Sarah Kempf schreibt über psychische Belastung: ver.di Umfrage

2. November 2015, Von Sarah Kempf,

Belastung am Arbeitsplatz
Jeder fünfte Arbeitnehmer fühlt sich überfordert

Eine Anti-Stress-Verordnung müsse her, fordern Gewerkschaften. Dabei liegt das Problem wohl nicht nur im Job.

Sarah Kempf arbeitet sich an der nicht existierenden Behauptung der Gewerkschaften ab, dass das Problem nur am Job läge. (http://www.sueddeutsche.de/karriere/belastung-am-arbeitsplatz-jeder-fuenfte-arbeitnehmer-fuehlt-sich-ueberfordert-1.2732094):

[…] Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte die Forderung [nach einer Anti-Stress-Verordnung] unterstützt und gesagt, es gebe einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme an psychischen Erkrankungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dem Gesetz im vergangenen Herbst aber vorerst eine Absage erteilt.
“Platte Behauptung”
Die Arbeitgeber dürfte das gefreut haben. Sie wollen, dass betriebliche Schutzmaßnahmen freiwillig bleiben. Dass Arbeitsstress die Ursache für psychische Krankheiten sein soll, bezeichnete Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft VBW, als “platte Behauptung”. […]

Anlass des Berichts sind wohl u.A. die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung durch TNS Infratest im Rahmen der ver.di-Aktionswoche 9.-13. November 2015 im Rahmen der Aktionswoche “Gute Arbeit ohne Druck” (2011-11-09). Es gibt dazu auch ein Artikel im Handelsblatt (2015-11-09), an dem sich die Süddeutsche Zeitung ein Beispiel nehmen könnte. Es gibt auch ein Beispiel für eine sehr gut recherchierte Berichterstattung in der SZ zum Thema der psychischen Belastung (Thomas Öchsner, 2012-07-24.)

  • Sara Kempf’s kleinerer Fehler: Eine Verordnung ist kein Gesetz.
  • Der größere Fehler ist, den Eindruck zu erwecken, dass die die Gewerkschaften die Ursache psychischer Krankheiten (nur) dem Arbeitsstress zugeordnen würden. Hier wird eristisch versucht, eine Behauptung zu widerlegen, die weder die Gewerkschaften noch Andrea Nahles machten. Auch Arbeitsschutzakteure verorten die Ursachen für psychische Erkrankungen in der Bevölkerung nicht ausschließlich in der Arbeitswelt. Es ist doch klar, dass psychische Erkrankungen eine Vielzahl von Ursachen haben können. Nur wurde der Bereich der arbeitsbedingten psychischen Belastungen seit 1997 in gesetzeswidriger Weise vernachlässigt. Das unzureichende Prüfungen ein Grund dafür sind, berichtete die Süddeutsche Zeitung schon im Juli 2012 (Thomas Öchsner, s.o.).
  • Sarah Kempf schreibt: Die Arbeitgeber “wollen, dass betriebliche Schutzmaßnahmen freiwillig bleiben.” Das ist der größte Fehler. Seit 1997 sind betriebliche Schutzmaßnahmen zur Vermeidung jeder Art von arbeitsbedingter Gesundheitsverschlechterung längst nicht mehr freiwillig, sondern sie sind verpflichtend im Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben.

Dass ein signifikanter Anteil psychischer Erkrankungen arbeitsbedingt ist, haben die Arbeitgeber längst begriffen. Das Problem: Wegen des in einer spürbar veränderten Arbeitswelt aus psychischen Fehlbelastungen resultierenden wirtschaftlichen Schadens möchten die Unternehmen derartige Fehlbelastungen zwar durchaus mindern, aber mit möglichst wenig Mitbestimmung und möglichst geringem Haftungsrisiko.
Hier bremsen die Rechtsabteilungen der Unternehmen ihre Arbeitsschutzbeauftragten und ihre HR-Abteilungen, denn um die von arbeitsbedingten psychische Belastungen verursachte Beanspruchung der Mitarbeiter zu verstehen, müssten psychische Belastungen zwar besser erfasst und beurteilt werden, als das bisher der Fall ist, aber solch eine Dokumentation könnte auch Haftungsansprüche der Arbeitnehmer begründen. Darum versuchen selbst nach OHSAS 18001 zertifizierte Betriebs, gegenüber ihren Mitarbeitern ihre Selbstverpflichtung zu verstecken, für den Arbeitsschutz relevant Vorfälle in zwölf Kategorien zu erfassen und zu beurteilen.
Zudem kann die offene und transparente Thematisierung psychischer Belastungen zu Diskussionen über Führungstile führen, an die sich Arbeitgeber möglicherweise nicht allzu bereitwillig gewöhnen möchten. Es geht hier an’s Eingemachte.
Sahra Kempf ist es (im Gegensatz zu Thomas Öchsner, s.o.) nicht aufgefallen, dass bis 2012 die große Mehrheit der Unternehmen sich für die vorgeschriebene Beurteilung psychischer Belastungen nicht interessiert hatte. Eine Journalisten sollte sich vielleicht doch ein bisschen aktiver für den Rechtsbruch interessieren, an den sich auch die Gewerbeaufsicht gewöhnt hatten. (Es gibt Zertifizierungsauditoren, die das tolerieren.)
Vor diesem Hintergrung lassen sich die Forderungen nach einer Anti-Stress-Verordnung leichter verstehen. Ob die Schlussfolgerung, dass hier eine Verordnung helfen lönnte, richtig ist, ist eine andere Frage. Es gab ja seit 1997 ein Gesetz über den ganzheitlichen Arbeitsschutz. Ohne eine Rückkehr zu Recht und Ordnung im Arbeitsschutz und im behördlichen Aufsichtshandeln würden den Arbeitgebern Verstöße gegen eine Anti-Stress-Verordnung genauso großzügig gestattet, wie die Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz.

Interessierte Selbstgefährdung

Klaus Peters, Indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung. Eine 180-Grad-Wende bei der betrieblichen Gesundheitsförderung in:
Nick Kratzer, Wolfgang Dunkel, Karina Becker, Stephan Hinrichs (Hrsg.)
Arbeit und Gesundheit im Konflikt, Seite 105 – 122
Analysen und Ansätze für ein partizipatives Gesundheitsmanagement
1. Auflage 2011,
ISBN print: 978-3-8360-3580-4, ISBN online: 978-3-8452-7123-1,
DOI: 10.5771/9783845271231-105
Kapitelvorschau (http://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845271231-105/indirekte-steuerung-und-interessierte-selbstgefaehrdung-eine-180-grad-wende-bei-der-betrieblichen-gesundheitsfoerderung):

[…] Man kennt es von Freiberuflern und so genannten Existenzgründern: Wenn der eigene Erfolg gefährdet ist oder einmalige Chancen winken, wird ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit gearbeitet. Neuen Managementmethoden gelingt es, die Leistungsdynamik von Selbstständigen in unselbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu importieren. Darum kommt es auch bei Arbeitnehmern zu interessierter Selbstgefährdung – mit weitreichenden Folgen für das betriebliche Gesundheitsmanagement. […]
[…] Den zunehmenden psychischen Belastungen bei der Arbeit ist es ähnlich ergangen wie dem Klimawandel: Der Streit darüber, ob es eine solche Entwicklung überhaupt gebe, hat lange Zeit Energie absorbiert, die für die Arbeit an einer lösung der neuartigen Probleme dringend benötigt worden wäre. Inzwischen ist die Entwicklung so weit fortgeschritten , dass die Leugner, die sich hier wie dort als Dramatisierungsgegner, Antihysteriker und Katastrophismuskritiker in Szene gesetzt hatten, unter nachhutgefechten zurückziehen und der Streit im Wesentlichen entschieden zu sein scheint.
        Wenn es denn wahr ist, dass die psychischen Belastungen bei der Arbeit dramatisch zunehmen, dann sollte man jetzt ein zweites Vermeidungsmanöver vermeiden und nicht die Größenordnung der Herausforderung herunterspielen. […]

Der kostenpflichtige Zugang zum Volltext wird auf der Website von Nomos erklärt.
 
Nach meinem Eindruck sind wir nicht nicht sehr viel weiter, als im Jahr 2011.

Mentale Arbeitsbelastung für Mensch und Maschine

In http://www.haufe.de/sozialwesen/leistungen-sozialversicherung/burnout-ist-die-zunahme-psychischer-erkrankungen-ein-irrtum_242_176264.html berichtet haufe.de über den Rostocker Mediziner Wolfgang Schneider, der eine Zunahme psychischer Erkrankungen anzweifelt. Das bekannte Argument:

«Es gibt eine große Bereitschaft von Menschen, sich als psychisch belastet anzusehen und sich deshalb krankschreiben zu lassen», sagte der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Mag sein oder auch nicht. Tatsächlich wird es vielleicht eher eine Bereitschaft von Menschen geben, sich als psychisch fehlbelastet anzusehen und sich deshalb krankschreiben zu lassen. Ob das eine “große” Bereitschaft ist, müssen Forscher herausfinden. Was würde es bedeuten, wenn Krankschreibungen wegen vermuteter psychischer Fehlbelastungen tatsächlich “nur” Dank der Enttabuisierung des Themas zunähmen? Entwarnung?
Mental Workload ist Gegenstand der englischsprachigen Norm ISO 10075, was leider mit psychische Belastung in das Deutsche übersetzt wurde. Dass die Mentale Arbeitsbelastung zunimmt, ist jedenfalls einfach messbar: Heute werden speziell dem Büromenschen mehr Informationen zugeführt, als früher. Er hat zwar auch viel mehr Verarbeitungshilfen, aber es müssen immer noch mehr Entscheidungen getroffen und verantwortet werden. Es wird effizienter gearbeitet, also mit weniger Redundanz und deswegen auch mit geringerer Fehlertoleranz. Wie die Menschen lernen, damit umzugehen und ob eine Zunahme mentaler Arbeitsbelastungen mit einer Zunahme mentaler Fehlbelastungen einhergeht, wird sich immer wieder zeigen müssen. Die Veränderungen sind turbulent.
Wieviel Mühe geben sich die Arbeitgeber überhaupt, arbeitsbedingte psychische Belastungen zu verstehen? Seit 1996 strengt sich die Mehrheit der Arbeitgeber sehr an, Gefährdungen durch arbeitsbedingte psychische Fehlbelastungen nicht zu erfassen. Die behördliche Aufsicht ist unterausgestattet und muss deswegen ziemlich hilflos zusehen, wie Unternehmen ihre Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz locker missachten konnten und immer noch können. So fehlen dann die Daten, die Wolfgang Schneiter bräuchte, um brauchbarere Aussagen machen zu können. Das soll wohl auch so sein.
Nicht nur Menschen könnten von der ihnen zugeführten und von ihnen zu verarbeitenden Information zunehmend überfordert werden, sondern auch technische Systeme. Es sind nun häufig Softwareprobleme, die die rechtzeitige Auslieferung von Zügen und Flugzeugen verzögern. “Mentale” Arbeitsbelastung wird gerne unterschätzt, ob beim Menschen oder bei Computern. Und das Wachstum der Informationsverarbeitung wird immer noch als von materiellen Beschränkungen unbegrenzt behandelt; dabei solle der Energieverbrauch von “Server Farmen” weltweit die Umwelt bereits schon so belasten, wir der Flugverkehr. Die zunehmende Informationsverarbeitung erhitzt eben nicht nur die Gemüter.
 
Nachtrag (2013-05-05): Siehe auch in einem weiteren Zusammenhang: Thomas Schulz, Mensch gegen Maschine, SPIEGEL 18/2013 (2013-04-29), S. 62-64 und Maschinen verdrängen Menschen.

Unterdrückte Wahrnehmung

http://www.vdi-nachrichten.com/artikel/Burn-out-ist-meist-nicht-nur-eine-Frage-der-Arbeitsueberlastung/63259/4

15.03.2013
Burn-out ist meist nicht nur eine Frage der Arbeitsüberlastung […]

Guter Artikel zur Bedeutung des gesamten Umfeldes der Mitarbeitern für ihre psychischen Belastung.
Es gibt jedoch eben auch Belastungen, die ausschließlich im Handlungs- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers zu Fehlbelastungen werden. Mir wurde beispielsweise von einem Fall berichtet, in dem eine neue Führungskraft enteckte, dass ihr Team zu sehr von Datenerfassungsaufgaben, Reporting und Präsentationsaufgaben “genervt” wurde. Die Mitarbeiter kamen gar nicht mehr dazu, ihre eigentliche Aufgaben zu erledigen. Die Belastungen waren nach Darstellung des Teams “zu hoch”, die Mitarbeiter waren unterfordert. Zusammen mit ihnen beseitigte die Führungskraft dieses Problem.
Interessant an diesen Beispiel der erfolgreichen Beseitigung einer psychischen Fehlbelastung war nun, dass der Verantwortliche für den Arbeitsschutz selbst diesen als positives Beispiel darstellbaren Vorfall nicht erfassen und dokumentieren wollte. Wegen einer Zerifizierung nach OHSAS 18001 wäre er jedoch dazu verpflichtet gewesen. Die gesetzliche vorgeschriebene wahrheitsgemäße Gefährdungsbeurteilung gab es auch nicht. Für das Unternehmen war es wichtiger, einfach keine Beispiele für ausschließlich im Handlunges- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers aufgetretene psychische Fehlbelastungen in seiner Statistk auftauchen zu lassen. Solche Verstöße sowohl gegen Selbstverpflichtungen wie auch gegen das Arbeitsschutzgesetz sind eben heute immer noch möglich. Das Unternehmen unterdrückte systematisch die Wahrnehmung von psychischen Fehlbelastungen, für die es verantwortlich war.

Gesundheitsvorbeugung???

http://www.process.vogel.de/management_und_it/beruf_karriere/personalfuehrung/articles/397385/

Betriebliche Gesundheitsprävention
Macht die moderne Arbeitswelt krank?
08.03.13 | Autor / Redakteur: Bernhard Kuntz / Matthias Back
Die Zahl der Berufstätigen mit psychischen Problemen steigt. Doch warum? Aufgrund des erhöhten Arbeitsdrucks in vielen Unternehmen? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Arbeitgebervertreter betonen: Die Ursachen liegen meist auch im privaten und persönlichen Bereich. […]

In die Richtung geht dann auch der Artikel. Nun sind Arbeitgeber wohl auch die wichtigeren Kunden der beiden Autoren. Gesundheits- und Arbeitsschutz haben diese Autoren nicht auf dem Radar.
In der Vergangenheit begannen die Unternehmen, mit Betrieblichem Gesundheitsmanagement und Betrieblicher Gesundgeitsförderung die Verhaltensprävention voranzutreiben und damit die gesetzlich im Gesundheits- und Arbeitsschutz vorgeschrieben Verhältnisprävention zu marginalisieren. Jetzt kommt die Betriebliche Gesundheitsprävention. Hallo!? Eine Xxxxx-Prävention soll Xxxxx vorbeugen. Wollen die Unternehmen wirklich eine Gesundheitsprävention? Das ist doch Unsinn. Und trotzdem scheint sich diese Sprachverwirrung durchzusetzen. Haben wir kritisches Mitdenken schon so sehr verlernt?

Arbeitsbedingte psychische Probleme

Ein immer wieder in den Diskussionen um arbeitsbedingte psychische Probleme auftauchendes Argument ist, dass Arbeitgeber sich nicht um jebe Probleme kümmern können, die von außen in die Betriebe hineingetragen werden.
http://arbeitspsychologie-salzburg-team.at/2013/01/03/umfrage-zu-psychischen-belastungen-im-betrieb/ zur Zurückhaltung der Unternehmen beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz:

… Die Einschätzung, dass psychische Probleme aus dem Privatbereich in den Betrieb getragen werden, ist nur für ein Viertel der Verantwortlichen Ursache für die Zurückhaltung. …

In http://gesundheitsalzburg.at/inhalt/unwissenheit-und-scheu-umgang-psychischen-belastungen-betrieb Gibt es noch weitere Angaben.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/bewertung-psychischer-fehlbelastungen-ist-pflicht/#Belastungsquellen

Klischees der Kapitalismuskritik treffen auf Dieter Hundts Hobbypsychologie

http://www.bild.de/geld/wirtschaft/dieter-hundt/trotz-burn-out-arbeit-gesund-26111684.bild.html (2012-09-10)

Berlin – Nach der Debatte um immer mehr Burn-out-Kranke Arbeitnehmer hält Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt (73) dagegen.
Hundt zu BILD:

Dass Arbeit psychisch krank macht, ist falsch. Im Gegenteil: Berufstätigkeit schafft Selbstbestätigung und Anerkennung. Sie ist damit eine wichtige Basis für die psychische Gesundheit.

(Kommentare: http://www.bild.de/ka/p/ugc/26111682/comment/dsc)
Hundt hat natürlich recht, bellt aber am falschen Baum: Kein vernünftiger Arbeitsschützer und keine Forschung behauptet, dass Arbeit psychisch krank mache. Nur schlechte Arbeit macht krank. Leider gibt es aber immer wieder Leute, die eristischen Ablenkungsmanövern, wie dem von Hundt, Futter liefern:
http://www.heise.de/tp/artikel/38/38240/1.html

Die kränkelnde Arbeitsgesellschaft
Tomasz Konicz 30.12.2012
Die zunehmende Krisenkonkurrenz führt zu einer raschen Zunahme psychischer Erkrankungen bei Lohnabhängigen
“Arbeit hält gesund” – auf diesen Nenner brachte die Bild-Zeitung die Ausführungen des Präsidenten der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, der in einem Gespräch mit dem Boulevardblatt behauptete, dass Lohnarbeit unter keinen Umständen psychisch krank machen könne.
“Im Gegenteil: Berufstätigkeit schafft Selbstbestätigung und Anerkennung. Sie ist damit eine wichtige Basis für die psychische Gesundheit”, so Hundt. Wenn Lohnabhängige dennoch psychisch erkrankten, dann seien sie selbst daran schuld, führte der BDA-Chef weiter aus:

Die wesentlichen Ursachen liegen dabei in genetischen und entwicklungsbedingten Faktoren, im familiären Umfeld, im Lebensstil und im Freizeitverhalten.

Dabei wandte sich Hundt mit seiner Intervention gegen eine Fülle von Studien und Berichten, die genau das bestätigen, was der Arbeitgeberpräsident so vehement verneint: Arbeit macht krank. Um 120 Prozent sei die Zahl der psychischen Erkrankungen unter Deutschlands “Arbeitnehmern” seit 1994 angestiegen, meldete etwa das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) Mitte August.
Aufgrund dieser Zunahme seelischen Leidens an den spätkapitalistischen Zuständen …

Und schon möchte ich eigentlich nicht mehr weiterlesen, tu’s aber dann doch. Ich weiß nicht, was Hundts Denken treibt. Vielleicht ein nicht mehr ganz aktueller Kenntnisstand der Psychologie? Aber mit der Ansammlung kapitalismuskritischer Klischees und Gegendummheiten (“Arbeit macht krank”) tut sich der Kritiker an Hundts Dummheiten auch keinen Gefallen. Leider kann das dazu führen, dass die interessanteren Argumente in dem Artikel von Tomasz Konicz vom Leser nicht so gut verdaut werden, wie sie es verdienen.
Nur damit es klar ist: Schlechte Arbeit macht krank. Gute Arbeit trägt dagegen tatsächlich zur Gesundheit bei. Das hilft bei der Definition von “gut” und “schlecht”.
Links:

NRW-Koalitionsvertrag 2012 – 2017:gute Arbeit, anständige Arbeitsbedingungen

http://www.gruene-nrw.de/fileadmin/user_upload/gruene-nrw/politik-und-themen/12/koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2012-2017.pdf
 
Zeilen 228 – 234

Wir setzen uns gemeinsam mit den Gewerkschaften für gute Arbeit, anständige Arbeitsbedingungen und faire Löhne ein. Wir halten am Ziel der Vollbeschäftigung fest. Wir treten auch in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften für Mindeststandards als Regeln gegen Missbrauch und Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt ein. Für uns ist es eine Frage der Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, den Menschen durch gute Arbeit wieder Teilhabe und sozialen Aufstieg zu ermöglichen.

 
Zeilen 4815 – 4846

Beschäftigungsfähigkeit kann nur durch gesunde, humane Arbeitsbedingungen gesichert werden. Darauf werden wir den Gesundheits- und Arbeitsschutz in NRW stärker konzentrieren.
Gemeinsam mit Sozialpartnern und Sozialversicherungen werden wir das Programm “Arbeit gestalten – NRW” auflegen und umsetzen, dass sich schwerpunktmäßig mit der Gestaltung von betrieblichen Handlungsfeldern auf folgenden Gebieten befasst: alternde Belegschaften, gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen, Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den Belegschaften.
Dies gilt insbesondere für psychische Erkrankungen, die zu hohen Ausfallzeiten führen und der häufigste Grund für Frühverrentungen sind. Wir wollen daher in Kooperation mit interessierten Unternehmen oder Unternehmensverbänden eine auf Selbsthilfegruppen gestützte Präventionsoffensive starten. Dabei gilt es einerseits zu untersuchen, was die Beschäftigten am Arbeitsplatz belastet, um Konzepte zu entwickeln wie menschlicher und intelligenter gearbeitet werden kann und andererseits innerbetriebliche Beratungs- und Krisenhilfe aufzubauen.
Die bestehende Deckelung des Rehabilitations-Budgets nach § 220 Abs. 1 SGB VI seit 1997 ist aufzuheben und dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Der Rechtsanspruch nach dem SGB IX auf Leistungen zur Teilhabe der Versicherten muss zwingend erfüllt werden. Der Grundsatz „Reha vor Rente“, die Tendenzen zur Verdichtung der Arbeit, zunehmende belastende Arbeitsbedingungen, bedingt ein höheres Budget für Rehabilitation, um frühzeitig drohende Leistungsminderung, Erkrankung, Behinderung und Erwerbsminderung zu verhindern.
Wir werden den einheitlichen Arbeitsschutz wiederherstellen. Der einheitliche Arbeitsschutz umfasst dabei das Aufgabenspektrum des technischen und betrieblichen Arbeitsschutzes, denn beides kann nicht unabhängig voneinander gedacht werden. Daher muss er auch in der Organisation in der Verwaltung deutlich zu erkennen und abzugrenzen sein. Die Zahl der Stellen für das Fachpersonal muss auskömmlich sein und vom zuständigen Fachressort fachlich verwaltet werden.

 
Zeilen 5510 – 5527

Wir setzen uns für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Das ist der Wunsch der meisten Familien und es entspricht auch dem wachsenden Fachkräftebedarf in der Wirtschaft. Wir wollen eng mit Arbeitgebern, Gewerkschaften, Betriebsräten, Verbänden und anderen Akteuren zusammenarbeiten, um gute Ansätze für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbreitern. Dazu werden wir die bestehende Aktionsplattform „Familie@Beruf“ weiterentwickeln.
Die Bundesregierung stellt in ihrem 8. Familienbericht, der sich dem Thema „Zeit“ widmet, fest, dass das Arbeitsrecht eine strukturelle „Blindheit“ gegenüber Familien hat. Wir wollen, dass dieser richtigen Erkenntnis auch Taten folgen und werden deshalb in einer Bundesratsinitiative Vorschläge für familienfreundliche Arbeitszeitregelungen im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz und im Teilzeit- und Befristungsgesetz unterbreiten. Dabei geht es uns darum, dass Eltern mehr Einfluss auf die Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen haben, wie Arbeitszeit und Arbeitsort. Ebenso wollen wir erreichen, dass Teilzeitstellen nicht zur Sackgasse werden. So werden wir uns dafür einsetzen, dass Teilzeitmodelle an Lebensphasen orientiert werden und es ein Rückkehrrecht auf Vollzeit gibt.

 
Zeilen 6046 – 6053

Psychische Erkrankung im Erwachsenalter ist die Erkrankungsart mit der höchsten Steigerungsrate. Ursachen sind sowohl in den veränderten Anforderungen in unserer Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsplatz zu suchen. Sie verursachen enorme Kosten im Gesundheitssystem und kommen durch in der Regel langen Arbeitsausfall auch die Unternehmen teuer zu stehen.
Das Thema „psychische Gesundheit“ ist daher auch in der Landesgesundheitspolitik
aufzuwerten.

Fehlt dem “sowohl” hier nicht ein “als auch”?
Das Stichwort “Geschichte” ordnete ich auch diesem Artikel zu, weil psychische Belastungen am Arbeitsplatz hier erstmalig in einem Koalitionsvertrag thematisiert wurden.

Wie die BKK eine BPtK-Pressemeldung wiedergibt

Zur jüngsten Veröffentlichung der Bundestherapeutenkammer (BPtK) ist es interessant, zu sehen, was die BKK hinsichtlich der Bedeutung der Arbeitswelt als Ursache für psychische Erkrankungen aus der Meldung herauspickt und wie die in dieser Hinsicht ausgewogener formulierte Pressemeldung der BPtK ursprünglich aussah.
 
BKK
http://www.bkk.de/arbeitgeber/news/?showaktuelles=239507&module=5002C,
aber auch (Quelle der BKK?): http://www.personalwirtschaft.de/de/html/news/details/1885/Studie:-Arbeitnehmer-sind-zunehmend-überfordert/)

… An der zunehmenden Überlastung trage die Arbeitswelt nicht alleine Schuld. Im Gegenteil: Erwerbslose würden im Vergleich zu Erwerbstätigen drei- bis viermal so häufig an psychischen Erkrankungen leiden. In den Betrieben würden vor allem Zeitdruck und zu geringe Kontrolle über die Arbeitsabläufe zu den Risikofaktoren zählen. Eine offene Kommunikation über psychische Belastungen könne in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sein. 
Professionelle Beratung und Unterstützung sowie eine Anleitung zur Selbsthilfe seien wichtig, um der Entwicklung einer seelischen Krankheit zuvorzukommen. “Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie, die insbesondere den psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft gerecht wird”, so die Forderung des BPtK-Präsidenten Prof. Dr. Richter. Nach Angaben der Bundesregierung beliefen sich die Produktionsausfälle aufgrund von psychischen Krankheiten auf jährlich rund 26 Milliarden Euro.

 
BPtK
http://www.bptk.de/presse/pressemitteilungen/einzelseite/artikel/betriebliche.html

06. Juni 2012
Betriebliche Fehltage aufgrund von Burnout um 1.400 Prozent gestiegen
BPtK-Studie „Arbeitsunfähigkeit und psychische Erkrankungen 2012“ 
Die Zahl der betrieblichen Fehltage aufgrund von Burnout ist seit 2004 um fast 1.400 Prozent gestiegen. „Die Menschen fühlen sich in ihrem Leben und bei ihrer Arbeit immer häufiger überfordert“, stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fest. „Die psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft werden erheblich unterschätzt. Seelisch überlastete Personen erhalten zu spät Beratung sowie Hilfe und psychisch Kranke zu spät eine Behandlung.“
Im Jahr 2004 fehlten 100 Versicherte 0,6 Tage aufgrund von Burnout, im Jahr 2011 waren es schon neun Tage. Ihr Anteil an allen Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen ist aber noch gering. Im Jahr 2011 waren 100 Versicherte rund 200 Tage aufgrund seelischer Leiden arbeitsunfähig. Im Vergleich zu psychischen Erkrankungen machen die Ausfälle aufgrund von Burnout also nur 4,5 Prozent der Fehltage aus.
„Im Gespräch mit dem Arzt schildern viele Arbeitnehmer Erschöpfung oder Stress“, erklärt BPtK-Präsident Richter. Solche Schilderungen von Burnout-Symptomen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, weil dahinter meist psychische Erkrankungen stecken.“ Bei 85 Prozent der Krankschreibungen wegen Burnout diagnostizierte der Arzt zusätzlich eine psychische (z. B. Depression, Angststörung) oder körperliche Erkrankung (z. B. Rückenschmerzen). Nur 15 Prozent der Burnout-Krankschreibungen erfolgen ohne eine weitere Diagnose. Auch dann kann Burnout jedoch ein Hinweis auf eine entstehende psychische oder auch körperliche Erkrankung sein.
Aktuell gibt es keine allgemein anerkannte Definition, was unter Burnout zu verstehen ist. Häufig genannte Symptome des „Burnouts“ oder des „Ausgebranntseins“ treten auch bei einer Reihe psychischer Erkrankungen auf: u. a. Antriebsschwäche, gedrückte Stimmung, Reizbarkeit, Erschöpfung. Burnout wird in Deutschland in der ICD-10-GM in einer Zusatzkategorie (Z73) verschlüsselt, in der Faktoren beschrieben werden, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen können, ohne eine eigenständige Erkrankung zu sein. Meist handelt es sich um Überforderungen durch berufliche und private Belastungen. „Eine solche Kategorie ist durchaus sinnvoll, weil sie dem Arzt die Verschlüsselung von psychosozialen Risikofaktoren oder auch von Gründen bzw. Anlässen für eine tatsächliche Erkrankung ermöglicht“, erläutert Richter. „Es muss dann aber auch sichergestellt sein, dass eine diagnostische Abklärung oder eine Behandlung eingeleitet wird.“
Psychische Erkrankungen haben ihre Ursachen nicht nur in der Arbeitswelt. Arbeit kann sogar ein wichtiger Faktor für psychische Gesundheit sein. Berufstätige Frauen erkranken deutlich seltener an einer Depression. Arbeitslose Menschen leiden bei Weitem häufiger an psychischen Erkrankungen als Erwerbstätige. Nach Berechnungen der BPtK erkrankt fast jede fünfte nicht berufstätige Frau ohne minderjährige Kinder im Haushalt an einer Depression (19,5 Prozent), aber nur jede achte berufstätige Frau mit Kindern (12,8 Prozent). Am gesündesten sind berufstätige Frauen ohne Kinder (9,6 Prozent). Arbeitslose sind drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Während gesetzlich krankenversicherte Erwerbstätige durchschnittlich elf Tage je 1.000 Versichertenjahre aufgrund psychischer Erkrankungen stationär behandelt werden, sind es bei Arbeitslosen sechsmal so viele Tage. Arbeitslose Männer erhalten außerdem fast dreimal so häufig Antidepressiva verordnet wie Erwerbstätige.
Die Ursachen für psychische Erkrankungen liegen aber auch in der Arbeitswelt. „Auch die moderne Arbeitswelt der Dienstleistungen und Konkurrenz kennt eine Art Fließbandarbeit. Zeitdruck und zu geringe Kontrolle über die Arbeitsabläufe sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Krankmachend ist, wenn gefährdete oder erkrankte Arbeitnehmer keinen Weg zur Veränderung finden.“ Die Unternehmen können dazu beitragen, dass über psychische Belastungen offen gesprochen werden kann. Es darf nicht dazu kommen, dass in den Betrieben die Meinung herrscht: „Wer ein Problem hat, ist das Problem!“ Wer sich überfordert fühlt, gibt sich häufig selbst die Schuld. Die Erfolgsgeschichten der anderen scheinen dann zu belegen, dass mit der eigenen Leistungsfähigkeit etwas nicht stimmt. „In solchen Situationen reichen Angebote zum Zeit- und Stressmanagement nicht aus“, stellt der BPtK-Präsident fest.
„So belastete Arbeitnehmer brauchen professionelle Beratung und Unterstützung, bevor sich eine seelische Krankheit entwickelt“, empfiehlt Richter. „Nicht jedes Problem bei der Lebensbewältigung erfordert eine Behandlung. Wichtig ist jedoch eine schnelle diagnostische Abklärung, ob eine Krankheit vorliegt. Nur so kann einer Chronifizierung vorgebeugt werden.“ Aber auch dann, wenn noch keine Erkrankung vorliegt, benötigt der Gefährdete eine qualifizierte Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe, die eine Verschlimmerung verhindert. „Die menschliche Psyche hat eine erhebliche Selbstheilungskraft.“, betont BPtK-Präsident Richter. „Die Selbsthilfepotenziale der Menschen werden bisher nicht ausreichend genutzt. Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie, die insbesondere den psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft gerecht wird.“
Hintergrund:
Deutsche Arbeitnehmer erkranken immer häufiger aufgrund von psychischen Erkrankungen. Die Zahl der betrieblichen Fehltage aufgrund von seelischen Leiden ist auch im Jahr 2010 weiter gestiegen. Die ersten Auswertungen zeigen, dass sich dieser Trend auch im Jahr 2011 fortsetzt. Aktuell werden 12,5 Prozent aller betrieblichen Fehltage durch psychische Erkrankungen verursacht. Der Anteil der Fehltage an allen Krankschreibungen hat sich seit dem Jahr 2000 etwa verdoppelt. Psychische Erkrankungen führen zu besonders langen Fehlzeiten von durchschnittlich 30 Tagen. Depressiv erkrankte Arbeitnehmer fehlen durchschnittlich sogar 39 Tage. Nach jüngsten Berechnungen der Bundesregierung entstehen den Unternehmen jährlich durch psychische Krankheiten Produktionsausfälle von 26 Milliarden Euro.

Links und Hervorhebungen wurden von mir nachträglich in beide Zitate eingearbeitet.
Die Therapeuten der BPtK wenden sich dem einzelnen Menschen zu. Der Satz “Aber auch dann, wenn noch keine Erkrankung vorliegt, benötigt der Gefährdete eine qualifizierte Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe, die eine Verschlimmerung verhindert” beschreibt einen Beitrag zur Verhaltensprävention. Aber in der Arbeitswelt kann die Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention (vorgeschrieben im Arbeitsschutz) nicht funktionieren. Fehlt die Verhältnisprävention am Arbeitsplatz, können auch austherapierte Menschen dort schnell wieder erkranken. Darum wäre es gut gewesen, wenn die BPtK deutlicher auf die gesetzlich vorgeschriebene Verhaltensprävention hingewiesen hätte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang beispielsweise ein Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW, dass die Gewerkschaft und die Vereinigung der Betriebsärzte im Jahr 2009 gemeinsam veröffentlichten.
 
Siehe auch:

Verantwortungssuche

http://www.welt.de/wirtschaft/article106426981/Burnout-und-der-Druck-zur-Selbstverwirklichung.html

06.06.12
Psychotherapie
Burnout und der “Druck zur Selbstverwirklichung”
Die Zahl der Krankschreibungen wegen “Burnout” ist von 2004 bis zum vergangenen Jahr um 1400 Prozent gestiegen. Experten sagen: Dafür ist längst nicht nur der Druck im Berufsleben verantwortlich. …

Ein Beispiel dafür, wie über das Thema Burn-out berichtet wird: Die WELT meint, für Burn-out sei längst nicht nur der Druck im Berufsleben verantwortlich.
Aber:
(1) Das “nur” der Druck im Berufsleben für Burn-out verantwortlich sein, behaupten nicht einmal die Gewerkschaften.
(2) Die Mehrheit (etwa 70%) der Arbeitgeber ist so überzeugt von ihrer Unbeteiligtheit am Burn-out von Mitarbeitern, dass sie die Vorschriften missachten, bei deren Beachtung eine objektivere Beurteilungen von psychischen Belastungen möglich wäre. Für Burn-out ist längst nicht nur der Druck im Privatleben verantwortlich.
(3) Der Kopftext des Artikels setzt den Schwerpunkt einseitiger, als der Artikel selbst.

… Kammerpräsident [der Psychotherapeutenkammer BPtK] Rainer Richter sagte aber: “Der Trend ist ungebrochen. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund seelischer Leiden steigt weiter.”
Als Grund nannte Richter höhere “emotionale und kommunikative Anforderungen” in den Dienstleistungsberufen. Auch nehme die Unsicherheit des Arbeitsplatzes zu. Eine zusätzliche Belastung resultiere aus dem “Druck zur Selbstverwirklichung” im Beruf und im Privatleben. “Viele Menschen geben sich selbst die Schuld, wenn sie den eigenen oder fremden Ansprüchen nicht genügen.” …

So ist das schon differenzierter ausgedrückt. Aber Philipp Neumann, der Autor des Artikels, gibt seinem Artikel vorher lieber eine einseitige Richtung.
Der Streit, ob nun die Arbeitswelt oder ob “persönliche Probleme” der Grund für Burn-out und/oder die damit oft verbundenen Depressionen (die eigentliche Erkrankung) sei, ist ein Dauerbrenner. Das Dreiebenenmodell bietet eine Möglichkeit, sich vernünftig mit dem Thema zu befassen.
Braucht Philipp Neumann die Richtung, die er seinem Artikel einleitend gibt, für seine eigene Argumentation? Wieweit sind sowohl ihre Mitarbeiter belastende wie auch als Mitarbeiter selbst belastete Journalisten in ihren Redaktionen selbst von dem Streit betroffen, und wie könnte das ihre journalistische Arbeit beeinflussen? Argumentieren sie auch in eigener Sache?
Was meinen Berufsgenossenschaften? BGFE und TBBG (jetzt in der BG ETEM), 2006:

… Andere Belastungsquellen wirken aus der Freizeit in die Arbeit hinein: aus dem Privatleben (Familie, Freunde), aus nebenberuflicher Betätigung (z.B. Verein) sowie aus den Problemen von Nachbarschaft, Kommune und Gesellschaft (siehe Außenkreis des Modells). Arbeits- und Freizeitbelastungen lassen sich in ihren Wirkungen heute noch nicht völlig trennen. Studien belegen aber, dass die Arbeitsbelastungen das Privatleben nachhaltiger stören als umgekehrt! …

Gerne weise ich hier auch wieder einmal auf Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen hin. Eine Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz hatte im Auftrag der DGSv ausgewählte SupervisorInnen nach ihren Einschätzungen gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Organisation befragt und die Ergebnisse der Befragung auf acht Seiten veröffentlicht. Dort ist sehr anschaulich beschrieben, wie sich die moderne Arbeitswelt auf die Menschen auswirkt.
 
Siehe zur BPtK: http://blog.psybel.de/2012/06/13/bptk-studie-zur-arbeitsunfaehigkeit-2012/