Offenbarung

(überarbeitet: 2013-01-30)
Das Bundesarbeitsministerium, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) wollten/sollten bei der heutigen Auftaktveranstaltung zur Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzinitiative gemeinsamen eine “Erklärung zur psychischen Gesundheit bei der Arbeit” unterzeichnen. Eigentlich war von vorneherein klar, dass das nichts werden konnte. Die DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach machte die Arbeitgeberseite dafür verantwortlich, dass das nicht geschah. Ihre Forderungen (gemäß ARD-tagesschau von heute, http://www.tagesschau.de/inland/stress110.html):

  • klare Regeln durch eine Anti-Stress-Verordnung,
  • mehr Mitbestimmung und
  • Sanktionen gegen diejenigen Unternehmen, die das Arbeitsschutzgesetz nicht einhalten.

Mehr Mitbestimmung und Sanktionen sind erforderlich, da bis heute die Mehrheit der Unternehmen ungestraft ihre Mitarbeiter höheren Risiken der Körperverletzung aussetzen darf, als es eigentlich erlaubt ist. Und die Behörden sehen zu. Dafür ist auch eine Arbeitsministerin verantwortlich, die die Strenge des Arbeitsschutzgesetzes anpreist, obwohl sie weiß, dass seit 1996 kein Unternehmen für die von ihm zu verantwortenden Ordnungswidrigkeiten wegen mangelhaften Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ernsthaft belangt wurde. Für einen Rechtsstaat ist das ein sehr merkwürdiger Zustand.
Immerhin unterstützt auch Ursula von der Leyen eine (allerdings welche?) “Anti-Stress-Verordnung” (http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2013/01/2013-01-29-psychische-gesundheit-in-der-arbeitswelt.html):

… Konkrete Anti-Stress-Verordnung nötig 
Viele Unternehmen seien unsicher, so von der Leyen, wie sie bei psychischen Erkrankungen, oft verursacht durch Stress am Arbeitsplatz, reagieren können. Sie lobte Arbeitgeber und Gewerkschaften, die versucht haben, hier eine gemeinsame Erklärung zu finden. Die Ministerin hofft, dass der noch strittige, kleinste Teil in absehbarer Zeit fertiggestellt werden könne. Eine Anti-Stress-Verordnung müsse so konkret wie möglich sein. Andererseits müsse sie genügend Freiraum für die Eigenheiten jedes einzelnen Unternehmens lassen. …

Weiter wird in der ARD-tagesschau berichtet, Arbeitgeber-Sprecher Dieter Hundt meine:

… Auch die Betriebe seien an der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter interessiert. Es offenbarten sich jedoch nur 16 Prozent derer, die Hilfe benötigen, ihren Vorgesetzten. Das Thema müsse aus der Tabuzone heraus. …

Das Arbeitsschutzgesetz erlaubt den Arbeitgebern nicht, zu warten, bis sich Mitarbeiter “offenbaren”, sondern es verpflichtet die Arbeitgeber zur an Verhältnisprävention. Dafür sind die Arbeitsplätze und die Arbeitsbedingungen hinsichtlich der von ihnen ausgehenden Gesundheitsrisiken zu beurteilen. Abzuwarten, bis erkrankte Mitarbeiter sich melden, ist keine Prävention. Mitarbeiter werden sich außerdem selbst gegenüber guten Vorgesetzten nicht ausreichend “offenbaren” können, wenn sie in einem der vielen Unternehmen arbeiten, die das Arbeitsschutzgesetz nachhaltig und ganz offen missachten dürfen. Solchen Arbeitgebern zu vertrauen, ist für Mitarbeiter zu gefährlich.
Links:

Anti-Stress-Verordnung Thema beim Auftakt

http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/3809176/2013-01-28-bgv-psychische-belastung-arbeitsplatz.html

… Ihre Position werden die Länder auch bei der Veranstaltung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Thema „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ am 29. Januar in Berlin noch einmal verdeutlichen. Dort wird Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein, die Forderungen der Länder u.a. gegenüber Ministerin Dr. Ursula von der Leyen vertreten.

(Link nachträglich eingefügt)

Mit neuen Mehrheiten im Bundesrat

http://www.zeit.de/karriere/2013-01/anti-stress-verordnung-spd

Arbeitsschutz
SPD will Anti-Stress-Verordnung durchsetzen …
… Eine von SPD-geführten Bundesländern im Bundesrat vorgeschlagene Anti-Stress-Verordnung sei im vergangenen Jahr am Widerstand der Union gescheitert, sagte Schwesig. “Frau von der Leyen kann nun zeigen, ob sie es ernst meint, wenn wir die Initiative mit neuen Mehrheiten im Bundesrat erneut einbringen.” …

Siehe auch: http://blog.psybel.de/schutzluecke-beim-arbeitsschutz-schliessen/

Psychische Erkrankungen: Fehlzeiten zwischen 2007 und 2011 um 50% gestiegen

Die Zeitschrift “Focus” berichtete unter Berufung auf Zahlen der Techniker Krankenkasse wieder einmal, dass psychische Belastungen zunähmen. Die Zahl der Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen ist zwischen 2007 und 2011 um etwa 50 Prozent gestiegen. Die Zahl der Klinikaufenthalte wegen Depressionen und der Menge der verordneten Antidepressiva hat einen ähnlichen Verlauf genommen. In den Medien wird in diesem Zusammenhang auf die Forderung von DGB-Vorstandsmitglied nach einer Anti-Stress-Verordnung und Sanktionen für Arbeitgeber berichtet. Und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr grätschte sogleich rein und rief die Unternehmen wieder einmal auf, gesundheitsfördernde Bedingungen zu schaffen. Die sind freiwillig und für die Arbeitnehmer nicht immer kostenlos, wenn sie dafür Geld und Urlaub aufbringen müssen. Vorgeschrieben, von den Arbeitgebern zu bezahlen und von der Mehrheit der Unternehmen (spätestens seit 2004 wissentlich) vernachlässigt wurde dagegen der Arbeitsschutz, ohne den die betriebliche Gesundheitsförderung keinen Sinn macht. Das ist in den Medien anscheinend noch immer nicht so recht angekommen. Für den “Focus” ist Bahr aber in dieser Sache relevant. Auch Chefredakteure lenken als Arbeitgeber gerne mit Betrieblicher Gesundheitsförderung vom strengeren Arbeitsschutz ab.
Für den Arbeitsschutz ist die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zuständig. Anlässlich des Starts der neuen Arbeitsperiode der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) 2013 – 2018 lädt sie zu der Auftaktveranstaltung “Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wir machen es zum Thema!” ein. Auf die geplanten Änderungen im Arbeitsschutzgesetz geht der Focus allerdings auch ein: http://www.focus.de/gesundheit/gesundleben/tid-29210/fehlzeiten-schnellen-nach-oben-neue-initiative-soll-psycho-stress-im-job-eindaemmen-bahr-aufgabe-der-betriebe_aid_906194.html

… Arbeitsministerin von der Leyen hat Ende des vergangenen Jahres immerhin eine Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz durchgesetzt. Nun steht dort [langsam, das war zunächst einmal nur ein Kabinettsbeschluss], dass auch übermäßige psychische Belastungen am Arbeitsplatz ein Gesundheitsrisiko darstellen können. [Das gilt nach BAG-Beschlüssen auch jetzt schon!] Für von der Leyen reicht das erst einmal aus, das sei schon „ein sehr scharfes Gesetz“ [für dessen Missachtung die große Menge der Verweigerer aber nicht bestraft wurden], sagt sie und setzt darüber hinaus ebenfalls auf unverbindliche Hilfen und Informationen. Die von den Gewerkschaften geforderte Anti-Stress-Verordnung sieht sie zumindest skeptisch, hat sich aber nicht ausdrücklich festgelegt. Denn die Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer wollen eine solche Verordnung über den Bundesrat durchsetzen – und dort hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition keine Mehrheit mehr. …

(Links und Anmerkungen nachträglich eingetragen)

Arbeitsschutzgestaltungsgesetz

http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/stress-am-arbeitsplatz-maschinen-sollen-den-mitarbeitern-schwere-koerperliche-taetigkeiten-erleichtern-/7593756-3.html (2013-01-07)

… Eine Gesetzesänderung, die das Bundeskabinett kurz vor Weihnachten beschlossen hatte, soll nun zumindest das Bewusstsein für psychische Erkrankungen schärfen. Künftig soll im Arbeitsschutzgesetz stehen: „Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.“ Zudem wird die Liste der möglichen Gefährdungen um „psychische Belastungen am Arbeitsplatz“ ergänzt. Das heißt, dass die Betriebe die Mitarbeiter nicht nur vor Lärm schützten sollen, sondern auch vor eventuell belastenden Arbeitsabläufen. …

Sehr viel wird das nicht bringen. Denn das Arbeitsschutzgesetz verlangt zusammen mit der Rechtssprechung jetzt schon, dass die Betriebe die Mitarbeiter nicht nur vor Lärm schützten sollen, sondern auch vor eventuell fehlbelastenden Arbeitsabläufen. (Belastende Arbeitsabläufe kann man schlecht verbieten, weil es dann keine Arbeit mehr gäbe.) Auch gibt es z.B. Unternehmen, die psychische Belastungen schon seit längerer Zeit in ihrem Arbeitsschutzmanagementsystem auflisten, aber trotzdem noch keine mitbestimmten Verfahren für diesen Gefährdungsbereich haben. Das Problem besteht also nicht in der bisher fehlenden expliziten Erwähnung psychischer Belastungen im Text des Arbeitsschutzgesetzes, sondern in der fehlenden Umsetzung.
 
http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-D0BDA27E-50FB30AC/internet/style.xsl/pressemitteilungen-2013-11136.htm (2013-01-18)

Pressemitteilung Nr. 02/2013
IG Metall-Vorstandsmitglied Urban: “Bundesregierung springt zu kurz bei Stressprävention”
18.01.2013
Berlin – Die IG Metall hat die Bundesregierung dazu aufgefordert, arbeitsbedingtem Stress und Burnout mit einer konkreten Anti-Stress-Verordnung entschlossen entgegenzuwirken. “Die vor Weihnachten beschlossenen Änderungen am Arbeitsschutzgesetz greifen viel zu kurz”, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, am Freitag in Berlin. “Sie sind zwar ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung, im Arbeitsschutzgesetz psychische Belastungen ausdrücklich als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung zu benennen. Aber nur mit einer wirksamen Anti-Stress-Verordnung können Arbeitnehmer besser vor Überlastung und Burnout geschützt werden”.
Ohne eine solche längst fällige Rechtsverordnung bleibe aus Sicht der IG Metall weiterhin unklar, welche psychischen Belastungsfaktoren in eine Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen und nach welchen Maßgaben diese durchzuführen seien. Ebenso erfordere eine angemessene und wirkungsvolle Überwachung durch die Arbeitsschutzverwaltung konkrete Regelungen. “Eine solche Verordnung, wie sie jetzt auch von Seiten der Bundesländer gefordert wird, könnte die vorgenommene Präzisierung im Arbeitsschutzgesetz sinnvoll ergänzen”, sagte Urban. “Erst dadurch kann eine wirksame Praxishilfe und mehr Rechtssicherheit in den Betrieben entstehen.” Urban forderte die Bundesregierung und Ministerin Ursula von der Leyen erneut auf, so schnell wie möglich die Gespräche darüber fortzusetzen, um gemeinsam die eklatante Schutzlücke bei psychischen Gefährdungen schließen zu können.

 
http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article112895356/Deutsche-fuehlen-sich-im-Job-immer-staerker-gehetzt.html (2013-01-19)

… Die BDA lehnt eine “Anti-Stress-Verordnung” ab, auch das Arbeitsministerium ist skeptisch – unter anderem, weil es schwer zu definieren ist, wie genau Stress entsteht. Ende 2012 sind gerade die Begriffe “psychische Belastungen” und “psychische Gesundheit” ins Arbeitsschutzgesetz aufgenommen worden, doch die Gewerkschaften bezweifeln, dass dies eine Wirkung haben wird. …

 
Das Arbeitsschutzgesetz ist vor allem ein Arbeitsschutzgestaltungsgesetz.
Sicherlich ist es schwer zu definieren, wie genau Stress entsteht. Insbesondere muss vereinbart werden, was schädlicher Stress in einem konkreten Betrieb ist und wie er vermieden werden kann. Genau darum haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Aufgabe, das miteinander zu verhandeln. Weil die Mehrzahl dieser Arbeitsschutz-Akteure das seit 1996 nicht hinbekommt, wird nun wieder nach konkreteren Verordnungen gerufen. Solange immer noch zu viele Arbeitgeber die Mitbestimmung als Problem verstehen und nicht als ein Instrument zur Lösung von Problemen, kann das Experiment der Rahmengesetzgebung im Arbeitsschutz keine guten Ergebnisse liefern.
Die Unternehmer scheinen bis heute kaum verstanden zu haben, was die europäische Entbürokratisierungsrichtlinien für sie bedeuten, nämlich mehr Arbeit in den Betrieben. Im Jahr wurde die Aufgabe der Entwicklung von Arbeitsschutzregeln von der Legislative in die Betriebe verlegt – und dort dann offensichtlich weitgehend unberührt liegengelassen. Das Entbürokratisierungs-Experiment scheint am Widerstand der Arbeitgeber gegen die Mitbestimmung gescheitert zu sein. Dazu kommen wohl noch Wissensdefizite nicht nur bei den Arbeitgebern, sondern auch bei den Arbeitnehmervertretern. Deswegen haben wir jetzt ein hübsches Wahlkampfthema.
 


Link zu Änderungen im deutschen Arbeitsschutzgesetz: http://www.buzer.de/gesetz/954/l.htm

Die Österreicher sind schneller …

… als die Deutschen. Bei uns wird’s noch dauern mit der “Anti-Stress-Verordnung”.
http://kompetenzzentrumarbeitspsychologie.wordpress.com/category/arbeitsinspektorat/

KOMPETENZZENTRUM ARBEITSPSYCHOLOGIE – Info: Evaluierung psychischer Belastungen verpflichtend ab 1.1.2013! www.evaluierung-psychischer-belastungen.at
ASchG-Novelle 2012 / 2013

 
http://portal.wko.at/wk/format_detail.wk?angid=1&stid=710451&dstid=&titel=Änderungen,bei,Arbeitnehmerschutzvorschriften, 2013-01-03

… Die Arbeitgeber müssen nun bei der Evaluierung und bei der Gefahrenverhütung ausdrücklich auch psychische Belastungen mit berücksichtigen. Nach Zwischenfällen mit erhöhter arbeitsbedingter psychischer Fehlbeanspruchung ist eine Überprüfung und erforderlichenfalls Anpassung der Evaluierung vorzunehmen.
Dazu können auch Arbeitspsychologen in die Evaluierung eingebunden werden. Eine Mindesteinsatzzeit von Arbeitspsychologen im Rahmen der Präventivdienste, wie sie in der Entstehungsphase der Novelle zeitweise in Diskussion war, wurde jedoch nicht eingeführt.
Bei der Gefahrenverhütung sind ausdrücklich auch die Gestaltung von Arbeitsaufgaben und Art der Tätigkeiten, die Arbeitsumgebung sowie Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation zu berücksichtigen. …

Und täglich grüßt der Säbelzahntiger

http://www.welt.de/print/wams/nrw/article112730656/Wenn-die-Arbeit-zermuerbt.html

Welt am Sonntag 13.01.13
Wenn die Arbeit zermürbt
Rot-Grün sagt krank machendem Stress im Beruf den Kampf an. Experten zweifeln, ob das per Gesetz möglich ist Von Till-R. Stoldt
Anders als sein Vorfahr muss sich der Mensch heute zwar nicht mehr mit Säbelzahnkatzen herumschlagen, wohl aber mit Termindruck, Dauererreichbarkeit oder Überforderungsanfällen. Und darauf reagieren wir wie der Frühmensch beim Anblick einer Raubkatze: mit Stress. Nur baut der Arbeitnehmer unserer Tage diesen nicht mehr umgehend körperlich ab. Daher “richten sich die Stressreaktionen schließlich gegen den eigenen Körper – mit zum Teil schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen”, wie Experten der Techniker Krankenkasse jüngst warnten.

Da haben wir ihn wieder, den Säbezahntiger. Die Katze springt durch fast jeden Vortrag zu Stress, Burnout usw. Und dann wird auf fehlenden Stressabbau hingewiesen. Wie aber steht es um den Stressaufbau? Statt der gelegentlichen Abwehr von Säbezahntigerangriffen fahren wir jetzt in einem vom Hochfrequenzhandel begleiteten Dauerlastbetrieb. Die Kosten turbulenter Veränderungen werden jetzt spürbarer. Dagegen soll sich eine Norm wenden, die heute derzeit unter dem Begriff “Anti-Stress-Verordnung” diskutiert wird.
Der Artikel in Welt am Sonntag (Springer Verlag) ist zeitlich gut plaziert. Die Meldung zur Initiative der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister (ASMK) der Länder liegt noch nicht lange zurück und am 29. Januar gibt es die Auftaktveranstaltung zur Deutschen Gemeinsamen Arbeitsschutzinitiative (GDA) haben.
Die Welt am Sonntag lässt die Minister der ASMK Hoffnungen pflegen, die sie gar nicht haben.

Kann man diese Urgewalt per Gesetz einhegen? Darauf hoffen die Arbeitsminister von NRW, Hamburg, Bremenund Brandenburg. …

Hier ist der Trick, einen Vorschlag zu verzerren, um ihn dann angreifen zu können. Damit es klar ist, die Minister wollen keine Urgewalten einhegen, sondern die geplante Bundesratsinitiative soll zu einem den heutigen Paradigmen gerecht werdenden Umgang mit ziemlich veränderten und vergleichsweise neuen Gewalten führen.

[Nelson Taapken, Personalexperte der Wirtschaftsprüfer von Ernst &Young] zufolge muss man die psychische Belastung am Arbeitsplatz zwar ernster nehmen als bisher. Stress per Gesetz bekämpfen zu wollen, sei aber “so aussichtslos wie schädlich. Was soll zum Beispiel mit den Millionen kleinen und mittleren Selbstständigen im Land passieren?”, fragt der Personalexperte. Solle man denen “Pflichtfreizeit vorschreiben, in der sie nicht mehr mailen und telefonieren dürfen? Das würde viele Selbstständige in ernste Nöte stürzen – abgesehen davon, dass sich dies kaum kontrollieren lassen dürfte”.

Taapken probiert hier den gleichen rhetorischen Trick. Was für einen Experten hat sich die Welt am Sonntag ausgesucht? Taapken ist hier Experte insbesondere für seine eigenen Interessen in einer Arbeitgeberfunktion, in der sich nach meiner Erfahrung die Begeisterung für Schutzgesetze ohnehin in Grenzen hält. Gerade in Unternehmen wie seinem ist die Beobachtung der Qualität des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz dieser Firmen sicherlich eine interessante Aufgabe für die Gewerbeaufsicht.

… Laut VDBW-Präsident Panter lässt sich eine psychische Überlastung oft verhindern, indem man seine Stressbewältigungskompetenz steigert. Man müsse nicht gleich die berufliche Flexibilität zurückfahren. Darauf setzen auch die Krankenkassen, die seit Jahren Angebote zu diesem Zweck ausbauen – von autogenem Training über positives Denken bis zu Kursen zur “erfolgreichen Bewältigung täglicher Belastungen”. Aber auch hier heißt es aus dem NRW-Arbeitsministerium, die verstärkte Nutzung solcher Kurse gehöre ja zu den Zielen der Gesetzesinitiative. Und wenn die Angebote vermehrt genutzt würden, werde sich ein gewisses Maß an Arbeitsflexibilisierung vielleicht als tolerabel erweisen. …

“Positives Denken” wird auch gerne immer wieder empfohlen. Hier lohnt es sich besonders, erst einmal mit Denken überhaupt anzufangen. Was hier vorgeschlagen wird, ist die gute alte Verhaltensprävention. Aus gutem Grund hat im Arbeitsschutz die Verhältnisprävention Vorrang.
Ohne neue Gesetze und Verordnungen gilt jetzt schon, dass individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Schutzmaßnahmen sind. Anstatt die Menschen arbeitsgerecht zu gestalten, haben die Arbeitgeber die Arbeitsplätze menschengerecht zu gestalten. Etwa 80% der Unternehmen missachten diese Pflicht schon bei der im Arbeitsschutz vorgeschriebenen Beurteilung der Arbeitsplätze. Es herrscht Anarchie – und dazu sagt der VDBW-Präsident Panter nichts?
Springers Blätter achten darauf, dass man ihnen keine Falschdarstellungen vorwerfen kann, aber filtern viel: Vom VDBW gibt es auch vernünftigere Stellungnahmen, als das, was sie Welt am Sonntag sich aus den Äußerungen des VDBW-Präsidenten herausgesucht hat: http://blog.psybel.de/position-von-betriebsaerzten-und-gewerkschaft/

Schutzlücke beim Arbeitsschutz schließen

Ende November 2012 hatte es die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) noch geschafft, sich zu einem Enwurf zu einer Art “Anti-Stress-Verordnung” zu entschließen. Ein Zitat aus dem Protokoll:

Erschwerend kommt hinzu, dass die rechtliche Unverbindlichkeit dafür sorgt, dass im Spannungsfeld zwischen Unternehmensleitungen und staatlicher Aufsicht die Durchsetzungsfähigkeit für konkrete Forderungen an die Betriebe stark eingeschränkt ist.

 
Vorweg gleich eine Kritik: Ähnlich wie Arbeitgeber, sprechen anscheinend auch Politiker lieber über Wohltaten für ihre Schutzbefohlenen, als diese selbst bei der Gestaltung ihres Schutzes in den Betrieben mitbestimmen zu lassen. Obwohl es hier um den Schutz von Arbeitnehmern geht und gerade im Arbeitsschutz eine zwingende Mitbestimmungspflicht herrscht, interessieren sich die “Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder” (auch der SPD) in der ASMK kaum dafür, wie die Zielgruppe ihrers Vorschriftenentwurfs in den Betrieben praktisch mitbestimmt und wie man gegen die nicht seltene Straftat der Behinderung der Mitbestimmung vorgeht. Speziell bei Thema der Defizite in den Betrieben hätte die auch Qualifizierung der Arbeitnehmervertreter angesprochen werden müssen.
Die ASMK hat ignoriert, dass gerade die Gewerkschaften und die Betriebsräte (sowie nur vereinzelt auch die Arbeitsschutzbehörden) die aktivsten Impulsgeber beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz waren.
 
http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/3705684/2012-11-29-bgv-asmk-psychische-belastungen.html

… In der Verordnung soll als Konkretisierung des Arbeitsschutzgesetzes der Umgang mit arbeitsbedingten psychischen Belastungen verbindlich geregelt werden. Unternehmen sollen demnach künftig verpflichtend ermitteln, ob und welche Gefährdungen am Arbeitsplatz auftreten, etwa durch die Arbeitsaufgabe, -mittel, -organisation oder durch soziale Bedingungen. Die Verordnung soll Maßnahmen benennen, die eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch psychische Belastungen verringern oder vermeiden. Ebenso sollen Risikofaktoren und Gestaltungsgrundsätze festgeschrieben werden, die in Betrieben zu berücksichtigen sind. Die Verordnung soll die Anforderungen an Betriebe dabei ebenso klar wie verbindlich beschreiben, so dass die Arbeitsschutzbehörden prüfen können, ob Unternehmen diese angemessen erfüllen. …

 
http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/schutzlücke-beim-arbeitsschutz-schließen

Pressemitteilung
Schutzlücke beim Arbeitsschutz schließen
Stand: 29.11.2012
Dokument Nummer: 1346
Arbeitsgruppen: Arbeit und Soziales
Abgeordnete/r: Anette Kramme, Josip Juratovic
Themen: Arbeit , Soziales

Zum heutigen Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zu psychischen Belastungen bei der Arbeit erklären die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Anette Kramme und der zuständige Berichterstatter Josip Juratovic:
Wir begrüßen diese Initiative ausdrücklich. Bisher ist alles mögliche im Arbeitsschutz per Verordnung geregelt – im Bereich psychische Belastungen fehlt jedoch eine Verordnung. Wir müssen diese Schutzlücke schließen und eine Anti-Stress-Verordnung schaffen. Ähnlich wie beim Lärmschutz muss es belastbare Vorgaben geben, um Angestellte besser vor Stress zu schützen. Wir fordern das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf, zügig eine solche Verordnung zu erlassen.
Die Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen haben stark zugenommen. Im vorletzten Jahr gab es insgesamt 53,5 Millionen psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeitstage – das sind 80 Prozent mehr als im Jahr 2001. Diese Zahlen sind alarmierend. Wohlfeile Ankündigungen der Ministerin von der Leyen reichen nicht. Konkrete rechtliche Schritte sind nötig.
Die SPD setzt vor allem auf Prävention. Psychische Belastungen in der Arbeitswelt müssen so weit es geht vermieden werden. Dazu brauchen wir klare Regeln im Arbeitsschutz. Die von den Ländern geforderte Anti-Stress-Verordnung ist ein sinnvoller und gangbarer Weg. Zweitens wollen wir, dass mehr Unternehmen als bisher Gefährdungsbeurteilungen erstellen und dabei auch psychische Belastungen beachten. Drittens muss das betriebliche Gesundheitsmanagement unterstützt und gefördert werden.

 


ASMK-Protokoll: http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2013/01/Protokoll_ASMK_2012.pdf, S. 158-168

TOP 7.29
Psychische Belastungen bei der Arbeit
Antragsteller: Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Nordrhein-Westfalen
Beschluss:
Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder haben mehrheitlich beschlossen:
Arbeitsbedingte psychische Belastungen sind zu einem zentralen Thema der gesundheits- und arbeitsschutzpolitischen Diskussion geworden. Nach den Auswertungen der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit gehört arbeitsbedingter Stress zu den wesentlichen gesundheitsgefährdenden Ursachen in der Arbeitswelt. Nach den Berechnungen der Krankenkassen werden die jährlichen Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen in Deutschland auf insgesamt über 43 Milliarden Euro geschätzt, die sich aus etwa 19 Milliarden Euro direkter und 25 Milliarden Euro indirekter Kosten zusammensetzen. Bei den direkten Kosten nehmen die psychischen Störungen mit ungefähr drei Milliarden Euro nach den Muskel-Skelett-Erkrankungen den zweiten Rang ein. Im Hinblick auf die indirekten Kosten lösen die psychischen Störungen mit gut 3 Milliarden Euro die zweithöchsten Kosten aus, bezüglich der indirekten Kosten durch Frühberentung sogar die höchsten. Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder:
1. stellen fest, dass ein dringender Handlungsbedarf für den Arbeitsschutz besteht, die negativen Auswirkungen arbeitsbedingter psychischer Belastungen zu vermeiden oder zu verringern. Die gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen, als auch die enormen betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten erfordern Anstrengungen aller Akteure.
2. halten es für erforderlich, dass die Aufsichtsbehörden hinsichtlich arbeitsbedingter psychischer Belastungen mit den in diesem Themenfeld agierenden Akteuren, Netzwerken und Sozialpartnern kooperieren müssen, insbesondere mit den Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern.
3. sprechen sich dafür aus, dass die staatlichen Arbeitsschutzbehörden ihre Aktivitäten im Handlungsfeld „arbeitsbedingte psychische Belastungen“ auf der Grundlage der vorhandenen Konzeptionen und Handlungshilfen weiter intensivieren.
4. sind der Auffassung, dass für arbeitsbedingte psychische Belastungen die rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Grundpflichten der Arbeitgeber, der Anforderungen an die entsprechende Gefährdungsbeurteilung und zur Umsetzung präventiver Maßnahmen nicht hinreichend konkret beschrieben sind. Sie bitten die Bundesregierung, die notwendigen Rechtsgrundlagen für eine angemessene Überwachung und Beratung der Betriebe zu arbeitsbedingten psychischen Belastungen zu schaffen und die Länder an der Erarbeitung zu beteiligen.
Protokollnotiz Baden-Württemberg:
Eine zu erlassende Verordnung sollte gegebenenfalls durch ausreichend bestimmte Rechtsbegriffe die Arbeit der Arbeitsschutzbehörden und das Engagement der Unternehmen erleichtern und die Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeber und der anderen Akteure nicht beeinträchtigen. In diesem Sinne und mit dem Ziel der Verschlankung sollte der vorliegende Arbeitsentwurf mit Stand vom 21.09.2012 noch einmal kritisch überprüft und überarbeitet werden.

Anlage zu TOP 7.29 der 89. ASMK
Eckpunktepapier:
Psychische Gesundheit bei der Arbeit schützen und fördern
1 Psychische Belastungen in der Arbeitswelt – Eine Herausforderung für Betriebe und Aufsichtsbehörden …
2 Europäischer Rahmen …
3 Handlungskonzepte der Länder …
4 Umsetzungsdefizite …
    Defizite in Betrieben …
    Defizite im Aufsichtshandeln …

    Gesetzlicher Rechtsrahmen fehlt …
5 Umsetzungsvorschläge …
    Betriebliche Umsetzung stärken …
    Mehr Verbindlichkeit durch Rechtsoffensive schaffen …
    Mehr Wirksamkeit des Aufsichtshandelns erhöhen …
    Ziel der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie Nachdruck verleihen …
6 Grundzüge einer „Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit“ …

 


Links:

Antistressverordnung ist (noch immer) auf dem Weg

http://www.arbeitsschutz-portal.de/beitrag/asp_news/2030/umgang-mit-psychischen-belastungen-im-arbeitsschutz-.html

Umgang mit psychischen Belastungen im Arbeitsschutz
Rechtsverordnungs-Entwurf soll Grundlage schaffen
23. November 2012 [ Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) ]
Ganzheitliche Beurteilung der Arbeitsbedingungen, Erleichterung bei eintöniger Arbeit mit maschinenbestimmtem Arbeitsrhythmus, Betrachtung sozialer Beziehungen im Betrieb – dies sind nur einige Faktoren, die psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz verhindern könnten. Die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) hat im Oktober 2012 mit den Ländern Bremen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen den Entwurf für eine Rechtsverordnung vorgelegt, wie mit der steigenden Anzahl psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt umgegangen werden kann und soll. …

 
Grundsatzpapier „Psychische Gesundheit bei der Arbeit schützen und fördern“ (Länder Hamburg, Brandenburg, Bremen und NRW, 2012-07-24):
http://www.hamburg.de/contentblob/3650452/data/grundsatzpapier-psychische-gesundheit.pdf

Schutz der Integrität und der Würde der Arbeitnehmer

http://kurier.at/karrieren/berufsleben/burn-out-praevention-per-gesetz/1.022.817/print


Um über das Thema altersgerechte Arbeitsplätze und die Grundlagen der Arbeits- und Organisationspsychologie künftig besser Bescheid zu wissen, wird die Ausbildung zum Arbeitsmediziner um 30 Stunden auf 390 Stunden erhöht. Die bisherigen Aufgaben der Arbeitsinspektion werden um den „Schutz der Integrität und der Würde der Arbeitnehmer“ erweitert.

Ein Drittel aller Pensionsantritte erfolgt in Österreich krankheitsbedingt. Der Anteil psychischer Erkrankungen bei den Neuzugängen zur Invaliditätspension beträgt ebenfalls rund ein Drittel. 2004 lag der Anteil erst bei 24 Prozent.