B5 aktuell: Stress am Arbeitsplatz

Die Diskussionssendung Sonntags um 11 auf B5 aktuell widmet sich am Sonntag (2011-10-02, Zeit: etwa 11:30 bis 12:00) zwei Themen, eines davon ist “Risiko Burnout: haben Sie zuviel Stress am Arbeitsplatz?. (Zuvor gibte es noch ein Stress-Thema: “Erweiterter Euro-Rettungsschirm: kann Europa jetzt aufatmen?“.)
Zu Gast beim Moderator ist jede Woche ein leitender Redakteur einer bayerischen Zeitung. In dieser Sendung ist Rudi Wais (Berlin-Korrespondent der Zeitungen Augsburger Allgemeine, Main-Echo und Straubinger Tagblatt) zu Gast bei Andrea Böckmann.
Ein möglicher Anlass für die Themenwahl ist wohl, dass kürzlich Hans-Jürgen Urban von der die IG Metall vor den Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt gewarnt und von Arbeitgebern und Politik mehr Bereitschaft zur Prävention gefordert hat (2011-09-28). Und zuvor gewann der erschöpfungsbedigte Rücktritt des Schalke-Trainers Ralf Rangnick Aufmerksamkeit in den Medien (2011-09-22).
B5-Hörer können unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 80 80 789 anrufen und sich an der Diskussion beteiligen. Nach der Sendung kann ein Podcast heruntergeladen werden.
Ich bin einmal gespannt, ob auch in dieser Diskussion ein wichtiger Grund für psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz trotz seiner guten Beobachtbarkeit vergessen wird: Immer noch kann der Großteil der Arbeitgeber (weitgehend ungestört von motivierten, aber politisch ausgebremsten Aufsichtseinrichtungen) die seit 1996 bestehende Pflicht zum mitbestimmten Einbezug psychischer Belastungen in den ganzheitlichen Arbeitsschutz missachten:

Es gibt noch viel zu viele Organisationen, die sich bei dem Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz zum “Jagen tragen lassen”, die sich viel zu wenig um die Gesundheit ihrer Beschäftigten sorgen und die sich sogar davor drücken, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes nachzukommen. Die entsprechenden Entscheidungsträger handeln in meinen Augen nicht nur grob fahrlässig, weil sie es versäumen, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und für das Wohlergehen ihrer Beschäftigten Sorge zu tragen, sondern sie stellen auch leichtfertig – gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels – die Existenz ihrer Unternehmen aufs Spiel. 

Prof. Dr. Jochen Prümper, HTW Berlin in einem Interview
Das Thema Arbeitsschutz und die mit ihm eng verbundene Verhältnisprävention scheint Vielen immer noch zu unanschaulich zu sein. Verhaltensprävention mit netten Tipps für den Einzelnen ist wohl einfach mediengerechter darstellbar. Mal abwarten, wie es am Sonntag laufen wird.
 
Weitere Links

 


Nachbemerkung 2011-01-02: Das Format der Sendung lässt wohl nicht zu, die strukturellen Probleme genauer zu beleuchten, unter denen fehlbelastete Arbeitnehmer heute leiden. So überwogen wieder die Einzelschicksale, bis hin zur Erfahrung, dass Arbeit leichter fällt, wenn man dabei singt. Wie fast zu erwarten war, berichtete dann auch ein Teilnehmer, sein Psychiater habe ihm gesagt, er müsse sich verändern, die Firma werde sich nie verändern. Dieser Irrtum wird eben auch von den Betroffenen immer wieder neu gepflegt. Arbeitnehmer kennen eben immer noch weder ihre Rechte und Möglichkeiten, noch kennen sie die Pflichten von Arbeitgebern und Betriebsräten.
    Immerhin konnte ich aber am Telefon ein paar Hinweise geben: Podcast (Thema ab 28m42s, mein Beitrag ab 36m16s). Genauer hätte ich allerdings nicht von “Gefährdungsbeurteilungen” sprechen sollen, sondern von “ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilungen, in die psychisch wirksame Belastungen einbezogen werden”. Im Gegensatz zu den Gefährdungsbeurteilungen des technischen Arbeitsschutzes werden ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen (also mit Einbezug psychisch wirksamer Belastungen) nur bei wenigen Betrieben durchgeführt, obwohl die Arbeitgeber seit 1996 (und noch klarer nach BAG-Beschlüssen im Jahr 2004) dazu verpflichtet sind.
 

Burnout – Modewort und gesellschaftliches Phänomen

http://mp3.podcast.hr-online.de/mp3/podcast/derTag/derTag_20110927.mp3 (48MB, nicht mehr verfügbar)

Dauer: 52:17 min.
Autor: Redaktion Der Tag
Datum: 27.09.2011
Beschreibung: Burnout – seit Ralf Rangnick den Trainerposten bei Schalke 04 wegen körperlicher, geistiger und seelischer Erschöpfung aufgegeben hat, geistert das Modewort wieder durch die Medien. In der normalen Arbeitswelt geht es zwar nicht so spektakulär zu, aber sicherlich nicht weniger dramatisch: Auch der Industriearbeiter, die Büroangestellte, der Freiberufler, die Halbtagsarbeitskraft mit Kleinkind kennen das Gefühl, ausgebrannt zu sein. Leer, ohne Kraft, ohne Antrieb. Nur können die sich keine luxuriöse Auszeit nehmen wie ein Bundesligatrainer. Die normalen Menschen haben Angst, sich krank zu melden, und bei denen, die es doch tun, nehmen seit Jahren Depressionen und andere psychische Krankheiten deutlich zu.

 
Links:

IG Metall warnt vor Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in den Betrieben

http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/6763-8555.htm

Pressemitteilung Nr. 41/2011
IG Metall warnt vor Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in den Betrieben
27.09.2011
Berlin – Die IG Metall hat vor den Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt gewarnt und von Arbeitgebern und Politik mehr Bereitschaft zur Prävention gefordert. “Mit der rasanten Zunahme von arbeitsbedingtem Stress und psychischer Erkrankungen tickt eine gesellschaftliche Zeitbombe”, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall am Dienstag in Berlin. Stress und Burnout hätten längst in Werkstätten, Fabrikhallen und Büros in einem Tempo und einem Ausmaß um sich gegrifen, dass es fahrlässig sei, diese Problem unter ferner liefen zu behandeln. “Wir wollen alle Akteure, die zur Bewältigung dieses Problems beitragen können, aufrütteln”, betonte Urban.
Der Gewerkschafter verwies auf die Ergebnisse einer Umfrage unter Betriebsräten. Danach wird von 86 Prozent der Befragten der Anstieg psychischer Erkrankungen in den Betrieben als ernst zu nehmendes Problem wahrgenommen. Rund 40 Prozent der Betriebsräte geben an, dass psychische Erkrankungen stark bzw. sehr stark im Unternehmen zugenommen haben. Insgesamt 68 Prozent der Betriebsräte geben an, dass arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck in den Unternehmen besonders seit der Krise erheblich gestiegen sind.
Urban stellte eine eklatante Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung des Problems und den tatsächlichen Hilfs- und Präventionsangeboten in den Betrieben fest. In 43 Prozent der Betriebe gab es keine Hilfen und in 26 Prozent zu wenige Hilfen für Burnout-Betroffene. Insgesamt 73 Prozent der Betriebsräte sind der Meinung, dass in den Betrieben mehr für den Gesundheitsschutz getan werden müsste.
Der Sozialexperte kündigte an, die IG Metall werde arbeitsbedingten Stress und seine gesundheitlichen Folgen zum Thema in den Betrieben und gegenüber der Politik machen. “Gesundheit darf nicht hinter betriebswirtschaftlichen Erfolgszahlen und der Wettbewerbsfähigkeit zurückstehen”, kritisierte Urban. Arbeitgeber müssten mehr in den Gesundheitsschutz investieren.
Die IG Metall wolle die Betriebsräte beim Thema psychische Erkrankungen, wie Burnout, stärker unterstützen. Urban stellte die Arbeitshilfe “Burnout. Betriebsräte als Lotsen für Burnout-Betroffene” vor.
Der Gewerkschafter kritisierte, dass bei Gesundheitsgefahren durch arbeitsbedingten Stress und psychische Belastungen eine eklatante Schutzlücke bestehe, die dringend geschlossen werden müsse. “Bei allen klassischen Gesundheitsgefährdungen wie Gefahrstoffe und Lärm gibt es konkrete Präventionsregeln. Bei arbeitsbedingtem Stress: Fehlanzeige”, kritisierte Urban. Hier müsse endlich mit einer Anti-Stress-Verordnung nachgebessert werden.

 
Die “Anti-Stress-Verordnung” gibt es doch schon seit langer Zeit: Arbeitsschutzgesetz (1996) und BAG-Beschlüsse (2004). Und die Bildschirmarbeitsverordnung ist derart konkret, dass die Stoiber-Kommission sie loswerden will. Wie so oft, mangelt es heute nicht an Gesetzen, sondern an deren Durchsetzung. Ansonsten stimmt Vieles in der Pressemeldung der IG-Metall, aber bitte besser fragen! Fragt die Betriebsräte bei solchen Blitzumfragen:

  • Gibt es in Euren Betrieben Gefährdungsbeurteilungen, in die psychisch wirksame Belastungen einbezogen sind?
  • Wenn ja, habt Ihr das mit einer Betriebsvereinbarung geregelt?

Mit diesen Fragen kann man ganz leicht harte Tatsachen ermitteln, die sich nicht so leicht wegdiskutieren lassen wie das Stimmungsbild, das Ihr hier wiedergebt. Nicht das Fehlen einer “Anti-Stress-Verordnung” ist das Problem, sondern die mangelhafte Aufsicht durch die Behörden. Auch fehlt Arbeitgebern oft der Respekt vor der Mitbestimmungsplicht der Betriebsräte.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/kategorie/statistik/ (darin speziell: http://blog.psybel.de/ganzheitlicher-arbeitsschutz-nur-bei-16prozent-der-betriebe/)
 
PS: Es mag überraschen, aber ausgerechnet bei der FDP fand ich ein Beispiel für gute Fragen.
 


2011-10-14: Andere Meinung zur Regelungslücke: http://blog.psybel.de/regelungsluecke-psychische-belastungen-schliessen/

Erschöpfung

http://www.psychiater-psychotherapie.com/?p=20406&lang=de

Der Zustand der Erschöpfung ist ein klinisches Phänomen. In der Medizin unterscheidet man eine körperliche Erschöpfung von einer psychischen Erschöpfung. Bei der körperlichen Erschöpfung stehen körperliche Symptome und Phänomene im Vordergrund, bei der psychischen Erschöpfung psychische Symptomen und psychische Phänomene.
Der Begriff der Erschöpfung ist in der Medizin nicht näher definiert. Auch in der Psychiatrie ist der Begriff der psychischen Erschöpfung nicht näher definiert.
Man kann dazu jedoch auf der Grundlage der klinischen Erfahrung nachfolgendes sagen:
Physiologisch betrachtet handelt es sich bei einer köperlichen Erschöpfung um einen Zustand, wie er nach extremer körperlicher Belastung aufgetreten ist und zu einer Abweichungen in der Stoffwechsellage geführt hat. Diese Abweichung in der Stoffwechsellage ist also in Folge der maximalen Belastung, also in Folge des Verbrauchs von einzelnen Stoffen und dem Anfall von gewissen Stoffwechselprodukten aufgetreten. …

… Bei der psychischen Erschöpfung handelt es sich um einen Zustand, wie er sich nach mehr oder weniger lang andauernder, hoher psychischer Belastung entwickelt hat, und zuerst ein Reizzustand auftritt, der allmählich in einen psychischen Erschöpfungszustand übergeht. Auch hierbei kommt es – so wie bei der körperlichen Erschöpfung – letztlich zu einem signifikaten Leistungsabfall, der dann eben als psychischer Erschöpfungszustand bezeichnet wird. Eine lebensgefährliche Erschöpfung – wie bei der körperlichen Erschöpfung – tritt hierbei in körperlicher Hinsicht allerdings nicht auf. …

Kündigungsgrund Burn-Out?

Im brigitte.de Forum:
http://bfriends.brigitte.de/foren/rund-um-den-job/140311-kuendigungsgrund-burn-out.html
Bis heute sind 226 Einträge Zum Thema “Kündigungsgrund Burn out?” in dem Forum. Die Diskussion begann im Dezember 2010. Den zum heutigen Zeitpunkt jüngsten Eintrag gab es im Juni 2011. Nur einmal wurde nach dem Betriebsrat gefragt. Wenn es hier einen Betriebsrat gegeben haben sollte, dann hat der (mindestens bei seiner Öffentlichkeitsarbeit) versagt.
Das Thema ist nicht leicht für Arbeitnehmervertretungen, aber sie müssen hier Kompetenzen erwerben und beharrlich arbeiten:
http://blog.psybel.de/kompetenz-von-arbeitnehmervertretungen/

Arbeitsschutz ist dem SPIEGEL zu unsexy

Das Burn-Out-Thema ist jetzt in: “Wie Unternehmen ihre Beschäftigten vorm Burnout bewahren wollen” ist das Titelthema im SPIEGEL 30/2011. Die naheliegenste Frage stellt der SPIEGEL aber nicht: Wie wäre es mit der Beachtung der Arbeitsschutzvorschriften? Die Behörden kümmert deren Missachtung leider kaum und der SPIEGEL merkt das auch im zweiten Anlauf nicht. Der Arbeitsschutz sind dem SPIEGEL zu unsexy.
Die Mehrheit der deutschen Unternehmen bezieht psychische Belastung nicht in dem erforderlichen Maß und mit der erforderlichen Mitbestimmung in den Arbeitsschutz mit ein. Das könnte jeder SPIEGEL-Volontär leicht herausfinden. Seit vielen Jahren schadet diese Missachtung der Regeln des Arbeitsschutzes den Menschen jeden Tag, denn Schutzvorschriften nicht schützen dürfen, dann treten eben genau die Schäden auf, die der Arbeitsschutz verhindert soll. Was ist daran so schwer zu verstehen?
http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2011-30.html
http://forum.spiegel.de/showpost.php?p=8353862&postcount=37

Hobbypsychologisch beratene Personaler

Aktuelles Beispiel: Eine (in diesem Artikel nicht namentlich benannte) Beratung für “Personaler” gab kürzlich Tipps, wie ein Vorgesetzter mit einem von Burn-out betroffenen Mitarbeiter umgehen soll. Da beginnt schon das Problem: Es gibt “Burn-out” nicht einmal als Diagnose. Es geht hier häufig um Erschöpfungsdepressionen.
Die Fehlberatung für “Personaler: empfiehlt, dass mit dem Mitarbeiter ein Coaching, eine Kur oder therapeutische Behandlung vereinbart werden soll. Der Mitarbeiter soll überzeugt werden, dass der Betriebsarzt oder ein externer Arzt bzw. Therapeut ihm aus seinem Erschöpfungszustand heraushelfen kann. Dem Mitarbeiter soll zwar einerseits nicht das Gefühl gegeben werden, dass er wegen seiner jüngsten Leistungsschwäche um seinen Arbeitsplatz fürchten muss, aber zur Sicherheit empfehle es sich andererseits, alle Leistungsveränderungen des Mitarbeiters für arbeitsrechtliche Konsequenzen zu dokumentieren.
Für “Personaler” scheint es aus der Sicht dieser Beratungsfirma nicht nötig zu sein, über möglicherweise auch beim Unternehmen liegende Gründe für fehlbelastete Mitarbeiter nachzudenken. Der Beratungsdienst erzählt seinen E-Mal-Abonnenten nur, was sie ohnehin bereits als Hobbypsychologen mit ihren Mitarbeitern machen würden. Für den Personaler-Berater sind die Gefährdungsbeurteilung und der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz vermutlich ein Thema, von dem er meint, dass seine Klienten darüber nichts hören wollen.
Mitarbeiter müssen damit rechnen, dass die für sie zuständigen “Personaler” von ihnen eine hohe Bereitschaft zur Introspektion und Selbstkritik erwarten, aber einer transparenten Beurteilung der Arbeitsverhältnise im Unternehmen versuchen sie unter Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften auszuweichen. Darum sollten sich Mitarbeiter, die vom Arbeitgeber fehlbelastet werden und bei denen der Arbeitgeber seine Pflicht zum Einbezug der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz missachtet (oder überhaupt nicht kennen will), zunächst an den Betriebsrat wenden (wenn der genug Kompetenz entwickelt hat) oder sich extern beraten lassen, z.B. von einem Dienst der kirchlichen Betriebsseelsorge oder von der Gewerkschaft, bei der sie Mitglied sind. Im Bereich des Umgangs mit psychischer Arbeitsbelastung haben die Gewerkschaften inzwischen nämlich viel Kompetentenz aufgebaut.
Sind Sie ein möglicherweise fehlbelasteter Mitarbeiter, dann achten Sie darauf, dass ihr Arzt arbeitsmedizinische Kenntnisse hat und ihr Therapeut versteht, einen mangelhaften Arbeitsschutz bei Ihrem Arbeitgeber zu erkennen und in Ihrer Patientenakte zu dokumentieren. Möglicherweise ist sogar Ihre Krankenkasse auf Ihrer Seite: Wenn Ihr Arbeitgeber Ihnen durch die Vernachlässigung des Arbeitsschutzes eine Körperverletzung zufügt hat und diese Vernachlässigung gut dokumentiert ist, dann kann die Kasse Ihren Arbeitgeber für daraus resultierende Behandlungskosten in die Haftung nehmen.

FOCUS widmet der Fürsorgepflicht keine Silbe

http://netkey40.igmetall.de/homepages/koeln_neu/hochgeladenedateien/pdf/
Gute%20Arbeit/Leserbrief%20Focus%2020100308.pdf

8. März 2010 – Köln-Leverkusen
Leserbrief zum Focus Titelthema “Die Burn-out-Gesellschaft” (Ausgabe 10/10 08.03.2010)
Ich bin sehr erfreut, dass Sie das Thema Burn-Out, verursacht durch Belastungen am Arbeitsplatz einmal aufgegriffen haben. Aus meiner täglichen Arbeit kann ich ihnen leider bestätigen, dass es in allen Unternehmen ein aktuelles Thema ist, besonders jedoch in den sogenannten hochqualifizierten Angestelltenbereichen.
In ihrem Artikel befassen Sie sich stark mit den möglichen Ursachen für ein Burn-Out, gehen auf verschiedene Einzelschicksale ein und erwähnen sogar, dass es manche Promis schick finden sich eine Auszeit wegen eines Burn-Outs zu nehmen. Dies finde ich ehrlich gesagt sehr einseitig dargestellt, denn es erweckt den Eindruck, als wären die ArbeitnehmerInnen diejenigen, die verantwortlich sind für ihre Erkrankung, weil sie nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen haben, oder einfach einer Modeerscheinung folgen wollen.
Sie berichten von einer Ratlosigkeit der Unternehmen, die sich auf großen Konferenzen zusammenfinden um nach Auswegen zu suchen, aber Sie gehen mit keiner Silbe darauf ein, dass vor allem die Unternehmen eine Fürsorgepflicht für ihre ArbeitnehmerInnen haben. In der EURahmenrichtlinie (89/391/EWG) – Präambel heißt es: “Die Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten am Arbeitsplatz gehört zu “Zielsetzungen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.” Ausserdem finden sich in fast allen Unternehmenskodexen die Worte “…die Gesundheit unserer MitarbeiterInnen ist unser höchstes Gut…” Dies sieht jedoch in der Realität ganz anders aus. Es wird sogar öffentlich formuliert. “Den Druck der Finanzmärkte herunterzubrechen auf jeden einzelnen Mitarbeiter, das ist das Kunststück; das über das Überleben der Betriebe entscheiden wird.” (Martin Kannegiesser, Präsident Gesamtmetall, November 2000)
Und genauso sieht die Unternehmenspolitik in den meisten Betrieben aus. Wirklich ernsthaft haben sich nur wenige Betriebe mit den Gefahren psychischer Belastungen beschäftigt und wenn nur aufgrund von Druck seitens der Betriebsräte. Deshalb wurde auch bisher in nur 30% aller deutschen Betriebe[1], die seit 1996 im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung durchgeführt.
Diese schreibt den Arbeitgebern vor, alle Belastungen eines Arbeitsplatzes zu erfassen – auch die psychischen Belastungen, sie zu dokumentieren und Massnahmen zur Entlastung umzusetzen. Bei einer solchen Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung würde unter Umständen sichtbar, dass die Personalbemessung viel zu gering ist, oder die Arbeitsorganisation nicht optimal gegliedert, etc. Es müssten dann Massnahmen eingeleitet werden, die z.B. Weiterbildungen und Umstrukturierungen bedeuten würden.
Davor fürchten sich viele Arbeitgeber aus zwei Gründen.

Das ist aber nicht gewollt.[3] Dabei könnten die Arbeitgeber durchaus daraus profitieren. Denn Arbeitsorganisationen könnten effektiver gestaltet, die Mitarbeiter entlastet und motiviert und die krankheitsbedingten Ausfalltage deutlich reduziert werden. “Von 1,50EUR, die das Unternehmen in die Gesundheit investiert, kommen 5,60EUR als Ertrag zurück.” (Studie der Harvard Medical School für Unilever[4] Deutschland) Zu befürchten ist jedoch, dass dieses wichtige Präventionsinstrument, Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung, bald auch nicht mehr gegeben ist. Denn in der Empfehlung der High Level Group (“Stoiber[5] Kommission“) wird vorgeschlagen, zum Abbau von Bürokratiekosten, die Dokumentationspflicht der Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung in Betrieben mit bis zu 500 MitarbeiterInnen abzuschaffen. Damit wäre faktisch jede Kontrollmöglichkeit der vereinbarten Massnahmen genommen und das in 92% aller europäischen Betriebe.
Was ich letztlich sagen möchte ist, dass Erkrankungen aufgrund psychischer Belastungen keine Modeerscheinung sind, sondern die Konsequenz von unverantwortlichem Unternehmerverhalten und dass es durchaus Mittel und Wege gibt Belastungen abzubauen, sie aber bewusst nicht genutzt werden. Die IG Metall wird in diesem Jahr mit dem Projekt “Gute Arbeit im Büro” in einigen Pilotbetrieben versuchen einen ganzheitlichen Gesundheitsschutz zu etablieren. Eine Auftaktveranstaltung für die Region Köln dazu besuchten vorletzten Samstag 140 interessierte KollegInnen, ohne dass es dazu einer großartigen Werbung bedurft hätte.
Zu diesem Projekt stehe ich gerne als Ansprechpartnerin zur Verfügung.
Kerstin D. Klein
Fachsekretärin
IG Metall Verwaltungsstelle Köln- Leverkusen

(Links und Anmerkungen nachträglich eingefügt)
[1] Es gibt hier unterschiedliche Angaben. Gemeinsam ist ihnen, dass sich die Mehrheit der Unternehmen nicht an die Regeln des Arbeitsschutzes hält. Als Grund für die Differenzen bei den Angaben vermute ich, dass die Qualität des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz unterschiedlich bewertet wird.
[2] Hier handelt es sich sogar um eine Mitbestimmungspflicht.
[3] Wenn der Unwille zu Ordnungswidrigkeiten führt, könnte das von Aufsichtsorganen geahndet werden. Bei Wiederholung kann daraus eine Straftat werden. Aufsichtspersonen mögen das wollen, aber es scheint politisch nicht gewollt zu sein, dass sie ernsthaft und wirkungsvoll kontrollieren dürfen. Wenn hier der Staat zum Komplizen wird, dann ist das ein über den Arbeitsschutz hinausgehendes Problem.
[4] Unilever gehört leider auch zu den vielen Unternehmen, die im Gesundheitsmanagement versuchen, die Verhältnisprävention gegenüber der Verhaltensprävention zu marginalisieren.
[5] CSU

Kosten der Verhaltensprävention: Diagnostik

Die im folgenden Beispiel angesprochene Vorsorge ist Verhaltensprävention. Die Kosten dieser Vorsorge beginnen mit der Diagnostik.
http://www.burn-out-muenchen.de/diagnose–therapie/ (Burn-out-Diagnostik-Institut):


Ein Burn-out-Syndrom kann viele Ursachen haben. Deshalb legen wir bei der Vorsorge und Abklärung Ihrer Beschwerden besonderen Wert darauf, zunächst organische Erkrankungen auszuschließen. Das geschieht im Rahmen einer bewährten Stufendiagnostik. Die privaten Krankenkassen erstatten in der Regel die anfallenden Kosten.
Stufe I (Kosten ca. 250 EUR)
In einem ersten Schritt werden die Organfunktionen überprüft und das Beschwerdebild eingegrenzt. Auf diese Weise erkennt man Störungen wie Schilddrüsenunterfunktion, Hypertonie, Eisenmangel, Herzinsuffizienz, Infektionserkrankungen, Schlafapnoe, Diabetes mellitus, etc…
Stufe II (Kosten ca. 400 EUR)
Die Diagnostik wird durch eine Neurostreß-Analyse und ein erweitertes Labor ergänzt. Damit lassen sich Störungen im Neurotransmitterhaushalt, eine Nebenniereninsuffizienz oder Belastungen mit Freien Radikalen und Nitrostreß erkennen.
Stufe III
Auf dieser Stufe untersuchen wir mitochondriale Störungen, Hormone, Giftstoffbelastungen, Nahrungsunverträglichkeiten, Nährstoffmängel und Wirbelblockaden.

Demgegenüber steht die Verhältnisprävention, die im Fall von Arbeitnehmern mit einer Gefährdungsbeurteilung ihrer Arbeitsplätze beginnt, in die der Arbeitgeber psychisch wirksame Belastungen einzubeziehen hat. Wir brauche dazu keine neuen Gesetze, sondern nur die Durchsetzung der bestehenden Regelungen des Arbeitsschutzes. Gesamtgesellschaftlich könnte das kostengünstiger sein. Dazu müssen wir den Unternehmen abgewöhnen, ihre Kosten dort zu “verstaatlichen”, wo sie leicht in komplexen Zusammenhängen versteckt werden können.