FOCUS spirituell

Der FOCUS 11/2012 (12. März) hat den Titel “So bleibt das ICH stark”. Es gibt vier Beiträge.

  • Kraft aus der Ruhe: Wie gezielte Auszeiten die Psyche stärken und einem Zusammenbruch vorbeugen
  • Starkes Dutzend: Zwölf Regeln für das Gleichgewicht der Seele
  • Pause im Alltag: Drei Übungen, die auch im größten Stress Entspannung bringen
  • Selbsttest: So belastbar sind Sie

Die Autoren Gregor Dolak (Politik), Petra Hollweg (Report), Dr. Christian Pantle (Forschung & Technik / Medizin) und Sylvia Sandides (?) glauben ernsthaft, Martin Seligmann sei eine “Koryphäe der positiven Psychologie”. Ratschlag Nr. 12 auf Seite 78 mag der Grund für diese Erleuchtung sein:

An etwas glauben
Lassen Sie Spiritualität in ihr Leben. Wer an eine höhere Macht glaubt, so Studien, kann Krisen leichter bewältigen.

(Den Link zu staypositiv.com habe ich nachträglich in das Zitat eingebaut.)
Das sind wahrlich umwälzende Erkenntnisse. (Hat sich schon jemand die Arbeitsbedingungen beim FOCUS angesehen? Wie mögen die das Thema der psychischen Belastungen an ihren eigenen Arbeitsplätzen angehen?)
 
Gut, dass der FOKUS so konsequent antiaufklärerisch ist. Der SPIEGEL stand ja auch schon mit einem Fuß in diesem trüben Pfuhl, der allerdings jetzt von Dr. Hubert Burdas buntem Laberblatt besetzt ist. Glücklicherweise gibt es ja auch noch die ZEIT für die etwas aufgeweckteren Leser: http://www.zeit.de/2012/01/Glueck-Unglueck

Glücksphilosophie
Im Herzen der Sekte
Ein schrecklich harmonischer Tag mit Glücksguru Martin Seligman. Am Ende bleibt nur die Flucht. …

… Seligman untersuchte also vorhandene Glückskonzepte, befragte Leute nach ihrem gefühlten Glückspegel (zwischen 1 und 10) und fand die Glücksformel: G=V+L+W. Glück ist Vererbung plus Lebensumstände plus Wille. Wille heißt, durch selbstständiges Tun etwas verändern: durch den Kauf von Seligmans Büchern zum Beispiel …

Angewandte positive Psychologie

“Bei den Maßnahmen [des Arbeitsschutzes] sind der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.” Darum ist es wichtig, zu verstehen, wie Wissenschaft beeinflusst wird.
In http://tatjanarabe.blog.de/2011/08/23/sommerlektuere-11717310/ schreibt Tatjana Rabe (2012-02-08), dass sie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (Berlin) eine Bachelorarbeit über psychische Belastungen am Arbeitsplatz begutachten darf. Welcher Art von Psychologie wird hier erlaubt, als Maßstab für wissenschaftliches Arbeiten zu gelten? Ein halbes Jahr später beschreibt http://tatjanarabe.blog.de/2012/02/08/ueberforderst-12709118/, wie sie an die Themen Burn-Out und berufliche Überforderung herangeht

Burn-Out und berufliche Überforderung sind Themen, die mir in meiner Arbeit als Karriereberaterin oft begegnen. Dabei sind es meist nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch deren Führungskräfte, die Schwierigkeiten im Umgang mit dieser Situation haben.
Im Rahmen meiner Abschlussarbeit für den NLP-Master beim Institut für angewandte positive Psychologie und der Zertifizierung beim DVNLP habe ich eine Vorgehensweise entwickelt, wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter dabei unterstützen können, Stress zu reduzieren und eine gemeinsame Basis zu schaffen, von der aus sie an der Belastung arbeiten können. Sie werden dabei von einem Coach begleitet, der beiden Parteien gleichermaßen zur Seite steht. …

“Überforderst Du Dich auch so wie mich?” ist der Titel der Abschlussarbeit. Das passt zu dem, was man in den Betrieben beobachten kann: Nachdem Arbeitgeber jetzt ihrer Pflicht zum Einbezug der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz nicht mehr ganz so leicht wie früher ausweichen können, verlagern Top-Managements ihre Verantwortung (und Haftpflichten?) auf die untere Führungsebene und die “eigenverantwortlichen” Mitarbeiter. Die dürfen dann die Probleme unter sich ausmachen und diskutieren, wer wen überfordert. Nach außen arbeitet das Top-Management vorwiegend daran, darzustellen, wie gut ihr “Gesundheitsmanagement” aussieht. Unternehmenskommunikation statt solides Arbeitsschutz-Handwerk. NLP und positive Psychologie passen wohl ganz gut dazu.
 
http://de.wikipedia.org/wiki/Positive_Psychologie

Während [Martin] Seligmans Forschungsprogramm in den Bereichen Coaching und kommerzielles Motivationstraining auf breite Resonanz stößt, ist es in der akademischen Psychologie umstritten. Die US-amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich stellt die Positive Psychologie als wissenschaftlich irrelevant dar und ist der Auffassung, „dass sich der Erfolg der Positiven Psychologie vor allem in Dozentenstellen und Karrierechancen auf dem Coaching-Markt messen lässt: für die Positiven Psychologen selbst“

 
http://www.sueddeutsche.de/kultur/smile-or-die-gegen-die-widerliche-optimismus-industrie-1.995130

Smile or Die
Gegen die widerliche Optimismus-Industrie
02.09.2010, 11:11
Von Jutta Person
In ihrem großartig gepfeffertem Buch “Smile or Die” zerlegt US-Autorin Barbara Ehrenreich eine gigantische Illusion unserer Zeit: das “positive Denken”. …

… Beim positiven Denken ist Glück immer nur Mittel zum Zweck, ein Botenstoff für Erfolg, Leistungsfähigkeit und erhöhte Belastbarkeit, erklärt Ehrenreich. Sie wirbt für einen Realismus, der sich nicht in wolkige Wohlstandsträume flüchtet und das Wort “Opfer” nicht als Tarnkostüm für Feiglinge und Schlappschwänze versteht.
Hier spricht eine ebenso leidenschaftliche wie exakte Kritikerin der New Economy, eine der bekanntesten Journalistinnen der USA, die den “Jeder ist seines Glückes Schmied”-Mythos von seiner Schattenseite her erforscht. …

 
http://www.guardian.co.uk/books/2010/jan/09/barbara-ehrenreich-smile-lucy-ellmann

Smile or Die: How the Relentless Promotion of Positive Thinking Has Undermined America by Barbara Ehrenreich
Lucy Ellmann stoutly supports a passionate refutation of the power of positive thinking
The Guardian, Saturday 9 January 2010

… According to motivator Zig Ziglar, who helps companies such as AT&T bounce all the blame back on to the worker, if something goes wrong, it’s because you didn’t work hard enough or pray effectively. Boo! Boo!
Positive types aren’t just misled, they’re mean. “Negative people suck!” claims one American motivational coach, an exemplar of the “empathy deficit” in positive thinking. The pitiless message to the powerless from all these motivational speakers, megachurch preachers, self-help gurus and other assorted selfishness-sellers is that sad sacks get what they deserve.
Promoting the idea that happiness is within your grasp is in the interests of corporations trying to bamboozle an overworked and underpaid workforce. It’s also favoured by churches trying to get rich quick off the American dream. Ehrenreich traces the fad from Calvinist self-control through Christian Science to blatant assumptions of the holiness of cash. …

Chinesen lassen sich nicht so leicht veralbern

Es gibt “Leader”, die Mitarbeiter als erwachsene Menschen respektieren, es gibt aber auch welche, die meinen, sie selbst seien Mami und Papi. Letztere beglücken ihre Mitarbeiter mit unehrlicher Unternehmenskommunikation, mit Unterhaltungsspielen und mit Kinderbüchern: “Die Mäusestrategie für Manager” (“Who Moved My Cheese?“) ist ein intelligent geschriebenes und zugleich strunzdummes Buch, das seine Leser doofer, den Autor aber viel reicher gemacht hat. Der Markt dieses Buches sind die Hilflosen unter den Personalern, die Bestätigung ihrer simplen Menschenbilder suchen und ihre Ansichten auch in den Köpfen ihrer Mitarbeiter verankern wollen. Wichtig: Was die schwächeren unter den Personaler verstehen und dann ihren Mitarbeitern einträufeln sollen, muss einfach sein.
Das Marketing des Buches ist genial: Gerne verteilen Personaler und Führungskräfte den Mäuse-Schrott haufenweise in ihren Betrieben und zeigen ihren Mitarbeitern damit, für wie wenig erwachsen sie sie halten. Sie sollen eifrig irgendeinem Käse hinterherrennen anstelle ihn (und den Käseklau) zum Beispiel selber in den Griff zu kriegen. Solche Bücher erklären den Zustand der immer noch “zeitgemäßen” Führungskultur. Hinterher- und Mitläufer mögen das Buch. Es gibt aber auch Leute, die sich nicht verblöden lassen:

  • Richard Templar: I don’t want any more cheese…, 2004, ISBN 0273675435
  • Chen Tong, Augustine Quek (Übersetzung): Whose Cheese Can I Move?, 2003, ISBN 9812445056 (Eine sehr schöne Antwort einer Chinesin aus Xi’An auf “Die Mäusestrategie für Manager”)

Harper’s Magazine berichtete 2003 von weiteren Antworten aus China:

  • “Whose Cheese Should I Move?” von He Jun,
  • “Can I Move Your Cheese?” von Chen Tong,
  • “Who Dares to Move My Cheese?” von Kang Yanning,
  • “Agitating, Alluring Cheese” von Lian Yuming,
  • “No One Can Move My Cheese! The New Allegory of Cheese! The New Enlightenment of Allegory” von Zhang Xiaofeng,
  • “Make the Cheese Yourself!” von Dong Huangfu,
  • “A Piece of Cheese: Reading World Famous Fairy Tales with Mom” von Yi Su,
  • “Management Advice 52 from the Cheese” von Fang Yuan,
  • “No More Cheese!” von Lin Zhanxian, “Chinese People Eat Cheese?–Who Took My Meat Bun?” von Chuan Xiang.

In den USA, dem Ursprungsland des Buchs für Mäusegehirne, gibt es auch deftige Parodien auf die Mäusestrategie. Die meisten sind eher plump, wie zum Beispiel “Who cut my cheese?” (Idiomalarm!). Ganz lustig fand ich den Titel ” Who Moved my Soap?”, mit dem sich Manager auf Gefängnisaufenthalte vorbereiten können. Aber die meisten Titel der Gegenliteratur finden sich im chinesischen Sprachraum. Sie sind von den vielen kritischen Chinesen überrascht? Vielleicht sind Chinesen gar nicht so willig und folgsam, wie Sie das meinen. China bietet immer noch beste Bedingungen für die Pflege der Kunst der Satire und der Parodie. Mit paternalistscher Führung kennen sich die Chinesen seit tausenden von Jahren aus. Entsprechend gut können sie diesen Mäuse-Unsinn durch den Kakao ziehen.

Esoterik in der Beratung

Sekten-Info, NRW
 
http://sekten-info-nrw.de/index.php?option=com_content&task=view&id=140&Itemid=46

Der Coaching-Boom
Geschrieben von Karin Nachbar
Coaching boomt. Wie schon in den USA zu beobachten, zeichnet sich auch hierzulande in der Gesellschaft ein immer größer werdender Bedarf an Beratung und Unterstützung bei Problemlösungen in beruflichen und privaten Lebensbereichen ab. …
… Die dritte Art von Anfragen kommt von Firmen bzw. Firmenbeauftragten, die Coaching-Angebote nutzen möchten, aber aufgrund der unklaren Prüfkriterien nicht wissen, welches Coaching für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geeignet bzw. ungeeignet ist. Oder es wurde ein bestimmtes Angebot bereits als unpassend erlebt und die Firma hat für weitere Richtlinien oder Maßnahmen nachträglich zu recherchieren begonnen. …


 
http://sekten-info-nrw.de/index.php?option=com_content&task=view&id=71&Itemid=46

Zum Thema Esoterik in der Beratungsarbeit
Geschrieben von Katharina Reiss
… Die wahrscheinlich bekannteste Technik innerhalb der esoterischen Lebensberatung ist das “Positive Denken”. Joseph Murphy, einer ihrer Vertreter, stellt die Funktionsweise dieser Technik wie folgt dar: “Denken Sie das Gute, und es wird sich verwirklichen! Denken Sie aber Böses, so wird Böses eintreten. Was immer Sie denken, das sind und tun Sie in jeder Sekunde Ihres Lebens.”
Schnell und einfach – so scheint es – können auf diese Weise negative Einstellungen (z.B. Unzufriedenheit oder Angst) geklärt und Probleme gelöst werden. Doch die Erfahrung zeigt, daß v.a. Ängste, Konflikte mit dem Partner oder anderen Angehörigen sich nicht dadurch auflösen, daß ein Mensch positiv denkt. Und sicher hat jeder von uns schon erleben müssen, daß Situationen für ihn keinen positiven Ausgang genommen haben, obwohl er sehr optimistisch an sie herangegangen ist (z.B. Einstellungsgespräche). Welche Gefahren sich im einzelnen aus der Technik des “Positiven Denkens” ergeben, schildert Günther Scheich ausführlich in seinem Buch “Positives Denken macht krank”. …

Die Glückslüge

Anti-Lesetipps vom NDR-Kulturjournal
http://www.ndr.de/kultur/literatur/gluecksluege101.html:

von Boris Rosenkranz
Das ganz große Glück – die Regale der Buchhandlungen sind voll damit. Ein Millionengeschäft mit dem Versprechen: Hier wird jeder Wunsch Wirklichkeit. “Da ist in den letzten zehn Jahren eine Menge passiert”, sagt Ursula Caberta von der Innenbehörde Hamburg. “Die Leute sind anfälliger geworden für Vereinnahmung von irgendetwas Spirituellem.” “Das Emotionale wird heute sehr viel stärker akzeptiert, als es früher der Fall war”, weiß Michael Eid, Professor für Psychologie. “Deswegen darf man sich auch stärker damit beschäftigen.”

Es ist eben ein Problem, mit dem Emotionalen ohne Verstand umzugehen. Erfolgsbuchautoren wissen das. Sie nutzen mit Verstand die Emotionen ihrer Leser für ihr erfolgreiches Geschäft.
In dem Beitrag des NDR wird auch wieder eine bekannte Masche dieser Glücksberater erläutert: Wer sein Glück nicht findet, hat es sich nicht stark genug herbeigewünscht. Wem also ein Glücksbuch kein Glück bringt, der sollte sich nicht beim Glücksautor beschweren.
Es gibt aber mindestens ein Buch über Glück, dass einen Lesetipp verdient:
Herrad Schenk: Glück und Schicksal. Wie planbar ist unser Leben? (2001).