Chinesen lassen sich nicht so leicht veralbern

Es gibt “Leader”, die Mitarbeiter als erwachsene Menschen respektieren, es gibt aber auch welche, die meinen, sie selbst seien Mami und Papi. Letztere beglücken ihre Mitarbeiter mit unehrlicher Unternehmenskommunikation, mit Unterhaltungsspielen und mit Kinderbüchern: “Die Mäusestrategie für Manager” (“Who Moved My Cheese?“) ist ein intelligent geschriebenes und zugleich strunzdummes Buch, das seine Leser doofer, den Autor aber viel reicher gemacht hat. Der Markt dieses Buches sind die Hilflosen unter den Personalern, die Bestätigung ihrer simplen Menschenbilder suchen und ihre Ansichten auch in den Köpfen ihrer Mitarbeiter verankern wollen. Wichtig: Was die schwächeren unter den Personaler verstehen und dann ihren Mitarbeitern einträufeln sollen, muss einfach sein.
Das Marketing des Buches ist genial: Gerne verteilen Personaler und Führungskräfte den Mäuse-Schrott haufenweise in ihren Betrieben und zeigen ihren Mitarbeitern damit, für wie wenig erwachsen sie sie halten. Sie sollen eifrig irgendeinem Käse hinterherrennen anstelle ihn (und den Käseklau) zum Beispiel selber in den Griff zu kriegen. Solche Bücher erklären den Zustand der immer noch “zeitgemäßen” Führungskultur. Hinterher- und Mitläufer mögen das Buch. Es gibt aber auch Leute, die sich nicht verblöden lassen:

  • Richard Templar: I don’t want any more cheese…, 2004, ISBN 0273675435
  • Chen Tong, Augustine Quek (Übersetzung): Whose Cheese Can I Move?, 2003, ISBN 9812445056 (Eine sehr schöne Antwort einer Chinesin aus Xi’An auf “Die Mäusestrategie für Manager”)

Harper’s Magazine berichtete 2003 von weiteren Antworten aus China:

  • “Whose Cheese Should I Move?” von He Jun,
  • “Can I Move Your Cheese?” von Chen Tong,
  • “Who Dares to Move My Cheese?” von Kang Yanning,
  • “Agitating, Alluring Cheese” von Lian Yuming,
  • “No One Can Move My Cheese! The New Allegory of Cheese! The New Enlightenment of Allegory” von Zhang Xiaofeng,
  • “Make the Cheese Yourself!” von Dong Huangfu,
  • “A Piece of Cheese: Reading World Famous Fairy Tales with Mom” von Yi Su,
  • “Management Advice 52 from the Cheese” von Fang Yuan,
  • “No More Cheese!” von Lin Zhanxian, “Chinese People Eat Cheese?–Who Took My Meat Bun?” von Chuan Xiang.

In den USA, dem Ursprungsland des Buchs für Mäusegehirne, gibt es auch deftige Parodien auf die Mäusestrategie. Die meisten sind eher plump, wie zum Beispiel “Who cut my cheese?” (Idiomalarm!). Ganz lustig fand ich den Titel ” Who Moved my Soap?”, mit dem sich Manager auf Gefängnisaufenthalte vorbereiten können. Aber die meisten Titel der Gegenliteratur finden sich im chinesischen Sprachraum. Sie sind von den vielen kritischen Chinesen überrascht? Vielleicht sind Chinesen gar nicht so willig und folgsam, wie Sie das meinen. China bietet immer noch beste Bedingungen für die Pflege der Kunst der Satire und der Parodie. Mit paternalistscher Führung kennen sich die Chinesen seit tausenden von Jahren aus. Entsprechend gut können sie diesen Mäuse-Unsinn durch den Kakao ziehen.

Psyche auf dem Prüfstand

Der in zeitzuleben.de für INSIGHTS Discovery® gewählte Verzeichnisname “psyche-auf-dem-prufstand-personlichkeitstests” zeigt, womit das Unternehmen seinen bunten “Persönlichkeitstest” (bzw. die Lizenz für deren Nutzung) verkauft. C. G. Jungs “Typologie” dahinter mag veraltet sein, aber Hauptsache ist, dass sie den Kunden von INSIGHTS Discovery® gefällt und dem von ihnen gewünschten psychologischen Menschenmodell nicht widerspricht. INSIGHTS Discovery® bedient diesen Wunsch.

http://www.youtube.com/watch?v=5oTtrP3WMfA


Wie permanent sind diese Rollenzuweisungen?
 
Ziele
Hier ein Auszug aus http://www.zeitzuleben.de/2242-psyche-auf-dem-prufstand-personlichkeitstests/5/ (2011-05-17), der hier einmal zitiert werden muss, damit wir uns mit dem Thema kritisch auseinandersetzen können:

INSIGHTS Discovery® kann in folgenden Bereichen eingesetzt werden: 

  • Personalauswahl: …
  • Teambildung: Teamleiter und Teammitglieder können mit Hilfe der Profile erkennen, worin die besonderen Fähigkeiten jedes Einzelnen im Team bestehen. Das fördert die gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung. So wird es leichter, eine gemeinsame Teamidentität und -dynamik zu entwickeln.
  • Motivationssteigerung: In den Profilen werden auch die Motivationsfaktoren herausgearbeitet. So können Vorgesetzte erkennen, wie die einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen optimal zu fördern oder fordern sind.
  • Verkauf und Kundenbetreuung: …
  • Selbsteinschätzung: …

 
Die fünf Punkte, die auf der überholten “Typologie” des verehrten C. G. Jung basieren, sind alle schon ziemlich fragwürdig, aber die zwei hier voll zitierten Punkte sind aus Betriebsratssicht besonders besorgniserregend. Gefährlich wird es, wenn der Arbeitgeber versucht, dem Betriebsrat seines Unternehmens den Psychotest als harmloses (und zudem hübsch buntes) Spiel zu verkaufen, das vorwiegend der persönlichen Selbsterkenntnis im Team dienen soll, obwohl der Anbieter dieses Farbenspiels seinen Test ganz anders anbietet: Die Charakterisierung Einzelner durch das Team.
Führungskräfte mögen diesen Test möglicherweise gerade wegen seiner Rückständigkeit. Die Mitarbeiter werden ja nicht nur “getestet”, sondern ihnen wird auch vorgegaukelt, dass die Typenlehre richtig sei. Mitarbeiter werden hier manupuliert – und haben im das kritische Denken durchaus dämpfenden Spiel auch noch Spaß daran.
 
Sektendesign
Das Marketing dieses Tests ist genial. Die eingängigen Farbschubladen und die simple Typologie helfen beim Glaubens-Franchising. Für so etwas braucht man keine wissenschaftliche Grundlage, sondern nur genügend viele Anhänger und Gläubige, die auch als Multiplikatoren wirken. Psychologen wissen, wie man Laien Psychologie verkauft. Hier hat sich ein Unternehmen einen Markt geschaffen, der sich selbst verstärkt, wenn eine bestimmte Schwelle überschritten ist. Irgendwie ist es seinen Designern gelungen, den Test sogar gegen Kritik zu schützen: Es gibt Anhänger des Tests, die bei seiner Vorstellung gleich vorneweg auf seine Unwissenschaftlichkeit hinweisen. Wenn ich eine Sekte gründen wollte, könnte ich wohl viel von diesem Test lernen.
 
Kommentare
Sabine Winterer, Talentmarketing für Rehabilitanden des Berufsbildungswerkes Neckargemünd, Diplomarbeit, 2001, S. 31 (http://www.talentmarketing.de/wahlpflichtfach/DiplomarbeitSabineWinterer.pdf, nicht mehr im www):

… Allerdings ist die INSIGHTS Potentialanalyse kritisch zu betrachten, da zwar mit wissenschaftlicher Fundierung geworben wird, aber dies anscheinend nicht der Fall ist: „Der Vertreiber, das Tracy College International, verweist vage auf Untersuchungen und beeindruckt mit für den Laien unverständlichen Zahlen. Das Psychologische Institut der Universität Zürich kam nach einer Analyse von über 500 Protokollen zu dem Ergebnis: “Unbrauchbares Instrument, dessen schwache theoretische Fundierung durch eine fehlerhafte Operationalisierung verschlimmert wurde und keine partielle Verbesserung zulässt.”[22] Aus einer Arbeit, die an der Leopold – Franzens – Universität in Innsbruck entstand[23], geht ebenfalls Kritik an diesem Test hervor. Die Studenten führten den Test selber durch und stellten fest, dass einige Fragen widersprüchlich zu verstehen sind und eine sinnvolle Beantwortung zum Teil nicht möglich ist. Sie denken, dass auch eine schlechte Übersetzung bzw. der deutsche Wortschatz, dafür verantwortlich sein kann. In der deutschen Sprache fehlen manchmal Wörter gleicher Bedeutung wie im Englischen. …

[22] vgl., Nil Karin, Interview: „Vorbereitung schafft Sicherheit“
in: http://www.jobpilot.de/content/journal/bewerbung/apply_persoenlichkeitstest.html [nicht mehr im Web]
[23] vgl., Baumann et.al, Potentialanalyse, 16.07.2001, S. 24 – 25

 
http://www.bdp-verband.org/bdp/politik/2005/50819_insights.html

… In dem oben genannten Gutachten wird auf Seite 17 ausgeführt: “Eine endgültige Entscheidung, ob INSIGHTS MDI den Richtlinien der DIN 33430 entspricht, kann eigentlich nicht getroffen werden. Dazu fehlen insbesondere ein den Standards entsprechendes Testmanual. …”

Um die Geeignetheit nach DIN 33430 geht es im Wesentlichen in diesem Text, also um “Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen”. INSIGHTS MDI ist jedenfalls an einer “Zertifizierung” nach DIN 33430 interessiert, obwohl diese Norm garnicht für die hier angestrebten Zertifizierungen vorgesehen ist. (Details: Bärbel Schwertfeger, Mit Gütesiegel, DIE WELT, KarriereWelt 2004-02-21) Übrigens: Arbeitgeber haben Arbeitsplätze zu evaluieren (psychische Belastung nach DIN 10075), nicht individuelle Arbeitskräfte!

… An theoretischen Grundlagen werden auf Seite 9 des Gutachtens das “Vier-dimensionale DISC Modell” nach Marston (1928) sowie das “Präferenzmodell von C. G. Jung” genannt, das schon von Prof. Dr. Jäger (2004, S. 22) kritisiert wurde, da gerade die Typenlehre nach C. G. Jung in Fachkreisen als “antiquiertes Modell ohne empirische Belege” gilt. Der Ansatz von Marston wird von Jäger (ebd.) als “typologischer Ansatz ohne empirische Forschung” bezeichnet. Weiter beklagt er, dass für ihn keine fundierte theoretische Grundlage des Verfahrens INSIGHTS MDI auszumachen ist. Da sich die theoretische Grundlage nach Aussage des Gutachtens (S. 9) offensichtlich nicht geändert hat, besteht diese Kritik unvermindert fort.
Auf Seite 10 des Gutachtens werden einige wenige Angaben zum Verfahren gemacht. Soweit ersichtlich, werden die Verhaltenssstile auf die gleiche Art und Weise ermittelt, wie das auch bei den bisherigen INSIGHTS MDI Verfahren geschieht. Hierzu schreibt Jäger (2004, S. 22): “Die Basis der Stilermittlung ist nicht nachvollziehbar und inhaltlich nicht zu begründen. Eine Unterscheidung in >natürliche< und >adaptierte< Stile, indem die Antworten von Testteilnehmern >uminterpretiert< werden, ist weder wissenschaftlich noch ethisch verantwortbar. Die blumigen Formulierungen täuschen über Inhaltsleere hinweg." ...

 
Ratschläge
Ratschläge an Betriebsräte, die vom Arbeitgeber aufgefordert werden, dem vergnüglichen-bunten Persönlichkeitstest zuzustimmen:

  • Fragen sie kritisch nach, wenn der Arbeitgeber Ihnen Persönlichkeitstests (und ähnliche Veranstaltungen) mit Argumenten verkauft, die den Argumenten des Test-Anbieters widersprechen.
  • Lassen Sie sich von externen Psychologen beraten. (Literatur: Bärbel Schwertfeger)
  • Wenn der Arbeitgeber Geld für Persönlichkeitstests (ein überwiegend verhaltensorientierter Ansatz) hat, es in Ihrem Betrieb aber keinen Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den ganzheitlichen Arbeitsschutz (verhältnisorientierter Ansatz) gibt, dann hat der Arbeitgeber seine Ressourcen zuerst für die Verbesserung des Arbeitsschutzes zu verwenden. Das ist Pflicht. Hier hat er keine unternehmerische Freiheit.
  • Wenn es bei Ihnen bereits den vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungsprozess für psychische Belastungen gibt, lassen Sie sich die mit Persönlichkeitstests verbundenen Risiken von Fachleuten erklären. Dokumentieren sie das in der Gefährdungsbeurteilung. Dann muss vereinbart werden, wie mit diesen Risiken umzugehen ist.
  • Schlagen sie Alternativen vor. Beispielsweise sind Projekt-Retrospektiven nebenbei auch Maßnahmen zum “Team-Building”. Zugleich helfen sie dem Geschäft Ihres Unternehmens!
  • Wenn die Belegschaft (oder sogar der Betriebsrat) unbedingt Spaß mit dem Farbenspiel haben will, dann machen Sie eine Betriebsvereinbarung dazu oder protokollieren Sie wenigstens alle Argumente, mit denen der Arbeitgeber dem Betriebsrat einen Persönlichkeitstest verkaufen will. Die Teilnahme der Mitarbeiter muß freiwillig sein.
  • Informieren Sie sich über Carl Gustav Jung.

 
Siehe auch:

Esoterik in der Beratung

Sekten-Info, NRW
 
http://sekten-info-nrw.de/index.php?option=com_content&task=view&id=140&Itemid=46

Der Coaching-Boom
Geschrieben von Karin Nachbar
Coaching boomt. Wie schon in den USA zu beobachten, zeichnet sich auch hierzulande in der Gesellschaft ein immer größer werdender Bedarf an Beratung und Unterstützung bei Problemlösungen in beruflichen und privaten Lebensbereichen ab. …
… Die dritte Art von Anfragen kommt von Firmen bzw. Firmenbeauftragten, die Coaching-Angebote nutzen möchten, aber aufgrund der unklaren Prüfkriterien nicht wissen, welches Coaching für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geeignet bzw. ungeeignet ist. Oder es wurde ein bestimmtes Angebot bereits als unpassend erlebt und die Firma hat für weitere Richtlinien oder Maßnahmen nachträglich zu recherchieren begonnen. …


 
http://sekten-info-nrw.de/index.php?option=com_content&task=view&id=71&Itemid=46

Zum Thema Esoterik in der Beratungsarbeit
Geschrieben von Katharina Reiss
… Die wahrscheinlich bekannteste Technik innerhalb der esoterischen Lebensberatung ist das “Positive Denken”. Joseph Murphy, einer ihrer Vertreter, stellt die Funktionsweise dieser Technik wie folgt dar: “Denken Sie das Gute, und es wird sich verwirklichen! Denken Sie aber Böses, so wird Böses eintreten. Was immer Sie denken, das sind und tun Sie in jeder Sekunde Ihres Lebens.”
Schnell und einfach – so scheint es – können auf diese Weise negative Einstellungen (z.B. Unzufriedenheit oder Angst) geklärt und Probleme gelöst werden. Doch die Erfahrung zeigt, daß v.a. Ängste, Konflikte mit dem Partner oder anderen Angehörigen sich nicht dadurch auflösen, daß ein Mensch positiv denkt. Und sicher hat jeder von uns schon erleben müssen, daß Situationen für ihn keinen positiven Ausgang genommen haben, obwohl er sehr optimistisch an sie herangegangen ist (z.B. Einstellungsgespräche). Welche Gefahren sich im einzelnen aus der Technik des “Positiven Denkens” ergeben, schildert Günther Scheich ausführlich in seinem Buch “Positives Denken macht krank”. …

Thema des Monats Mai: Psychische Gesundheit

http://www.dgfp.de/de/content/articles/thema-des-monats-mai-2011-psychische-gesundheit-2025/, Deutsche Gesellschaft für Personalführung:

Thema des Monats Mai 2011: Psychische Gesundheit
Herausforderung für Mitarbeiterbetreuung und Führungskultur
Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. Für Personalmanager und Führungskräfte ergeben sich daraus neue Herausforderungen: Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen? Wie gehe ich mit ihnen um? Was kann/muss ich tun und wo sind Grenzen? In diesem DGFP “Thema des Monats” setzen wir uns mit diesen Fragen auseinander und stellen mögliche Lösungsansätze bereit.

Stop!

“Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. … Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?”

  1. Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?
  2. Kann ich bei meinen Arbeitsplätzen die hohe psychische Belastung erkennen?

Beide Fragen sind natürlich legitim. Gesetzlich vorgeschrieben ist im Arbeitsschutz jedoch ausgerechnet die fehlende zweite Frage. Ohne sie zu beantworten, fehlen wichtige Lösungen für das Thema des Monats Mai.
 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/burn-out-wenn-seele-und-koerper-bei-der-arbeit-nicht-mehr-mitmachen-1948/:

Zwar ist es die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, zu entscheiden, wie weit er oder sie sich aufzehrt und wo die persönlichen Grenzen des Engagements für das Unternehmen liegen. Doch gerade an dieser Selbstreflexion mangelt es offenbar bei den vom Burn-out Betroffenen.

Auch diese Klage ist berechtigt. Doch schon wieder fehlt etwas. Hat das vielleicht System? Bei der Deutschen Gesellschaft für Personalführung sind nicht die berechtigten Fragen, die sie stellt, das Problem, sondern die wichtigen Fragen, denen sie ausweicht: Warum halten Arbeitgeber, bevor sie immer wieder “Eigenverantwortung” einfordern, sich nicht erst einmal an die Mindestvorgaben des Arbeitsschutzes?
 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/dgfp-studie-zur-psychischen-beanspruchung-von-mitarbeitern-problem-in-fast-jedem-unternehmen-2024/ (2011-06-07: Die Links scheinen sich zu ändern. Probieren Sie’s mal hier: http://blog.psybel.de/fehlberatung-belastung-und-beanspruchung/):

Was den Umgang der Führungskräfte mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern angeht, so scheint es dort erhebliche Defizite zu geben. 76 Prozent der befragten Personalmanagern sind der Ansicht, dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen nur unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Beanspruchung zu erkennen. 87 Prozent der Befragten beobachten, dass die Führungskräfte unsicher sind, wie sie sich im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern adäquat verhalten. 56 Prozent der befragten Personalmanager haben den Eindruck, dass die Führungskräfte die psychische Beanspruchung ihrer Mitarbeiter tabuisieren.

Die Führungskräfte in ihrem Unternehmen sind vielleicht unzureichend darauf vorbereitet, psychische Beanspruchung zu erkennen. Insbesondere sind sie aber von einem Berufsverband schlecht beraten, der ihnen die falschen Prioritäten vorgibt. Denn wenn sie unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Fehlelastungen zu erkennen, dann kommen Sie mit dem Gesetz in Konflikt und werden sich irgendwann auch mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen.
Es ist fast schon faszinierend, wie hier das Thema der psychischen Belastung umschifft (tabuisiert?) wird. Das mag an einer verbesserungsfähigen Kenntnis des Arbeitsschutzes liegen, denn die Klage über “psychische Beanspruchung” geht sogar viel zu weit. Ein Arbeitgeber hat nämlich ein gutes Recht, seine Mitarbeiter zu belasten! Arbeitnehmer werden dafür bezahlt, sich von psychischen Belastungen beanspruchen zu lassen und daraus etwas Nützliches zu machen. Es geht nicht um die Vermeidung von psychischen Belastungen (in der ISO 10075 steht mental workload), sondern es ist die gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber, psychische (und andere) Fehlbelastungen zu vermeiden oder wenigstens zu mindern.
Aussagen zur Gefährdungsbeurteilung in der Studie fand ich nur auf Seite 17: Nach Angabe der DGFP setzen 60% von 212 Unternehmen die Instrumente “Arbeitsplatzanalyse/Gefährdungsbeurteilung” zu “Maßnahmen zur Prävention bzw. zum Umgang mit psychischer Beanspruchung” ein. Und dann:

Erstaunlich ist, dass die am besten bewertete Maßnahme (individuelle Belastungs und Beanspruchungsanalyse), die von 92 Prozent der Anwender als positiv bewertet wird, in nur 12 Prozent der Unternehmen engesetzt wird.

Nach dem zuvor Gesagten erstaunt mich hier nichts mehr. 12 Prozent sind noch viel zu viel. Klar ist es einfacher, sich den einzelnen Mitarbeitern fürsorglich zuzuwenden und psychische Probleme bei ihnen individuell zu verorten. Da sind wohl 15 Jahre Arbeitsschutz spurlos an der DGFP vorbeigegangen: Beim ganzheitlichen Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht die Mitarbeiter!
“Im Vordergrund des Arbeitskreises standen dabei psychische Beanspruchungen, eine mögliche Vorstufe psychischer Erkrankungen.” Das ist Unsinn. Nicht “psychische Beanspruchungen” sind ein Problem, sondern “psychische Fehlbeanspruchungen”. Diese “Studie” ist Desinformaton und manipulativ.
Es gibt wesentlich seriösere Arbeiten. Wie man sich ernsthaft und kritisch (auch gegen Gewerkschaftspositionen) mit dem Thema des psychischen Belastung auseinandersetzen kann, zeigen A. Hofmann, K.- J. Keller und R. Neuhaus in Die Sache mit der psychischen Belastung, Eine praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen in Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (Nr. 367/368/369/370 April 2002).

Veränderungen gehen ans Eingemachte

https://www.xing.com/net/personalmanagement/gesundheitsmanagement-516332/dgfp-studie-zur-psychischen-belastung-in-unternehmen-36491541/36493218/#36493218 (Perry Jordan, Arbeitsgestaltung & Betriebsorganisation):

… Betrieblich bedingte psychische Belastungsrisiken im Unternehmen kann man am besten durch fundierte Gefährdungs- und Belastungsanalysen und -beurteilungen erkennen und durch gezielte Veränderungen verringern. …

… Leider ist das Bewusstsein für dieses Thema [psychische Belastung] und die Akzeptanz, sich mal den eigenen “Laden” anzuschauen/anschauen zu lassen und ggf. Veränderungen vorzunehmen in vielen Unternehmen (noch) nicht sonderlich hoch.
Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass

  1. psychische Belastung oft noch als individuelles Problem angesehen wird (man kennt sie ja, die Workaholiker oder unfähigen Zeitmanager …) bzw. eine gedankliche Trennung zwischen Mensch und Betrieb vornimmt,
  2. Führungskräfte ahnen/wissen, dass es bei ggf. erforderlichen Veränderungen häufig ans Eingemachte geht – Organisation, Personaleinsatz/ -entwicklung, Führung/ Kommunikation -und man dieses (Diskussions-) Risiko scheut,
  3. ganz einfach Zusammenhänge nicht klar sind.
  4. Das Thema wird oft auch kritisch gesehen, weil manchmal Führungskräfte meinen, dass dies ja vermeintlich ein klassisches Betriebsrats-/ Gewerkschaftsthema ist und man diesem “Treiben” (Umsetzung ArbSchG) keinen Vorschub leisten möchte.
    Andersherum ist es leider auch so, dass Arbeitsschutzakteure beim Thema der psychischen Belastungen oft nur an die Mitarbeiter denken und die Führungskräfte mit ihren (berechtigten) Anliegen außen vor bleiben.

Der Hinweis auf die Führungskräfte ist wichtig. Gerade der Druck (von “oben” und von “unten”) auf die Menschen in den unteren Führungsebenen ist oft sehr hoch. Betriebsräte vergessen oft, dass auch die Führungskräfte unterhalb der Ebene der leitenden Angestellten ihre Klienten sind.
                Es gibt Unternehmen, denen Auditoren und die Gewerbeaufsicht bescheinigen, dass der Gefährdungsbereich der psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz integriert ist, obwohl es in deren Arbeitsschutzmanagementsystem dafür überhaupt keine Prozesse gibt. (Wenn sie wollten, könnten Auditoren und behördliche Prüfer das leicht feststellen.) Der Arbeitgeber schreibt zur Zufriedenstellung der Auditoren einfach in die Sicherheitsschulung hinein, dass die Führungskräfte für die Beurteilung psychischer Belastungen zuständig sind, obwohl diesen Kollegen die Prozesse dazu fehlen. Aber die Gewerbeaufsicht und die Zertifizierungsauditoren akzeptieren das. Wenn das dann auch noch der Betriebsrat zulässt, haben die Führungskräfte den schwarzen Peter.

Personaler in der Imagekrise

http://www.fh-koblenz.de/Prof-Dr-Christoph-Beck.beck.0.html
HR-Image Studie (2011)
http://www.fh-koblenz.de/fileadmin/medien/Koblenz/Betriebswirtschaft/Prof._Dr._Beck/HR-Image-Studie_2011.pdf
67 Prozent der “Personaler” (331 wurden von der FH-Koblenz befragt) glauben, sie hätten einen guten Ruf bei den Mitarbeitern. Einen guten Ruf haben sie tatsächlich aber nur bei 43 Prozent der Mitarbeiter (1056 wurden befragt).
79 Prozent der Personaler meinen, dass ihre Kunden mit den Leistungen der HR-Abteilung zufrieden seien. Aber nur 49 Prozent der Kunden sehen das auch so.
Die Welt von Personalern überschneidet sich also nur teilweise mit der Welt ihrer Kunden. Das ist nicht gut.
(Kleine Nebenbemerkung: Nicht nur die Image-Krise belastet Personaler, sondern sie haben ohnehin eine Aufgabe, in der eine Vielzahl menschlicher Konflikte zu bewältigen sind. Interessanterweise tun sich aber gerade Personaler mit dem ganzheitlichen Arbeitsschutz schwer, obwohl der Einbezug psychisch wirksamer Belastungen gerade für die Gefährdungsbeurteilung ihrer eigenen HR-Arbeitsplätze besonders wichtig ist.)
Die HR-Image Studie (2011) ist ganz interessant. Mit ihr will die FH-Koblenz auch ein stärkeres Selbst-Marketing der HR-Abteilungen verkaufen. Gezeigt wird zum Beispiel, dass administrative Leistungen wie Gehaltszahlung auch bei guter Leistung von HR wenig zur Aufbesserung des HR-Images beitragen. Themen wie Gesundheitsmanagement dagegen helfen HR, das Image aufzupolieren.
Unternehmensvorstände müssen also aufpassen, dass HR die dröge Verwaltungsaufgaben trotzdem gut erledigt und die dafür eigentlich erforderlichen Ressourcen nicht in die Imagepflege steckt. Mitarbeiter werden schnell zynisch, wenn die Selbstdarstellung von HR und die Leistung von HR auseinanderklaffen. Nach all den Erfahrungen mit dem Management-Lingo der letzten Jahre und dessen Kollision mit der Realität wollen die Leute lieber Taten sehen als Werbesprüche hören.
Und Betriebsträte werden ihre eigenen Leistungen besser dokumentieren und der Belegschaft vermitteln müssen. Gleichzeitig müssen sie lernen, die Selbstdarstellungsarbeit einer HR-Abteilung auch für die Belegschaft zu nutzen. Das ist eine Gratwanderung zwischen den Selbstdarstellungsbedürfnissen beider Seiten.

Arbeitgeberberatung

Suchen Sie in http://www.4personaler.de/ (evtl. nach Registrierung) nach “6 Betriebsvereinbarungen sind genug” und darin dann nach “Arbeits- und Gesundheitsmanagement – Gesundheit am Arbeitsplatz schnell geregelt”.
http://www.4personaler.de/de/arbeitsrecht_lohnabrechnung/betriebsrat/betriebsvereinbarung/6-betriebsvereinbarungen-sind-genug_fzfd2jxe.html

Dürfen Betriebsräte sich um sich selbst kümmern?

Betriebsräte und die einzelnen Betriebsratsmitglieder sorgen sich selten offen um ihre eigenen Belastungen. Obwohl die Schau auf die eigene Situation eine wichtige Voraussetzung für das von Arbeitgebern gerne geforderte eigenverantwortliche Handeln ist, scheint sie immer noch unpopulär zu sein, denn die offene Thematisierung der auf die Betriebsratsmitglieder wirkenden psychischen Belastungen könnte in Belegschaft als Schwäche und Selbstbezogenheit des Betriebsrates verstanden werden. Ist das so?
Literatur:

 
Aktualisierung: 2013-04-03

Positives Arbeitgeberimage

Auf der Suche nach Arbeitgebern, die hohe Ansprüche an sich stellen, fand ich diese Organisation:
Queb – Quality employer branding e. V.
(vormals: dapm – Der Arbeitskreis Personalmarketing e. V.)

http://www.queb.org/info-lounge
:

Der Auf- und Ausbau eines positiven Arbeitgeberimages (Employer Branding) sind die unabdingbaren Voraussetzungen zur Gewinnung geeigneter Bewerber sowie zur Bindung von Mitarbeitern. Dem Personalmarketing kommt dabei die Aufgabe zu, konjunkturunabhängig und im Umfeld demographischer sowie arbeitsmarktpolitischer Veränderungen, mit den geeigneten Instrumenten die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber langfristig sicherzustellen.
In diesem Kontext haben sich im Februar 2001 die Personalmarketingverantwortlichen bedeutender Unternehmen der Privatwirtschaft zusammen geschlossen und im Juli 2003 den Verein dapm, Der Arbeitskreis Personalmarketing, gegründet – heute Queb. Gefördert wird primär der Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Personalmarketings und Employer Brandings. Darüber hinaus werden Arbeits- und Qualitätsleitlinien im Bereich Personalmarketing entwickelt. Gemeinsame Initiativen und Plattformen entlang der HR-Wertschöpfungskette (Attraktion, Integration und Retention von Mitarbeitern) komplettieren das Portfolio von Queb.
Aktuell sind bei Queb 43 namhafte Unternehmen als Mitglieder organisiert.

http://www.queb.org/mitglieder:

  • accenture GmbH
  • adidas AG
  • Allianz Deutschland AG
  • ANDREAS STIHL AG & Co. KG
  • Audi AG
  • BASF SE
  • Bayer
  • BearingPoint GmbH
  • Bertelsmann AG
  • BMW AG
  • Bosch GmbH
  • Commerzbank AG
  • Continental AG
  • Daimler AG
  • DEKRA Automobil GmbH
  • Deloitte
  • Deutsche Bahn AG
  • Deutsche Bank AG
  • Deutsche Post DHL
  • Deutsche Telekom AG
  • E.ON AG
  • EADS Deutschland GmbH
  • EnBW Energie Baden-Württemberg AG
  • Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
  • Evonik Industries AG
  • Generali Deutschland Holding AG
  • IBM Deutschland GmbH
  • Infineon Technologies AG
  • KPMG AG WPG
  • L`Oréal Deutschland GmbH
  • Merck KGaA
  • Microsoft
  • Philips GmbH
  • PricewaterhouseCoopers AG WPG
  • Procter & Gamble Service GmbH
  • Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG
  • SAP AG
  • Siemens AG
  • TARGOBANK AG & Co. KGaA
  • ThyssenKrupp AG
  • UBS Deutschland AG
  • UniCredit Bank AG / HypoVereinsbank
  • Unilever Deutschland GmbH

Auch interessiert mich der Arbeitsschutz der Unternehmen in diesem Verbund von Organisationen:

 
Wie würden die Betriebsräte dieser Unternehmen diesen Fragebogen ausfüllen?
[Kontakt]
Über Gefährdungsbeurteilungen mit Einbezug psychisch wirksamer Belastungen bei Queb-Mitgliedern berichten Sie bitte als Kommentar zur Positivliste.

Laienpsychologie

Wie urteilen wir (z.B. Mitarbeiter, Führungskräfte, Betriebsratsmitglieder, Betriebsleitung usw.) bei psychologischen Fragestellungen als Laien? Mehr dazu in einem Auszug aus Günter Bierbrauers Buch Sozialpsychologie, 2005, S. 51.
Daraus resultieren Fragen, die untrainierte „Gefährdungsbeurteiler“ sich selbst stellen sollten.