Mitbestimmung bei der Gefährdungsbeurteilung

http://www.bund-verlag.de/zeitschriften/arbeitsrecht-im-betrieb/aktuelles/rechtsprechung/2015-08/E03-LAG-BB-Mitbestimmung-Gesundheitsschutz.php
Es geht um den Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.03.2015, Az.: 23 TaBV 1448/14.
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2015/04/HM_kommentar4.pdf (Alfons Kilad 20.04.2015):

Was die Mitbestimmung bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes betrifft, machte sehr bezeichnend mal wieder das LAG Berlin-Brandenburg jüngst (Beschluss vom 25.02.2015 – 23 TaBV 1448/14) mit einer arbeitgeberfreundlichen Entscheidung im Interesse von H&M auf sich aufmerksam. Hat der Betriebsrat zwar nach Gesetz (§ 87 (1) Nr.7 BetrVG) bei “Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften” ein Mitbestimmungsrecht, will das LAG Berlin-Brandenburg dies nicht mehr so einfach anerkennen. Es behauptet – völlig abweichend vom bisherigen vorherrschenden Rechtsverständnis übrigens -, dass bei “sehr weit gefassten gesetzlichen Generalklauseln (??) zum Gesundheitsschutz (z.B. § 3 Abs.1 ArbSchG) (…) ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats” nur bestünde, “sofern eine unmittelbare objektive Gesundheitsgefahr vorliegt oder eine zum Gesundheitsschutz durchgeführte Gefährdungsbeurteilung (z.B. § 5 ArbSchG) einen Handlungsbedarf ergibt.” (zitiert nach Pressemitteilung). Einen besonderen “Leckerbissen” für H&M und dessen Verständnis von Arbeits- und Gesundheitsschutz hält das LAG mit dem Argument bereit, das H&M nicht die (gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung) durchgeführt hätte, “auf deren Grundlage Regelungen zum Gesundheitsschutz bei Mitbestimmung des Betriebsrats getroffen werden könnten” (a.a.O.). Arbeitgerseitige Unterlassung der gesetzlichen Vorschrift § 5 Arbeitschutzgesetz als Argument und Mittel gegen die Mitbestimmung des Betriebsrats? Das mit der richterlichen Nebentätigkeit scheint seine Früchte zutragen, wobei man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass die richterliche Zusammenarbeit mit Arbeitgeberorganisationen sich nicht auf Schulungen in Rechtsfragen beschränkt, sondern Rechtsprechung zu Gunsten der Arbeitergeber im Preis mit enthalten sein kann.

(Übrigens, der Hauptteil des Artikels von Alfons Kilad betrifft http://www.work-watch.de/2015/05/schwere-niederlage-fuer-hm-gegen-betriebsrat-quinto/ und hat mit diesem Mitbestimmungsurteil 23 TaBV 1448/14 nicht direkt zu tun. Zum im Artikel angekündigten BAG-Verfahren gibt es jetzt Aktenzeichen des BAG: 2 ABR 38/14 (2015-05-13) und speziell http://www.bag-urteil.com/13-05-2015-2-abr-38-14/)

Die Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in neuer Auflage

http://www.arbeitstattstress.de/2016/02/die-empfehlungen-zur-umsetzung-der-gefaehrdungsbeurteilung-psychischer-belastung-in-neuer-auflage/
Zu den Leitlinien der GDA gehören auch die Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Diese Empfehlungen wurde jetzt eine zweite und eine dritte Anlage hinzugefügt: “Empfehlungen und Prüffragen zur Auswahl von Instrumenten/Verfahren” und “Qualitätsgrundsätze für Instrumente/Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung”.
Die wichtigen Links (ohne Session ID) zur GDA in Dr. Lists Posting (mit Backups von mir):

Missbrauch des Datenschutzes

Es gibt noch einen Grund, der Arbeitgeber motivieren könnte, anstelle des im Arbeitsschutzgesetz geforderten verhältnispräventiven Vorgehens ein verhaltensorientiertes Vorgehen zu bevorzugen: Bei der nur auf den ersten Blick fürsorglich aussehenden verhaltenspräventiven Zuwendung zu einzelnen Mitarbeitern kann eine Dokumentation persönlicher Daten entstehen, also auch individueller medizinischer Daten. Das können Arbeitgeber dazu missbrauchen, die Transparenz von Gefährdungsbeurteilungen und Vorfallsuntersuchungen einzuschränken. Damit kann dann auch die Arbeit von Betriebstäten bzw. Personalräten erschwert werden.
Der sicherste Datenschutz ist die Vermeidung sensibler Daten.

Hohe Anwaltskosten für Gefährdungsbeurteilung

Rechtsanwälte können Arbeitnehmern dabei helfen, vom Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung ihrer Arbeitsbedingungen zu fordern. Aber Vorsicht: Wessen Wehrhaftigkeit durch psychische Fehlbelastungen ohnehin schon angegriffen ist, kann dann auch noch an einen Anwalt geraten, der die Schwäche seiner Klienten nutzt und ihnen für wenige Anwaltsstunden sowie den Brief an den Arbeitgeber beispielsweise 8000€ berechnet. Wer dann noch genug Kraft für eine zusätzliche Baustelle hat, kann ja versuchen, sich gegen so einer Anwaltsrechnung zu wehren.
Mein Ratschlag: Versuchen Sie zunächst, sich vom Betriebsrat helfen zu lassen (wenn es den in Ihrem Betrieb gibt und wenn er kompetent ist). Auch kann die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft helfen. Hier bekommen sie rechtliche Hilfe. Zwar sind auch heute noch Betriebsräte und Gewerkschaften mit praktischen rechtlichen Maßnahmen zur Durchsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen im Bereich der psychischen Belastungen nicht so vertraut, aber das gilt für Rechtsanwälte gleichermaßen. Zusätzlich können Rechtsanwälte für Arbeitnehmer ein hohes finanzielles Risiko darstellen.
Es dürfte überhaupt nicht erst dazu kommen, dass Arbeitnehmer sich um eine ordentliche Gefährdungsbeurteilung selbst bemühen müssen. Der Grund für das Dilemma für Arbeitnehmer, zuverlässige und kompetente Hilfe zu finden, ist letztendlich die landesweite Überforderung der Gewerbeaufsichten bei der Durchsetzung des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz der deutschen Unternehmen. Wenn die Unternehmen sich nicht seit Jahren ungestraft über Arbeitsschutzvorschriften hinwegsetzen dürften, gäbe es in den Betrieben längst schon ordentliche Beurteilungen psychischer Gefährdungen am Arbeitsplatz.

DIS ISO 45001: Look into it until 2016-04-01

Compared to the previous CDs, there are improvements in the DIS ISO 45001.
Thanks to the British BSI, you can look into the draft again and leave comments too:
https://drafts.bsigroup.com/Home/Details/55801
Good news:

  • Clause 3.18 now not only defines “injury”, but also “ill health”. And adverse mental (and even adverse cognitive) condition is back again. Probably I was not the only one who complained to BSI about the missing definition of “ill health”.
  • In clause 3.4 (participation) workers are involved in the in decision-making process(es) regarding the the OH&S management system.

Not so good:

  • In OHSAS 18001:2007 “incident”, “ill health (regardless of severity)” helped to avoid discussions whether an incident needs to be registered depending on the severity of ill health. I know of employers, who tried to avoid to communicate “ill health (regardless of severity)” in their information about OHSAS 18001 to their employees. Regrettably, in clause 3.35 “incident” in DIS ISO 45001, “ill health (regardless of severity)” is missing. I also don’t find it elsewhere in the draft.

CD = Committee Draft
DIS = Draft International Standard

 


Update 2016-02: http://blog.psybel.de/iso-450012016-or-iso-450012017/

Die Gefährdungsbeurteilung ist die halbe Miete

Sie haben wahrscheinlich schon bemerkt, dass mich ein Vortrag von INSITE-Interventions ärgerte. Ich kann mir da auch Polemik nicht verkneifen.
Ein Grund für mein Gegrantel ist, dass die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung kleingeredet wird. Ich wage aber zu behaupten dass gerade in Großunternehmen eine ehrliche Gefährdungsbeurteilung selbst schon viele Probleme im Bereich psychischer Belastungen lösen kann: Ein Großteil psychischer Fehlbelastungen entsteht nämlich einfach dadurch, dass Aufgabenanalysen und Stellenbeschreibungen die tatsächlichen Belastungen nicht realistisch darstellen.
Betriebsräte haben beispielsweise in ERA-Verhandlungen erlebt, dass Mitarbeitern bei der Überarbeitung ihrer Aufgabenbeschreibungen so wenig Eigenverantwortung wie möglich zugestanden wurde, weil eine hohe Eigenverantwortung zu einer höheren Einkommensgruppe führt. Zuvor wurden die Mitarbeiter jedoch, dem Zeitgeist folgend, bis zum Erbrechen dazu aufgefordert, “Unternehmer im Unternehmen” zu sein. Eine entsprechend hohe Eigenverantwortung wurde von ihnen abverlangt. Das passt nicht zusammen. Arbeitgeber versuchten, die Aufgabenbeschreibung an die Einkommensgruppe anzupassen, die sie sich für die Mitarbeiter vorstellten, anstelle die zuvor von den Arbeitnehmern abverlangte Eigenverantwortung dann auch in der Aufgabenbeschreibung darzustellen.
Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass eine Gefährdungsbeurteilung selbst schon eine Maßnahme zur Verringerung von psychischen Fehlbelastungen ist, wenn Aufgabenbeschreibungen (auch nach ERA) basierend auf dieser Beurteilung korrigiert werden. Im einfachsten Fall können bisher nicht erfasste Belastungen, die zuvor unerkannt als Fehlbelastungen wirkten, in offiziell anerkannte Aufgaben überführt werden, die zur Arbeit der von diesen Belastungen betroffenen Mitarbeitern gehören. Die Fehlbelastungen werden einfach dadurch zu den normalen Belastungen, für die Mitarbeiter bezahlt werden, dass sie beschrieben werden und so eine ehrlichere Ausstattung der Mitarbeiter mit den erforderlichen Ressourcen und Handlungsbefugnissen möglich wird.
Hier ist mein kostenloser Vorschlag für ein Employee Assistance Program: Anerkennung und Ausstattung mit genügend Ressourcen. Die dafür erforderlichen Aufgaben- und Stellenbeschreibungen können nicht nur mit Gefährdungsbeurteilungen korrigiert werden, sondern aus ehrlichen Aufgaben- und Stellenbeschreibungen können auch Erkenntnisse für die Gefährdungsbeurteilung gewonnen werden. Außerdem gehören Aufgabenbeschreibungsmodule in Prozessbeschreibungen und Projektplanungen. Daraus lassen sich in Matrixorganisationen dann schnell die Belastungsprofile erstellen, die auf die einzelnen Mitarbeiter wirken.

Maßnahmen des Arbeitsschutzes

  • Kosten: Der Arbeitgeber trägt alle Kosten (z.B. Zeit und Geld) für Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Nach dem Arbeitsschutzgesetz darf der Arbeitgeber diese Kosten den Beschäftigten nicht auferlegen, natürlich auch nicht anteilig (z.B. Verwendung von Urlaubstagen oder Freizeit für als Arbeitsschutzmaßnahmen dargestellte Fitnessprogramme).
    http://dejure.org/gesetze/ArbSchG/3.html
  • Prioritäten: Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen. Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluß der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen. Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen. Das bedeutet: Das Gesetz gibt der Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention.
    http://dejure.org/gesetze/ArbSchG/4.html
  • Gefährdungsbeurteilung: Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes müssen auf einer Gefährdungsbeurteilung basieren.
    http://blog.psybel.de/erst-gefaehrdungsbeurteilung-dann-unterweisung/
  • Mitbestimmung: Maßnahmen des Arbeits und Gesundheuitsschutzes sind auch dadurch gekennzeichnet, dass Betriebsräte und Personalräte hier eine besondere Mitbestimmungspflicht und ein besonderes Recht auf Informationen haben.
    http://blog.psybel.de/betriebsverfassungsgesetz/#89

Der Hinweis auf die Mitbestimmung ist besonders dann notwendig, wenn Arbeitgeber einerseits eine Maßnahme des “Betrieblichen Gesundheitsmanagements” als “freiwillig” darstellen und damit eine Mitbestimmung der Arbeitnehmervertretung schwächen wollen, andererseits diese Maßnahme dann gegenüber der Gewerbeaufsicht und Auditoren als Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes verkaufen. Das ist eine Verletzung gesetzlicher Pflichten. Die überforderten Gewerbeaufsichten sehen hier oft nicht so genau hin.

Verwaltungshandeln bei dem Ergebnis: „Die Gefährdungsbeurteilung wurde nicht angemessen durchgeführt“

LASI-Veröffentlichung 59 (2014), S. 14:

Der Arbeitgeber wird in der Regel schriftlich aufgefordert, die Gefährdungsbeurteilung in einer angemessenen Frist nachzubessern. Die Mitarbeitervertretung erhält eine Kopie des Besichtigungsschreibens. Ggf. wird eine Nachverfolgung bzw. Anordnung durchgeführt.
Erkennt die Aufsichtsbeamtin/der Aufsichtsbeamte zudem Gefährdungen, gegen die keine ausreichenden Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen wurden, ist der Arbeitgeber grundsätzlich schriftlich aufzufordern, hierfür die Gefährdungsbeurteilung in einer angemessenen Frist durchzuführen und die Dokumentation vorzuhalten. Davon unberührt bleiben Maßnahmen, die unverzüglich bei unmittelbar drohender Gefahr einzuleiten sind.
Die Mitarbeitervertretung erhält eine Kopie des Besichtigungsschreibens.
Eine Nachverfolgung ggf. mit Anordnung wird durchgeführt.
Ebenfalls ist durch die Aufsichtsbeamtin/den Aufsichtsbeamten zu prüfen, ob ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten ist.

In der Praxis sieht es so aus, dass die Gewerbeaufsichten sich gerade bei politisch gut vernetzten Großunternehmen kaum trauen, so vorzugehen. Auch wenn die Gefährdungsbeurteilungen nicht angemessen durchgeführt wurden, können dermaßen gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßende Unternehmen dann behaupten, die Gewerbeaufsicht habe sie nicht schriftlich zu Verbesserungen aufgefordert.
Dass Mitarbeitervertretungen eine Kopie von Aufforderungen der Gewerbeaufsucht bekommen, ist wohl der Ausnahmefall. Es hätte solche Aufforderungen massenweise geben müssen.
In Bayern kann es sogar vorkommen, dass ein Unternehmen gelobt wird, wenn psychische Belastungen nicht angemessen beurteilt werden, das Unternehmen sich jedoch bemüht, dieses Defizit abzubauen. Das ist schon ziemlich verrückt. Mit Minderleistungen ihrer Mitabeiter würden diese Unternehmen wohl weniger gnädig umgehen. Stattdessen würde der Arbeitgeber versuchen, mit geeigneten Zielvereinbarungen Verbesserungen zu erwirken. In Bayern sollen die Gewerbeaufsichten das angeblich auch gemacht haben, aber dann kniffen sie doch im Jahr 2012 und sagten “Servus” zur Zielvereinbarung.