Gefürchtete Komplexität

http://www.camelot-mc.com/de/presse/pressemitteilungen/pressearchiv-2012/studie-mastering-complexity-die-meisten-europaeischen-unternehmen-fuerchten-angesichts-wachsender-komplexitaet-die-kontrolle-zu-verlieren/

Studie „Mastering Complexity“: Die meisten europäischen Unternehmen fürchten, angesichts wachsender Komplexität die Kontrolle zu verlieren

  • Umfrage unter mehr als 150 Top-Managern zum Thema Komplexitäts-Management
  • 83 % der Teilnehmer geben an, der Grad an Komplexität in ihrem Unternehmen sei zu hoch – 76 % glauben, er werde weiter steigen
  • Besonders hohes Problembewusstsein in der Konsumgüterindustrie (96 %), Manager der chemischen Industrie rechnen mit dem stärksten Anstieg (82 %)
  • Wenige Unternehmen verfügen über entsprechende Prozesse und Instrumente zur systematischen Unterstützung von Komplexitätsmanagement

… Im Hinblick auf Transparenz geben nur 6 % der Teilnehmer an, Komplexitätskosten zu ermitteln und nach Geschäftskategorien oder Produktstufen zu differenzieren. „Noch erstaunlicher ist, dass nur 3 % der Befragten diese Zahlen auf Kundenebene ermitteln“, sagt Kotlik. Ebenso beängstigend ist der Umstand, dass – obwohl die meisten Unternehmen (81 %) bereits Erfahrungen mit Projekten zum Abbau von Komplexität gesammelt haben – sich nur halb so viele gut genug gerüstet fühlen, um das sich abzeichnende steigendende Maß an Komplexität zu meistern.

Sein Sie doch bitte einfach blöd

Komplexitätsreduktion ist oft nur Verlagerung von Komplexität irgendwohin, wo man’s nicht so gut sieht. Eine ganz einfache Methode, Komplexität elegant loszuwerden, ist ihre Verlagerung zu Arbeitnehmern und zu Kunden. Die merken dann nicht gleich, wieso ihr Leben komplizierter wird.
Darum sollte eigentlich Freude aufkommen, wenn beispielsweise E.ON seinen Kunden das Privatleben einfachen machen will. Das Arbeitsleben ist ja kompliziert genug. Ehe jetzt Rührung aufkommt: E.ON vereinfacht nicht das Kleingedruckte und sonstige Feinheiten, sondern das Unternehmen versucht, sich einfachere Kunden zu formen. In http://www.youtube.com/ewieeinfach sieht das dann so aus:

Es steckt in unserem Namen, unserem Claim, in jedem Satz – einfach überall: das Wörtchen EINFACH. Doch für uns ist es soviel mehr als nur ein Wort. Für uns ist EINFACH eine positive Lebenseinstellung. EINFACH zeigt: alles ist möglich, wenn man einfach mal macht.
Diese Haltung ist der Kern unserer neuen Kampagne. Sechs kurze Spots und ein großer Film zeigen: Liebe. Aufräumen. Widerstand. Gut drauf sein. Überleben. Einschlafen.
Alles. Ist doch ganz einfach!
Aber wir sprechen nicht nur über EINFACH, wir sind einfach! Unsere Produkte unterscheiden wir ganz einfach nach Strom, Gas und Öko-Strom. Und auch der Wechsel zu E WIE EINFACH ist ganz einfach.

Da läuft jetzt eine Fernsehkampagne der E WIE EINFACH Strom & Gas GmbH, einer 100%igen Tochter von E.ON. Den Leuten von E.ON geht es einfach darum, Strom & Gas zu verkaufen. Darum sprechen sie in Ihrer Werbung von allem Möglichen, nur nicht von Strom & Gas. Sonst wär es für die umworbenen Menschen (also auch für Sie) zu einfach, Lunte zu riechen.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Werber zu verstehen suchten, wie Sie als möglicher Kunde ticken. Jetzt stellen sie das Ticken der Kunden so ein, wie es für den Verkauf gebgraucht wird. Ihr freier Wille wäre doch sonst ganz nutzlos.
Ganz ignorieren kann die E.ON-Tochter den Zeitgeist allerdings nicht. Also geben sie ihm mit ein bisschen NLP noch Zucker. Und damit bei Ihnen kein unkontrollierter Widerstand wächst, besetzt E.ON jeden bei Ihnen aufkommenden Gedanken an Widerstand vorsichtshalber gleich selbst. http://www.e-wie-einfach.de kann man einfach nicht widerstehen. Der Lernstoff noch einmal in Listendarstellung:

  • Liebe.
  • Aufräumen.
  • Widerstand.
  • Gut drauf sein.
  • Überleben.
  • Einsschlafen.

Das ist doch ganz einfach. Nun wissen wir, was wichtig ist. (Bitte halten Sie sich an die Reihenfolge.)
Lesetipp: Markus Metz, Georg Seeßlen, Blödmaschinen, 2011

Unternehmen Wahnsinn

Theresia Volk (www.relevant-sets.de): Unternehmen Wahnsinn, 2011, ISBN 978-3-466-30906-1
Klappentext:

Der Büro- oder auch Organisations-Mensch erlebt sich heute oft als wirkungslos, als Gefangener eines undurchschaubaren Systems. Er will in seinen Unternehmen und Projekten gut, gerne und engagiert arbeiten, kommt aber nicht (oder: immer weniger) dazu. Er hat sich in einer Parallelwelt zwischen professioneller Unterforderung und struktureller Überforderung zwar eingerichtet. Aber er spürt den Wahnsinn dieser Welt. Die Management- und Organisationsberaterin Theresia Volk analysiert diese ganz ungute Situation. Sie präsentiert keine Sündenböcke, keine einfachen Rezepte, keine ultimative Auflösung der menschlich-organisationalen Misere. Vielmehr zeigt sie Öffnungen und neue Kontexte, die dem organisationalen Wahnsinn den Sinn – das Zusammenhängende – abringen. Es werden Symptome des Wahnsinns (wie Hysterisierung und Selbsterregung) beleuchtet, es wird präzise diagnostiziert, warum es z.B. keine Krise der Führung, sondern eine der Zugehörigkeit gibt; und wie weit die soziale Verwahrlosung bei sogenannten Top-Leuten wirklich geht. Schließlich werden Vordenker wie Francois Jullien und konsequente Kreative wie Lars von Trier als Therapeuten und Ermutiger präsentiert. Eine hochaktuelle Organisations- und Gesellschaftskritik, die trotz einiger ironischer Zuspitzungen absolut ernst genommen werden will. Eine Anregung zum nicht-trivialen Weiterdenken.

Überlastung mit Komplexität

Der offizielle Machtkreislauf beruht auf rechtlich geregelter Kompetenz und kann sich daher im Konfliktfalle durchsetzen.
Der Gegenkreislauf beruht auf Überlastung mit Komplexität und kann sich daher im Normalfall durchsetzen.

Niklas Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, 1981

Privatisierung der Folgen von zu hohem Arbeitsdruck

Ein Interview und ein Artikel von Nicola Holzapfel in der Süddeutschen Zeitung
 
http://www.sueddeutsche.de/karriere/kampf-dem-stress-arbeitgeber-denken-nicht-langfristig-1.571022, 2007-07-17, Interview mit Nick Kratzer:

… Natürlich gibt es Arbeitgeber, die Vitamin-Bars einrichten oder Nordic-Walking-Kurse anbieten. Aber das ist eine Privatisierung der Folgen von zu hohem Arbeitsdruck. Da wird dem Beschäftigten die Verantwortung für den Umgang mit Stress wieder zurückgespielt. …

 
http://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeitszeit-wenn-der-job-am-leben-frisst-1.499239, 2005-02-27:

Früher anfangen, später gehen: Über den unausgesprochenen Zwang, freiwillig mehr zu arbeiten.

 
Eine wirkliche Verringerung von Kompexität ist oft nur möglich, wenn man einen Teil von ihr irgendwoandershin verschieben kann. Beispielsweise verlagern Banken ihren Schalterdienst in die Computer ihrer Kunden. Und Unternehmen können Verwaltungsaufgeben zu ihren Mitarbeitern verschieben, weil sich das nicht so gut messen lässt, wie Mehrarbeit oder eine Gehaltsminderung. Gefährdungsbeurteilungen mit Einbezug psychischer Belastungen verbessern diese Messbarkeit ein wenig. Könnte das ein Grund sein, dass sich Arbeitgeber gegen sie wehren?

Leadership

Hier geht es auch um Komplexitätsreduktion.

Fit the Second
THE BELLMAN’S SPEECH
089    The Bellman himself they all praised to the skies–
090        Such a carriage, such ease and such grace!
091    Such solemnity, too! One could see he was wise,
092        The moment one looked in his face!
093    He had bought a large map representing the sea,
094        Without the least vestige of land:
095    And the crew were much pleased when they found it to be
096        A map they could all understand.
Ocean Chart
http://www.flickr.com/photos/bonnetmaker/4664556942/

097    “What’s the good of Mercator’s North Poles and Equators,
098        Tropics, Zones, and Meridian Lines?”
099    So the Bellman would cry: and the crew would reply
100        “They are merely conventional signs!
101    “Other maps are such shapes, with their islands and capes!
102        But we’ve got our brave Captain to thank:
103    (So the crew would protest) “that he’s bought us the best–
104        A perfect and absolute blank!”
105    This was charming, no doubt; but they shortly found out
106        That the Captain they trusted so well
107    Had only one notion for crossing the ocean,
108        And that was to tingle his bell.
109    He was thoughtful and grave–but the orders he gave
110        Were enough to bewilder a crew.
111    When he cried “Steer to starboard, but keep her headlarboard!”
112        What on earth was the helmsman to do?
113    Then the bowsprit got mixed with the rudder sometimes:
114        A thing, as the Bellman remarked,
115    That frequently happens in tropical climes,
116        When a vessel is, so to speak, “snarked.”
117    But the principal failing occurred in the sailing,
118        And the Bellman, perplexed and distressed,
119    Said he had hoped, at least, when the wind blew due East,
120        That the ship would not travel due West!
[…]

aus: Lewis Carroll und Henry Holiday: The Hunting of the Snark, 1876
 

Komplexe Abhängigkeiten machen psychisch krank

http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/komplexe-abh.html (2010-03-23):

23. März 2010
Komplexe Abhängigkeiten machen psychisch krank
BPtK-Studie zu psychischen Belastungen in der modernen Arbeitswelt

Metaanalysen belegen, dass Erwerbstätige bei der Kombination aus hohen Anforderungen (z. B. Zeitdruck, Komplexität der Aufgaben, Verantwortung) und geringem Einfluss auf den Arbeitsprozess überdurchschnittlich häufig psychische Erkrankungen entwickeln. Weitere Studien zeigen eine Häufung psychosomatischer Beschwerden, wenn ein gravierendes Ungleichgewicht zwischen Einsatz im Beruf (“Verausgabung”) und Entlohnung sowie Anerkennung (z. B. Gehalt, Wertschätzung der Person, Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit) besteht. Neueste Studien weisen nach, dass eine hohe Arbeitsintensität (Zeitdruck, Störung des Arbeitsablaufs und wenig Möglichkeiten, Aufgaben an andere zu delegieren) das Risiko erhöht, an einer Depression zu erkranken.

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen


erschöpfende Belastung

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen
(2008)
Quelle der folgenden Einführung: Tom Levold, systemmagazin.de, 2009-05-20

Eine Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz hat im Auftrag der DGSv ausgewählte SupervisorInnen nach ihren Einschätzungen gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Organisation befragt. SupervisorInnen werden als “kritische Zeitzeugen” angesehen, die einen berufsspezifischen privilegierten Zugang zu den “Hinterbühnen” von Organisationen haben und daher besser als viele Außenstehende organisationale Wirklichkeiten beurteilen können. Die 8-seitige Dokumentation dieser Befragung ist für 5,- € bei der kassel university press erhältlich, kann aber auch im Internet kostenlos als PDF geladen werden.
Das Fazit der Befragung: »Die befragten Supervisor/innen sind sich darin einig, dass sich zunehmend mehr Beschäftigte einer beschleunigten Dynamisierung und Ausdünnung von Orientierung gebenden Strukturen ausgesetzt erleben. Was den Beschäftigten als “Freiheit” versprochen wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als höchst ambivalente Selbstverantwortlichkeit.
Bei allen Unterschieden im Einzelnen entwerfen die Supervisor/innen doch ein bemerkenswert ähnliches Bild einer tief greifenden Krise: Sie stellen vor allem heraus, dass der Druck sachlich, vor allem aber ökonomisch ununterbrochen hoch effizient sein zu müssen, weithin erheblich zunimmt und die psychophysischen Kräfte vieler Beschäftigter verschleißt. Insbesondere ist es die Anforderung, kontinuierlich innovativ sein zu müssen, die schnell überfordert.
Unter diesen Bedingungen entstehen nur selten nachhaltige Problemlösungen. Oft sind im Gegenteil die Qualität und Professionalität der Arbeit gefährdet, was sich nicht wenige Beschäftigte als eigenes Versagen zuschreiben. Auffällig ist, dass angesichts des ständigen Wandels ein drängender Bedarf nach verantwortlicher und unterstützender Führung besteht, betriebliche Vorgesetzte sich dem aber oft nicht gewachsen zeigen. Sie verstehen sich primär als hart drängende Change-Agents, die den auf sie einwirkenden ökonomischen Druck nach unten weitergeben und ihre Mitarbeiter/innen mit den Folgen weitgehend allein lassen.
Dass unter all dem Kollegialität leidet und die Einzelnen in ganz neuer Quantität und Qualität ihre Arbeit als erschöpfende Belastung erleben, wundert daher nicht. Die Beschäftigten stehen vor der Aufgabe, aktiv Selbstfürsorge zu betreiben, womit aber nicht wenige von ihnen überfordert zu sein scheinen. Nicht zuletzt ist es das Verhältnis von Berufstätigkeit und Privatsphäre, das in Mitleidenschaft gezogen wird. Die modische Rede von der Work-Life-Balance zeigt das Problem zwar an, trägt aber kaum etwas zu seiner Lösung bei.

Inhalt:

Ziel und Hintergrund der Befragung
Methodische Anmerkungen
Ergebnisse
  Effizienz
  Innovation und Veränderung
  Qualität
  Professionalität
  Führung
  Kollegialität
  Belastung
  Selbstfürsorge
Fazit
Ausblick

 
Siehe auch: