"Meine Arbeit als Projektleiterin"

Anina Mischau, Mechthild Oechsle: Arbeitszeit – Familienzeit – Lebenszeit: verlieren wir die Balance?, Zeitschrift für Familienforschung, Heft 5, 2005, ISBN 978-3-8100-4167-8

Das Buch untersucht, wie die Work-Life-Balance sich verändert hat, welche Zeitstrukturen unser Leben bestimmen. Die Arbeitswelt befindet sich in einem rasanten Wandel und mit ihr die Koordinaten alltäglicher Lebensführung. Veränderte Muster von Arbeitsorganisation und neue Formen unternehmerischer Steuerung führen zu einer Entgrenzung von Arbeit, die auch das Verhältnis von Arbeit, Familie und Lebensführung tiefgreifend verändert und Familien wie Individuen mit neuen Anforderungen konfrontiert. Das Buch untersucht aus verschiedenen Perspektiven, wie sich Zeitstrukturen ändern und die Balance von Arbeit und Leben beeinflussen und fragt nach Gestaltungsmöglichkeiten in Erwerbsarbeit, Familie und Kommune.

Besonders möchte ich auf den folgenden Beitrag in dem Buch hinweisen (darin wiederum ab S. 175, Bericht einer Projektleiterin bei IBM, 1997): Wilfried Glissmann: Die neue Selbstständigkeit in der Arbeit: Wie können Arnbeitnehmer unter diesen Bedingungen ihre Interessen erkennen und durchsetzen?
Siehe auch: https://www.google.de/search?q=Wilfried+Glissmann+IBM+Betriebsrat
In “Meine Zeit ist mein Leben!” geht Stephan Siemens auf den Bericht “Meine Arbeit als Projektleiterin” ein: http://www.club-dialektik.de/Texte:Meine_Zeit_ist_mein_Leben.

Wie arbeitsbedingten Depressionen vorbeugen?

http://www.sifatipp.de/fachwissen/fachartikel/arbeitsschutzmanagement/wie-arbeitsbedingten-depressionen-und-suiziden-vorbeugen/ (2009-11-18)

Die durch schwer belastende Arbeitsbedingungen verursachten Suizide in Frankreich machen Schlagzeilen – und das nicht erst seit der jüngsten Krise. In Japan hat das traurige Phänomen schon seit den 80er Jahren einen eigenen Namen: Karojisatsu, übersetzt: Suizid als Folge von Depressionen durch Überarbeitung und Stress. …

Trotz allen Verantwortungsgedöns ist Deutschland hinter Frankreich, Großbritannien und Japan zurückgeblieben:

… Die Haftungsfrage
Anders als in Frankreich oder Großbritannien [oder Japan] werden arbeitsbedingte Suizide in Deutschland (noch) nicht statistisch erfasst. Das heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Für Angehörige ist die Frage nach der Ursache auch eine wichtige Haftungsfrage. Wird ein Suizid wie ein Tod durch einen Arbeitsunfall anerkannt, bestehen auch entsprechende Versorgungsansprüche. Auch wenn dieser Nachweis äußerst schwierig ist, haben in der Vergangenheit deutsche Gerichte den klagenden Angehörigen in einigen Einzelfällen Recht gegeben und Versorgungsansprüche gesichert. …

(Anmerkung in eckigen Klammern nachträglich eingefügt)
Siehe auch: Jan von Trotha: Stress am Arbeitsplatz – Haftung des Arbeitgebers auf Schadensersatz für hieraus resultierende Gesundheitsschäden?, 2009, ISBN 978-3-428-13105-1

Irre!

http://www.youtube.com/watch?v=6DvsJovf4E0

 
Das Buch ist besser und sicherlich billiger, als manches verhaltensorientierte Führungskräftetraining über “auffällige” Mitarbeiter. In der Mehrheit der Unternehmen sind die “Normalen” das Problem, die “auffällige” Mitarbeiter fürsorglich belagern anstatt zuerst einmal ihren Pflichten im verhältnisorientierten Arbeitsschutz gerecht zu werden. Das Problem ist der normale Rechtsbruch.
Mehr:

1983: Arbeitsbelastung und ihre Thematisierung im Betrieb

Friedrich Hauß: Arbeitsbelastung und ihre Thematisierung im Betrieb, 1983/1997, ISBN 978-3-593-33161-4
 
S. 38 (Warum Gewerkschaften und Betriebsräte wichtig sind)

Die staatliche verhältnisorientierte Präventionsstrategie wird sich also weder in ihrer Formulierung und Normierung, noch in ihrer Implementation ausschließlich an gesundheitspolitisch relevanten Gesichtspunkten orientieren können. Zumindest auf betrieblicher Ebene bedarf sie der Durchsetzung und Erweiterung durch die Aktivitäten der Beschäftigten. …

 
S. 43

… Besonders der, bezogen auf auf das gesundheitspolitische Problem, wirksameren Verhältnisprävention mangelt es an Durchsetzungspotential. …

 
S. 65

… Einerseits besteht – vor allem im Bereich der klassischen Arbeitsmedizin – eine durch empirische Befunde nicht zu rechtfertigende Überbetonung der Arbeitsunfälle und der ergonomisch-physiologischen, allenfalls noch der chemischen Arbeitsbelastung. Psychisch-physiologische Arbeitsbelastungen werden dagegen von dieser Seite kaum zur Kenntnis genommen oder in Begriffen formuliert, die nicht das psychische Wohlempfinden, sondern lediglich die Leistungsbereitschaft oder Leistungsfähigkeit betreffen. …

 
So weit waren die Erkenntnisse also schon vor 28 Jahren. Also ist Arbeitsbelastung keineswegs ein erst kürzlich entdecktes Modethema. Manchmal ist das Neue eben nur das bisher nicht deutlich genug angesprochene Alte.

Was ist Gesundheitsmanagement?

Wilken Unternehmensberatung Prävention
http://www.boeckler.de/pdf/fof_020122transparenzstudie_gesundheitsmanagement.pdf, 40 Seiten

Transparenzstudie Gesundheitsmanagement
Die vorliegende Studie stellt die neuesten Erkenntnisse zum betrieblichen Gesundheitsmanagement (in Teilen der Literatur auch weiterhin unter betrieblicher Gesundheitsförderung firmierend) zusammen. Auf eine ausführliche Darstellung und ergebnisorientierte Diskussion der verschiedenen Methoden und Instrumente des betrieblichen Gesundheitsmanagements wird an dieser Stelle verzichtet. Ebenfalls keine Erwähnung finden (schwerpunktmäßig) außerbetriebliche Ansätze der Gesundheitsförderung, wie beispielsweise „healthy city“. …
… Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst im modernen Sinne alle Maßnahmen eines Unternehmens, welche die für die Gesundheit der Mitarbeiter verantwortlichen salutogenetischen Faktoren (vgl. Antonovsky 1998) stärkt, bzw. die Risikofaktoren reduzieren. Prinzipiell müssen hierbei

  • [Verhaltensprävention] sowohl personale Ressourcen (wie: persönliche Verhaltensweisen und Prädispositionen)
  • [Verhältnisprävention] als auch organisationale Ressourcen (wie: Arbeitsorganisation, Belastungen der Umgebungsbedingungen usw.)

berücksichtigt werden. In der überwiegenden Masse der Programme betrieblicher Gesundheitsförderung wird allerdings immer noch ein Schwergewicht auf die Beeinflussung des Verhaltens Einzelner gelegt.
Aufschwung hat die betriebliche Gesundheitsförderung vor allem durch die Luxemburger Deklaration [1997] zur betrieblichen Gesundheitsförderung bekommen, durch die auch in Deutschland eine breite Diskussion ausgelöst und bereichert wurde. Sie formuliert das Leitbild:
„Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Dies kann durch eine Verknüpfung folgender Ansätze erreicht werden:
• Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen
• Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung
• Stärkung persönlicher Kompetenzen.

…”

(Link, Hervorhebung und Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingefügt; Layoutänderungen)
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2011/06/06/gesundheitsmanagement-als-schleier/

TK: Gesundheitsreport 2011

http://www.tk.de/tk/broschueren-und-mehr/studien-und-auswertungen/gesundheitsreport-2011/281904, Juni 2011:

Broschüre, 193 Seiten
Psychische Störungen unter jungen Erwachsenen nehmen zu
Der aktuelle Gesundheitsreport befasst sich in diesem Jahr mit der Gesundheit junger Erwerbspersonen und Studierender. Die Auswertungen der Arzneiverordnungsdaten zeigen, dass die gesundheitlichen Belastungen unter den Hochschülern seit der letzten TK-Studie von 2008 weiter zugenommen haben. …

Der Report enthält auch viele Angaben zur Arbeitsunfähigkeitsfällen aller erfassten Erwerbstätigen.

Vorwort 7
Zusammenfassung 9
Gesundheit von jungen Erwerbspersonen und Studierenden 19
Arzneiverordnungen 22
Verordnungsraten zu ausgewählten Arzneimittelgruppen 28
Ambulante ärztliche Versorgung, Diagnosen 39
Vertiefende Auswertungen zu ausgewählten Themen 52
Erwerbspersonen in der TK 71
Erwerbspersonen nach Geschlecht und Alter 71
Erwerbspersonen nach Bundesländern 73
Arbeitsunfähigkeit 76
Arbeitsunfähigkeit insgesamt 76
Interpretation von Stichtagsstatistiken 78
Arbeitsunfähigkeit nach Dauer 83
Arbeitsunfähigkeit nach Alter und Geschlecht 84
Arbeitsunfähigkeit nach Bundesländern . 86
Arbeitsunfähigkeit nach Diagnosen 88
Arbeitsunfähigkeit nach Berufen . 103
Arbeitsunfähigkeit nach Ausbildungsstand . 107
Arbeitsunfälle bei Erwerbspersonen . 109
Rückenbeschwerden 113
Arzneimittelverordnungen 120
Arzneimittelverordnungen insgesamt 120
Arzneimittelverordnungen nach Alter und Geschlecht 122
Arzneimittelverordnungen nach Bundesländern . 125
Arzneimittelverordnungen nach Arzneimittelgruppen . 128
Arzneimittelverordnungen nach Berufen . 134
Arzneimittelverordnungen nach Ausbildungsstand . 137
Anhang 139
Tabellenanhang 139
Methodische Erläuterungen 173
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 186

 
Aus der Einleitung des Reports:

… Seit 2006 sind Fehlzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen kontinuierlich gestiegen, allein von 2009 bis 2010 verzeichnen wir einen Anstieg von fast 14 Prozent. Das bedeutet, statistisch gesehen war jeder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland zwei Tage aufgrund einer psychischen Störung krankgeschrieben und dass heißt: In Deutschlands Betrieben fehlen jeden Tag über 4.000 Mitarbeiter.
Psychische Störungen sind bei den Fehlzeiten vor allem deshalb so auffällig, weil Krankschreibungen aufgrund von Depression, Angst- oder Belastungsstörungen sehr lange dauern. Das bedeutet für die Unternehmen enorme Produktionsausfälle, für die Krankenkassen hohe Behandlungskosten und Krankengeldausgaben, und für die Patienten bedeutet es meist eine wochen- oder monatelange Leidenszeit. Deshalb ist es wichtig, in der betrieblichen Prävention auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu fördern. Stress am Arbeitsplatz lässt sich nicht vermeiden. Neue Medien, die Intensivierung unserer Arbeit sowie der steigende Termin- und Leistungsdruck beeinträchtigen Kreativität und Leistungsfähigkeit. Von Führungskräften und Beschäftigten wird zunehmend ein hohes Maß an Flexibilität und Innovationsbereitschaft verlangt.
Aber: Auch wenn sich der Stress nicht vermeiden lässt, ist es möglich, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen gesünder zu gestalten sowie die gesundheitlichen Ressourcen der Beschäftigten zu fördern, so dass der Stress zumindest beherrschbar wird.
Neben unserem Engagement im betrieblichen Gesundheitsmanagement setzen wir uns zudem für eine bessere medizinische Versorgung der betroffenen Patienten ein. Besonders im ambulanten Bereich ist der Zugang zu medizinischer Unterstützung zu langwierig und zu bürokratisch. Es gibt zu wenig Angebote, die es den Patienten ermöglichen in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben und berufstätig zu sein. Die TK setzt sich deshalb mit Projekten wie dem „Netzwerk psychische Gesundheit“ für moderne Betreuungsangebote und mit dem Modellvorhaben „Qualitätsmonitoring ambulante Psychotherapie“ für eine besser Versorgungsqualität ein. …

Besonders interessant sind die Grafiken auf den Seiten 92 bis 94. Dort sieht man einen sehr kräftigen Anstieg in der Kategorie “Psychische und Verhaltensstörungen” seit 2006.
S. 16:

… Für den auch bei Berücksichtigung von Atemwegserkrankungen feststellbaren leichten Gesamtanstieg der Fehlzeiten verantwortlich sind insbesondere die von 2009 auf 2010 erneut und deutlich um 13,8 Prozent angestiegenen Fehlzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen (vgl. Abbildung 29 auf Seite 92). Fehlzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen sind damit, seit einem zwischenzeitlichen Tief im Jahr 2006, kontinuierlich gestiegen (vgl. Abbildung 30 auf Seite 93). 2010 wurden je 100 Erwerbspersonen durchschnittlich 196 Fehltage unter entsprechenden Diagnosen gezählt. Jede Erwerbsperson war 2010 demnach durchschnittlich knapp zwei Tage unter der Diagnose einer psychischen Störung krankgeschrieben. 2009 waren es noch 172, 2008 noch 151, 2007 erst 140 und im Jahr 2006 erst 129 Fehltage je 100 Erwerbspersonen (vgl. auch Tabelle A14 auf Seite 149 im Anhang). Seit 2006 sind die Fehlzeiten unter der Diagnose psychischer Störungen bei Erwerbspersonen altersbereinigt damit um 51 Prozent angestiegen.
Während die bei Erwerbspersonen nachweisbaren Anstiege der Fehlzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen von 2000 bis 2005 vorrangig in engem Zusammenhang mit einer individuell bereits eingetretenen Arbeitslosigkeit und bei insgesamt ansteigenden Arbeitslosigkeitsquoten beobachtet werden konnten, lässt sich ein vergleichbarer Anstieg wie bei den Erwerbspersonen insgesamt in den Jahren von 2006 bis 2010 auch unter Personen nachweisen, die zum jeweiligen Auswertungszeitpunkt als Berufstätige versichert und insofern individuell nicht direkt von einer Arbeitslosigkeit betroffen waren (vgl. Abbildung 31 auf Seite 94). Unter Berufstätigen stiegen die gemeldeten Fehlzeiten mit der Diagnose von psychischen Störungen von 2006 bis 2010 um 53 Prozent. Die Ergebnisse deuten auch 2010 auf eine weiter ansteigende psychische Belastung von Berufstätigen hin. …

Was zu dieser Entwicklung beiträgt, wurde schon im Mai 2009 recht gut von einer Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz im Auftrag der DGSV in “Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen” beschrieben.

Gesundheitsmanagement als Schleier

Wolfgang Hien: Arbeitswelt und seelische Gesundheit, gute ARBEIT, 2011-05, S. 37-39
http://www.gutearbeit-online.de/archiv/beitraege/2011/2011_05_37_39.pdf (nicht mehr on-line) und http://www.wolfgang-hien.de/download/Arbeiten-2011.pdf:

Immer mehr Menschen können mit der Dynamik des Wirtschaftslebens nicht mehr mithalten. Sie werden seelisch krank. Die Daten der Krankenkassen und Rentenversicherung – psychische Erkrankungen stehen seit 2004 auf „Platz Eins“ der Frühberentungsgründe (Hien 2006) – sprechen eine deutliche Sprache. Neue Management-Techniken kalkulieren gezielt Erkrankungen ein. Betriebliches Gesundheitsmanagement wird häufig als Anpassungstraining an die neuen Verhältnisse missbraucht. Stattdessen käme es darauf an, im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes humane Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dazu ist es aber auch erforderlich, dass die Beschäftigten selbst ihre Haltung und ihr tägliches Verhalten ändern. …

„Gesundheitsmanagement” verschleiert oft die Ursachen.
… Das in vielen Unternehmen etablierte „Gesundheitsmanagement” im Sinne gesundheitsförderlicher Maßnahmen, die sich auf Verhaltensprävention konzentrieren, muss sehr kritisch betrachtet und bewertet werden. Nicht selten werden nämlich präventive und beteiligungsorientierte Konzepte zur humanen Arbeitsgestaltung umgangen oder gar verworfen und an deren Stelle ein konzeptionelles Vorgehen gesetzt, das alleine verhaltenspräventiv und leistungssteigernd angelegt ist. Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sollen nicht mehr im Sinne der Humanisierung verändert werden. Stattdessen werden Schwächere stigmatisiert und letztlich ausgegliedert. Arbeitsmediziner/innen, Sozialberater/innen und – inzwischen in wachsender Anzahl – auch Gesundheitswissenschaftler/innen werden zunehmend für diese Unternehmenspolitik instrumentalisiert.
Dieser Entwicklung sollte dringend Einhalt geboten werden. Es geht hier nicht darum, freiwillige Angebote allgemeiner Prävention hinsichtlich einer Verbesserung der Lebensweise zu kritisieren; es geht eher darum, diese Angebote nicht zu einer Pflichtveranstaltung werden zu lassen, die den Arbeits- und Gesundheitsschutz ersetzt. Gegen diese Entwicklung auf allen Ebenen – der betrieblichen wie der überbetrieblichen – gemeinsam mit allem in der betrieblichen Prävention Involvierten Professionen und Experten anzugehen, ist ein Gebot der beruflichen bzw. professionellen Verantwortungsethik. Ein Gesundheitsmanagement, das sich dafür einspannen lässt, Hochleistungsbelegschaften herauszuselektieren, verfehlt seinen Auftrag. …

(Der Link zu diesem Blog wurde nachträglich eingefügt.)
„Neue Management-Techniken kalkulieren gezielt Erkrankungen ein” ist vielleicht ein bisschen zu krass ausgedrückt. Ein Schwerpunkt neuer Managementechniken scheint mir eher Verantwortungsvermeidung zu sein. Das Arbeitsschutzgesetz nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht zur Verhältnisprävention und verlangt von ihnen eine Selbstbeobachtung der Arbeitsverhältnisse ab (z.B. Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen), die ihnen eher unangenehm ist. Lieber ist den Arbeitgebern die Kür: Im Rahmen eines professionell nach Innen und Außen kommunizierten “Gesundheitsmanagements” bieten sie den Mitarbeitern werbewirksame “Angebote” zur “Gesundheitsförderung” an.
Dabei liegt der Schwerpunkt auf einer Verhaltensprävention, mit der die Arbeitgeber ihre Verantwortung zu den “eigenverantwortlichen” Mitarbeitern zu verschieben versuchen. Damit lassen sich nicht nur externe Auditoren einseifen, sondern auch eine Gewerbeaufsicht, die u.A. vergisst, dass der Arbeitgeber alle Kosten des gesetzlichen Gesundheitsschutzes zu tragen hat. Maßnahmen, für die Mitarbeiter Urlaubstage opfern und/oder Kosten tragen können, sind als Maßnahmen des Gesundheitsmanagements und/oder der Gesundheitsforderung möglich, aber dürfen nicht als Umsetzung der Forderungen des gesetzlichen Arbeitsschutzes bewertet werden.
Anstatt arbeitsbedingte Gefährdungen durch psychische Belastungen zu erfassen und zu beurteilen, vermeiden Arbeitgeber lieber die Wahrnehmung und Dokumentation von die seelische Gesundheit beeinträchtigenden Vorfällen und Risiken, da sich daraus eventuell Haftungsprobleme (mit Auswirkungen auf die an die Berufsgenossenschaften zu zahlenden Versicherungsbeiträge) ergeben. Auch sehr unangenehm für so manche Führungskraft: Die Erfassung von psychisch gefährdenden Vorfällen und Risiken könnte die Führungskultur im Betrieb in Frage stellen. Zudem ist das Erkennen psychische Fehlbelastungen komplizierter, als das Erkennen der Gefährdungen, denen sich der technische Arbeitsschutz widmet. Da die Gewerbeaufsicht das Thema auch nicht gut versteht, können Unternehmer hier leichter die Gesetze brechen und tun das oft auch. Das Gesundheitsmanagement muß dann nach innen und außen so verkauft werden, dass Verstöße gegen die Regeln des Arbeitsschutzes nicht auffallen – oder sogar mit Verachtung für als realitätsfern dargestellte Regeln gebilligt werden.
 


2012-11-15
http://www.politikexpress.de/betriebliches-gesundheitsmanagement-als-werkzeug-gegen-psychische-erkrankung-552442.html ist ein Beispiel für eine Darstellung, in der die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) von einer Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG, Saarbrücken) als Werkzeug gegen psychische Erkankungen angepriesen wird.

… Soll Gesundheitsförderung im betrieblichen Umfeld langfristig erfolgreich sein, ist ein unternehmensspezifisches Gesamtkonzept notwendig. „Im Sinne eines betrieblichen Gesundheitsmanagements wird die Grundlage gelegt, dass genau die gesundheitlich relevanten Umstände entdeckt, ausgewertet und mit passenden praktischen Maßnahmen (z. B. Rückenschule am Arbeitsplatz, Stresskompetenztraining etc.) angegangen werden können, die im Betrieb relevant sind“, so Allmann.
Die richtigen regionalen Ansprechpartner für BGM-Projekte liefert die bundesweite Initiative „Gesundheit im Betrieb selbst gestalten“, die vom Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen und der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement initiiert wurde …

Für die private Hochschule spielt die Verhältnisprävention also nicht einmal im unternehmensspezifischen Gesamtkonzept eine Rolle, obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben ist. Bei solchen Hochschulen können Arbeitgeber (und Hersteller von Turngerätschaften) vermutlich die “arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse” bestellen, die sie zur Verdrängung unangenehmerer Aufgaben im gesetzlichen Arbeitsschutz benötigen.
Die BGF kann durchaus verhaltenspräventive Beiträge gegen psychische Erkrankungen leisten, aber dabei den verhältnispräventiven Arbeitsschutz zu marginalisieren oder überhaupt nicht zu erwähnen, ist manipulative und irreführende Kommunikation. Wird hier ein Weg bereitet, der auch in Zukunft die straflose Missachtung der Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes ermöglichen soll?

Chinesen lassen sich nicht so leicht veralbern

Es gibt “Leader”, die Mitarbeiter als erwachsene Menschen respektieren, es gibt aber auch welche, die meinen, sie selbst seien Mami und Papi. Letztere beglücken ihre Mitarbeiter mit unehrlicher Unternehmenskommunikation, mit Unterhaltungsspielen und mit Kinderbüchern: “Die Mäusestrategie für Manager” (“Who Moved My Cheese?“) ist ein intelligent geschriebenes und zugleich strunzdummes Buch, das seine Leser doofer, den Autor aber viel reicher gemacht hat. Der Markt dieses Buches sind die Hilflosen unter den Personalern, die Bestätigung ihrer simplen Menschenbilder suchen und ihre Ansichten auch in den Köpfen ihrer Mitarbeiter verankern wollen. Wichtig: Was die schwächeren unter den Personaler verstehen und dann ihren Mitarbeitern einträufeln sollen, muss einfach sein.
Das Marketing des Buches ist genial: Gerne verteilen Personaler und Führungskräfte den Mäuse-Schrott haufenweise in ihren Betrieben und zeigen ihren Mitarbeitern damit, für wie wenig erwachsen sie sie halten. Sie sollen eifrig irgendeinem Käse hinterherrennen anstelle ihn (und den Käseklau) zum Beispiel selber in den Griff zu kriegen. Solche Bücher erklären den Zustand der immer noch “zeitgemäßen” Führungskultur. Hinterher- und Mitläufer mögen das Buch. Es gibt aber auch Leute, die sich nicht verblöden lassen:

  • Richard Templar: I don’t want any more cheese…, 2004, ISBN 0273675435
  • Chen Tong, Augustine Quek (Übersetzung): Whose Cheese Can I Move?, 2003, ISBN 9812445056 (Eine sehr schöne Antwort einer Chinesin aus Xi’An auf “Die Mäusestrategie für Manager”)

Harper’s Magazine berichtete 2003 von weiteren Antworten aus China:

  • “Whose Cheese Should I Move?” von He Jun,
  • “Can I Move Your Cheese?” von Chen Tong,
  • “Who Dares to Move My Cheese?” von Kang Yanning,
  • “Agitating, Alluring Cheese” von Lian Yuming,
  • “No One Can Move My Cheese! The New Allegory of Cheese! The New Enlightenment of Allegory” von Zhang Xiaofeng,
  • “Make the Cheese Yourself!” von Dong Huangfu,
  • “A Piece of Cheese: Reading World Famous Fairy Tales with Mom” von Yi Su,
  • “Management Advice 52 from the Cheese” von Fang Yuan,
  • “No More Cheese!” von Lin Zhanxian, “Chinese People Eat Cheese?–Who Took My Meat Bun?” von Chuan Xiang.

In den USA, dem Ursprungsland des Buchs für Mäusegehirne, gibt es auch deftige Parodien auf die Mäusestrategie. Die meisten sind eher plump, wie zum Beispiel “Who cut my cheese?” (Idiomalarm!). Ganz lustig fand ich den Titel ” Who Moved my Soap?”, mit dem sich Manager auf Gefängnisaufenthalte vorbereiten können. Aber die meisten Titel der Gegenliteratur finden sich im chinesischen Sprachraum. Sie sind von den vielen kritischen Chinesen überrascht? Vielleicht sind Chinesen gar nicht so willig und folgsam, wie Sie das meinen. China bietet immer noch beste Bedingungen für die Pflege der Kunst der Satire und der Parodie. Mit paternalistscher Führung kennen sich die Chinesen seit tausenden von Jahren aus. Entsprechend gut können sie diesen Mäuse-Unsinn durch den Kakao ziehen.