Berufsgenossenschaften im Bund mit Arbeitgebern

http://www.whistleblower-net.de/blog/2011/06/29/whistleblower-erhaelt-bundesverdienstkreuz/

[…] Der Umweltmediziner Dr. Kurt Müller bezweifelt, dass die verseuchten Envio-Arbeiter von der Berufsgenossenschaft eine Rente bekommen werden. Arbeitsmedizinern sei nicht klar zu machen, so Müller, „dass bei Stoffen wie PCB nicht die akute toxische Wirkung entscheidend ist, sondern die anfangs eher geringe und später erhebliche Auswirkung auf das Immunsystem. Man wird bei den Envio-Arbeitern nichts weiter tun als sie toxikologisch untersuchen, um dann zu sagen: ‚Wir finden nichts besonderes mehr‘. Eben weil die Untersuchung so gestaltet ist, dass ein Krankheitszusammenhang nicht gefunden werden kann.“
Eigenen Angaben zufolge sind die Berufsgenossenschaften, die sich durch Beiträge der Arbeitgeber finanzieren, „der einzige Zweig der Sozialversicherung mit sinkenden Beitragssätzen“. […]

Das ist ein Artikel aus dem Jahr 2011. Dass der Whistleblower das Bundesverdienstreuz bekommen haben soll, ist natürlich ein Scherz.
Allmählich wird mir klar, dass die Berufsgenossenschaften mit der Arbeitgebern ein gemeinsames Interesse teilen: Abwehr des Erkennens arbeitsbedingter Erkrankungen. Im Bereich der psychischen Erkrankungen fällt das den Arbeitgebern und den Berufsgenossenschaften natürlich besonders leicht. Gibt es keinen kompetenten Betriebsrat, der nachhaltig und diszipliniert auf gute Dokumentation und Beweissicherung achtet, dann haben vom Arbeitgeber psychisch fehlbelastete Mitarbeiter schlechte Karten, wenn es um die Anerkennung psychischer Erkrankungen als arbeitsbedingte Erkrankungen geht. Während die unteren Behörden der Gewerbeaufsicht bei kritischen Inspektionen höchstens Ärger mit gegenüber mächtigen Firmen rücksichtsvollen oberen Behörden bekommen können, müssen Berufsgenossenschaften wirklich zahlen, wenn eine Berufserkrankung festgestellt wird. Das will weder der Arbeitgeber (dessen Prämien dann steigen) noch die Berufsgenossenschaft.
Im Grund haben arbeitsbedingt psychisch erkrankte Mitarbeiter ohnehin kaum eine Chance auf Anerkennung ihrer Erkrankung als Berufskrankheit. Es sind eigentlich nur die Betriebsräte, die sich hier für die Arbeitnehmer ensetzen werden. Aber vielen Betriebsräten (wo es sie gibt) fehlt sowohl die Kompetenz wie auch die Courage, sich beim Arbeitschutzthema “psychische Belastungen” für die Mitarbeiter einzusetzen und die Beweise zu sichern, die zur Durchsetzung der Ansprüche betroffener Mitarbeiter bei den Berufsgenossenschaften erforderlich sind. Die Mitglieder dieser Betriebsräte wissen ja oft gar nicht, wie zunächst die Strukturen im Arbeitsschutz aufzubauen sind, die eine gute Dokumentation im Arbeitsschutz sicherstellen. Nicht selten zudem haben Betriebsräte im Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitern sogar die gleichen Vorurteile, wie die Arbeitgeber.
Kleines (aber nicht ausreichendes) Trostpflaster: Gerade die Berufsgenossenschaften sind im Arbeits-und Gesundheitsschutz an einer wirkungsvollen Prävention interessiert.

GDA-Leitlinien: 2008, 2011 und 2015

Die GDA-Leitlinien zur Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation sind nicht neu. Sie bauen auf LASI-Veröffentlichungen und DGUV-Veröffentlichungen auf.
Zum Vergleich drei Versionen: 2008, 2011 und 2015. (Von der Ausgabe aus dem Jahr 2012 habe ich keine Kopie.)
 
Weitere Links zur GDA und zu Dokumenten, die es früher schon gab (PsyGeb):

 

BG ETEM: Der Beitrag des Betriebsrats zur Arbeitssicherheit

http://etf.bgetem.de/htdocs/r30/vc_shop/bilder/firma53/jb_005_a05_2011.pdf (2005, Backup)
Inhalt:

Für wen ist diese Broschüre geschrieben? 4
Das Interesse der Arbeitgeber und Arbeitnehmer an der Arbeitssicherheit 6
Rechte und Pflichten des Betriebsrats in der Arbeitssicherheit 10
Das Verhältnis von Pflichten und Rechten zueinander 10
Die Pflichten im Einzelnen 13
Die Rechte 19
Freiwillige Betriebsvereinbarungen 36
Das praktische Vorgehen des Betriebsrats 37
Rechte wahren – aber wie? 37
Die richtige Organisation der Arbeitssicherheit 41
Gefährdungsbeurteilung 43
Unterweisungen und Arbeitsanweisungen 44
Betriebsanweisungen und Bedienungsanleitungen 45
Von den Sicherheitsbeauftragten lernen 46
Mit den Betriebsärzten und Sicherheitsfachkräften zusammenarbeiten 48
Sicher arbeiten mit Gefahrstoffen 52
Lärm und Vibrationen 57
Arbeitsmedizinische Vorsorge 62
Bildschirmarbeitsplatz, Telearbeit, Call-Center 71
Alkohol im Betrieb 80
Anhang 89
Die wichtigsten gesetzlichen Vorschriften, Verordnungen und UVVen
für den Betriebsrat 91
Wichtige Auszüge aus Gerichtsurteilen 141

Siehe auch: http://blog.psybel.de/betriebsrat-muss-gefaehrdungen-erkennen/

BG ETEM: Auditierung von Arbeitsschutz-Management-Systemen

http://www.bgetem.de/arbeitssicherheit-gesundheitsschutz/pruefen-zertifizieren/arbeitsschutz-management-systeme-ams-zertifizierung/dateien/ams-vg-umsetzung (Umsetzung-zum-VG_a03-2013-1.docx, in diesem Blog auch im Format ODT verfügbar):

Umsetzung zum Verfahrensgrundsatz
zur Auditierung von Arbeitsschutz-Management-Systemen (AMS)
Stand: 2013-03 (Änderungen gegenüber der Ausgabe 2012-03 sind fett) markiert
Dieses Dokument konkretisiert die Anforderungen der im Abschnitt 3.1 des ,,Verfahrensgrundsatz zur Auditierung von Arbeitsschutz-Management-Systemen (AMS)”, Stand: 2013-03, aufgeführten Schwerpunkte.
Dieses Dokument ist als Audit-Checkliste und Protokoll zu verwenden.
Mit der Erfüllung dieser AMS-Schwerpunkte werden auch die Anforderungen der ILO-OSH:2001-Richtlinie, des nationalen Leitfadens für AMS und der OHSAS 18001:2007 erfüllt. […]

 
Auf S. 9/14 wird der Betriebsrat (BR) explizit genannt:

[…] AMS-Schwerpunkte (vom Unternehmen zu regeln und zu dokumentieren […]

  • Gefährdungsbeurteilung
    • Verfahren zur Durchführung und Aktualisierung (z. B. nach Prozessänderungen und Vorkommnissen) festlegen, dabei sind alle Arbeiten (Normalbetrieb, Störungsbeseitigung, Einrichtung, Wartung etc.), Betriebsprozesse, Betriebsmittel, Betriebszustände und Gefahrstoffe zu berücksichtigen, Betriebsfremde sind einzubeziehen,
    • Zuständigkeiten (Unternehmer, Vorgesetzter) und Mitwirkende (SIFA, Betriebsarzt, Mitarbeiter, BR) festlegen,
    • Inhalt der Dokumentation festlegen.

    Die Dokumentation muss mindestens folgende Punkte enthalten:

    • das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung: Gefährdungen, für die Handlungsbedarf für Arbeitsschutzmaßnahmen besteht,
    • die festgelegten und die terminierten Arbeitsschutzmaßnahmen (bereits getroffene sowie geplante unter Beachtung von TOP),
    • das Ergebnis ihrer Überprüfung (Durchführung und Wirksamkeit).

    Nur bei OHSAS 18001:2007 gefordert: Ermittlung und Dokumentation der Klassifikation und Rangfolge von Risiken und der geeigneten Maßnahmen (sofern keine entsprechenden staatlichen/behördlichen Regelungen vorhanden sind).

  • […]

Natürlich gilt die Mitbestimmungspflicht nicht nur hier, sondern auch überall dort im Arbeitsschutz, wo der Arbeitgeber innerhalb eines Gestaltungsspielraums Verfahren, Politik, Kriterien usw. festlegt.

Analysieren Sie ihren Arbeitsplatz selbst!

http://www.bgetem.de/medien-service/medienankuendigungen/psychische-faktoren-am-arbeitsplatz

Psychische Faktoren am Arbeitsplatz
Eine schnelle Hilfe zur Selbstanalyse für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Die neue Broschüre hilft Beschäftigten, Gefährdungen durch psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu erkennen und Ziele sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Gesundheitssituation abzuleiten. Sie dient den Leserinnen und Lesern zum Selbsttest; aus diesem Selbsttest kann sich Handlungsbedarf für die Praxis ergeben.
Hierzu macht die Broschüre Vorschläge, wie z. B. das Gespräch mit den Vorgesetzten zu suchen, auf eine Veränderung der Arbeitsorganisation hinzuwirken oder auch die eigenen Ressourcen im Umgang mit Stress zu stärken (Bewegung, Entspannung, Kontakte, Hobbys etc.). Besonders störende Faktoren, Veränderungsziele und Maßnahmenvorschläge können abschließend schriftlich festgehalten werden. Dieser Teil, in dem auch die gesundheitliche Situation erfragt wird, ist perforiert, so dass er sich abtrennen und für den persönlichen Gebrauch gesondert aufbewahren lässt. …

Kompliment an diese Berufsgenossenschaft.

ILO-OSH und AMS

Update 2014-08-25

 


2012-08-18
Links zur Anwendung von ILO-OSH für Arbeitsschutzmanagementsysteme (AMS)

Es gibt auch Zusammenhänge zwischen OHSAS 18001 und ILO-OSH. Siehe dazu die Anhänge B.3 und B.4 in OHSAS 18002:2008.

Schwache Erklärung der BG ETEM

http://www.bgetem.de/medien-service/jahresbericht/JB%202011/at_download/file, Jahresbericht 2011:

Psychische Faktoren am Arbeitsplatz
Aktivitäten des FG Arbeitsmedizin/Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren
Psychische Belastungen sind in der Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, zu beurteilen und es ist festzulegen, ob und ggf. welche Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen sind, um der Entstehung von negativen Folgen (,,Fehlbeanspruchungen”) vorzubeugen. Die Thematik ist seit 1974 im Arbeitsicherheitsgesetz als Aufgabe des Betriebsarztes in seinen Beratungspflichten festgeschrieben.
Dennoch wird das Thema ernsthaft und in der Breite erst in letzter Zeit vertieft. Dies kommt u. a. durch die Vereinbarung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit dem Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) ,,Bedeutung der psychischen Belastung im Betrieb” zum Ausdruck (www.vdbw.de). Dies mag neben vielen anderen Gründen auch daran gelegen haben, dass psychische Belastungen – im Unterschied zu vielen anderen Belastungen am Arbeitsplatz – nicht so einfach zu ermitteln sind.
Dazu gehören: Erfassung der Arbeitsorganisation, der Arbeitsmittel, der Arbeitsumgebung sowie die sozialen Beziehungen. Wichtig ist zudem auch die subjektive Bewertung der Arbeitssituation durch die Mitarbeiter/-innen und die Rahmenbedingungen im Betrieb. Und bei der Ableitung von Maßnahmen können gleichartige Ergebnisse, je nach Einzelfall, zu unterschiedlichen Interventionsebenen führen: Mitarbeiter/-in, Führungskraft, Arbeitsaufgabe, Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation, Kommunikation und Schnittstellen im Betrieb etc. Neben der Gefahrenabwehr spielt auch die Stärkung gesundheitsförderlicher Ressourcen des Betriebes (,,gesunde Arbeit”) wie auch der Arbeitnehmer (,,Resilienz”) eine wichtige Rolle.
Wichtig ist, dass alle eingesetzten Instrumente und Verfahren qualitätsgesichert sind und hierbei eine Güteprüfung durchlaufen haben, die die Richtigkeit der Methode (Validität) zu Zuverlässigkeit (Reliabilität) und die Unabhängigkeit von Untersucher und Anwendungssituation (Objektivität) sicherstellt. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Selbst ich gehe nicht soweit, die Arbeitgeber für ihre Pflichtverletzungen bis zurück in das Jahr 1974 haftbar zu machen. Die konkretere Geschichte der Vermeidung des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz beginnt später. Ab spätestens 2005 mussten die Unternehmen wissen (wenn es sie interessiert hätte), was sie taten bzw. was sie trotz Vorschrift nicht taten.
Und nun wird es peinlich: “Dennoch wird das Thema ernsthaft und in der Breite erst in letzter Zeit vertieft. … Dies mag neben vielen anderen Gründen auch daran gelegen haben, dass psychische Belastungen – im Unterschied zu vielen anderen Belastungen am Arbeitsplatz – nicht so einfach zu ermitteln sind.” Da hat sich die DB ETEM ausgerechnet eine der schwächsten Ausreden der Arbeitgeber ausgesucht. Die BG ETEM traut sich nicht, einen der Hauptgründe zu benennen: Die Berufsgenossenschaften haben kaum kontrolliert und die Unternehmen hatten kein Interesse. Die Unternehmen schaffen es, hochkomplexe Leistungs- und Verhaltensbeurteilungssysteme zu konsturieren und zu implementieren, aber die Verhältnisbeurteilung psychischer Belastung kriegen sie nicht hin. Wer glaubt denn so etwas?
Aus so vielen möglichen Quellen sucht die rücksichtsvolle BG ETEM die Vereinbarung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit dem Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) “Bedeutung der psychischen Belastung im Betrieb” (2012) aus.
Kleiner Hinweis: Sehr lesenswert ist auch “Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW” (Mai 2009). Aber den Arbeitnehmern, die der nachhaltigen Missachtung wichtiger Arbeitsschutzregeln viele Jahre lang ausgesetzt waren, muss die BG ETEM ja nicht die goldenen Brücken bauen, ohne die man heute Arbeitgeber nicht um die entgegenkommende Einhaltung von Schutzbestimmungen bitten kann.

Missachtung des Arbeitsschutzes kein Thema für Berufsgenossenschaft BGN

http://www.bgn.de/10530/38986/1

Erschöpft, gestresst, ausgebrannt
Damit es so weit nicht kommt: psychische Gesundheit der Beschäftigten fördern und stärken
von Constanze Nordbrock
Akzente 3/2012 | Magazin für Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Rehabilitation
Sich gestresst fühlen ist keine Krankheit. Dennoch können Stress und psychische Belastung die Gesundheit gefährden. Über die Hintergründe und was der Betrieb tun kann, um die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu fördern und zu stärken. …

… Was getan werden kann
Die von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern getragene Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) legt einen Schwerpunkt auf die Thematik. So beraten Berufsgenossenschaften und staatliche Arbeitsschutzbehörden die Unternehmen, wie psychische und körperliche Gesundheit als wichtige Ressource eines gesunden Unternehmens gefördert und gestärkt werden können. Dies ist auch relevant im Hinblick auf die Folgen des demografischen Wandels und des damit verbundenen Fachkräftemangels. …

Irgendetwas stimmt hier nicht. Der offensichtlichste und klar nachweisbare Mangel ist die Missachtung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes bei der Mehrheit der Unternehmen. Besonders hier brauchen Unternehmen eine nachhaltige Beratung durch die Berufsgenossenschaft. Darauf geht dieser BGN-Artikel nicht klar genug ein. Auch höre ich, dass Aufsichtspersonen der BGs bei Besuchen in Unternehmen selbst einfachste Checks nicht durchführen, mit denen sich der Einbezug psychischer Belastungen beispielsweise in die Gefährdungsbeurteilung überprüfen ließe. Diese intensive Unaufmerksamkeit ist schon ziemlich merkwürdig.
Interessant ist auch hier wieder die Hervorhebung von Themen wie demografischen Wandel und Fachkräftemangel. Der wirtschaftliche Nutzen des Arbeitsschutzes ist eine schöne Sache, aber Körperverletzung geht gar nicht. Trotzdem reicht es anscheinend heute nicht mehr, Arbeitgeber auf das Recht der Mitarbeiter auf körperliche Unversehrtheit (mehr oder notfalls auch weniger freundlich) hinzuweisen.”Zeitgemäßer” ist es wohl, dass Unternehmer nur mit freundlichen Bitten und wirtschaftlichen Anreizen davor abgehalten werden können, Körperverletzung zu begehen. Die ökonomische Verseuchung unseres Denkens ist eben schon ziemlich weit fortgeschritten. Schade, wenn die Berufsgenossenschaften die einfache Tatsache vergessen, dass trotz allen Schönredens im Arbeitsschutz die strenge Durchsetzung von Vorschriften immer noch das wirkungsvollste Mittel ist. Mehr als 15 Jahre Tatenlosigkeit der Mehrheit der Arbeitgeber sollten ausreichen, hier alle Illusionen zur unternehmerischen Verantwortung zu begraben.
Bei der BG ETEM fand ich ein Beispiel, in dem die Pflichten der Arbeitgeber klarer angesprochen werden. Allerdings gibt es noch Aufsichtspersonen auch der BG ETEM, die bei der Überprüfung von Gefährdungsbeurteilungen (und speziell bei der Überprüfung der vollständigen Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung) zu unaufmerksam sind.
(http://osha.europa.eu/fop/germany/de/news/neues/2_quartal_2012/article.2012-06_06 machte mich auf den Artikel der BGN aufmerksam.)

Pflicht schon im Jahr 2006 bekannt: Bewertung psychischer Fehlbelastungen

Natürlich gab es diese Pflicht schon früher. Aber als ich diese Veröffentlich einer Berufsgenossenschaft las, musste ich wieder an die “Unwissenheit und Hilflosigkeit” denken, die unsere Arbeitsministerin den deutschen Unternehmen zubilligte. Das ist einfach nicht glaubhaft.
BGFE und TBBG (seit 2010 in der BG ETEM), Ulla Nagel: Psychische Belastungen am Arbeitsplatz, 2006-06-13, also schon vor der heutigen Ausgabe 2011.
In beiden (2006 und 2011) Ausgaben steht:


Nach dem Arbeitsschutzgesetz (§§ 2,3) und dem Sozialgesetzbuch Sieben (SGB VII, §§ 1, 14, 21) sind Arbeitgeber und Berufsgenossenschaften verpflichtet, nicht nur Unfälle und Berufskrankheiten, sondern auch »arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren« zu verhüten. Dazu zählen psychische Belastungen, soweit sie gefährdend sind. Somit ist die Bewertung psychischer Fehlbelastungen in die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung mit eingeschlossen (§ 5 Arbeitsschutzgesetz). 
Über Pflichten klärt auch die EU-Rahmen-Richtlinie 89/391/EWG zur »…Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes …« Art. 6 Abs. 1 und 2 (1989) auf.

(Das hatten wir doch schon einmal: http://blog.psybel.de/2011/03/24/bg-etem/. So richtig ernsthaft geprüft wurde von der Berufsgenossenschaft aber wohl schon seit 2006 und auch davor nicht.)


Wie gehen Sie bei der Gefährdungsbeurteilung vor?

  1. Bilden Sie ein Team für die Analyse und Lösung der Probleme:
    Zum Team gehören: Arbeitgeber, Führungskräfte, Betriebsarzt, Sicherheitsfachkraft, Sicherheitsbeauftragter,Vertreter der Mitarbeiter. Die Kollegen vor Ort sind Experten für die Bewertung ihrer Tätigkeiten!
  2. Ermitteln Sie den Handlungsbedarf
    Wie grenzen Sie die Problembereiche sinnvoll ein? Werten Sie betriebliche Kennzahlen aus:
    Überdurchschnittlich hoher oder niedriger (!) Krankenstand/Fluktuation, Fehlleistungen, Nacharbeit, Qualitätsmängel, Terminüberziehung, Überstunden, Reklamationen, Unfälle/Beinaheunfälle, gesundheitliche Klagen
  3. Erstellen Sie die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG
    Nutzen Sie dazu hier den psy.Risk®-10-Faktorentest in dieser Broschüre. Leiten Sie Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ab. Mitarbeiter der Präventionsabteilung der BG helfen gern dabei!
  4. Setzen Sie die Maßnahmen um und prüfen Sie die Wirkung.

(Auch das war schon im Jahr 2006 bekannt. Von wegen “unwissend und hilflos“, Frau Dr. von der Leyen.)


Andere Belastungsquellen wirken aus der Freizeit in die Arbeit hinein: aus dem Privatleben (Familie, Freunde), aus nebenberuflicher Betätigung (z.B. Verein) sowie aus den Problemen von Nachbarschaft, Kommune und Gesellschaft (siehe Außenkreis des Modells). Arbeits- und Freizeitbelastungen lassen sich in ihren Wirkungen heute noch nicht völlig trennen. Studien belegen aber, dass die Arbeitsbelastungen das Privatleben nachhaltiger stören als umgekehrt!

(Der letzte Absatz ist auf S. 9/20 in der 2006er Ausgabe und S. 7/20 in der aktuellen Ausgabe.)
Siehe auch: http://blog.psybel.de/analysieren-sie-ihren-arbeitsplatz-selbst/
Suche im Webauftritt der BG ETEM: http://www.bgetem.de/search?SearchableText=psychische+belastungen
 


2015: Psychische Faktoren am Arbeitsplatz, https://www.bgetem.de/medien-service/medienankuendigungen/broschuere-psychische-belastungen-am-arbeitsplatz
 

Bewusste Pflichtverletzung seit 2005

Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.

Richard von Weizsäcker
 
http://blog.psybel.de/praeventive-arbeitsgestaltung-unter-nutzung-von-§§-90-91-betrvg/

Seit den 70er Jahren gibt es den gesetzlich verankerten gemeinsamen Auftrag für Arbeitgeber und Betriebsrat, arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit bei der Planung und Korrektur von Gestaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Uwe Dechmann, Sozialforschungsstelle Dortmund
Zu viele “Macher” vergessen gerne die Vergangenheit. Sie schauen lieber “nach vorne”, denn sie möchten zwar für ihre Verantwortung sehr gut entlohnt, aber für Pflichtverletzungen nicht verantwortlich gemacht werden. Sie verlangen göttliche Unantastbarkeit:

Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn sehe, ich will ein Neues schaffen.

Jesaja 43, 18 – 19

Who controls the past controls the future. Who controls the present controls the past.

George Orwell
Geschichte, unter die ein Schlussstrich gezogen werden soll, ist in der Regel eben besonders interessant. Geschichte wird ja nicht nur vergessen, sondern auch noch geklittert. Wir schauen schon deswegen in die Vergangenheit, weil beispielsweise unsere Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen heute versucht, die nachhaltige Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen mit “Unwissen und Hilflosigkeit” der Unternehmen zu entschuldigen. Das ist keine Enschuldigung, weil sich zeigen lässt, dass viele Unernehmer wussten was sie taten. Sie ließen das Thema bewusst schleifen und hatten mit ihrem wissentlich gepflegten Unwissen ihre Mitarbeiter die Krankheit getrieben. Dabei mussten politisch ausgebremste Aufsichtsbehörden untätig zuschauen. Unsere wirtschaftliche und politische Elite verletzte dabei nicht nur die Arbeitnehmer, sondern die Anarchie im Arbeitsschutz fügte auch dem Rechtsstaat Schaden zu.
Den ganzheitlichen Arbeitsschutz gibt es seit 1996. Aus den Vorschriften ergab sich damals schon eine Pflicht der Arbeitgeber, psychisch wirksame Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Seit dieser Zeit hatten nicht nur ein Großteil der Unternehmer, sondern auch Arbeitnehmervertretungen (Ausnahmen gab es, z.B. die Pionierarbeit des Betriebsrats der SICK AG) und Aufsichtspersonen ihre Lernkurve sehr flach gehalten.
Spätestens seit 2005 war den Arbeitgebern jedoch klar, was sie zu tun haben. Im Jahr 2004 gab es klärende Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts. Die BDA merkte nun, das es brenzlig wurde und veröffentlichte im Mai 2005 die Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit. Zumindest bei größeren Unternehmen war das Thema also seit 2005 auf ihrem Radar. Aber selbst danach setzten sie nicht einmal das um, was im April 2000 in der eher arbeitgeberorientierten Zeitschrift für Arbeitswissenschaft Leistung und Lohn beschrieben wurde. Darum gehe ich davon aus, dass seit 2005 viele Arbeitgeber ihre Pflicht zum verhältnispräventionsorientierten Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz vorsätzlich missachteten. Mitverantwortlich ist hier aber auch eine Politik, die im naïven Vertrauen auf das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen die Aufsichtsbehörden geschwächt hat.
Am Beispiel der BGFE (jetzt in der BG ETEM) kann man sehen, dass auch die Berufsgenossenschaften die von ihnen überwachten Unternehmen auf ihre Pflichten aufmerksam gemacht hatten (2006). Leider führt z.B. die BG ETEM bis heute keine ausreichend gründlichen Prüfungen durch.
In Betrieben mit Bildschirmarbeit kann seit 1996 oft von einer vorsätzlichen Missachtung der Bildschirmarbeitsverordung ausgegangen werden, wenn psychische Belastungen nicht beurteilt wurden. Wurde eine Erfüllung der Bildschirmarbeitverordnung dokumentiert obwohl psychische Belastungen nicht beurteilt wurden, dann ist das eine unwahre Angabe in der Dokumentation des Arbeitsschutzes.
Im Jahr 2010 stellte die BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) fest, dass die große Mehrheit der Arbeitgeber das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) nicht aufgreife. Erst Ende 2011 erkannte die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen auch öffentlich, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema [Arbeitsschutzbestimmungen auch mit Blick auf seelische Belastungen] schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit”. Was “schleifen lassen” anbetrifft, hat sie sich noch recht freundlich ausgedrückt; aber mit “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” liegt sie ziemlich daneben, wie der Blick auf die Vergangenheit zeigt.
Meine Kritik richtet sich nicht so sehr gegen die Fachkräfte für Arbeitsschutz in den Betrieben oder gegen Aufsichtspersonen, die diese Betriebe (gelegentlich) besuchen. Das sind oft gutmütige Techniker und Chemiker, die psychische Belastungen überhaupt nicht im Blickfeld hatten. Hier gab es nicht durch Absicht, sondern durch Überforderung bedingte Unwissenheit und Hilflosigkeit. Verantwortlich sind viel mehr die oberen Führungskräfte in den Betriebs- und Behördenleitungen, die trotz Kenntnis ihrer Verpflichtungen diese Unwissenheit und Hilflosigkeit aufrecht erhielten. Die Thematisierung von Arbeitsbelastung wurde geradezu angestrengt vermieden.
Es gibt viele Gründe, die Geschichte der “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” (Ursula von der Leyen, Dez. 2011) beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht in Vergessenheit geraten zu lassen:

  • Wir können aus Fehlern lernen.
  • Spätestens seit 2005 sparte sich die Mehrheit der Unternehmen die Kosten für den vorgeschriebenen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Dank der dadurch erzielten Einsparungen können Unternehmen sich nun mit überdurchschnittlichen Budgets für einen hochwertigen Arbeitsschutz begeistern, und damit die erforderliche Nacharbeit beschleunigen – ohne jedoch deren Qualität zu mindern.
  • Wenn sich ein Unternehmen dazu entschließt, psychische Belastungen verspätet in den Arbeitsschutz einzubeziehen, können trotzdem die Risiken nicht vergessen werden, denen die Mitarbeiter durch die Pflichtverletzung des Unternehmens zuvor ausgesetzt waren. Zwischen psychischer Verletzung und psychischer Erkrankung können viele Jahre liegen. Eine vollständige Gefährdungsbeurteilung löst noch keine Probleme, sondern sie ist der erste Schritt zu Problemlösungen.
  • Die Gründe für die Missachtung der Regeln des Arbeitsschutzes durch Arbeitgeber müssen verstanden werden. Sind die Regeln nicht umsetzbar und/oder fehlt der Mehrheit der Arbeitgeber der Respekt gegenüber Schutzgesetzten?
  • Außerdem könnte ein Verständnis der Geschichte der mangelhaften Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes helfen, die Bedeutung von Arbeitnehmervertretungen besser zu verstehen und das (europäische) Entbürokratisierungskonzept zu überdenken, auf dem dieses Gesetz basiert.

Für Betriebe mit kompetenten und durchsetzungsfähigen Arbeitnehmervertretern ist der Gestaltungsspielraum, den ein Rahmengesetz für betriebsnahe Lösungen gibt, eine feine Sache. Dieser Gestaltungsspielraum begründet den an die Arbeitgeber gerichteten Gestaltungsimperativ und die starke Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Aber was geschieht in den vielen Unternehmen mit überforderten (und gelegentlich sogar gemobbten) Arbeitnehmervertretungen?
Wie wichtig Betriebsräte im Arbeitsschutz sind, sieht man an einem schönen Beispiel: Belastungen als Thema des Arbeitsschutzes führten kürzlich zur Gründung des ersten Betriebsrats bei Apple in München. Auch das ist ein interessantes Ereignis in der Geschichte des deutschen Arbeitsschutzes.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/motivierendevorschriften/