Arbeiten wie verrückt?!

KMU = Kleine und mittlere Unternehmen
http://www.bghw.de/aktuelles/nachrichten/vortragsfolien-zur-tagung-arbeiten-wie-verrueckt

Vortragsfolien zur Tagung “Arbeiten wie verrückt?!”
Downloadangebot des Deutschen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF)
Am 24. und 25. Januar 2011 fand die 4. Tagung des Forums KMU im Deutschen Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF) im Ausbildungszentrum der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe BGN in Mannheim statt. Das Motto lautete “Arbeiten wie verrückt?!”
Die Teilnehmer der Veranstaltung erfuhren nicht nur, warum Stress und andere psychische Belastungen auch für Klein- und Kleinstunternehmen ein Thema sind und wie man das Thema den Betrieben näher bringen kann. Sie erfuhren auch, dass es zu einfach wäre, die steigenden Erkrankungszahlen durch die Überforderung Einzelner oder durch bestimmte Arbeitsbedingungen zu erklären. …

Kleine Anmerkung: Es muss nicht immer wieder gepredigt werden, dass die steigenden Erkrankungszahlen nicht nur durch bestimmte Arbeitsbedingungen erklärt werden können. Kein Profi im Gesundheitsschutz behauptet das. Aber dieser Bereich wurde mehr vernachlässigt, als die beiden anderen Ebenen des Dreiebenenmodells. Darum konzentriert sich der Arbeitsschutz auf die Arbeitsbedingungen. Dass es noch andere Ebenen gibt, rechtfertigt die Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften nicht.

2010: Ganzheitlicher Arbeitsschutz nur bei 16% der Betriebe

Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL, 2007-09 – 2010-04) sehen immer noch so aus:

  1. Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
  2. Geringe Handlungskompetenz: Weder bei betrieblichen noch bei überbetrieblichen Arbeitsschutzakteuren ist in der Breite eine ausreichende Kompetenz zum Umgang mit dem Thema “Psychische Belastungen” vorhanden.
  3. Schwierige Kooperation: Von Betriebsrat, Arbeitgeber und betrieblichen Arbeitsschutzakteuren bei der GB zu psychischen Belastungen bzw. unzureichende Abstimmung der Akteure untereinander.

(Siehe dazu auch http://www.arbeitstattstress.de/2011/01/inwieweit-werden-psychische-gefaehrdungen-in-den-betrieben-beurteilt/.)
Die einzige Krankheitskategorie, in der von den Versicherungen eine Zunahme von Fehlzeiten am Arbeitsplatz beobachtet wird, ist die Kategorie der psychischen Erkrankungen. Aber ausgerechnet in diesem Bereich werden in Deutschland die Arbeitsschutzvorschriften nicht durchgesetzt:

Obwohl die Betriebe seit 1996 durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, körperliche wie auch psychische Arbeitsbelastung am Arbeitsplatz im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln und sie so gering wie möglich zu halten, ist dies in vielen Betrieben immer noch nicht umgesetzt. Vor allem werden psychische Arbeitsbelastungen dabei nach wie vor kaum berücksichtigt.
(inqa.de, BAuA: Unterweisung, 2006, S. 8)

Aus der Betriebsrätebefragung 2008/06 des WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung) ergibt sich:

Psychische Gefährdungen werden kaum berücksichtigt
Trotzdem steht es um die Gefährdungsbeurteilung und insbesondere um die Berücksichtigung der psychischen Belastungen in den Betrieben nicht gut, wie die WSI- Betriebsrätebefragung 2008/09 ebenfalls zeigt:

  • Gefährdungsbeurteilungen nach dem Arbeitsschutzgesetz werden nur von einer Minderheit der Betriebe (46%) durchgeführt.
  • Aus dieser Teilgruppe berücksichtigen nur 29% der Betriebe auch psychische Belastungen.
  • Also haben nur 16% aller befragten Betriebe in ihren Gefährdungsbeurteilungen auch psychische Arbeitsbelastungen berücksichtigt.

Die entsprechenden Vorschriften des Arbeitsschutzes gibt es seit 1996. Gestärkt wurden sie in den Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03 des Bundesarbeitsgerichtes zur Mitbestimmung aus dem Jahr 2004.

Unterweisung an Mitarbeiter und Führungskräfte

Chr. Eggerdinger, M. Giesert, hg. V. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), INQA Bericht Nr. 7, Unterweisung: Führen, Beteiligen, Erkennen und Vermindern von psychischen Belastungen, Düsseldorf 2004
Kurzbeschreibung (Quelle: INQA, Januar 2011):

Handlungshilfe “Unterweisung”
Regelmäßige und umfassende Unterweisungen sind die Grundlage für einen modernen Arbeitsschutz im Betrieb und damit gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für eine gute Produktivität und Qualität der Arbeit im Unternehmen sowie für gesundheitsgerechtes und sicheres Arbeiten der Belegschaft.
Der INQA-Bericht Nr. 7 “Unterweisung: Führen, Beteiligen, Erkennen und Vermindern von psychischen Belastungen” gibt die Vorgehensweise, die Ergebnisse und Erfahrungen wieder, die im Rahmen eines praxisbezogenen INQA-Projektes gemacht wurden.
Als Arbeitsergebnis in diesem Projekt ist eine Handlungshilfe entstanden,

  • die Vorgesetzten helfen soll, Unterweisungen zu einem effektiven Instrument der Führung für Arbeitssicherheit und Gesundheit zu machen,
  • die Betriebsleitungen helfen kann, das Unterweisungswesen an die gesetzlichen Vorgaben anzupassen und entsprechend zu reorganisieren,
  • die anregen soll, das Unterweisungsgespräch nicht mehr als eine lästige, formale Pflichterfüllung zu betrachten, sondern als wirksames Instrument der Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern,
  • die ermöglicht, die Beschäftigten mit einzubeziehen und damit Voraussetzungen schafft, den kontinuierlichen Prozess der Gefährdungsbeurteilung zu gestalten.

Damit richtet sich diese Borschüre in erster Linie an:

  • Geschäfts- und Betriebsleitungen,
  • Führungskräfte,
  • Sicherheitsfachkräfte,
  • Betriebsärzte und
  • betriebliche Interessensvertretungen (Betriebs- und Personalräte).

Diese Handlungshilfe ist sehr praktisch: Sie zeigt nicht nur, wie Unterweisungen aussehen müssen, die über reine Pflichtübungen hinausgehen. Sondern man bekommt auch gleich einen Überblick über den Lernstoff und die Lernziele.
(In das gleiche Horn stößt http://www.arbeitstattstress.de/2011/01/psychische-belastungen-richtig-unterweisen/.)
Übrigens, das Unterweisungswesen über körperliche und psychische Belastungen unterliegt der Mitbestimmungspflicht. Schon die ungenügende Unterweisung und Qualifikation von Führungskräften und Mitarbeitern ist eine Gefährdung. Besteht eine solche Gefährdung, so muss sie in der Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden. Noch zwei Zitate aus der Handlungshilfe:

  • „Die Gefährdungsbeurteilung ist gemäß §5 Arbeitsschutzgesetz durchzuführen. … Als Gefährdung ist dabei mit einzubeziehen, wie gut die Qualifikation und die Unterweisung der Beschäftigten ist und wie gut das Unterweisungswesen im Betrieb funktioniert. Es kommt darauf an, die Abläufe und die Organisation der Unterweisung sowie die gelebte Praxis zu untersuchen.“
  • „Die Unterweisung muss ausreichend und umfassend sein, d.h. die Beschäftigten müssen danach in der Lage sein, Gefährdungen zu erkennen, d.h. körperliche und psychische, um dann entsprechend zu handeln.“

Vor der Unterweisung kommt allerdings erst die Gefährdungsbeurteilung. Wenn es noch keine Gefährdungsbeurteilungen (auch mit Einbezug psychischer Belastungen) gibt, dann muss das eben das Fehlen einer ausreichend vollständigen Gefährdungsbeurteilung in einer ersten Gefährdungsbeurteilung (ggf. für einen bisher nicht beurteilten Gefährdungsbereich) beschrieben werden, denn ein mangelhafter Arbeitsschutz gefährdet die Mitarbeiter. Diese Gefährdungsbeurteilung liefert dann Grundlagen, auf denen ein Unterweisungswesen aufbauen und somit eine Verbesserung der Prozesse zur Gefährdungsbeurteilung fördern kann.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/ohne-wissen-keine-verantwortung/

Ohne Beurteilung keine Verbesserung

Informationen zur Gefährdungsbeurteilung
http://www.ergo-online.de/html/gefaehrdungsbeurteilung/grundlagen_und_anforderungen/beurteilung_der_arbeitsbeding.htm

Übersicht

  • Die Gefährdungsbeurteilung ist Aufgabe des Arbeitgebers.
  • Er ist für die Durchführung verantwortlich.
  • Die Ergebnisse sind Grundlage der betrieblichen Arbeitsschutzaktivitäten.
  • Gegenüber Behörden und der Unfallversicherung sind sie nachzuweisen.
  • Die Wirksamkeit der getroffenen Verbesserungsmaßnahmen gilt es regelmäßig zu prüfen.
  • Alle möglichen Gefährdungen körperlicher und psychischer Art sind zu berücksichtigen.
  • Dazu ist die Arbeitsstätte, der Arbeitsplatz, Arbeitsmittel und Arbeitsumgebung zu beurteilen.
  • Ebenso müssen Arbeitsabläufe, Arbeitsverfahren, Arbeitszeit und Qualifikation hinsichtlich möglicher Gefährdungen analysiert werden.
  • Beschäftigte haben das Recht, über die Ergebnisse informiert zu werden.
  • Beratung erhält der Arbeitgeber durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte.
  • Der Gesetzgeber schreibt kein Verfahren vor.

Ohne Beurteilung keine Verbesserung

Sind die Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz nicht bekannt, kann sich auch niemand davor schützen. Eine der grundlegenden Aufgaben des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es, die Arbeitsbedingungen zu beurteilen, d.h. mögliche Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten festzustellen. Ermittelte Gefahren können durch Verbesserungsmaßnahmen abgestellt oder gemindert werden.