Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes in Saarbrücken

SaarbrückerZeitung, Gregor Haschnik
http://www.saarbruecker-zeitung.de/aufmacher/Saarbruecken-Verdi-Belastung-Druck-Stress;art27856,4006083

… Es werde viel über Burnout geredet, aber fast nichts getan: „Die Fälle häufen sich. Doch statt mehr Personal einzustellen und die Zielvorgaben zu senken, machen viele Führungskräfte private Probleme ihrer Mitarbeiter für deren Erschöpfung verantwortlich.“
Die Arbeitskammer (AK) hat in ihrem Betriebsbarometer kürzlich alarmierende Ergebnisse veröffentlicht. 231 Mitarbeitervertreter, die 90 000 Beschäftigte repräsentieren, nahmen an der Befragung teil. Demnach stuften 72 Prozent der Befragten den Leistungsdruck als hoch oder sehr hoch ein. Nur rund 14 Prozent der Arbeitgeber untersuchten die psychische Belastung ihrer Arbeitnehmer vollständig, 29 Prozent teilweise, der Rest gar nicht. …

Diesen Rechtsbruch lassen auch die Aufsichtsbehörden in Saarbrücken 15 Jahre nach Einführung des Arbeitsschutzgesetzes immer noch zu.

Burnout als Modebegriff verniedlicht

Seit 1996 konnten sich die Unternehmen vor dem vorgeschriebenen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz drücken. Nun aber ist das Thema unter dem Schlagwort “Burnout” auf dem Tisch, und schon wird versucht, es als “Mode” zu verniedlichen. Entsprechend sah der Titel eines Interviews von haufe.de mit Uwe Gerecke aus. Gerecke ist Präsidiumsmitglied des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) sowie Facharzt für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin, Sportmedizin, Notfallmedizin und Suchtmedizin:
http://www.haufe.de/arbeitsschutz/newsDetails?newsID=1320063206.33

Modebegriff “Burnout” – Was steckt wirklich dahinter?

03.11.2011 | Praxis

Die Zahl psychischer Erkrankungen ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Medien sprechen bereits von der Volkskrankheit “Burnout”. Doch was die meisten nicht wissen, ist, dass dieser Begriff so in den Diagnosekatalogen der Ärzte überhaupt nicht anzutreffen ist. Ist es nun ein Erschöpfungszustand oder eine Form der Depression? Arbeitsmediziner Uwe Gerecke kennt die Antworten. …

Uwe Gerecke gibt in diesem Interview (geführt von haufe.de) ersteinmal nur die Hälfte der Antworten, die er kennt. Es sind die üblichen Ratschläge zum individuellen Verhalten (“Nein” sagen können usw.). Nach meiner Erfahrung möchten auch Betriebsärzte gerne einem von ihnen verspürten Vorurteil entgegenwirken, dass “nur die Umwelt” schuld an Erkrankungen von Mitarbeitern am Arbeitsplatz sei. Die ander Hälfte, also die Frage nach den Arbeitsbedingungen, spricht Uwe Gerecke von sich aus nicht an.
Die einseitige Identifizierung der Arbeitsbedingungen als krank machend gibt es. Dieser Vorverurteilung kann mit einer sachlichen Darstellung des Zusammenspiels von Verhältnisprävention und Verhaltensprävention entgegengewirkt werden. Dazu müsste aber auch Kritik an den Arbeitgebern gehören, denn es ist einfach eine Tatsache, dass die Mehrheit der Arbeitgeber in der Gefährdungskategorie “psychisch wirksame Belastungen” ihre Pflicht zur Beurteilung der Arbeitsumwelt missachten. Folglich kann man nicht sagen, dass der Fokus auf die Umwelt als Erkrankungsursache dominiere. Das Gegenteil ist der Fall: Im Bereich der psychisch wirksamen Belastung liegt der Fokus sowohl der Arbeitsschutzakteure wie sogar auch der Betroffenen traditionell immer noch auf der Resilienz der individuellen Mitarbeiter.
Der einseitige Hinweis auf die individuelle Resilienz ist also keine gute Kompensation einer vermuteten Vorverurteilung der Arbeitgeber als Verantwortliche für die Arbeitsbedingungen. Vernachlässigt wurde vielmehr die Verhältnisprävention. Ihre Bedeutung muss darum deutlicher gemacht werden. Auf den Einfluss der Arbeitsumgebung geht Uwe Gerecke aber leider erst ein, nachdem haufe.de im Interview seine anfängliche Einseitigkeit der Darstellung mit einer guten Frage kompensiert:


Haufe Online-Redaktion: Psychische Erkrankungen entstehen letztlich immer auch in einem Umfeld. Welche Arbeitsbedingungen können einen Burnout begünstigen?
Gerecke: Burnout heute entsteht mehr aus dem Druck, die Ansprüche anderer erfüllen zu können, aus Konkurrenzdruck, Leistungsdruck, fehlender Wertschätzung und gesellschaftlicher Unsicherheit. Ein schlechtes Teamklima, in dem der Einzelne nicht genug soziale Unterstützung erhält oder vom Vorgesetzten ungerecht behandelt wird. Weitere Faktoren sind ein geringer Entscheidungs- und Handlungsspielraum, Angst vor Arbeitsplatzverlust, eine hohe Anstrengungsbereitschaft gepaart mit erheblichem Zeitdruck, Arbeitsverdichtung und rascher Umstrukturierung.

“Der Arbeitgeber hat auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen” (ArbMedVV §3). Vielen Betriebsärzten fehlt diese Grundlage: Der mitbestimmte Enbezug der psychischen Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung fehlt bei der Mehrheit der Betriebe. Die in diesen Betrieben arbeitenden Betriebsärzte wissen das. Wenn sie diesen Rechtsbruch widerspruchslos hinnehmen, schaden sie ihren Schutzbefohlenen.
Lektüre (auch für Uwe Gerecke): http://blog.psybel.de/position-von-betriebsaerzten-und-gewerkschaft/

Burnout-Detektive

2011-10-17 (21:45): Hübsche Titelseite in der Abendzeitung (München): “Burnout-Detektive in Münchner Firmen – Arbeitsministerin Haderthauer: Aufpasser sollen psychische Risiken im Betrieb kontrollieren”. Und dann unter dem Artikel “Burnout-Aufpasser für Bayern” das schöne Interview auf Seite 16: “Burnout-Prophylaxe: Hier sagt die Ministerin, wie die Gewerbeaufsicht einschreiten soll”. Das Ganze ist auch gut verständliche Aufklärungsarbeit einer Zeitung und einer Ministerin, die wohl auch innerhalb der CSU ihren eigenen Kopf hat. Kompliment.
2011-11-04: Gestern wählte Horst Seehofer den “mental starken” Markus Söder als Nachfolger von Georg Fahrenschon zum neuen Finanzminister Bayerns aus. An dem Rollenbesetzungstheater nahm auch wieder einmal die Öffentlichkeit teil, also eine Gelegenheit der parteiinternen Gegner von Christine Haderthauer, sie ungefähr als so unbeleckt in Finanzfragen darzustellen, wie Markus Söder es ebenfalls ist. Die Wirtschaftslobby in der CSU will wohl ihren Spezln den Besuch von “Burnout-Detektiven” zwar ersparen, aber im Finanzministerium hätte Haderthauer die Steuerfahndung losschicken können. Christine Haderthauer bleibt nun doch Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, und ich freue mich, dass sie in diesem Amt ihre Arbeit (hoffentlich nicht nur Öffentlichkeitsarbeit im Boulevard) weitermacht.
Siehe auch: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/47615/Haderthauer_fordert_politische_Initiative_gegen_Burnout.htm.
Nachtrag (2015): Die Entzauberung der Ministerin folgte dann später. Trotz meines Grantelns in diesem Blog sehe ich zunächst das Gute im Menschen.

Tiere in der freien Wildbahn

Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft, 2010, ISBN-13 9783882216165

… Auch die wachsende Arbeitsbelastung macht eine besondere Zeit- und Aufmerksamkeitstechnik notwendig, die sich wiederum auf die Aufmerksamkeitsstruktur auswirkt. Die Zeit- und Aufmerksamkeitstechnik Multitasking stellt keinen zivillsatorischen Fortsschritt dar. Das Multitasking ist keine Fähigkeit, zu der alleine der Mensch in der spätmodernen Arbeits- und Informationsgesellschaft fähig wäre. Es handelt sich vielmehr um einen Regress. Das Multitasking ist gerade bei den Tieren in der freien Wildbahn weit verbreitet. Es ist eine Aufmerksamkeitstechnik, die unerlässlich ist für das Überleben in der Wildnis. … Die jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen und der Strukturwandel der Aufmerksamkeit nähern die menschliche Gesellschaft immer mehr der freien Wildbahn an.

(S. 26-27, Hervorhebung nachträglich eingefügt.)
 
Siehe auch:

Hysterische Hysterie-Kritik

Der Journalist Christian Weber benutzt in seinem etwas hysterisch geratenen Artikel “Die Burn-out-Hysterie” (SZ 2011-10-22, S. 24, Untertitel: “Die anhaltende Debatte um das scheinbar zunehmende Leiden zeugt von einem falschen Verständnis psychischer Krankheiten”) einen alten Trick: Die Kritik von Absichten, die der Kritiker dem Kritisierten unterstellt:

Wer mit Hilfe der Psychiatrie die Arbeitsbedingungen und Zwänge des modernen Lebens kritisieren will, tut den Ausgebrannten nichts Gutes. Er nährt die Illusion, dass ein bisschen Umbau in Betrieb und Gesellschaft psychische Krankheiten beseitigen könnte; und dass nur die Anderen schuld seien am eigenen Zustand.

Wo ist denn jemand mit signifikantem Einfluss, der mit Hilfe der Psychiatrie die Arbeitsbedingungen und Zwänge das modernen Lebens kritisieren will? Das Instrument der Kritik ist nicht die Psychiatrie, sondern die Organisations- und Arbeitspsychologie. Wenn die Psychiatrie einschreiten muss, ist es nämlich schon zu spät. Christian Webers Kritik, es gäbe die Illusion, “dass ein bisschen Umbau in Betrieb und Gesellschaft psychische Krankheiten beseitigen könnte; und dass nur die Anderen schuld seien am eigenen Zustand” ist unredlich. Eine solche Illusion gibt es zumindest nicht bei denen, die den Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz vorantreiben. Es ist also wohl Christian Weber, der hier Probleme mit der Realität hat und das dann auch noch in der SZ-Rubrik “Wissen” in die Welt setzt.
Psychosomatische Störungen durch psychische Fehlbelastung gibt es. Insbesondere Sozialstress in der Herde beobachtet beispielsweise mein Vetter in seinem (auch in schwierigen Zeiten erfolgreichen) großen Milchproduktionsbetrieb. Gibt es zuviel davon, dann wird die Milch zwar nicht sauer, aber weniger. Das bedeutet niedrigere Produktivität. Darum reduziert mein Vetter schädlichen Stress, wo das möglich ist. Gelegentlich bietet er seinen Viechern auch Stress, der anregend ist. Wichtig dabei: Trittbrettfahrer und Simulanten, die sich ihre Krankheiten anlesen, gibt es unter den Kühen eher weniger.
Nun von der Natur von Kühen mit Leseschwäche zu uns Menschen. Christian Weber meint:

Viel wahrscheinlicher ist, dass Angst und Depression, Zwang und Psychose zur Natur des Menschen gehören wie körperliche Krankheiten. Das Hirn ist die wahrscheinlich komplexeste Struktur des Universums; wie sollte es ein Leben lang fehlerfrei arbeiten?

Schon wieder kämpft Weber gegen eine Behauptung, die er sich einbildet. Die Menschen nehmen das Gegenteil dessen an, was Weber glaubt: Sie glauben nicht an Fehlerfreiheit des Gehirns und konstruierten sich deswegen einige ganz erfolgreiche Fehlerkorrekturverfahren (z.B. die Demokratie, in der dann wiederum Schutzgesetze beschlossen wurden). Es hilft uns nicht viel weiter, mit der “Natur” der Menschen zu argumentieren in einer Umwelt (nicht nur Arbeitsumwelt), die sich durch das Wirken der Menschen viel intensiver verändert hat, als die evolutionäre Entwicklung unserer Gehirne. Das ist nicht schlecht, aber wir müssen mit dieser “unnatürlichen” Entwicklung auch “unnatürlich” umgehen. Teilweise gelingt uns ja schon: Wir wenden uns mit Verstand der Arbeits- und Organisationspsychologie zu, aber nicht, um alle psychischen Krankheiten abzuschaffen, sondern um besser zu arbeiten und zu leben. Christian Webers Gehirn (die wahrscheinlich komplexeste Struktur des Universums?) kennt den Anspruch des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht.
Es gibt Leute, die sich mit dem Thema, dem Christian Webers Kollegen gerne den Titel  “Burn-out” geben, gut auskennen:

Meine eigene Kritik benutzt nicht die Psychiatrie als Instrument der Kritik an der neuen Arbeitswelt, sondern konzentriert sich auf die schlichte Tatsache, das in den meisten Betrieben überhaupt gar nicht erst in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise hingesehen wird, wie die Belastungen aussehen und ob sie Fehlbelastungen sein könnten. Diese Missachtung von Schutzvorschriften kann nämlich nachgewiesen werden. Das scheint der Süddeutschen Zeitung zu kompliziert zu sein. Aber die Bouleverd-Presse in München griff das Thema Anfang dieser Woche und mit Christa Haderthauers staatsministerieller Nachhilfe auf, natürlich wieder unter dem “Burn-out”-Titel: Die Abendzeitung München bemühte zwar “Burnout-Detektive” und “Burnout-Aufpasser”, aber sie kommt damit dem Problem unzureichender Aufsicht im Arbeitsschutzpraxis immer noch näher, als die Süddeutsche Zeitung das bisher vermochte. Der Boulevard braucht wohl den Burnout-Begriff. Endlich wurde eines der Hauptprobleme dort einfach erklärt auf den Punkt gebracht: Die Unternehmen halten sich nicht an die Regeln. Darum ist nun Aufsicht nötig.
Ein anderer Minister Bayerns, Markus Söder, kündigte in dieser Woche dann auch noch einen Burnout- und Psychiatrie-Beauftragten an. Diese Kombination finde ich problematisch. Politiker neigen halt zur Vereinfachung. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass es eine generelle Burnout-Hysterie gebe. Dass zu viel und zu platt von “Burnout” geschrieben wird, ist doch auch eine Folge der Forderung nach Vereinfachung komplexer Themen. Die unsaubere Verwendung des Begriffes verdient Kritik, aber Christian Weber setzt sie falsch an und forkussiert auf die Diagnose von Erkrankungen. Die Burnout-Thematisierungen von Christa Haderthauer und Markus Söder zielen aber (endlich den Regeln des Arbeitsschutzes entsprechend) auf die Prävention ab. Da geht es um die Diagnose des Zustandes von Arbeitsplätzen.
Michaela Mosers Kritik in (in Perspektive Mittelstand) ist auch nicht zimperlich: “Burnout-Geschwafel löst nicht das Problem” (http://www.perspektive-mittelstand.de/Erschoepfungsinflation-Burnout-Geschwafel-loest-nicht-das-Problem/management-wissen/4331.html). Aber ihr Schluss ist wichtig:

… Noch problematischer ist indes, dass den meisten, das Thema Burnout mittlerweile zum Halse raushängt. Denn ist das Erschöpfungssyndrom mal endgültig durch das mediale Dorf getrieben, wird die Berichterstattung, ebenso wie nach dem Depressions-Hype um den Tod von Robert Enke, wieder abflauen. Und damit letztlich auch der Handlungsdruck zur Burnout-Prophylaxe – sowohl bei Arbeitgebern als auch jenen die Burnout-gefährdet sind. Genau dies aber wäre fatal – nicht für die Betroffenen, sondern auch die Arbeitswelt von morgen und nicht zuletzt die deutsche Wirtschaft insgesamt!

FOKUS lenkt den Fokus ab

das FOKUS Magazin 43 vom 24. Oktober widmet sich dem Thema Burnout.

  • Endlich mehr Zeit haben. Burnout vermeiden: Wie Sie Ihr Leben klug organisieren
  • Ruhe finden: Wer immer erreichbar ist, erreicht nichts. Wie man seinen Alltag ohne Hektik meistert
  • Langsamkeit wagen: Die Zeitberater Karlheinz und Jonas Geißler über die Illusion, alles im Griff zu haben
  • Zeit gewinnen: Die besten Tipps von Simplify-Lehrer und Bestsellerautor Tiki Küstenmacher

Das Burda-Magazin FOCUS konzentriert sich wieder auf die Beratung seiner Leser zu individuellen Lebensbewältigung. Sie sollen ihre Burnout-Probleme selbst lösen, obwohl bekannt ist, dass die große Mehrheit der Unternehmen sich im Bereich der psychisch wirksamen Belastungen nicht an die Vorschriften des Arbeitsschutzes hält. Statt dessen füllt das Magazin seine Seiten mit angestaubten Binsenweisheiten von Zeit- und Simplify-Gurus, um schnell mal wieder auf der aktuellen Burnout-Welle in den Medien mitsurfen zu können. Auch in einem Online-Artikel zu Markus Söders (CSU) “Burnout-Beauftragten” in Bayern ziehen die Pressemeldungsabschreiber des FOKUS Magazins das Thema im Zusammenspiel mit Söder (“Ich habe zum Glück von Natur aus eine starke Konstitution”) schnell wieder auf die individualpsychologische Schiene. Von den “Burnout-Detektiven” Christine Haderthauers (CSU) will das FOKUS Magazin seine Leser dagegen nichts wissen lassen.
Die Konsequenzen des ganzheitlichen Arbeitsschutzes gehen wohl auch an’s Eingemachte der FOCUS-Chefredakteure, denn hier kommen Führungsstile auf den Prüfstand. Angesichts der Einstellung des FOCUS zum Umgang mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz sollte sich die Gewerbeaufsicht in München die Arbeitsbedingungen in dem Unternehmen doch einmal genauer ansehen: Vielleicht kennen die überwiegend vor Bildschirmen sitzenden FOCUS-Redakteure ihre Rechte überhaupt nicht. Die Gewerbeaufsicht könnte dann (z.B. nach einer Begehung) mit den Chefredakteuren eine Zielvereinbarung treffen, mit der der Arbeitsschutz auch in der Redaktion etwas bekannter würde.

Betriebsrat muss Gefährdungen erkennen

Betriebsratsseminar zum Thema “burn out”
Arbeitsgericht Essen, 3 BV 29/11, 2011-06-30
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/arbg_essen/j2011/3_BV_29_11beschluss20110630.html

… Der örtliche Betriebsrat muss in der Lage sein, Gesundheitsgefährdungen in seinem Betrieb zu erkennen und ggf. auf Abhilfemaßnahmen zu drängen. Hierbei ist er mit Blick auf das im Rahmen des § 87 BetrVG bestehende Initiativrecht nicht darauf angewiesen, dass die Arbeitgeberin das Thema Gesundheitsschutz aufgreift. Vielmehr hat er die Kompetenz, von sich aus Maßnahmen auf örtlicher Ebene, die er für sinnvoll hält, vorzuschlagen und mit der Arbeitgeberin zu verhandeln. …

Siehe auch:

Arbeitgeber gegen Anti-Stress-Verordnung

(Neu kommentiert: 2012-07-15)
“Anti-Stress-Verordnung nicht zielführend” ist der Titel des untenstehend zitierten und von mir kommentierten Artikels. Ob irgendetwas “zielführend” oder “nicht zielführend” ist, kommt bekanntlich nicht nur auf den Weg an, sondern auch auf die Ziele. Es könnte sein, das Arbeitgeber (für die Stephan Sandrock und Sascha Stohwasser arbeiten) andere Ziele haben, als die Arbeitnehmer.
http://www.arbeitgeberverbaende.de/index.php?option=com_content&view=article&id=103:anti-stress-verordnung-nicht-zielfuehrend-

Anti-Stress-Verordnung nicht zielführend
Psychische Erkrankungen sind auf Vielzahl von Faktoren zurückzuführen
Das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) hält die Forderung der IG Metall nach einer Anti-Stress-Verordnung für nicht zielführend. „Die Arbeitswelt als ausschließlicher Ansatz zur Erklärung psychischer Störungen ist nicht ausreichend und zweckmäßig“, so Dr. Stephan Sandrock, Arbeitspsychologe am ifaa. [Eristik: Sandrock versucht den Eindruck zu erwecken, dass die IGM die Arbeitswelt als ausschließlicher Ansatz zur Erklärung psychischer Störungen darstellt. Das ist aber nicht die Richtung, in die die IGM geht. In fertigen Vorschlag einer Anti-Stress-Verordnung (2012-06) wird auch das Dreiebenen-Modell beschrieben, in dem die Arbeitswelt nur eine Teil-Ursache psychischer Störungen ist.] Die Gründe psychischer Störungen liegen häufig in einem schwer entflechtbaren Mix aus Person, Entwicklung, privatem Umfeld, der genetischen Prägung und im Arbeitsverhältnis / Arbeitsumfeld. [Richtig. Und der Arbeitsschutz kümmert sich eben um den Teil, der dem Arbeitsverhältnis zuzuordnen ist] Eine Unternehmenskultur, die auf Wertschätzung und Gesundheit abzielt, hängt vom betrieblichen Umfeld ab und kann nicht verordnet werden. [Richtig. Aber Verordnungen können helfen, Änderungen in den Unternehmenskulturen anzustoßen]
„Valide Instrumente zur Einschätzung des Burnout liegen bislang nicht vor“
Professor Dr. Stowasser, Direktor des Instituts [ifaa] und Leiter des ISO-Norm-Ausschusses ‚Grundsätze der Ergonomie‘ betont: „Bereits heute ist durch die Arbeitsschutz-gesetzgebung und durch Normung viel erreicht worden und wir haben sehr gute praxisgerechte Standards und Handlungsempfehlungen zur Bewertung und Verbesserung der psychischen Belastungssituation am Arbeitsplatz erarbeitet – denn es ist unbestritten, dass psychisch gesunde Mitarbeiter ein bedeutender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg sind.“ [Richtig. Und das Kurzverfahren Psychische Belastung (KPB) des arbeitgebernahen und von Stohwasser geleiteten Institutes (ifaa) ist ein Werkzeug von vielen. Standards und Handlungsempfehlungen speziell des LASI sind gut. Aber die Arbeitgeber missachten sie. Darum will die IGM die Unternehmer etwas intensiver motivieren.]
Was Unternehmen tun können
Schon heute werden in vielen Betrieben die Führungskräfte zum Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern geschult. [Aber die Pflicht, die Mitarbeiter über ihre Rechte und Pflichten in der vorgeschriebenen Unterweisung aufzuklären, wird von der Mehrheit der Arbeitgeber missachtet.] Außerdem kommt den Betriebs- und Werksärzten eine immer wichtigere Lotsenfunktion zu. „Neben der Sensibilisierung der Führungskräfte und der Qualifikation der Betriebsärzte kommt eine wichtige ergänzende Rolle dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) zu, in dessen Rahmen psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit überwunden und einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann.“, so Stowasser. [BEM (Betriebliches Eingliederungs Management) hat mit der im Arbeitsschutz vorgeschriebenen und von den Arbeitgebern mehrheitlich vernachlässigten Verhältnisprävention wenig zu tun. BAM betrifft bereits erkrankte Mitarbeiter. Das ist schon keine Prävention mehr.]
 
Als Ergänzung und Vertiefung zu diesem Thema finden Sie im Anhang den Artikel von Dr. Stephan Sandrock “Depression und Burnout – Wie Unternehmen damit umgehen können” aus der aktuellen, vom ifaa herausgegebenen Zeitschrift ‚Betriebspraxis & Arbeitsforschung‘ (Ausgabe 209).
>> Anhang [Depression und Burnout – Wie Unternehmen damit umgehen können von Stephan Sandrock (Dateidatum: 2011-09-28). Das geht an dem Ziel der IGM und des Arbeitsschutzgesetzes vorbei: Durchsetzung der Verhältnisprävention. Die Arbeitgeber haben anscheinend andere Ziele, als der Gesetzgeber und die IGM. Insofern mag die “Verordnung” der IGM aus Sicht der Arbeitgeber tatsächlich nicht “zielführend”sein. In Sandrocks Veröffentlichung geht es insbesondere um psychische Erkrankungen. Der Arbeitsschutz dient jedoch der präventiven Erhaltung der Gesundheit. Und gesundheit ist mehr, als nur die Abwesendheit von Krankheit]

(Anmerkungen und Links in eckigen Klammern nachträglich wurden eingetragen.)
Und nun zum Ausgleich noch ein Schmankerl von einer Berufsgenossenschaft:

Andere Belastungsquellen wirken aus der Freizeit in die Arbeit hinein: aus dem Privatleben (Familie, Freunde), aus nebenberuflicher Betätigung (z.B. Verein) sowie aus den Problemen von Nachbarschaft, Kommune und Gesellschaft (siehe Außenkreis des Modells). Arbeits- und Freizeitbelastungen lassen sich in ihren Wirkungen heute noch nicht völlig trennen. Studien belegen aber, dass die Arbeitsbelastungen das Privatleben nachhaltiger stören als umgekehrt!

2012-06-27:
http://www.arbeitswissenschaft.net/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/Redaktion/PDF-Downloads/PI_-_Anti-Stress-Verordnung_praxisfern.27.06.2012.pdf&t=1342297518&hash=e0ec6bb82a5e5ce755f3778fac49d8cb

Anti-Stress-Verordnung praxisfern und nicht zielorientiert
27.06.2012
Neue Verordnung der IG Metall liefert keine neuen Ansätze
Der heute von der IG Metall veröffentlichte Entwurf für eine sogenannte Anti-Stress-Verordnung löst die aktuellen Herausforderungen im Kampf gegen psychische Störungen in unserer Gesellschaft nicht [Begründung?]. Der vorgestellte Entwurf einer Verordnung gibt den Unternehmen keine Handlungsanleitung [Soll er auch nicht. Es geht darum, dass existierende Handlungsanleitungen endlich respektiert werden. Es ist bekannt, was und wie geprüft wird. Daraus ergeben sich klare Handlungsanweisungen an Unternehmen.] und ist für die betriebliche Praxis demnach [Wieso “demnach”? Da fehlt doch vorher schon die Begründung.] untauglich. “Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen können mit den sehr allgemein gehaltenen Beurteilungskriterien für die Ausgestaltung der Arbeitsorganisation, Arbeitsgestaltung und sozialen Beziehungen überhaupt nichts anfangen” [Unlogisch. Gerade die Arbeitgeber wollten wg. Entbürokratisierung und wg. der Unterschiede zwischen den Betrieben keine Detailregelungen.], so Professor Dr. Sascha Stowasser, Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). Mit dem IGM-Entwurf ist ein deutlicher Rückschritt gegenüber bereits bestehenden Regelwerken wie zum Beispiel der international gültigen Norm zur arbeitsbedingten psychischen Belastung festzustellen. [Eristische Argumentation. Der Entwurf hat eine andere Aufgabe, als die Norm.]
Wichtiger sind umsetzbare und konkrete Handlungshilfen
Unternehmen benötigen vielmehr Handlungshilfen, die die praktische Umsetzung der im Arbeitsschutzgesetz geforderten Gefährdungsbeurteilung – d.h. die arbeitsplatzorientierte Bewertung körperlicher und geistiger Aspekte der Arbeit – ermöglicht. [Eristische Argumentation. Handlungshilfen gibt es genug von den Berufsgenossenschaften (wurde von der BDA bekämpft) und den Aufsichtsbehörden. Die Verordnung soll helfen, dass diese Handlungshilfen auch umgesetzt werden.] Hierfür gibt es heutzutage bereits eine Reihe von Verfahren. Diese sind in der Praxis oft unbekannt – Aufklärung über Existenz und Einsatzmöglichkeit sollte weitflächig durch Politik, Sozialpartner und Wissenschaft betrieben werden. [Das ifaa klärt z.B. nicht auf, sondern macht Werbung vorwiegend für den von ihm entwickelten Einfachverfahren, dem KPB. Seriös ist dagegen die Aufklärung der BAuA.] Die geforderte Anti-Stress-Verordnung der IGM löst diese Aufgabe nicht. [Das ist auch nicht die Aufgabe der Verordnung.] Ein erfolgswirksamerer Ansatzpunkt ist die startende Zielsetzung der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA). [“Startende Zielsetzung”? Die Verordnung soll bei der Durchsetzung der Ziele der GDA helfen. Und die GDA-Leitlinie zu psychischen Belastungen wird von den Arbeitgebern bekämpft] Auch das Arbeitsschutzgesetz, Verordnungen und Normungen berücksichtigen das Thema psychische Belastung bereits hinreichend. [Das ist richtig. Leider wurden diese Normen aber bisher missachtet.]
Das Thema ,,Psychische Gesundheit” objektiv betrachten
Die mediale Hetze, wie sie derzeit seitens IG Metall betrieben wird, verunsachlicht die Diskussion. [Was ist daran jetzt “objektiv”?] “Eine versachlichte und objektive Diskussion des Themas psychische Gesundheit muss eingeleitet werden. [Richtig.] Hierzu gehört die offene Aussprache vieler Facetten dieses komplexen Themas, wie zum Beispiel: Sensibilisierung und Eigenverantwortung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Versorgungslage in Deutschland, die unterschiedliche Betroffenheit verschiedener Branchen”, betont Dr. Stephan Sandrock, Arbeitspsychologe am ifaa. [Richtig. Die in der LASI LV 54 verlangte unternehmerische Eigenverantwortung wurde hier allerdings vergessen.]
Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (ifaa)
Ansprechpartnerin: Dorothée Werry, Uerdinger Straße 56, 40474 Düsseldorf,
Telefon: 0211 542263-24, d.werry@ifaa-mail.de, www.arbeitswissenschaft.net

(Link und Anmerkungen in eckigen Klammern wurden nachträglich eingetragen.)
Dr. rer. pol. Stephan Sandrock ist Mitarbeiter des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft, einem eingetragener Verein (ifaa e. V.). Mitglieder des ifaa sind die Verbände der Metall- und Elektroindustrie sowie der Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie, GESAMTMETALL, Berlin.
Ich selbst habe auch noch immer (siehe oben) Bedenken gegen so eine Verordnung. Besser wäre eine Stärkung der Kompetenz und der Durchsetzungsfähigkeit der Betriebs- und Personalräte. Inzwischen glaube ich aber fast, dass dieser Weg wegen der damit verbundenen Belastungen viele Arbeitnehmervertreter überfordert.