Das Wissen durfte nicht weitergegeben werden

Zwei Jahre her, aber wohl seit Beginn der Menschheit aktuell:
Heinz Arnold: Organisation und Katastrophen (markt & technik, 2010-07-30)
http://www.elektroniknet.de/bauelemente/news/article/28700/

Die Toten in Folge der Massenpanik auf der Love Parade in Duisburg haben uns alle erschüttert. Wer in der Elektronikindustrie arbeitet, der fragt sich natürlich gleich, warum nicht zumindest einfache und relativ billige Geräte zum Einsatz kamen, die es zumindest erlaubt hätten, eine sich anbahnende Katastrophe zu erkennen und vielleicht noch abwenden zu können. …

Nach verschiedenen Beispielen zu vorhersehbaren Katastrophen fährt der Autor fort:

… Auch wenn die Beispiele aus ganz unterschiedlichen Umfeldern gewählt sind und jeweils ihre eigenen speziellen Ursachen haben mögen, so gibt es doch auch Gemeinsamkeiten.
In all den Fällen war es nämlich nicht so, dass in den Organisationen das Wissen darüber gefehlt hätte, dass etwas in Gefahr ist, schief zu laufen. Das Wissen durfte nur nicht weitergegeben werden, zumindest nicht in vollem Umfang. Von einer Hierarchiestufe auf die nächste geht so immer ein Teil des Wissens verloren – man will ja nicht negativ sein, man will ja nicht als Bedenkenträger und Verhinderer gelten. Das könnte der Karriere schaden und macht nur Ärger.
So kommen auf der Stufe des obersten Managements nur positive Nachrichten an – und zwar genau die, die es hören will. …

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)

Versagensängste

Das Gesundheitsmagazin in B5 aktuell am 27. Mai 2012
http://www.br.de/radio/b5-aktuell/sendungen/gesundheitsmagazin/27052012-gesundheitsmagazin100.html

… Ulrich S., litt sein ganzes Leben lang unter Versagensängsten. Er stand permanent unter Leistungsdruck und hatte immer öfter Panikattacken. Bis sie schließlich unkontrolliert über ihn herfielen. …

Nicht radikal böse, aber banal reicht auch schon

Die Bundesarbeitsministerin zeigt Verständnis für die “Unwissen und Hilflosigkeit” in der Wirtschaft.
 
Ursula von der Leyen: im Interview mit dem SPIEGEL (Februar 2012)
Thema: psychische Belastungen am Arbeitsplatz
in: SPIEGEL WISSEN, Patient Seele – Wie die Psyche wieder ins Gleichgewicht kommt,
(132 Seiten, Druckauflage: ca. 240000, Feb. 2012), Nr. 1/2012, S.49


Das Thema wird in der Wirtschaft noch nicht ernst genug genommen, nicht aus bösem Willen, sondern aus Unwissen und Hilflosigkeit.

Ursula von der Leyen in einem Inteview mit der Saabrücker Zeitung (http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/interview-vdl-saarbruecker-zeitung-2011_12_27.html, 2011-12-27):


Es gibt ein Thema, das bislang viel zu kurz gekommen ist: die psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. Nach dem Arbeitsschutzgesetz muss, wer den Arbeitsschutz auch in seelischer Hinsicht vernachlässigt, mit empfindlichen Strafen bis hin zu Gefängnis oder Betriebsstilllegung rechnen. Wir brauchen also keine schärferen Gesetze. Studien zeigen, dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit. Deswegen müssen wir besser informieren, Lösungswege aufzeigen, kontrollieren und die Beteiligten motivieren.

In der FAZ kann man sogar nachlesen, dass die Ministerin das Wort “Arbeitsschutzgesetze” verwendet hat: http://fazjob.net/ratgeber_und_service/beruf_und_chance/fuehrungskraefte/?em_cnt=120637


Die Ministerin will dazu nicht die Gesetze verschärfen, vielmehr müssten Arbeitgeber die geltenden Arbeitsschutzgesetze besser einhalten: Sieben von zehn Unternehmen ließen das Thema “aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit” schleifen, sagte von der Leyen.

Psychotherapeuten, Arbeitssoziologen und Gewerkschafter warnen schon seit Jahren vor den Gefahren einer sich verdichtenden und beschleunigenden Arbeitswelt.

Trotz solcher (und früherer) Angriffe auf ihre Unwissenheit konnten sich die Arbeitgeber erfolgreich gegen die Belästigung durch nicht zielführendes Wissen wehren und damit auch ihre Hilflosigkeit erhalten. Spätestens seit 2005 pflegte die Mehrheit der Arbeitgeber ihre Unwissenheit mit Absicht.
 
http://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt zur Banalität des Bösen


In der Einleitung zur deutschen Ausgabe 1964 erläutert Arendt ihre Wortwahl: ,,[…] in dem Bericht kommt die mögliche Banalität des Bösen nur auf der Ebene des Tatsächlichen zur Sprache, als ein Phänomen, das zu übersehen unmöglich war. Eichmann war nicht […] Macbeth […]. Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive.” Er sei nicht dumm gewesen, sondern ,,schier gedankenlos”.

1969 formulierte sie in einem Brief an Mary McCarthy: ,,[…] die Wendung »Banalität des Bösen« als solche steht im Gegensatz zu der vom »radikal Bösen« [Kant], die ich [A.] im Totalitarismus-Buch benutze.”

 
Bitte jetzt nicht mit Aufregung über einen Vergleich mit Eichmann vom Thema ablenken. Das Thema ist nicht Eichmann, sondern es geht um die Tatsache, dass das Böse aus Gedankelosigkeit sich in seiner Wirkung vom radikalen Bösen nicht notwendigerweise unterscheiden muss.
(Aktualisierung: 2012-03-20)

Burnout: Klärendes zur Unklarheit

Aus Franz Engels in Medizinisches Weblog eines Psychiaters und Psychotherapeuten,
http://medblog.franzengels.ch/2012/03/07/stress-im-job-macht-krank-positionspapier-der-dgppn-zum-thema-burnout/:

… Bleibt anzumerken, dass die Behauptung, Burnout sei (noch?) keine Krankheit, sondern eine normale Reaktion, ebenso irreführend ist, wie die Behauptung, es sei eine Krankheit. Denn für beide Behauptungen gibt es keine stichhaltigen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Meine Erfahrung allerdings ist, dass das, was heute geläufig als Burnout bezeichnen, ganz real die Arbeitsfähigkeit zu beeinträchtigen scheint, und dass Depressionen, die im Zusammenhang mit Burnout-Prozessen auftreten zumeist langwieriger verlaufen und schwieriger zu behandeln sind als andere depressive Zustandsbilder. Unabhängig davon, ob man sich auf die Begrifflichkeiten bereits einigen konnte oder nicht.

Seminare von GULMO

Hier ist die Liste: http://www.gulmo.de/aktuelles.html.
Die aktuellen Seminare sind im März. Mein Hinweis ist ein bisschen spät, sorry. Am Seminar “Professionelle Gefährdungsbeurteilung” hatte ich selbst einmal teilgenommen und kann es nur empfehlen.
Auch interessant: http://www.gulmo.de/institut.html

… Dr. Norbert Gulmo war über zwanzig Jahre als Betriebsschlosser tätig, bevor er 1996 in den Betriebsrat eines international tätigen großen deutschen Produktionsunternehmens gewählt wurde. Seit 1998 ist er freigestellter Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsvorsitzender. 2003 hat er neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Vorsitzender des Betriebsrats ein Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg aufgenommen und dort zum Thema Stress bei Arbeitnehmervertretern promoviert. Seit 2007 arbeit er zusätzlich als freiberuflicher Referent und Berater. …

Privilegien und Isolation

http://www.google.de/search?q=mitt+romney+”I’m+also+unemployed.”

I’m also unemployed

Mitt Romney
 
kabl/SZ, http://www.sueddeutsche.de/O5938O/490475/Schnell-und-ruecksichtslos.html

Schnell und rücksichtslos
Ein dickes Auto besitzen, aber keine Manieren haben – dieser Zusammenhang beruht offenbar auf mehr als einem Vorurteil. Fahrer von großen, teuren Autos verhielten sich im Straßenverkehr rüpelhafter als die Fahrer kleiner, billigerer Autos, beobachteten Psychologen um Paul Piff von der University of California (PNAS, online). …

… Möglicherweise verhalten sich vergleichsweise reiche, angesehene Menschen generell unmoralischer? Zusätzliche Labor-Experimente zumindest stützten diese Theorie. …

 
http://news.yahoo.com/rich-people-unethical-224915381–abc-news.html

… Nevertheless, Piff said these results obviously don’t apply to all wealthy people. … 

… “What it comes down to, really, is that money creates more of a self-focus, which may account for larger feelings of entitlement,” said Piff. “We hope to further study how we can curb these patterns and how that will affect our social environment.

 
http://www.wired.com/wiredscience/2012/02/income-and-ethics/

… “Occupying privileged positions in society has this natural psychological effect of insulating you from others,” said psychologist Paul Piff of the University of California, Berkeley. “You’re less likely to perceive the impact your behavior has on others. As a result, at least in this paper, you’re more likely to break the rules.” …

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)
 
Klassenkampf? Foschung? Eine interessante Fortsetzung der Forschung von Paul Piff wäre, herauszufinden, wie Leser dieser Meldung abhängig von ihrem Rang in Organisationen und in der Gesellschaft auf diese Meldungen reagieren. Und große Firmen mit Geschwindigkeitsmessungen in ihren Parkhäusern könnten mitforschen: Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Preis von Autos zu der Höhe und Häufigkeit von Geschwindigkeitsüberschreitungen, die für diese Autos festgestellt werden?
Leiden Privilegierte unter ihrer Isolation? Ich hatte einmal selbst in einer Gated Community gelebt. Ich hatte auch Wagen und Fahrer. Für einen Privilegierten ist es eine interessante Erfahrung, wie sowohl die Mit-Privilegierten wie auch die Nicht-Privilegierten reagieren, wenn einer von ihnen versucht, die Isolation zu durchbrechen. Klar gibt es Klassenkampf.
(Den Klassenkampf gibt es in verschiedenen Kategorien, z.B. hinsichtlich der Einkommensverteilung. Der Umverteilungsdruck ist messbar.)

Suche:

Siehe auch: http://blog.psybel.de/zermalmt-von-der-last/ und http://blog.psybel.de/ein-unfreundlicher-charakter-steigert-gehalt-und-karrierechancen/

Infarktrisiko und Gratifikationskrise

http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/psychische-b-1.html

20. Februar 2012
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz erhöhen Herzinfarktrisiko
DAK-Gesundheitsreport 2012: Weitere Zunahme psychischer Erkrankungen
Für Menschen mit beruflichem Stress ist das Risiko einer koronaren Erkrankung mehr als verdoppelt. Eine Depression erhöht das Risiko eines Herzinfarktes um 60 bis 100 Prozent. Psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen, die nach dem DAK-Gesundheitsreport weiter zunehmen: Im Jahr 2011 gingen 13,4 Prozent der betrieblichen Fehltage bei der DAK auf psychische Erkrankungen zurück. 2010 waren es noch 12,1 Prozent gewesen.
Eine repräsentative Umfrage der DAK bei rund 3.000 Erwerbstätigen zwischen 25 und 65 Jahren belegt die Bedeutung der beruflichen Stressbelastung. …

… Der DAK-Gesundheitsreport betont zu Recht die psychosozialen Belastungen im Betrieb und empfiehlt, Menschen in einer „Gratifikationskrise“ für betriebliche Präventionsprogramme zu gewinnen. …

Siehe auch: http://blog.psybel.de/2012/02/24/dak-gesundheitsreport-2012/
 
Schon vor 10 Jahren wurde berichtet:
Mitbestimmung bei Stress und anderen psychischen Belastungen, Der Personalrat 10/2002, S. 420-427 (http://www.btq.de/fileadmin/btq/media/Artikel/PR_02-10_420.pdf)

… Nach Untersuchungen der BAuA sind gesundheitlich besonders Beschäftigte gefährdet, die einerseits hohen psychischen Arbeitsbeanspruchungen ausgesetzt sind (durch Zeit- und Leistungsdruck), aber andererseits nur wenig anerkennende Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten erfahren. Solche Personen sind in besonderer Weise durch Erholungsunfähigkeit gezeichnet, was mit erhöhten Herz- und Kreislaufbeschwerden korreliert. …