Politikberatung

Im Artikel “Arbeitsschutz ist ein vorgeschriebenes Element der betrieblichen Gesundheitsförderung” machte ich ziemlich deutlich, dass sich das Bundesgesundheitsministerium bei der Erstellung einer Broschüre vermutlich durch Arbeitgeber beraten ließ. Deswegen vermuten Sie als ehrenwerter Leser meines Blogs vielleicht, dass ich als verbohrter Gewerkschafter wieder einmal das Klischee vom unredlichen Arbeitgeber bemühe. Das ist aber nicht so. Nicht die Arbeitgeber sind unredlich, sondern sie sind einfach schlauer, als die von ihnen beim Schreiben von Gesetzvorlagen Beratenen. Meine Kritik richtet sich nicht gegen Lobbyisten, sondern gegen die Dummheit derer, die sich von Lobbyisten beeindrucken lassen. Wie andere Menschen auch, machen Lobbyisten, was man sie machen lässt.
Dazu eine kleine Geschichte. In den frühen 80gern verkaufte ein Freund von mir einen der ersten Laptop-Computer (TRS 80 Model 100) an eine Bank, die damit Kreditberatung direkt im Kundenwohnzimmer machen wollte. Ich entwickelte das Programm dafür und entdeckte dabei, dass bei der Berechnung des Effektivzinssatzes verschiedene Geldflüsse mit verschiedenen Gewichtungen in die Formel zur Effektivzinsberechnung eingingen. Der Effektivzins hing also davon ab, wie sich der Geldfluss beispielsweise auf Zins, Tilgung und Gebühren verteilte. So lassen sich für gleiche Geldflüsse unterschiedliche Effektivzinssätze gestalten. Da ich damals noch naïv an die Überzeugungskraft der Vernunft glaubte, bat ich ein Bundesministerium (ich weiß nicht mehr genau, ob für Wirtschaft oder für Finanzen), mir zu erklären, wieso eine derart manipulierbare Berechnungsmethode sich in ein Gesetz verirren konnte, zumal die Bank intern ein anderes Verfahren einsetzte, dem sie mehr vertraute. Die mich damals noch überraschende und gleichfalls naïve Antwort des Ministeriums: Die Berechnungsformel könne nicht falsch sein, da bei ihrer Entwicklung die Banken mitgewirkt hatten.
In wackerer Fortsetzung meiner Naïvität bot ich der Bank an, auch das von ihr intern benutzte Berechnungsverfahren als Option in das Programm einzubauen, damit man Kunden ehrlich beraten könne. Die Bank zeigte dafür jedoch eher wenig Interesse, weil diese Option nicht den gesetzlichen Vorschriften entspräche, nach denen man sich (leider!) zu richten habe.

Arbeitsschutz ist ein vorgeschriebenes Element der betrieblichen Gesundheitsförderung

Zum Netzwerk Unternehmensnetzwerk zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in der Europäischen Union e.V. gibt es eine Broschüre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit dem Titel: Unternehmen unternehmen Gesundheit. Darin geht es um betriebliche Gesundheitsförderung (BGF; auch betriebliches Gesundgeitsmanagement, BGM) und unter Anderem auch um die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen.
Eine Vorbemerkung: Die große Mehrheit der Unternehmen hält es nicht für erforderlich, in der vorgeschriebenen Weise psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in die Beurteilung der von Arbeitsplätzen ausgehenden Gefährdungsrisiken einzubeziehen. Die in einem Rechtsstaat naheliegende Maßnahme zur Verringerung psychisch wirksamer Fehlbelastungen bestünde also konsequenterweise darin, die seit 1996 bestehenden Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes auch wirklich durchzusetzen, denn das Verbesserungspotential ist riesig. Erstaunlicherweise gibt das Ministerium hier aber wenig Anregungen. Es müsste deswegen geprüft werden, inwieweit bei der Erstellung der Broschüre Vertreter der Unternehmen mitgewirkt haben, die es selber nicht für erforderlich halten, sich nach dem Arbeitsschutzgesetz und den Betriebsverfassungsgesetz zu richten. Die Toleranz der Politiker gegenüber Schutzrechte missachtenden Unternehmen muss schon seit vielen Jahren recht groß sein, denn sie sorgen seit 1996 nicht dafür, dass die Gewerbeaufsichten die Unternehmen ausreichend proaktiv und sorgfältig kontrollieren können. Angesichts der Offensichtlichkeit und der Nachhaltigkeit der tolerierten Missachtungen ist es direkt anstrengend, die Untätigkeit der Politik für einen Zufall zu halten.
Nun zur Broschüre selbst: Im Vorwort von Unternehmen unternehmen Gesundheit schreibt Dr. Philipp Rösler (Bundesgesundheitsminister):

Denn wenn die körperliche und psychische Arbeitsbelastung, Krankheits- und Burn-out-Quoten sinken und gleichzeitig die Motivation, die Leistungsfähigkeit und die Kreativität der Belegschaft steigen, profitieren alle im Unternehmen davon.

Das klingt gut, zeigt aber auch den populärpsychologischen Ansatz der Broschüre, denn auch zu wenig Arbeitsbelastung kann eine Fehlbelastung sein. Die Aufgabe der Arbeitgeber besteht nämlich nicht im Senken von psychischen Belastungen, sondern die Arbeitgeber haben psychische Fehlbelastungen zu beseitigen oder zu mindern. Arbeitnehmer brauchen Belastungen, denn für den Umgang damit werden sie bezahlt. Nicht bezahlt werden sie für Fehlbelastungen.
Was sind nun Fehlbelastungen? In Betrieben mit Arbeitnehmervertretungen (Betriebsräte, Personalräte) vereinbaren diese Vertretungen mit dem Arbeitgeber, was in einem gegebenen Betrieb Fehlbelastungen sind. Die Arbeitnehmer werden hier nicht entgegenkommenderweise einbezogen, sondern sie bestimmen mit. Der Minister hat möglicherweise Hemmungen, das zu verdeutlichen. Das ist problematisch, denn Mitbestimmung ist eine kennzeichnende Voraussetzung für innerbetrieblich vereinbarte Kriterien und Prozesse des Arbeitsschutzes.
Ganz ordentlich aber klärt das BMG die “gesetzlichen Regelungen”:

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) sind für Arbeitgeber verpflichtend geregelt:

  • Als Arbeitgeber tragen Sie die Hauptverantwortung für die Überprüfung, Umsetzung und Verbesserung aller erforderlichen Maßnahmen zum Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz (ArbSchG, ASiG).
  • Zudem sind Sie als Arbeitgeber seit 2004 (laut § 84 Abs. 2 SGB IX) gesetzlich dazu verpflichtet, unabhängig von der Betriebsgröße, Maßnahmen des BEM durchzuführen, wenn ein Beschäftigter mehr als 42 Tage innerhalb von 12 Monaten arbeitsunfähig ist. Dies gilt sowohl für länger andauernde Arbeitsunfähigkeit als auch für viele aufeinanderfolgende Kurzzeiterkrankungen.

Die betriebliche Gesundheitsförderung ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Allerdings ist sie für die Krankenkassen verpflichtend geregelt:

  • Gemäß § 20a SGB V sind die Krankenkassen verpflichtet, Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu erbringen.
  • Gemäß § 65a Absatz 2 SGB V kann die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, dass bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sowohl der Arbeitgeber als auch die teilnehmenden Versicherten einen Bonus erhalten.

Im Zusammenhang mit anderen Ausführungen in der Broschüre entsteht allerdings dann doch Verwirrung, denn auf der Seite vor dieser Erklärung der gesetzlichen Regeln schreibt das Ministerium:

Die betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention), und Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention). Oftmals ist eine klare Trennung in der Praxis nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da die Bereiche sich gegenseitig beeinflussen. So verursachen z. B. Über- und Unterforderung von Beschäftigten Stress und Demotivation. Um diese Auswirkungen zu vermeiden, sind neben Kursen zur Stressbewältigung auch Änderungen der Arbeitsbedingungen notwendig. Nachfolgend sind mögliche Maßnahmen beispielhaft dargestellt.

“Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention)” sind vorgeschriebene Arbeitsschutzmaßnahmen. (Die Analyse ist übrigens nur ein kleiner Teil der Maßnahmen der Verhältnisprävention! Vergessen hat das BMG die Maßnahmenfestlegung, die Implementierung der Maßnahmen, die Wirksamkeitskontrolle der Implementierung sowie die all das begleitende Dokumentation und Unterweisung.) Wenn also Arbeitsschutz Teil der BGF ist, dann ist die BGF eben nicht in allen Teilen “freiwillig”. Und Verhältnisprävention geschieht nicht “neben” Verhaltensprävention, sondern im Arbeitsschutz hat Verhältnisprävention ganz klar Vorrang vor der Verhaltensprävention. Es ist verwunderlich, dass das ausgerechnet in einem Bundesministerium nicht verstanden wird.
Außerdem ist es mit “Kursen zur Stressbewältigung” ganz sicher nicht getan. Das Ministerium weiß das anscheinend auch nicht. Die vorgeschriebenen Unterweisungen gehen viel weiter. Dass die Broschüre das nicht darzustellen vermag, legt ebenfalls die Vermutung nahe, dass die Broschüre des BMG mit nicht unwesentlicher Hilfe der Arbeitgeber erstellt wurde.
Gelegentlich ist die Ansprache “persönlicher Probleme” von Mitarbeitern auch ein Mittel von Arbeitgebern, die “Ursachen” der “Auffälligkeit” des Verhaltens von Mitarbeitern bei diesen zu verorten und eine mitbestimmte Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu vermeiden. Das war schon immer der leichteste Weg für diese Sorte von Arbeitgebern, denn damit entlasten sie sich  und halten die Mitarbeiter gleichzeitig davon ab, Probleme offen anzusprechen. Genau aus diesem Grund konzentriert sich der Arbeitsschutz auf die Verhältnisprävention. Das ist einer der vom Bundesgesundheitsministerium nicht verstandenen Gründe für die Trennung von Verhältnisprävention und Verhaltensprävention. Die Gerichte dagegen verstehen diese Gründe. Betriebsräte haben hier die wichtige Aufgabe, diese Trennung im Sinn des Arbeitsschutzes zu verteidigen.
Wird aus den Fehlern und den Schwerpunkktsetzungen des BGM bei der Darstellung der Sachverhalte ein Desinteresse des BGM am Arbeitschutz und an der Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer deutlich? Es muss auch die Möglichkeit erwogen werden, dass die Broschüre von den Arbeitgebern selbst geschrieben wurde: In der Broschüre wird die Mitbestimmung ignoriert. Auch die Priorität der Verhältnisprävention (gegenüber der Verhaltensprävention) im Arbeitsschutz und die Tatsache, dass ein Großteil der Betriebe seit vielen Jahren versäumt hat, psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen. Der Minister und Arzt sieht zu, wie Arbeitgeber den Arbeitnehmern ihre Schutzrechte seit 1996 verweigern. Was er dagegen tun könnte, tut er nicht.
Arbeitgeber lenken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit  auf ihre freiwilligen Leistungen im “betrieblichen Gesundheitsmanagement” (BGM) bzw. in der “betrieblichen Gesundheitsförderung”. Das ist werbewirksamer als die Befolgung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes, deren Initiator dann in vielen Fällen auch noch die Arbeitnehmervertretung des Unternehmens ist. Betriebsräte können das Interesse der Unternehmen an einer werbewirksamen BGF aber durchaus nutzen: Wie glaubwürdig betriebliche Gesundheitsförderung ist, kann mit einer einfachen Frage an Unternehmen, die mit ihrer BGF werben, überprüft werden: “Ist der Einbezug psychische wirksamer Belastungen in arbeitsschutzrechtlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen bei Ihnen mit einer Betriebsvereinbarung geregelt worden?”
Für Betriebsräte nutzbar ist zum Beispiel auch der Qualitätsfragebogen zum betrieblichen Gesundheitsmanagememt (PDF, 189 KB). Fragen 3b und 3c:

Basieren die Maßnahmen zur BGF auf einer sorgfältigen und regelmäßig aktualisierten Ist-Analyse, die sich auf wichtige gesundheitsrelevante Informationen stützt: Arbeitsbelastungen, Gesundheitsindikatoren, subjektiv wahrgenommene Beschwerden, Risikofaktoren, Unfallgeschehen, Berufskrankheiten, krankheitsbedingte Fehlzeiten, Erwartungen aller betrieblichen Akteure, insbesondere der Beschäftigten? Sind alle Mitarbeiter durch geeignete Mittel der internen Öffentlichkeitsarbeit über die Vorhaben im Bereich BGF informiert?

Das geht ein bisschen in Richtung Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung. Arbeitgeber werden diesen Fragebogen zur Selbstbewertung der Qualität der BGF akzeptieren. Damit ist schon einmal ein Mindeststandard gesetzt. Um mit dem Fragebogen umgehen zu können, müssen Betriebsräte allerdings auch wissen, was ihm noch fehlt.
Wenn Arbeitsschutz ein Teil des BGM und/oder der BGF ist, dann ist der Arbeitsschutz zunächst die Pflicht. Der Rest ist Kür. Die Aufgabe der Betriebsräte wird sein, dafür zu sorgen, dass die Pflicht erledigt ist, bevor der Arbeitgeber zur werbewirksamen Kür schreitet.
 
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2011/05/13/unerhoert/ (2011-05-13)

Politik der unterbesetzten Aufsichtsbehörden

Aus der Südeutschen Zeitung von heute:

Laxe Steuerprüfung —Millionäre bevorzugt
Was für ein Leben: viel Geld verdienen, eine Villa am See besitzen – und die Gewissheit haben, dass das Finanzamt nur selten vorbeikommt. Nach Ansicht der Grünen reduzieren viele Bundesländer absichtlich die Zahl der Steuerprüfungen. Von C. Hulverscheidt

Finanzamt – Wenn der Steuerprüfer gar nicht klingelt
Steuererklärung – Steuerschummeln? Darauf achten Finanzbeamte

Bei der Gewerbeaufsicht sieht es nicht besser aus, als bei der Steuerprüfung. Dass seit 15 Jahren mehr als 80% der Unternehmen immer noch Gefährdungsbeurteilungen ohne Einbezug psychisch wirksamer Belastungen anfertigen dürfen, kann kein Zufall mehr sein. Auf einer Tagung meinte einmal eine Psychologin (die für eine Organisation im Bereich der Arbeitssicherheit Unternehmen beobachtet) zu mir, dass sie erst tätig werden dürfe, “wenn in einem Unternehmen Zustände herrschen wie bei France Télécom“. Fachkräfte, die direkt Aufdicht ausüben, möchten ihre Arbeit durchaus tun. Aber ist ihnen das auch politisch erlaubt?
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2010/11/22/mentale-belastung-am-arbeitsplatz/

Der erweiterte Bürokratiebegriff

Bericht der Kommission Mitbestimmung der Wirtschaftsverbände BDA und BDI (2004):

Mitbestimmung modernisieren
8. Teil: Betriebsverfassung entbürokratisieren

Die Mitbestimmung im Rahmen des Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) entwickelt sich in der Rechtsprechung zu einer gefährlichen Generalklausel. Die Konkretisierung von Arbeitsschutzvorgaben ist nicht Sache des Betriebsrats. Sie ist Aufgabe der Berufsgenossenschaft, die hierfür auch arbeitstechnisch und -medizinisch qualifiziert ist. Der Betriebsrat kann die Interessen der Belegschaft schon jetzt durch seinen Kontakt zur Berufsgenossenschaft (§ 89 BetrVG) wahren. Mehrfache Bürokratie ist nicht sinnvoll und kann zu sachwidrigen Koppelungsgeschäfte führen.

Der BDI und die BDA leisten sich hier bei der Benutzung des Begriffes “Bürokratie” anscheinend eine recht große künstlerische Freiheit. In ihrer Welt schließt dieser Begriff anscheinend die mitbestimmte Ausgestaltung des Arbeitsschutzes mit ein. Aber wie bereits erläutert, bedeutet Entbürokratisierung beim Arbeitsschutz, dass früher vom Staat vorgenommene Regelungen jetzt in den Betrieben vorgenommen werden müssen. Sicherlich führt die Gestaltung betriebsnaher Regelungen zu Arbeitsaufwand. Die zur Erhaltung einer Zivilgesellschaft notwendige Arbeit bekommt man nicht umsonst. Die Gerichte haben erkannt, dass betriebsnahe Regelungen etwa gleich starke Verhandlungspartner auf der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite benötigen. Darum schützen sie die Mitbestimmung.
BDI und BDA haben das Arbeitsschutzgesetz nicht verstanden, wenn sie den Eindruck entstehen lassen, dass nach Auffassung der Gerichte die Konkretisierung von Arbeitsschutzvorgaben Sache des Betriebsrats sei. Es ist keineswegs die Auffassung der Gerichte, dass die Konkretisierung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes mit Einbezug psychisch wirksamer Belastungen Sache der Betriebsräte sei. Die BDI und BDA bellen hier am falschen Baum. Für die Konkretisierung tragen immer noch die Arbeitgeber die Verantwortung. Die Betriebsrate passen darauf auf, dass die Arbeitgeber Schutzgesetze beachten. Diese Arbeit wird ihnen von den Betriebsräten nicht abgenommen. Aber wenn die Arbeitgeber ihre Pflichten missachten, dann helfen ihnen logischerweise die Arbeitnehmer (Betriebsräte oder Personalräte) mit konkreten und konstruktiven Vorschlägen ein bisschen weiter, denn Politiker sorgen dafür, dass die Berufsgenossenschaften schon für ihre Aufsichtspflicht nicht genügend Ressourcen haben. Dass sich der BDI und die BDA dann auch noch über die Hilfe der Betriebsräte beschweren, ist doch etwas zu undankbar.
Siehe auch. http://blog.psybel.de/betriebsverfassungsgesetz/

Leiharbeiter

http://www.iab.de/

Leiharbeiter und befristet Beschäftigte fühlen sich weniger in die Gesellschaft integriert als Festangestellte. Arbeitslose empfinden sich aber noch häufiger als ausgeschlossen. 
IAB-Kurzbericht 4/2011
Presseinformation
IAB-Infoplattform: Armut, Arbeitsmarktintegration und gesellschaftliche Teilhabe

Im Bereich des Arbeitsschutzes tragen Betriebsräte auch für die in ihrem Betrieb arbeitenden Leiharbeiter und “Consultants” Verantwortung.

Widerstand gegen mitbestimmten Arbeitsschutz

Es ist wichtig, die Position der Arbeitgeber zum Einbezug der psychisch wirksamen Belastungen in den Arbeitsschutz zu kennen und ihren Widerstand gegen die Mitbestimmung im Arbeitsschutz zu verstehen. Es scheint inzwischen so zu sein, dass dieser Widerstand vieler (nicht aller!) Unternehmen gegen den auf Arbeitsbedingungen fokussierenden Arbeitsschutz insbesondere in vier Formen auftritt:

  1. “Entbürokratisierung”.
  2. Strukturelle Verantwortungslosigkeit: Verlagerung von Verantwortung (und Haftungsrisiken) in die untersten Führungsebenen, ohne diese jedoch mitbestimmt mit geeigneten Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten auszustatten.
  3. Mißachtung von Vorschriften oder Verschleppung ihrer Umsetzung: Souveräne (weil offene und die Zurückhaltung der Aufsichtsbehörden nutzende) Mißachtung wichtiger Aufgaben des Arbeitsschutzes z.B. durch beharrliche Verschleppung des Einbezugs psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz. Konkret wehren sich viele Unternehmen insbesondere gegen den mitbestimmten Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung und in die vorgeschriebene Unterweisung der Mitarbeiter.
  4. Verkehrte Prioritäten im Gesundheitsmanagement: Versuch, über “betriebliches Gesundheitsmanagement” (BGM) und intensive “Kommunikation” der Unternehmer und ihrer Verbände (an Belegschaften, an Politiker, an die Öffentlichkeit und an sich selbst), den Fokus des Arbeitsschutzes von der Verhältnisprävention umzulenken auf die als fürsorglich und freiwillig darstellbare Verhaltensprävention mit Betonung der “Eigenverantwortung” der Mitarbeiter. In ihre Strategie des Agenda Setting konnten die Unternehmer auch das Bundesgesundheitsministerium unter Philip Rösler (FDP) erfolgreich mit einbinden.

Mit diesen Ansätzen kann einerseits versucht werden, unerwünschte Bestimmungen des Arbeitsschutzes zu umgehen und die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu schwächen, andererseits kann ein Unternehmen mit einem werbewirksam gestalteten betrieblichen Gesundheitsmanagement behaupten, es ginge damit über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus. Mit diesem Trick nehmen Unternehmen auch an Wettbewerben teil, womit sie Engagement zeigen können ohne jedoch psychische Belastungen ausreichend mitbestimmt in den Arbeitsschutz einbeziehen zu müssen. Die Kür überdeckt die Pflicht.
Wettbewerbe und Selbstdarstellung
Die werbewirksame Teilnahme an Wettbewerben zur Ablenkung vor den ungeliebten Pflichten des Arbeitsschutzes ist natürlich auch für die Anbieter solcher Wettbewerbe ein Problem. Wie gehen sie damit um? Einerseits sollen sich Unternehmen einer bewertung durch Wettbewerbsanbieter unterwerfen. Andererseits sind sie auch zahlende Kunden dieser Wettbewerbsanbieter.
Ein positives Beispiel für einen der eher verantwortungsvolleren Anbieter von Wettbewerben im Gesundheitsmanagement ist Great Place to Work® Deutschland (GPTW). Dieses Unternehmen bezieht Betriebsräte ein und fördert mit einem “Sonderpreis Gesundheit” den mitbestimmten Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung. Achten Sie also darauf, ob ein Unternehmen versucht, diesen Sonderepreis zu bekommen, denn im “Kulturaudit” von GPTW können Unternehmen selbst dann gute Noten bekommen, wenn sie die Regeln des Arbeitsschutzes missachten.
Am Standard-Ranking von GPTW dürfen jedoch meines Wissens nach auch solche Unternehmen teilnehmen, die sich über das Recht stellen und psychisch wirksame Belastungen weder in die Gefährdungsbeurteilung noch in die Unterweisung mitbestimmt einbeziehen. Wenn GPTW glaubwürdig bleiben will, sollten diese Arbeitgeber nur dann an dem GPTW-Ranking teilnehmen dürfen, wenn es eine Betriebsvereinbarung gibt, die den Weg zur Einhaltung der Arbeitsschutz-Vorschriften messbar regelt. Solange Arbeitgeber es entgegen den Vorschriften vermeiden können, Mitarbeiter ordentlich über die Bedeutung der Verhältnisprävention und ihre Priorität im Arbeitsschutz zu unterrichten, haben Mitarbeiterbefragungen im GPTW-Stil nur eine beschränkte Aussagekraft.
Die mir bekannten jüngsten Veranstaltungen zum Gesundheitsmanagement fallen hinter Anbieter von Wettbewerben zurück: In Tagungen zum Gesundheitsmanagement stellen sich Unternehmen werbewirksam dar. Die Mitbestimmung durch Arbeitnehmer, deren Vertretungen die eigentlichen Treiber dieser Thematik sind, wird entsprechend der Zielsetzung der Wirtschaftsverbände marginalisiert, nun auch mit Hilfe des Gesundheitsministers.

Strukturelle Verantwortungslosigkeit

Ob es sich um leichtfertig angehäufte Schulden, um den schonenden Umgang mit vergänglichen Ressourcen, um die Bekämpfung der Armut auf unserem Planeten, um die Entwicklung zukunftsträchtiger Technologien oder um den Klimawandel handelt: Mit einer wirklichen Bildung, die die fatale strukturelle Verantwortungslosigkeit des ökonomistisch reduzierten Horizonts überwindet, haben wir die Chance, die Zukunft gemeinsam zu gewinnen.

Gesine Schwan, 2008-12-07
Die Diskussion in zur Plagiatsaffäre (zu Guttenberg) zeigt, das z.B. wissenschaftliche Bildung für Politiker nicht wirklich interessant ist.

Entbürokratisierung

Zu oft ist “Entbürokratisierung” nur die Verlagerung von Regelungsarbeit (Verhandlungen usw.) aus einem Bereich (z.B. Gesetzgebung) in einen anderen Bereich (z.B. Erarbeiten von Betriebsvereinbarungen). Sind die Betroffenen dort auf die Arbeit (Ressourcen, Wissen, Budgets usw.) vorbereitet, die zu ihnen verschoben wurde?
Sowohl Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern erscheint im Bereich beispielsweise der Analyse von Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) immer noch Vieles unklar. Stehen beide Parteien noch am Anfang, dann fällt beiden beim Ansprechen psychischer Belastung zunächst oft nichts Besseres ein, als auf mögliche “Probleme” individuell Betroffener und auf vom Arbeitgeber nicht beeinflussbare Faktoren hinzuweisen. Für Betriebsräte ist das Thema sehr gewöhnungsbedürftig, insbesondere wenn es um ihre eigene Belastungen geht. Und überforderte Arbeitgeber setzen ihre Mitarbeiter, die Fehlbelastungsmeldungen an ihre Sicherheitsfachkraft abzugeben wagen, unter noch weiteren Druck, wenn sie mit der Forderung nach einer psychische Belastung einbeziehenden Gefährdungsbeurteilung nicht umgehen können oder wollen. Darum müssen Betriebsräte (wo es sie gibt) schnell Kompetenz erwerben, damit sie einzelne Mitarbeiter beim Einreichen von Fehlbelastungsmeldungen unterstützen können.
Ein Grund für die sich aus dem großen betrieblichen Ausgestaltungsbedarf der Arbeitsschutzvorschriften ergebenden Herausforderungen ist das Konzept der europäischen Arbeitsschutzes: Vorgeschrieben ist mit dem Ziel der Entbürokratisierung wegen der Unterschiede der innerbetrieblichen Situationen nur ein Rahmen, innerhalb dessen in Unternehmen ihren betrieblichen Anforderungen gemäße Umsetzungen des Arbeitsschutzes vereinbart werden müssen. Das bedeutet aber nicht, dass Arbeitgeber und Laienpsychologen hier einen beliebigen Freiraum zur Umsetzung ihrer persönlichen Vorstellungen haben, sondern es gilt die Mitbestimmung, und für die Umsetzung sind qualifizierte Fachkräfte vorgeschrieben, deren Auswahl und Einsatz ebenfalls mitbestimmt zu regeln ist.
Daraus ergibt sich für die Betriebsräte und Personalvertretungen eine sehr umfassende Aufgabe, denn der Gestaltungsspielraum, den das Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber gibt, muss mit einer auf den Betrieb abgestimmten Definition und Implementierung von Prozessen ausgefüllt werden. Das führt zu einer Pflicht (BAG, 2004-06-08: Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03) zur Mitbestimmung. Dabei müssen aber keine Grundlagen mehr erarbeit werden, denn es stehen schon seit einiger Zeit gute Prozesse und Werkzeuge zur Verfügung, mit denen Unternehmensleitungen und Arbeitnehmervertreter zügig ihren arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen entsprechen können.
Hier zeigen sich, wie (für wen und für wen nicht) die Entbürokratisierung in der Gesetzgebung funktioniert. So wie es derzeit aussieht, funktioniert sie für jene, die den Arbeitsschutz für eine Belästigung der Wirtschaft halten: Nach fast 15 Jahren kann die große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland es sich immer noch leisten, wichtige Regelungsvorgaben des Arbeitsschutzgesetzes zu missachten. Was hindert uns daran, diese Missachtung des Arbeitsschutzes durch viele Unternehmen als Anarchie zu bezeichnen?