Und täglich grüßt der Säbelzahntiger

http://www.welt.de/print/wams/nrw/article112730656/Wenn-die-Arbeit-zermuerbt.html

Welt am Sonntag 13.01.13
Wenn die Arbeit zermürbt
Rot-Grün sagt krank machendem Stress im Beruf den Kampf an. Experten zweifeln, ob das per Gesetz möglich ist Von Till-R. Stoldt
Anders als sein Vorfahr muss sich der Mensch heute zwar nicht mehr mit Säbelzahnkatzen herumschlagen, wohl aber mit Termindruck, Dauererreichbarkeit oder Überforderungsanfällen. Und darauf reagieren wir wie der Frühmensch beim Anblick einer Raubkatze: mit Stress. Nur baut der Arbeitnehmer unserer Tage diesen nicht mehr umgehend körperlich ab. Daher “richten sich die Stressreaktionen schließlich gegen den eigenen Körper – mit zum Teil schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen”, wie Experten der Techniker Krankenkasse jüngst warnten.

Da haben wir ihn wieder, den Säbezahntiger. Die Katze springt durch fast jeden Vortrag zu Stress, Burnout usw. Und dann wird auf fehlenden Stressabbau hingewiesen. Wie aber steht es um den Stressaufbau? Statt der gelegentlichen Abwehr von Säbezahntigerangriffen fahren wir jetzt in einem vom Hochfrequenzhandel begleiteten Dauerlastbetrieb. Die Kosten turbulenter Veränderungen werden jetzt spürbarer. Dagegen soll sich eine Norm wenden, die heute derzeit unter dem Begriff “Anti-Stress-Verordnung” diskutiert wird.
Der Artikel in Welt am Sonntag (Springer Verlag) ist zeitlich gut plaziert. Die Meldung zur Initiative der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister (ASMK) der Länder liegt noch nicht lange zurück und am 29. Januar gibt es die Auftaktveranstaltung zur Deutschen Gemeinsamen Arbeitsschutzinitiative (GDA) haben.
Die Welt am Sonntag lässt die Minister der ASMK Hoffnungen pflegen, die sie gar nicht haben.

Kann man diese Urgewalt per Gesetz einhegen? Darauf hoffen die Arbeitsminister von NRW, Hamburg, Bremenund Brandenburg. …

Hier ist der Trick, einen Vorschlag zu verzerren, um ihn dann angreifen zu können. Damit es klar ist, die Minister wollen keine Urgewalten einhegen, sondern die geplante Bundesratsinitiative soll zu einem den heutigen Paradigmen gerecht werdenden Umgang mit ziemlich veränderten und vergleichsweise neuen Gewalten führen.

[Nelson Taapken, Personalexperte der Wirtschaftsprüfer von Ernst &Young] zufolge muss man die psychische Belastung am Arbeitsplatz zwar ernster nehmen als bisher. Stress per Gesetz bekämpfen zu wollen, sei aber “so aussichtslos wie schädlich. Was soll zum Beispiel mit den Millionen kleinen und mittleren Selbstständigen im Land passieren?”, fragt der Personalexperte. Solle man denen “Pflichtfreizeit vorschreiben, in der sie nicht mehr mailen und telefonieren dürfen? Das würde viele Selbstständige in ernste Nöte stürzen – abgesehen davon, dass sich dies kaum kontrollieren lassen dürfte”.

Taapken probiert hier den gleichen rhetorischen Trick. Was für einen Experten hat sich die Welt am Sonntag ausgesucht? Taapken ist hier Experte insbesondere für seine eigenen Interessen in einer Arbeitgeberfunktion, in der sich nach meiner Erfahrung die Begeisterung für Schutzgesetze ohnehin in Grenzen hält. Gerade in Unternehmen wie seinem ist die Beobachtung der Qualität des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz dieser Firmen sicherlich eine interessante Aufgabe für die Gewerbeaufsicht.

… Laut VDBW-Präsident Panter lässt sich eine psychische Überlastung oft verhindern, indem man seine Stressbewältigungskompetenz steigert. Man müsse nicht gleich die berufliche Flexibilität zurückfahren. Darauf setzen auch die Krankenkassen, die seit Jahren Angebote zu diesem Zweck ausbauen – von autogenem Training über positives Denken bis zu Kursen zur “erfolgreichen Bewältigung täglicher Belastungen”. Aber auch hier heißt es aus dem NRW-Arbeitsministerium, die verstärkte Nutzung solcher Kurse gehöre ja zu den Zielen der Gesetzesinitiative. Und wenn die Angebote vermehrt genutzt würden, werde sich ein gewisses Maß an Arbeitsflexibilisierung vielleicht als tolerabel erweisen. …

“Positives Denken” wird auch gerne immer wieder empfohlen. Hier lohnt es sich besonders, erst einmal mit Denken überhaupt anzufangen. Was hier vorgeschlagen wird, ist die gute alte Verhaltensprävention. Aus gutem Grund hat im Arbeitsschutz die Verhältnisprävention Vorrang.
Ohne neue Gesetze und Verordnungen gilt jetzt schon, dass individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Schutzmaßnahmen sind. Anstatt die Menschen arbeitsgerecht zu gestalten, haben die Arbeitgeber die Arbeitsplätze menschengerecht zu gestalten. Etwa 80% der Unternehmen missachten diese Pflicht schon bei der im Arbeitsschutz vorgeschriebenen Beurteilung der Arbeitsplätze. Es herrscht Anarchie – und dazu sagt der VDBW-Präsident Panter nichts?
Springers Blätter achten darauf, dass man ihnen keine Falschdarstellungen vorwerfen kann, aber filtern viel: Vom VDBW gibt es auch vernünftigere Stellungnahmen, als das, was sie Welt am Sonntag sich aus den Äußerungen des VDBW-Präsidenten herausgesucht hat: http://blog.psybel.de/position-von-betriebsaerzten-und-gewerkschaft/

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