Bevormundung

Ich habe im IT-bereich ein amerikanisches Unternehmen kennengelernt, in dessen deutschen Niederlassungen sich sehr gut bezahlte Mitarbeiter vermutlich auch selbst dadurch definieren, dass sie Belastungen aushalten, die in anderen Unternehmen Fehlbelastungen sind. Die Mitarbeiter sind stolz darauf. Die Forderungen des Arbeitsschutzgesetzes und gesetzliche Arbeitszeitregelungen werden deswegen, vereinfacht gesagt, auch von der Mitarbeitervertretung als Bevormundungen dargestellt. Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter missachten deswegen Gesetze und Vorschriften. Es gibt keine Prozesse zur Gefährdungsbeurteilung der mentalen Arbeitsbelastung. Die Gewerbeaufsicht erkennt aber keine Abweichungen. “Great Place to Work” lobt das Unternehmen sogar.
Deutschland scheint ein Land zu sein, in dem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter ganz einfach das Recht nehmen können, Gesetze zu missachten, die im Widerspruch zu ihrer “Firmenkultur” stehen. Rechtsstaatlichkeit ordnet sich vermeintlich “pragmatisch” dem unter, was wir als Zwänge des Wettbewerbs akzepieren zu müssen meinen. (So verstärken sich diese Zwänge natürlich von selbst.) Dass Arbeitnehmervertretungen, die Gewerbeaufsicht und wichtige Ranking-Unternehmen diese Anarchie tolerieren (oder sich sogar davon beeindrucken lassen), macht den Rechtsbruch nicht erträglicher.
Nehmen wir nun einmal an, dass der Verzicht des Betriebsrates auf die Ausübung seiner eigentlich unabdingbaren Pflicht zur Überwachtung der Einhaltung von Schutzrechten von der Mehrheit der Mitarbeiter akzeptiert würde. Dann stellen sich mehrere Fragen, z.B.:

  • Wie gut kennt der Betriebsrat das Arbeitsschutzgesetz und bestehende praktische Umsetzungen des Gesetzes überhaupt?
  • Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirklich verstanden, wie psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung einbezogen werden müssen?
  • Wissen die Mitarbeiter, welche ihnen zustehenden Rechte ihnen mit dem Einverständnis des Betriebsrates genommen werden?
  • Bevormundet der Betriebsrat nun nicht seinerseits jene Mitarbeiter, die im politischen Prozess legitim ausgehandelten Gesetze nicht nocheinmal selbst erstreiten wollen?
  • Ist eine Gewerbeaufsicht, die der Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes tatenlos zusieht, gefährlicher, als gar keine Aufsicht?

Die Fragen sind hier nicht abschließend aufgelistet.
Die Werte, die dieses Elite-Unternehmen für sich sieht, werden in der Außen- und Innenkommunikation des Unternehmens stark selbstbezüglich stabilisiert. Es geht um Leidenschaft, und zwar genau im Sinn des Wortes.
Das Mindeste, was ich Betriebsräten von Unternehmen empfehle, deren Mitarbeiter sich als leistungsstarke und passioniert arbeitende Elite sehen, ist beispielsweise der IMPULS-Test. Wenn das Unternehmen wirklich Elite ist, dann sollte es so einen Test aushalten können. Der IMPULS-Test erlaubt den Mitarbeitern nicht nur, ihre Belastungssituation zu beschreiben, sondern darüber hinaus auch Maßstäbe für den von ihnen gewünschten Grad der Belastung zu setzen.
Wenn das Unternehmen und der Betriebsrat jedoch meinen, sie könnten das Ergebnis einer wissenschaftlich fundierten Mitarbeiterbefragung vorhersagen und bräuchten sie deswegen nicht, dann geben sie selbst schon die Antworten, die eigentlich von den Mitarbeiter kommen sollten. Auch so kann Bevormundung aussehen.

Versteht die BAuA den WAI nicht mehr?

Verhaltensbeurteilung: Mit dem Arbeitsbewältigungsindex (ABI, Work Ability Index – WAI) soll die individuelle Arbeitsfähigkeit einer Person in einer bestimmten Tätigkeit bewertet werden. Er ist als arbeitsmedizinische Messinstrument zur Bestimmung eines optimalen und gerechten Pensionierungszeitpunktes entwickelt worden.
Verhältnisbeurteilung: Sie ist im Arbeitsschutz die Grundlage der Primärprävention. Für die gesetzlich geforderte Analyse von Arbeitsplätzen (Arbeitsbedingungen usw.) gibt es geeignetere Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen, die nicht erst umgebaut werden müssen, damit man sie für die Verhältnisprävention verwenden kann. Der WAI ist nicht für die Verhältnisbeurteilung geschaffen worden.
Warum bewerben BAuA ind INQA den WAI so intensiv – und dazu noch mit einem irreführenden Text?
http://www.inqa.de/DE/Lernen-Gute-Praxis/Publikationen/why-wai.html (Seite nicht mehr verfügbar)

Unbestritten ist, dass durch verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen die Voraussetzungen für ein längeres Verbleiben von mehr Erwerbstätigen in Beschäftigung geschaffen werden können – und müssen. Denn abgesehen von dem persönlichen Leid und dem Verlust an Lebensqualität, die sich hinter jedem Einzelfall verbergen – leisten können wir uns diese Verschwendung von Wissen, Erfahrungen und Kenntnissen bereits jetzt nicht mehr – und künftig noch viel weniger. Vor diesem Hintergrund ist der Work Abilitiy Index (WAI) ein sinnvolles Instrument, da mit seiner Hilfe sowohl die aktuelle als auch die künftige Arbeitsfähigkeit von älter werdenden Beschäftigten erfasst und bewertet werden kann. Ausgehend vom WAI können konkrete Maßnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit eingeleitet werden.
Darum fördern INQA und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) die Anwendung und Verbreitung des WAI. Ausdruck dieser Förderung ist das auf Initiative der BAuA und in Kooperation mit der Bergischen Universität Wuppertal gebildete nationale WAI-Netzwerk. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Irreführend ist der Text, weil in ihm der WAI sowohl mit Verhältnisprävention wie auch mit Verhaltensprävention so verknüpft wird, dass der Eindruck entstehen könnte, der WAI sei für beide Präventionsarten geeignet. Das WAI-Netzwerk versucht ja auch mit beachtlichem Publikationsaufwand, diesen Eindruck zu erwecken.
Aus Sicht des Arbeitsschutzes ist unbestritten, dass verhältnispräventive Maßnahmen (mit den entsprechenden Erhebungsinstrumenten) Pflicht sind, verhaltenspräventive Maßnahmen sind dagegen eine freiwillige Übung. Unbestritten ist außerdem, dass der WAI kein Instrument der Verhältnisprävention ist. Wer hat es geschafft, die trickreiche Irreführung in die BAuA/INQA einzuschmuggeln? Diese Art von verwirrender Werbung scheint wohl eine der Aufgaben der WAI-“Netzwerkarbeit” zu sein.
 
Die BAuA beschreibt den WAI an einer derzeit noch weniger von Lobbyarbeit verseuchter Stelle richtig:
http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-und-Praxisbeispiele/Toolbox/Verfahren/WAI.html

Gestaltungsbezug: Quantitative Verfahren der Verhaltensprävention
Jahr: 1998
Quintessenz: Der Work Ability Index (WAI) ist ein Instrument zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten. Er wird auch als Arbeitsfähigkeitsindex oder Arbeitsbewältigungsindex (ABI) bezeichnet. Es handelt sich um einen Fragebogen, der entweder von den Befragten selbst oder von Dritten, z. B. von Betriebsärzten/innen bei der betriebsärztlichen Untersuchung beantwortet wird. Ziel der Anwendung in Betrieben ist die Förderung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten.
Der WAI kann angewendet werden
1. im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung,
2. im Rahmen der Betriebsepidemiologie (Querschnitt- und Längsschnittuntersuchungen),
3. im wissenschaftlichen Bereich und
4. zur Evaluierung von Maßnahmen der individuellen und betrieblichen Gesundheitsförderung.
Der Fragebogen ist in den 80er Jahren von finnischen Arbeitswissenschaftlern entwickelt worden. Seither wurde er in 21 Sprachen übersetzt.
Ziel(e): Individualprävention
Methode(n) der Datengewinnung: schriftliche Befragung, mündliche Befragung
Merkmalbereich(e): z. B. momentane und zukünftige Arbeitsfähigkeit, Anforderungsbewältigung

(Hervorhebungen und Kursivsatz nachträglich eingefügt)
Hier werden die Anwendungsgrenzen des WAI klar. Wie ist es gelungen, an anderer Stelle die BAuA und die INQA so für den WAI zu begeistern und dort Desinformation zu plazieren? Arbeitgeber zeigen an der Bewertung der individuellen Arbeitsfähigkeit (ISO 10667) ein größeres Interesse als an der Beurteilung der arbeitsplatzbezogenen psychischen Belastung (ISO 10075). So wie Wissenschaft heute von der Wirtschaft “gefördert” wird, hat die Netzwerkerei für den WAI ein unangenehmes Geschmäckle.
 
http://www.inqa.de/SharedDocs/PDFs/DE/Publikationen/why-wai.pdf?__blob=publicationFile,
Why WAI? – Der Work Ability Index im Einsatz für Arbeitsfähigkeit und Prävention – Erfahrungsberichte aus der Praxis.
(4., aktualisierte Auflage, Oktober 2011), S. 131:

… Individuelle Betrachtung der Arbeitsfähigkeit:
der ABI-Dialog / das WAI-Gespräch
Nach Auswahl und Festlegung der WAI-Fragen etablierte sich das Instrument in der betriebsärztlichen Arbeit – wiederum zuerst in Finnland, dann auch im deutschsprachigen Raum. Ausschlaggebend dafür war die Prognosekraft des WAI: Schon mit wenigen Fragen lässt sich frühzeitig erkennen, bei welchen Beschäftigten die Arbeitsfähigkeit gefährdet ist und wie dringend Präventionsmaßnahmen sind. Es zeigte sich, dass die Durchführung als Interview durch die Betriebsärztin bzw. den Betriebsarzt in mehrfacher Sicht sinnvoll ist: Ein doppeltes Abfragen von Krankheiten (im WAI und in der betriebsärztlichen Anamnese) lässt sich so vermeiden, zugleich ermöglichen die Fragen einen guten Gesprächseinstieg in den Themenkomplex ›Arbeit, Alter und Gesundheit‹. So wird aus dem Diagnoseinstrument ein Interventionsinstrument: der ABI-Dialog, der auch als WAI-Gespräch bezeichnet wird. Die Durchführung dieses Dialogs erfordert betriebsärztliche oder arbeitspsychologische Kompetenz. Wird der ABI-Dialog nicht von Medizinern durchgeführt, kommt in der Regel die WAI-Kurzversion (mit kurzer Krankheitsliste) zum Einsatz. …

WAI-Kurzversion mit kurzer Krankheitsliste, genutzt von Nicht-Medizinern? Da gibt es dann keine ärztliche Schweigepflicht mehr. So beginnt, was ich “fürsorgliche Belagerung der Mitarbeiter” nenne. Der WAI hat vielleicht seine Berechtigung in der betriebsärztlichen Anamnese, ist aber kein Instrument des Arbeitsschutzes. Darüber hinaus soll er sogar im individuellen “Coaching” (und darum letztendlich auch für die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung) verwendet werden. Kompetente Betriebs- und Personalräte werden den WAI nicht als Instrument des Arbeitsschutzes zulassen, sondern die Verwendung direkt für den Arbeitsschutz geeigneter Instrumente durchsetzen.
 
http://www.gesundheitsfoerderung.ch/pdf_doc_xls/d/betriebliche_gesundheitsfoerderung/programme_projekte/A4_Broschuere_Arbeit_Alter_d.pdf
Arbeit und Alter – Grundlagen zur Bewältigung der demografischen Herausforderung in Betrieben,
Ralph M. Steinmann, 2008, Gesundheitsförderung Schweiz, Bern und Lausanne.

… Work Ability Index (WAI)
Dieses inzwischen in vielen Ländern erfolgreich getestete und eingesetzte arbeitsmedizinische Messinstrument zielt darauf, Gesundheitsgefährdungen der Beschäftigten und Risiken der Frühverrentung frühzeitig zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Es ist zwecks Bestimmung eines optimalen und gerechten Pensionierungszeitpunktes entwickelt worden. Ausgehend von den Selbsteinschätzungen der Mitarbeitenden wird von einer arbeitsmedizinischen Fachperson untersucht, ob zukünftig Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit drohen und welcher Handlungsbedarf besteht, um die Gesundheit der Befragten über den Erwerbsverlauf zu fördern. Die Fragen betreffen

  • die aktuelle und zukünftige Arbeitsfähigkeit,
  • Krankheiten und
  • die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage im vergangenen Jahr,
  • die geschätzte krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung sowie
  • psychische Leistungsreserven.

Aufgrund der Ergebnisse kann gemeinsam überlegt werden, was die Arbeitskraft selber und was das Unternehmen tun kann, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und zu fördern. Für unterschiedliche Berufsgruppen und Altersklassen liegen inzwischen Durchschnittswerte als Richtwerte vor, die einen betriebsübergreifenden Vergleich erlauben. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt, Layoutänderungen nachträglich vorgenommen)
 
Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH
an der Deutschen Sporthochschule Köln
Autoren des Beitrags: IQPR Maike Bohnes, Annette Röhrig
http://www.assessment-info.de/assessment/seiten/datenbank/vollanzeige/vollanzeige-de.asp?vid=436

ABI, WAI, Arbeitsbewältigungsindex, Work Ability Index

Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten
Dimensionen / Analyseeinheiten:
Der WAI besteht aus 7 Dimensionen:
1. Derzeitige Arbeitsfähigkeit im Vergleich zu der besten, je erreichten Arbeitsfähigkeit
(Wenn sie Ihre beste, je erreichte Arbeitsfähigkeit mit 10 Punkten bewerten: Wie viele Punkte würden sie dann für ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit geben?)
2. Arbeitsfähigkeit in Relation zu den Arbeitsanforderungen
(Wie schätzen sie ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit in Relation zu den körperlichen oder psychischen Arbeitsanforderungen ein?)
3. Anzahl der aktuellen vom Arzt diagnostizierten Krankheiten
(Langversion = 50, Kurzversion = 13 Krankheiten / Krankheitsgruppen)
4. Geschätze Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch die Krankheiten
(Behindert sie derzeit eine Erkrankung oder Verletzung bei der Ausübung ihrer Arbeit?)
5. Krankenstandstage im vergangenen Jahr
(Wie viele ganze Tage blieben Sie auf Grund eines gesundheitlichen Problems (Krankheit, Gesundheitsvorsorge oder Untersuchung) im letzten Jahr (12 Monate) der Arbeit fern?)
6. Einschätzung der eigenen Arbeitsfähigkeit in zwei Jahren
(Glauben sie, dass sie, ausgehend von ihrem jetzigen Gesundheitszustand, Ihre derzeitige Arbeit auch in den nächsten zwei Jahren ausüben können?)
7. Psychische Leistungsreserven / mentale Ressourcen
(Haben sie in der letzten Zeit ihre Aufgaben mit Freude erledigt?
Waren sie in der letzten Zeit aktiv und rege?
Waren sie in der letzten Zeit zuversichtlich, was die Zukunft betrifft?)
Gesamtzahl der Items: 10
Erhebungs- / Analysemethoden: Selbsteinschätzung; Fragebogen;
Frage- und Antwortformate / Beurteilungsskalen: Die sieben Dimensionen des ABI werden über das Ankreuzen einer Anwort bzw. einer Zahl aus den vorgegebenen Antwortformaten bewertet. Die angekreuzten Antworten bzw. Zahlen werden in Zahlen übertragen bzw. übernommen und ergeben einen Gesamtpunktwert zwischen 7 und 49. Der so erzielte Gesamtwert liefert eine Aussage zu der Eigeneinschätzung der Arbeitsfähigkeit. Der Einschätzung sollten beschriebene Interventionen folgen.
Punkte Arbeitsfähigkeit Ziel
7-27 schlecht Arbeitsfähigkeit wiederherstellen
8-36 mittelmäßig Arbeitsfähigkeit verbessern
37-43 gut Arbeitsfähigkeit unterstützen
44-49 sehr gut Arbeitsfähigkeit erhalten
Aufbau: Kurz- und Langform vorhanden ;
Die Kurzversion des ABI unterscheidet sich von der Ursprungsform in der Anzahl der abgefragten Krankheiten/Krankheitsgruppen; statt 50 werden in der Kurzform 13 Krankheiten/Krankheitsgruppen erfragt. …

 
Ohne eine bereits mitbestimmt zustandegekommene und etablierte Verhältnisprävention können Maßnahmen der Verhaltensprävention zu einer Gefahr für die Mitarbeiter werden.
 
Links (2013):

ISTA – ein Fragebogen zur Verhältnisprävention

Im Gegensatz zum WAI (ABI) und zur MAF, ist das “Instrument zur stressbezogenen Tätigkeitsanalyse” (ISTA[1]) sehr gut für den Einsatz im ganzheitlichen Arbeitsschutz geeignet.
Achten Sie bei Fragebögen generell darauf, wie die BAuA sie in ihrer Toolbox bewertet. Insbesondere muss für im ganzheitlichen Arbeitsschutz angegebene Verfahren unter “Gestaltungsbezug” erkennbar sein, dass das Verfahren der Verhältnisprävention dient.
http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-und-Praxisbeispiele/Toolbox/Verfahren/ISTA.html

ISTA: Instrument zur Stressbezogenen Arbeitsanalyse, Version 6.0

Gestaltungsbezug: Quantitative Verfahren der Verhältnisprävention
Analysetiefe: Expertenverfahren

Gütekriterien: Reliabilität und Validität vorhanden

http://de.wikipedia.org/wiki/Instrument_zur_stressbezogenen_Tätigkeitsanalyse, BAuA:

ISTA ist ein Instrument zur Messung von aufgaben-, organisations- und arbeitsumgebungsbezogenen Belastungen. Das Instrument gehört ist ein quantitatives Expertenverfahren der Verhältnisprävention. In der Toolbox der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erfüllt es die Gütekriterien der Reliabilität und Validität.[1]
Ein Einsatzgebiet des ISTA ist die Untersuchung der von den Arbeitsbedingungen ausgehenden psychischen Belastung im Rahmen der im betrieblichen Arbeitsschutz vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung.
Entwickelt wurde das Verfahren auf der Grundlage der transaktionalen Stresstheorie von Lazarus und der Handlungsregulationstheorie. Es identifiziert förderliche und hinderliche Faktoren für Wohlbefinden sowie Gesundheit und klärt Zusammenhänge zwischen Ressourcen und Stressoren.


 
In den Informationen der Uni Frankfurt (Arbeits- und Organisationspsychologie) zum ISTA gibt es auch eine Liste von Kategorien psychischer Belastungen:
http://web.uni-frankfurt.de/fb05/psychologie/Abteil/ABO/forschung/ista.htm

… Das Instrument zur Stressbezogenen Tätigkeitsanalyse ISTA ist eines der wichtigen deutschsprachigen Instrumente zur Messung von aufgaben-, organisations- und arbeitsumgebungsbezogenen Belastungen am Arbeitsplatz. Theoretische Grundlage sind psychologische Stresstheorien (sensu Lazarus) sowie die Handlungstheorie. Das Instrument wurde in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet. Derzeit aktuell ist die Version ISTA 6.0 vom Mai 1998 (vorige Fassung: ISTA 5.1, Okt. 1995). Folgende Merkmale werden erfaßt:

  • Arbeitskomplexität,
  • Handlungsspielraum,
  • Zeitspielraum,
  • Partizipation,
  • Variabilität,
  • Unsicherheit,
  • Arbeitsorganisatorische Probleme,
  • Zeitdruck,
  • Konzentrationsnotwendigkeiten,
  • Arbeitsunterbrechungen,
  • Unfallgefährdung,
  • Umgebungsbelastungen,
  • Kommunikationsmöglichkeiten,
  • Kooperationserfordernisse,
  • Kooperationsspielraum,
  • Kooperationszwang


 
[1] Verwechselungsgefahr: Hier wird über das verhältnisorientierte “Instrument zur Stressbezogenen Arbeitsanalyse” gesprochen, nicht über den verhaltensorientierten “Ich-Struktur-Test nach Ammon”, der später kam. (Man könnte vielleicht sagen, dass dieser “Ich-Struktur-Test” einer “Deutschen Akademie für Psychoanalyse” zwar psychischen Belastungen erforscht, aber dass die Wahl des Akronyms “ISTA” eher psychische Fehlbelastungen, Kopfschmerzen, Augenrollen usw. verursacht. Den im Jahr 1995 verstorbenen Ammon kann man für diese Namenswahl nicht verantwortlich machen. Passen Sie also auf, dass Sie im Arbeitsschutz das ISTA nach Semmer, Zapf und Dunckel erwischen.)

Im Arbeitsschutz ungeeignete Werkzeuge

  1. Verhaltensprävention (Stärkung der individuellen Beanspruchbarkeit) und Verhältnisprävention (im Arbeitsschutz vorgeschriebene Vermeidung von Fehlbelastungen) überlappen sich.
  2. Verfahren zur Verhaltensprävention kann man indirekt zur Verhältnisprävention verwenden. Von der Beanspruchungsanalyse kann man indirekt auf Belastungen zurückschließen. Rechtlich ist das wegen der komplizierten Beweislage aber kaum möglich.
  3. Verfahren zur Verhältnisprävention kann man direkt zur Verhältnisprävention verwenden. Von der Beanspruchungsanalyse kann man direkt auf Belastungen zurückschließen. Das ist wohl ziemlich einfach zu verstehen.
  4. Der Arbeitsschutz verlangt Verhältnisprävention. Hinsichtlich der Prävention ist das Arbeitsschutzziel die Vermeidung von Fehlbelastungen.
  5. Der ABI/WAI misst Beanspruchungen und dient gemäß BAuA der Verhaltensprävention.
  6. Belastungen messen beispielsweise ISTA und COPSOQ. Solche Verfahren dienen gemäß BAuA der Verhältnisprävention.
  7. Also ist es nicht so optimal, im Arbeitsschutz den ABI/WAI einzusetzen, wenn doch geeignetere Verfahren verfügbar sind. (Mit Anonymisierung und zusammen mit einem verältnisorientierten Verfahren sind Nutzungen in der Verhältnisanalyse möglich.)

So, das sollte jetzt verstanden worden sein.
Aber trotzdem mögen Arbeitgeber Verhaltensprävention lieber als Verhältnisprävention. Man kann Belegschaften mit fürsorglichen Fragebögen zur Verhaltensprävention so beschäftigen, dass für die Verfahren für die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Verhältnisprävention keine Lust übrig bleibt.
Testanbieter bewerben ihre scheinfürsorglichen Testverfahren intensiv und sprechen damit Unternehmen auf deren Flucht vor der ungeliebten Verantwortung an:

Fazit: Verhaltensprävention kann eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber sein, aber Verhältnisprävention ist vorgeschrieben. Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention ist ein Indikator für Verantwortungsflucht des Arbeitgebers. Unternehmen, die ihr Gesundheitsmanagement mit Verfahren der Verhaltensprävention (z.B. ABI/WAI) beginnen, fangen bewusst am falschen Ende an. Kompetente Betriebsräte lassen sich hier nicht einseifen, sondern achten darauf, dass sich kein Unternehmen mit fürsorglich aussehenden (aber dem Individuum die Verantwortung zuweisenden) Verfahren zur Verhaltensprävention seinen Pflichten zur Verhältnisprävention entziehen kann.

PROCAM und WAI


http://www.assmann-stiftung.de/information/procam-studie/
:

Bei der PROCAM Studie (Prospective Cardiovascular Münster Study) handelt es sich um eine große Beobachtungsstudie mit Schwerpunkt auf Herz- und Gefäßerkrankungen. Eine klassische prospektive Studie – wie die PROCAM-Studie – vergleicht die zu Beginn der Untersuchung erhobenen Daten von Personen, die in dem Nachbeobachtungszeitraum eine Erkrankung entwickeln, mit den Daten der nicht Erkrankten.
Zielsetzung in Prospektivstudien ist es, Risikofaktoren für koronare Herzkrankheiten und Schlaganfall, bzw. auch andere Krankheiten, zu finden, die Risikobestimmung und Früherkennung zu verbessern sowie Empfehlungen für eine frühzeitige Prävention aus den Studiendaten ableiten zu können.

(Hervorhebungen nicht im Originaltext)
Die Studie und die PROCAM-Tests sind eine feine Sache. Es ist gut, wenn sich ein Unternehmen um die Mitarbeiter kümmert und ihnen hilft, das Herzinfarktrisiko zu beurteilen. Aber in Unternehmen, die entgegen den Vorschriften keine ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilungen (gehört zur Verhältnisprävention) zustande bringen, sondern sich im Widerspruch zum Arbeitsschutzgesetz bei der Vorsorge primär auf die Beanspruchbarkeit individueller Mitarbeiter konzentrieren (Verhaltensprävention), würde ich sicherlich keine Tests mit mir machen lassen, sondern zum Hausarzt gehen. Denn einem Betriebsarzt fehlt ohne eine ordentliche Gefährdungsbeurteilung eine wichtige (In der ArbMedVV genannte) Grundlage seiner Arbeit. Das darf er nicht zulassen.
Im Vorstand der Assmann-Stiftung sitzt auch Klaus Kleinfeld, ex CEO von Siemens:
http://www.assmann-stiftung.de/en/foundation/executive-board/
 
http://www.arbeitsfaehigkeit.uni-wuppertal.de/
Meine Vorbehalte gelten auch bei einer anderen guten Sache, dem WAI (Work Ability Index). Ein Unternehmen, dass einerseits die “Work Ability” individueller Mitarbeiter messen will, aber andererseits einer Evaluierung ihrer Arbeitsplätze ausweicht, versteht ihre sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Verpflichtungen nicht.
Ein Beispiel für eine sinnvolle Anwendung des WAI geben Jochen Prümper und Gottfried Richenhagen in Von der Arbeitsunfähigkeit zum Haus der Arbeitsfähigkeit – Der Work Ability Index und seine Anwendung, 2011), http://www.f3.htw-berlin.de/Professoren/Pruemper/publikation/2011/Pruemper_Richenhagen_2011.pdf. Hier wurde mit Messergebnissen gezeigt, dass freundliches und respektvolles Führungsverhalten die Arbeitsfähigkeit erhöht. (Siehe auch: Matthias becker, Imke Ehlbeck, Jochen Prümper: Freundlichkeit und Respekt als Motor der Arbeitsfähigkeit, http://www.f3.htw-berlin.de/Professoren/Pruemper/publikation/2009/Becker_Ehlbeck_Pruemper.pdf.)
 
Betriebsräte müssen wissen: PROCAM und WAI liefern keine den Vorschriften des Arbeitsschutzes gerecht werdenden Instrumente. Im Arbeitsschutz werden nicht Mitarbeiter analysiert, sondern deren Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Fehlt der Wille des Arbeitgebers, vor individuellen Präventionsmaßnahmen (Verhaltensprävention) seine Hausaufgaben im Bereich der Verhältnisprävention zu machen, dann sollte der Betriebsrat das eingehend mit der Berufsgenossenschaft und der Gewerbeaufsicht diskutieren. Es ist sinnvoll, Verhaltensprävention und Verhältnisprävention zu verbinden, aber die Verhaltensprävention ist nachrangig zur Verhältnisprävention. Angeboten der Unternehmen zur Verhaltensprävention kann nur vertraut werden, wenn zuvor die Verhältnisprävention mitbestimmt geregelt wurde.