmet der Fürsorgepflicht keine Silbe

http://netkey40.igmetall.de/homepages/koeln_neu/hochgeladenedateien/pdf/
Gute%20Arbeit/Leserbrief%20Focus%2020100308.pdf

8. März 2010 – Köln-Leverkusen
Leserbrief zum Focus Titelthema “Die Burn-out-Gesellschaft” (Ausgabe 10/10 08.03.2010)
Ich bin sehr erfreut, dass Sie das Thema Burn-Out, verursacht durch Belastungen am Arbeitsplatz einmal aufgegriffen haben. Aus meiner täglichen Arbeit kann ich ihnen leider bestätigen, dass es in allen Unternehmen ein aktuelles Thema ist, besonders jedoch in den sogenannten hochqualifizierten Angestelltenbereichen.
In ihrem Artikel befassen Sie sich stark mit den möglichen Ursachen für ein Burn-Out, gehen auf verschiedene Einzelschicksale ein und erwähnen sogar, dass es manche Promis schick finden sich eine Auszeit wegen eines Burn-Outs zu nehmen. Dies finde ich ehrlich gesagt sehr einseitig dargestellt, denn es erweckt den Eindruck, als wären die ArbeitnehmerInnen diejenigen, die verantwortlich sind für ihre Erkrankung, weil sie nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen haben, oder einfach einer Modeerscheinung folgen wollen.
Sie berichten von einer Ratlosigkeit der Unternehmen, die sich auf großen Konferenzen zusammenfinden um nach Auswegen zu suchen, aber Sie gehen mit keiner Silbe darauf ein, dass vor allem die Unternehmen eine Fürsorgepflicht für ihre ArbeitnehmerInnen haben. In der EURahmenrichtlinie (89/391/EWG) – Präambel heißt es: “Die Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten am Arbeitsplatz gehört zu “Zielsetzungen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.” Ausserdem finden sich in fast allen Unternehmenskodexen die Worte “…die Gesundheit unserer MitarbeiterInnen ist unser höchstes Gut…” Dies sieht jedoch in der Realität ganz anders aus. Es wird sogar öffentlich formuliert. “Den Druck der Finanzmärkte herunterzubrechen auf jeden einzelnen Mitarbeiter, das ist das Kunststück; das über das Überleben der Betriebe entscheiden wird.” (Martin Kannegiesser, Präsident Gesamtmetall, November 2000)
Und genauso sieht die Unternehmenspolitik in den meisten Betrieben aus. Wirklich ernsthaft haben sich nur wenige Betriebe mit den Gefahren psychischer Belastungen beschäftigt und wenn nur aufgrund von Druck seitens der Betriebsräte. Deshalb wurde auch bisher in nur 30% aller deutschen Betriebe[1], die seit 1996 im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung durchgeführt.
Diese schreibt den Arbeitgebern vor, alle Belastungen eines Arbeitsplatzes zu erfassen – auch die psychischen Belastungen, sie zu dokumentieren und Massnahmen zur Entlastung umzusetzen. Bei einer solchen Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung würde unter Umständen sichtbar, dass die Personalbemessung viel zu gering ist, oder die Arbeitsorganisation nicht optimal gegliedert, etc. Es müssten dann Massnahmen eingeleitet werden, die z.B. Weiterbildungen und Umstrukturierungen bedeuten würden.
Davor fürchten sich viele Arbeitgeber aus zwei Gründen.

Das ist aber nicht gewollt.[3] Dabei könnten die Arbeitgeber durchaus daraus profitieren. Denn Arbeitsorganisationen könnten effektiver gestaltet, die Mitarbeiter entlastet und motiviert und die krankheitsbedingten Ausfalltage deutlich reduziert werden. “Von 1,50EUR, die das Unternehmen in die Gesundheit investiert, kommen 5,60EUR als Ertrag zurück.” (Studie der Harvard Medical School für Unilever[4] Deutschland) Zu befürchten ist jedoch, dass dieses wichtige Präventionsinstrument, Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung, bald auch nicht mehr gegeben ist. Denn in der Empfehlung der High Level Group (“Stoiber[5] Kommission“) wird vorgeschlagen, zum Abbau von Bürokratiekosten, die Dokumentationspflicht der Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung in Betrieben mit bis zu 500 MitarbeiterInnen abzuschaffen. Damit wäre faktisch jede Kontrollmöglichkeit der vereinbarten Massnahmen genommen und das in 92% aller europäischen Betriebe.
Was ich letztlich sagen möchte ist, dass Erkrankungen aufgrund psychischer Belastungen keine Modeerscheinung sind, sondern die Konsequenz von unverantwortlichem Unternehmerverhalten und dass es durchaus Mittel und Wege gibt Belastungen abzubauen, sie aber bewusst nicht genutzt werden. Die IG Metall wird in diesem Jahr mit dem Projekt “Gute Arbeit im Büro” in einigen Pilotbetrieben versuchen einen ganzheitlichen Gesundheitsschutz zu etablieren. Eine Auftaktveranstaltung für die Region Köln dazu besuchten vorletzten Samstag 140 interessierte KollegInnen, ohne dass es dazu einer großartigen Werbung bedurft hätte.
Zu diesem Projekt stehe ich gerne als Ansprechpartnerin zur Verfügung.
Kerstin D. Klein
Fachsekretärin
IG Metall Verwaltungsstelle Köln- Leverkusen

(Links und Anmerkungen nachträglich eingefügt)
[1] Es gibt hier unterschiedliche Angaben. Gemeinsam ist ihnen, dass sich die Mehrheit der Unternehmen nicht an die Regeln des Arbeitsschutzes hält. Als Grund für die Differenzen bei den Angaben vermute ich, dass die Qualität des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz unterschiedlich bewertet wird.
[2] Hier handelt es sich sogar um eine Mitbestimmungspflicht.
[3] Wenn der Unwille zu Ordnungswidrigkeiten führt, könnte das von Aufsichtsorganen geahndet werden. Bei Wiederholung kann daraus eine Straftat werden. Aufsichtspersonen mögen das wollen, aber es scheint politisch nicht gewollt zu sein, dass sie ernsthaft und wirkungsvoll kontrollieren dürfen. Wenn hier der Staat zum Komplizen wird, dann ist das ein über den Arbeitsschutz hinausgehendes Problem.
[4] Unilever gehört leider auch zu den vielen Unternehmen, die im Gesundheitsmanagement versuchen, die Verhältnisprävention gegenüber der Verhaltensprävention zu marginalisieren.
[5] CSU

Im Arbeitsschutz ungeeignete Werkzeuge

  1. Verhaltensprävention (Stärkung der individuellen Beanspruchbarkeit) und Verhältnisprävention (im Arbeitsschutz vorgeschriebene Vermeidung von Fehlbelastungen) überlappen sich.
  2. Verfahren zur Verhaltensprävention kann man indirekt zur Verhältnisprävention verwenden. Von der Beanspruchungsanalyse kann man indirekt auf Belastungen zurückschließen. Rechtlich ist das wegen der komplizierten Beweislage aber kaum möglich.
  3. Verfahren zur Verhältnisprävention kann man direkt zur Verhältnisprävention verwenden. Von der Beanspruchungsanalyse kann man direkt auf Belastungen zurückschließen. Das ist wohl ziemlich einfach zu verstehen.
  4. Der Arbeitsschutz verlangt Verhältnisprävention. Hinsichtlich der Prävention ist das Arbeitsschutzziel die Vermeidung von Fehlbelastungen.
  5. Der ABI/WAI misst Beanspruchungen und dient gemäß BAuA der Verhaltensprävention.
  6. Belastungen messen beispielsweise ISTA und COPSOQ. Solche Verfahren dienen gemäß BAuA der Verhältnisprävention.
  7. Also ist es nicht so optimal, im Arbeitsschutz den ABI/WAI einzusetzen, wenn doch geeignetere Verfahren verfügbar sind. (Mit Anonymisierung und zusammen mit einem verältnisorientierten Verfahren sind Nutzungen in der Verhältnisanalyse möglich.)

So, das sollte jetzt verstanden worden sein.
Aber trotzdem mögen Arbeitgeber Verhaltensprävention lieber als Verhältnisprävention. Man kann Belegschaften mit fürsorglichen Fragebögen zur Verhaltensprävention so beschäftigen, dass für die Verfahren für die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Verhältnisprävention keine Lust übrig bleibt.
Testanbieter bewerben ihre scheinfürsorglichen Testverfahren intensiv und sprechen damit Unternehmen auf deren Flucht vor der ungeliebten Verantwortung an:

Fazit: Verhaltensprävention kann eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber sein, aber Verhältnisprävention ist vorgeschrieben. Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention ist ein Indikator für Verantwortungsflucht des Arbeitgebers. Unternehmen, die ihr Gesundheitsmanagement mit Verfahren der Verhaltensprävention (z.B. ABI/WAI) beginnen, fangen bewusst am falschen Ende an. Kompetente Betriebsräte lassen sich hier nicht einseifen, sondern achten darauf, dass sich kein Unternehmen mit fürsorglich aussehenden (aber dem Individuum die Verantwortung zuweisenden) Verfahren zur Verhaltensprävention seinen Pflichten zur Verhältnisprävention entziehen kann.

Psychoseprävention

http://www.asu-arbeitsmedizin.com/gentner.dll?AID=315291&MID=30010&UID=7F91E79C1232A0AD225BE52FF53944C60141E4BF5E22FC15

In den letzten 10 Jahren entstanden eine Reihe von Früherkennungszentren, spezialisiert auf das Erkennen von Frühformen psychotischer Erkrankungen. Deren, in Studien als prädiktiv erkannte Kriterien sollen hier vorgestellt werden, sowie eine Checkliste ERIraos Early Recognition Inventory, erarbeitet von dem Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim und dem FETZ Köln (www.fetz.org) i. R. des Kompetenznetz Schizophrenie für ein erstes Screening, welche über www.asu-praxis.de heruntergeladen werden kann.

In der PDF-Datei, die über die Webseite zu erreichen ist, ist auch von “Erfassung von berufsbedingten Stressoren” die Rede. Das ist nicht ganz richtig, denn die “Checkliste ERIraos Early Recognition Inventory” erfragt (“Fühlen Sie sich phasenweise von anderen ganz besonders beobachtet, verfolgt oder bedroht? Versucht irgendjemand, Ihnen absichtlich Schaden zuzufügen?”) mögliche Stressfolgen bei Individuen und scheint damit eher der Verhaltensprävention (z.B. Früherkennung schizophrener Psychosen) zu dienen, als der Verhältnisprävention.
Verhaltensprävention ist aber nicht die Aufgabe von Arbeitgebern; zumindest muss der Schwerpunkt des Gesundheitsmanagements auf der Verhältnisprävention liegen. Bevor (wenn überhaupt) solche Checklisten in einem Unternehmen eingesetzt werden, muss zuvor im ganzheitlichen Arbeitsschutz ein gute Prozess der Verhältnisprävention mitbestimmt implementiert worden sein, bevor man sich an die Verhaltensprävention heranwagt.
Wie ein ordentliches Verfahren zur Verhältnisprävention aussieht (dass nicht Stressfolgen, sondern wirklich Stressoren erfasst), wird am Beispiel des ISTA deutlich. Am individuellen Mitarbeiter verhaltensorientiert ansetzende Psychoseprävention kann eine von Arbeitgebern freiwillig unterstützte Leistung an die Mitarbeiter sein. Aber davor haben die Arbeitgeber mit Verhaltensprävention jene Fehlbelastungen an der Quelle zu erkennen und zu bekämpfen, die psychoreaktiv zum Entstehen von Psychosen beitragen können. Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen.
Gibt es in einem Unternehmen keinen ganzheitlichen Arbeitsschutz mit Gefährdungsbeurteilungen, in die die von den Arbeitsbedingungen ausgehenden psychisch wirksamen Belastungen (von den Arbeitnehmern mitbestimmt einbezogen) zur Verhältnisprävention wurden, dann fehlt eine wichtige Voraussetzung für das Vertrauen der Mitarbeiter in Maßnahmen zur Verhaltensprävention. Hier müssen Arbeitnehmervertretungen sehr aufmerksam hinsehen, damit die Persönlichkeit der Mitarbeiter geschützt und ihre Rechtsposition gegenüber dem Arbeitgeber nicht geschwächt wird.
Ein Weg zur von Arbeitgebern geförderten Verhaltensprävention, dem Arbeitnehmervertreter zustimmen können, ist die Nutzung von Dienstleistungen bei Ärzten und Kliniken, mit denen Arbeitgeber einen entsprechenden Dienstleistungsvertrag abschließen und an die sich Mitarbeiter wenden können, ohne dass der Arbeitgeber davon weiß. Soweit mir bekannt ist, gibt es dass beispielsweise bei Daimler.

Fehlberatung: Belastung und Beanspruchung

Update 2011-08-03: DGFP-Veröffentlichungen (falls hier angegebene Links nicht mehr funktionieren): http://www.dgfp.de/wissen/praxispapiere
 


Der Titel, unter dem auf ein DGFP-Artikel hingewiesen wird, heißt be haufe.de: “Psychische Belastung: Führungskräfte sind hilflos”. Hier haben wir wieder ein Beispiel, wie ein Artikel mit “Belastung” vorgestellt wird, dann aber “Beanspruchung” behandelt.
http://www.haufe.de/arbeitsschutz/newsDetails?newsID=1304490080.88 (2011-05-05):

… Die Studie “Psychische Beanspruchung von Mitarbeitern und Führungskräften” der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP) legt erhebliche Defizite im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern offen. Vor allem die Mitarbeiterführung lässt in den Augen der 239 befragten HR-Manager stark zu wünschen übrig. Grund sei vor allem die fehlende Schulung der Führungskräfte. …

… Führungskräfte sind mangelhaft vorbereitet
So sind 76 Prozent der befragten Personalmanager der Ansicht, dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen nur unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Beanspruchungen überhaupt zu erkennen. 87 Prozent der Befragten konnten zudem beobachten, dass die Führungskräfte unsicher sind, wie sie sich im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern adäquat verhalten sollen. 56 Prozent der befragten Personalmanager haben darüber hinaus den Eindruck, dass die Führungskräfte die psychische Beanspruchung ihrer Mitarbeiter bewusst tabuisieren. Ein Indiz dafür sei beispielsweise, dass nur in 17 Prozent der Unternehmen das Thema “psychische Beanspruchung” standardmäßiger Bestandteil in Mitarbeitergesprächen ist. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Ersteinmal zur Korrektur: Wenn Mitarbeiter nicht psychisch belastet und deswegen auch nicht psychisch beansprucht sind, dann haben sie nichts zu tun. Das ist keine gute Führung. Führungskräfte müssen weder Belastungen noch Beanspruchungen vermeiden. Sondern sie haben Maßnahmen gegen Fehlbelastungen und die daraus resultierenden Fehlbeanspruchungen zu ergreifen.
Ein Mittel, von den Arbeitsbedingungen ausgehende Belastungen zu tabuisieren ist, auf individuelle Beanspruchungen der Mitarbeiter auszuweichen. Und so widmet sich die DGFP lieber dem Thema der Beanspruchung (und damit der im Arbeitsschutz nachrangigen Verhaltensprävention) als dem der Belastung (und damit der im Arbeitsschutz vorrangigen Verhältnisprävention). Die Beratung der DGFP geht in die falsche Richtung.
Der bei haufe.de angegebene Link funktioniert nicht; die DGFP scheint die Links gelegentlich zu ändern. Ich vermute mal, dass man den DGFP-Artikel (zur Zeit) hier findet: http://www.dgfp.de/aktuelles/news/dgfp-studie-zur-psychischen-beanspruchung-von-mitarbeitern-problem-in-fast-jedem-unternehmen-1208
 


http://rehanews24.de/archives/1494:

Zweite Fachtagung: Psychische Belastungen im Beruf am 16. und 17. Juni 2011 in Bad Münstereifel …
… Wiesbaden. Mögliche Ursachen für psychische Fehlbeanspruchungen im Beruf und deren Bewältigung werden in der Bildungsstätte der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) in Bad Münstereifel thematisiert. Veranstalter der Fachtagung sind außer der BG ETEM das Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) und der Universum Verlag (UV).
Psychische Belastungen stehen in ihren negativen Ausprägungen als psychische Fehlbeanspruchungen im Zentrum der Diskussion im Arbeitsschutz. Ihr kontinuierlicher Anstieg sowie die Verbindung mit verschiedenen seelischen und körperlichen Erkrankungen werden durch zahlreiche Studien belegt. Die Experten sind sich einig: Die Relevanz des Themas wird in den nächsten Jahren zunehmen. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Der Fehler ist hartnäckig. Nochmal: Richtig ist (und eine Berufsgenossenschaft sollte das eigentlich wissen): Psychische Belastungen sind – in ihren negativen Ausprägungen als vom Arbeitgeber zu vermeidende oder zu mindernde psychische Fehlbelastungen – ein Thema des Arbeitsschutzes. Aus Fehlbelastungen können Fehlbeanspruchungen resultieren.
Zur Fachtagung gibt es hier bereits einen Blogeintrag: http://blog.psybel.de/bg-psybel-im-beruf/.

BAuA: Verhältnisprävention hat Vorang

http://www.baua.de/de/Presse/Pressematerialien/Dresdner-Treffpunkt/Psychische-Belastung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

… „Maßnahmen der Verhältnisprävention am Arbeitsplatz sollten dabei Vorrang vor Maßnahmen der Verhaltensprävention beim Beschäftigten haben, am besten ist eine Kombination“, so Dr. Richter. Dafür sollten Betriebe ihre Beschäftigten in Planungs-und Entscheidungsprozesse einbinden, starre und autoritäre Strukturen aufheben, mit flexiblen Arbeitszeiten unterstützen und Neuorganisationen sowie die Einführung neuer Hard- und Software mit Schulungen und Weiterbildung begleiten. Neben einem guten Projekt- und Zeitmanagement werden die sozialen und kommunikativen Kompetenzen der Beschäftigten in allen Bereichen der Wirtschaft zunehmend wichtiger. Auch sei es flankierend wichtig, mit betrieblichem Gesundheitsmanagement einen gesunden Lebensstil zu vermitteln. … 

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Siehe auch: Verhältnisprävention ist wirksamer