Bayerisches Arbeitsschutzmanagement ohne psychische Belastung

Habe heute einmal wieder in die Website der bayerischen Gewerbeaufsicht hineingesehen.
http://www.gewerbeaufsicht.bayern.de/arbeitsschutz/managementsysteme/ohris/index.htm

OHRIS ist das Managementsystem der Bayerischen Staatsregierung für mehr Gesundheit bei der Arbeit und Sicherheit technischer Anlagen. Entwickelt wurde es in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, um den Arbeitsschutz in den Betrieben zu verbessern und wirtschaftlicher zu gestalten. Ein Grundgedanke des Arbeitsschutzmanagementsystems OHRIS ist, dass die Mitarbeiter in erheblichem Maß den Erfolg eines Unternehmens mit bestimmen. Gesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten fördern deren Motivation, Leistungsfähigkeit und Kreativität. Sie tragen in besonderem Maß zu einem positiven Arbeitsklima bei. […]

Die Prioritäten sind also klar bayerisch: In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft (unüberraschenderweise nicht auch mit Arbeitnehmerorganisationen) ist es für die bayerische Staatsregierung uninteressant, ein Managementsystem der bayerischen Staatsregierung zu implementieren, bei dessen Beschreibung auch das Arbeitsschutzthema “psychische Belastung” erwähnt wird.
Zwar gibt es sehr gute Informationen der Gewerbeaufsicht zu dem Thema, aber bei der Umsetzung machen die Bayern dann doch nicht so gerne ernst. Man will “der Wirtschaft” ja keine Steine in den Weg legen. Gehandelt wird erst, wenn es für die Öffentlichkeit zu ekelig wird.
So kommt es, dass Aufsichtpersonen selbst krasse psychische Fehlbelastungen in mit der Staatsregierung harmonisch zusammenarbeitenden Unternehmen nicht einmal protokollieren, geschweige denn kritisieren. Beispiel: Abmahnung an einen Mitarbeiter, der eine Fehlbelastungen meldete. Zwar konnte der Mitarbeiter mit einer Klageandrohung eine Rücknahme der Abmahnung erwirken, war aber über einen Zeitraum von drei Monaten einer massiven Fehlbelastung ausgesetzt. Die bayerische Gewerbeaufsicht findet es in Ordnung, wenn solch eine inakzeptable Bedrohung eines Mitarbeiters nicht als Fehlbelastung dokumentiert wird.
Das “Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten” lebt bei der bayerischen Gewerbeaufsicht munter weiter.

Lästiger Kontrolldruck

Dass bayerische CSU-Politiker die ersten sind, die sich beim Mindestlohn gegen endlich einmal ernst zu nehmende Kontrollen wehren, ist überhaupt keine Überraschung. Strunzdumm schwafeln sie von “Planwirtschaft” und “überbordender Bürokratie”.
Im Arbeitsschutz kann man beobachten, wie ein Gewerbeaufsichtler ein Unternehmen als “Vorreiter” bezeichnet, das immer noch keine mitbestimmten Prozesse hat, mit der psychische Belastungen beurteilt werden. Freundlich wird das kontrollierte Unternehmen außerdem darauf hingewiesen, dass man bei den vielen Unternehmen, für die die Gewerbeaufsicht zuständig ist, sowieso nicht so genau hinsehen kann.
Im Bereich der privatisierten Kontrolle stufen akkreditierte Auditoren eine mangelhafte Vorfallserfassungen im Arbeitsschutzmanagement nur als “Beobachtung” und nicht als “Abweichung” ein, obwohl damit eine der Grundlagen des Arbeitsschutzes nicht funktioniert.
Es schmerzt im Umgang mit Vorschriften kreative Unternehmer natürlich besonders, wenn sie für Regelverstöße ihrer Subunternehmer verantwortlich gemacht werden sollen. Das Outsourcing von Verantwortung war schließlich ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells “Subunternehmen”. Unterstützt wurde das z.B. im Arbeitsschutz durch Zertifikate, mit denen Subunternehmer ihre Auftraggeber schützen, aber nicht wirklich die in den Subunternehmen arbeitenden Menschen. Und nun soll die Party vorbei sein? Haben kreative Unternehmer vielleicht sogar Angst, dass möglicherweise wirkungsvolle Kontrollen des Mindestlohnes irgendwann einmal auch im Arbeitsschutz stattfinden könnten?
In Deutschland durften 80% der Betriebe gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen. Als ein Hauptgrund wurde im Bundestag die überforderte Aufsicht erkannt. Mehr als ein Jahrzehnt der Überforderung ist aber auch kein Versehen mehr, sondern System.
Es gibt natürlich auch anständige Arbeitgeber, also 20% weiße Schafe neben 80% schwarzen Schafen.
Wer die Zustände bei der Aufsicht (behördliche und akkreditierte private Auditoren) im Arbeitsschutz kennt, wünscht sich die Kontrollqualität, die beim Mindestlohn vorgesehen ist (oder vorgesehen war?). Leider sind in in der deutschen Arbeitswelt potentielle Gesetzesbrecher anscheinend immer noch stark genug, gegen Kontrollen vorgehen zu können.

Huml warnt vor „Effizienzwahn“ in der Wirtschaft

In Bayern kann ein großes Unternehmen ohne Furcht vor Kritik und vor entsprechender Protokollierung durch die Gewerbeaufsicht versuchen, Mitarbeiter abzumahnen, die psychische Fehlbelastungen melden. Die betroffenen Mitarbeiter müssen sich selbst wehren (erfolgreich mit Betriebsrat und Rechtsanwalt), denn die Gewerbeaufsicht bleibt passiv. Die Gesundheitsministerin dieses Landes beglückte uns nun wieder mit Mahnungen, die gut klingen, aber ohne eine kompetentere und engagiertere Kontrolle durch die Gewerbeaufsicht populistisches Politikergeschwätz bleiben werden.
Abgesehen davon ist es Unsinn, ein verstärktes Vorgehen gegen körperliche und psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu fordern. Obwohl es inzwischen eigentlich hinreichend bekannt sein sollte, haben die Öffentlichkeitsarbeiter der Ministerin immer noch nicht begriffen, dass es um die Vermeidung körperlicher und psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz geht. Ohne körperliche und psychische Belastungen gäbe es keine Arbeit.
http://www.stmgp.bayern.de/aktuell/presse/detailansicht.htm?tid=30685

Pressemitteilung

13.09.2014
Nr. 223/GP

Huml warnt vor „Effizienzwahn“ in der Wirtschaft – Bayerns Gesundheitsministerin: Steigende Zahl psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmern besorgniserregend
Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml fordert ein verstärktes Vorgehen gegen körperliche und psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Huml betonte am Samstag anlässlich eines Gesundheitsforums der Industrie- und Handelskammer Bayreuth im oberfränkischen Weißenstadt: „Die Beschäftigten dürfen nicht vom Beschleunigungs- und Effizienzwahn überrollt werden. Das ist auch im Interesse der Betriebe. Denn sie brauchen dauerhaft gesunde und motivierte Mitarbeiter.“
Die Ministerin fügte hinzu: „Unternehmerischer Erfolg auf Kosten der Gesundheit – diese Rechnung geht auf Dauer nicht auf! Dagegen lohnen sich Investitionen in ein gesundheitsförderndes Arbeitsumfeld. Denn: Studien konnten zeigen, dass sich jeder Euro, der in die Gesundheit der Mitarbeiter investiert wird, mindestens doppelt auszahlt.“
Die Ministerin verwies auf den „Fehlzeiten-Report 2013“. Sie unterstrich: „Arbeitsausfälle in der deutschen Wirtschaft sind häufig durch Muskel-Skelett- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht. Besonders besorgniserregend ist darüber hinaus die steigende Zahl an Krankheitstagen aufgrund psychischer Erkrankungen. Hier sollte gegengesteuert werden! Notwendig ist ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement, das neben den körperlichen auch die seelischen, emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt.“
Das Bayerische Gesundheitsministerium setzt sich im Rahmen der Gesundheitsinitiative Gesund.Leben.Bayern. mit verschiedenen Modellprojekten für eine „gesunde Arbeitswelt“ ein. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Prävention psychischer Erkrankungen. So unterstützt das Gesundheitsministerium das Projekt “Kein Disstress in der Ausbildung!”, das sich um einen positiven Start ins Berufsleben kümmert, mit rund 150.000 Euro.

Die bayerische Gewerbeaufsicht darf ja nicht einmal mehr schreiben, dass sie mit Unternehmen, die von den gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsschutzes abweichen, Zielvereinbarungen trifft. So sieht die Doppelstrategie bayerischer Gesundheitspolitik aus: Nach außen hin den “Effizienzwahn” der Wirtschaft bejammern, aber gleichzeitig wird im Arbeitsschutz nicht ernsthaft dafür gesorgt, dass eine effiziente behördliche Kontrolle im Bereich der Verhinderung psychischer Fehlbelastungen stattfinden kann. Diese Politik ist infam.
Die Ministerin meint: “Notwendig ist ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement, das neben den körperlichen auch die seelischen, emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt.” Das klingt erst einmal gut, lenkt aber davon ab, dass die Politikerin mitverantwortlich für immer noch schwache Kontrollen im Bereich des ganzheitlichen betrieblichen Arbeitsschutzes ist. Notwendig ist erst einmal (seit 1996!), dass sich Unternehmen endlich an die Vorschriften halten. Die Ministerin will den einfachsten Grund für Mängel im Arbeitsschutz nicht ansprechen: Wenn die Politik zulässt, dass die Gewerbeaufsicht nicht ausreichend kritisch, effizient und kompetent kontrolliert, dann ist es doch kein Wunder, dass die Bestimmungen des Arbeitsschutzes in den Betrieben nicht eingehalten werden!
Mit ihrer Werbung für die an der Oberfläche gut aussehende “Gesundheitsförderung” beteiligt sich die Ministerin an der Ablenkung von den politisch tolerierten Rechtsbrüchen im Arbeitsschutz. Die Mahnungen der Ministerin vor einem angeblichen “Effizienzwahn” sind also gar nicht so wirtschaftskritisch, wie es auf den ersten Blick aussieht. Sie dienen nur der Wählerberuhigung, geben der Wirtschaft aber Raum, weiterhin ohne Sorge vor ernsthaften Sanktionen gegen Gesetze und Vorschriften des Arbeitsschutzes verstoßen zu können, z.T. zusammen mit der strafbaren Handlung der Behinderung der Betriebsratsarbeit. So geht es allerdings nicht nur in Bayern zu, sondern auch in anderen Gebieten Deutschlands.

Schüchterne Gewerbeaufsicht

Die Gewerbeaufsicht in Bayern kneift immer noch: In http://www.stmas.bayern.de/arbeitsschutz/arbeitsmedizin/psychologie.php war einmal (2011-07-13) zu lesen:

[…] Arbeitspsychologie
In der heutigen Arbeitswelt spielen psychische Belastungen eine immer größere Rolle. Angst vor Arbeitsplatzverlust, hoher Zeitdruck, Zunahme der Arbeitsmenge, Informationsmangel- oder Informationsüberflutung, Kommunikationsbarrieren, geringe Qualifizierungsmöglichkeiten oder zu wenig Handlungsspielraum können Kopfschmerzen, Lustlosigkeit, “Ausgebranntsein”, Schlafstörungen oder Erkrankungen verursachen.
Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest.
In Fällen von Bournout, Mobbing, Gewalt am Arbeitsplatz oder posttraumatischer Belastungsstörung führt die Gewerbeaufsicht keine Konfliktberatungen durch. Sind keine Verstöße im arbeitsschutzrechtlichen Sinne festzustellen, so wird auf externe Berater und Beratungsstellen oder auf das Präventionsnetzwerk verwiesen. […]

(Hervorhebungen wurden nachträglich vorgenommen)
Mitte 2012 verschwand die “Zielvereinbarung” von der Seite der bayerischen Gewerbeaufsicht. War das Versprechen der Gewerbeaufsicht an die Arbeitnehmer zu mutig? Hielten die Unternehmen in Bayern Zielvereinbarungen für eine Respektlosigkeit? Tatsächlich habe ich heute den Eindruck, dass es für die Gewerbeaufsicht in Bayern gerade bei großen und politisch gut vernetzten Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung ist, in diesen Unternehmen das Fehlen mitbestimmter Prozesse zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen als Abweichung zu erkennen. Nicht nur, dass es dann keine Sanktionen gab, sondern nun traute sich die Aufsicht nicht einmal mehr, öffentlich zu schreiben, dass bei Abweichungen Zielvereinbarungen zur Verbesserung der Situation getroffen werden.
Kann es vorkommen, dass die Gewerbeaufsicht Verbesserungsprojekte im Arbeitsschutz lobt und sie dabei mit einem bereits ordentlich implementierten Arbeitsschutz verwechselt? Lob ist eine feine Sache, aber wie dokumentiert die Gewerbeaufsicht, dass in der Übergangszeit von einem bisher unvollständigen Arbeitsschutz zum ganzheitlichen Arbeitsschutz für die Mitarbeiter ein erhöhtes Gefährdungsrisiko besteht?
Falls es das Instrument der Zielvereinbarung noch geben sollte, so kann man auch heute nichts darüber im Webauftritt der bayerischen Gewerbeaufsicht nachlesen. Wer hat den Hinweis streichen lassen? Wie sehen in den Behörden der Gewerbeaufsicht eigentlich die Gefährdungsbeurteilungen für die Arbeitsbedingungen der Aufsichtspersonen aus?

Corporate Health Award 2013

Ein Schmankerl zur “Unabhängigkeit” des CHA (http://www.pressebox.de/pressemitteilung/eupd-research-hoehner-research-consulting-group-gmbh/Auszeichnung-fuer-vorbildliches-Gesundheitsmanagement/boxid/643722):

[…] Der Corporate Health Award ist der führende Wettbewerb zum nachhaltigen Betrieblichen Gesundheitsmanagement im deutschsprachigen Raum. Jährlich werden durch Handelsblatt, TÜV SÜD und EuPD Research Sustainable Management die Unternehmen mit den besten betrieblichen Gesundheitskonzepten ausgezeichnet. Der Corporate Health Award steht unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und wird durch die Techniker Krankenkasse sowie Allianz Private Krankenversicherungs-AG unterstützt. Zu den weiteren Partnern zählen

  • Biocomfort Diagnostics,
  • brainLight,
  • DanTrim,
  • INSITE-Interventions,
  • KIMBERLY-CLARK PROFESSIONAL,
  • vitaliberty und
  • Weight Watchers.

[…]

Na toll.

Bayern: Arbeitsschutz ist Verfassungsschutz

http://bayern.dgb.de/presse/++co++e27ecc44-0f0d-11e3-b645-00188b4dc422

[…] Der DGB Bayern setzt seine Verfassungsschutz-Kampagne mit dem sechsten Motiv „Verfassungswidrig – Arbeit darf nicht krank machen“ fort. Die Bayerische Verfassung stellt in Artikel 167 fest: „Ausbeutung, die gesundheitliche Schäden nach sich zieht, ist als Körperverletzung strafbar.“ […] 

 
http://www.gesetze-bayern.de/jportal/portal/page/bsbayprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-VerfBY1998rahmen&doc.part=X&doc.origin=bs&st=lr

[…]
Artikel 167

  1. Die menschliche Arbeitskraft ist als wertvollstes wirtschaftliches Gut eines Volkes gegen Ausbeutung, Betriebsgefahren und sonstige gesundheitliche Schädigungen geschützt.
  2. Ausbeutung, die gesundheitliche Schäden nach sich zieht, ist als Körperverletzung strafbar.
  3. Die Verletzung von Bestimmungen zum Schutz gegen Gefahren und gesundheitliche Schädigungen in Betrieben wird bestraft.

[…]

Träumt schön weiter.

Wie die Steuerfahndung, so die Gewerbeaufsicht?

SZ 2012-04-25, von Mike Szymanski: Seehofers Leiden, S. 6

[…] Brandaktuell ist und bleibt der Umstand, dass Bayerns Steuerverwaltung seit Jahren chronisch unterbesetzt ist, laut Gewerkschaft fehlen 2000 Männer und Frauen. Als Steuerhinterzieher kann man sich in Bayern sicherer fühlen als in anderen Bundesländern. Diesen Schluss legen die Statistiken nahe. Wirklichen Ehrgeiz, daran etwas zu ändern, hat die Staatsregierung trotz Dauerkritik des Bayerischen Obersten Rechnungshofes nicht erkennen lassen […]

Und welchen Ergeiz zeigt die bayerische Staatsregierung im Arbeitsschutz? Was hilft OHRIS, wenn die Kontrolle fehlt? Was helfen Fachleute, denen die Hände gebunden sind? Mir scheint, dass es den bayerischen Unternehmen nicht gerade schwer gemacht wird, gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzes zu verstoßen. Es sind wohl nicht die Arbeitnehmer, die die bayerischen Politiker wirklich schützen wollen.

Ministerium nimmt Personalvertretungen und Betriebsärzte in die Pflicht

Auf eine Anfrage hin hat mir das Bayerische Staatsministerium für Arbeit- und Sozialordnung, Familie und Frauen (Referat II 3; Arbeitsmedizin, Arbeitsschutzorganisation, sozialer Arbeitsschutz) eine freundliche und ehrliche Antwort geschickt.

Vielen Dank für Ihre E-Mail vom 18. Februar 2013 an Staatsministerin Christine Haderthauer, in der Sie über Probleme bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Einbeziehung psychischer Belastungen berichten. Frau Staatsministerin hat uns, als das für die Arbeitsmedizin zuständige Fachreferat, mit der Beantwortung Ihrer E-Mail beauftragt.
Seit dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) im Jahre 1996 hat der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit zu treffen. Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitgeber auch die Gefährdung durch „psychische Belastungen“ mit einbeziehen.
Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) hat auf seiner 54. Sitzung im September 2009 in Kiel die Veröffentlichung der LV 52 „Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden“ beschlossen. Basierend auf dieser LASI-Publikation wird künftig in Bayern durch technisches und ärztliches Personal der Gewerbeaufsicht die Beratung zu und die Überwachung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz in den Unternehmen von Seiten der Arbeitsschutzbehörden erfolgen. Diese Handlungshilfe wird es dem Aufsichtspersonal in der Praxis ermöglichen, grob orientierend Anhaltspunkte für psychische Fehlbelastungen in Betrieben zu erkennen und erforderliche betriebliche Maßnahmen anzustoßen.
Derzeit werden die bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamtinnen und -beamten entsprechend geschult.
Zentraler Ansatzpunkt ist die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung. Allerdings ist festzustellen, dass es für die Gewerbeaufsicht oft nur sehr schwer möglich sein wird, auch bei vorhandener Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Belastungen, im Rahmen einer Betriebsüberprüfung zu erkennen, ob (in bestimmten Bereichen) erhöhte psychische Belastungen vorliegen und ob ausreichende Maßnahmen getroffen wurden, diesen entgegenzuwirken. Einfacher wird es sein in Branchen, in denen es bekannter Weise zu erhöhten psychische Belastungen kommt.
Deshalb und in Anbetracht der sehr limitierten Personalressourcen wird es den bayerischen Arbeitsschutzbehörden nur möglich sein, die Unternehmen für die Belange psychischer Belastungen zu sensibilisieren und eine „Anstoßberatung“ durchzuführen. Kontrollen werden nur in Ausnahmefällen in die Tiefe gehen können.
Es steht außer Frage, dass Gefährdungsbeurteilungen auch in Hinblick auf psychische Belastungen „gelebt“ werden müssen. Die Verantwortung dafür trägt der Arbeitgeber. Sollte es hier Mängel geben, so gibt es ja gerade in großen Betrieben die Möglichkeit Probleme intern, über eine starke Personalvertretung oder den Betriebsarzt anzugehen. Die Behörde wird tätig, sobald ihr Defizite bekannt werden.

(Link und Hervorhebungen nachträglich in den Text eingetragen)
Die “Burnout Detektive” der Ministerin Haderthauer waren dann wohl eher eine Erfindung der Presse.
Es geht vermutlich nicht nur um Ressourcenprobleme, sondern auch um eine Gewerbeaufsicht, die sich gegenüber den Unternehmen nicht wirklich durchsetzen darf. Noch Anfang 2012 traute sich die Gewerbeaufsicht, zu schreiben:

[…] Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest. […]

Der Text ist inzwischen verschwunden.
Die Überforderung der Gewerbeaufsicht ist übrigens kein ausschließlich bayerisches Problem, sondern sie gefährdet die Arbeitnehmer bundesweit.
 


Vier Anmerkungen zu dem Brief:
Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte in der Pflicht: Die offene und ehrliche Antwort des Staatsministeriums ist hilfreich, denn sie zeigt eine Lösung auf: Die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte werden in die Pflicht genommen. Diese Lösung gibt es natürlich schon seit es das Betriebsverfassungsgesetz und das heutige Arbeitsschutzgesetz gibt! Aber es ist gut, wenn sich Betriebs- und Personalräte auch einmal von einer eher konservativen Staatsregierung anhören müssen, dass die Gewerbeaufsicht ohne engagierte Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte auf einem verlorenen Posten steht. Wenn diese Akteure zu schüchtern und zu schlecht ausgebildet sind und die Gewerbeaufsicht nicht auf Defizite hinweisen, dann funktioniert die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung nicht.
Mehrbelastung von Arbeitnehmervertretern und Betriebsärzten: Hier sind Aufgaben auf die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte (aber auch auf die Fachkräfte des Arbeitsschutzes) zugekommen, denen möglicherweise existierende Richtlinien zur Budgetierung nicht mehr gerecht werden. Sie müssen ja nun die Ressourcenprobleme der Behörden kompensieren. Für mutige Arbeitnehmervertretungen ist das kein unlösbares Problem: Zwar gilt weiterhin ein Betriebsverfassungsgesetz mit heute zu wenig Freistellungen, aber auch dank der ehrlichen Darstellung von behördlichem Ressourcenmangel durch Staats- und Bundesministerinnen werden Arbeitsrichter die Ressourcenprobleme der Personal- und Betriebsräte, der Betriebsärzte und der Fachkräfte für den Arbeitsschutz besser verstehen. Allerdings gibt es leider auch Arbeitnehmervertretungen, die zu schwach und zu kleinmütig sind, angemessene Ressourcen (z.B. Weiterbildung, externe Auditoren und Experten usw.) für sich durchzusetzen und Freistellungszeiten über das gesetzlich garantierte Mindestmaß hinaus auszudehnen.
Arbeitnehmervertreter zuständig für die Beurteilung der Arbeitsschutzqualität: Die Antwort des Staatsministeriums erlaubt noch eine weitere Schlussfolgerung: Gibt es nach einer Kontrolle durch die Gewerbeaufsicht keinen Mängelbericht, dann können Betriebe (in Bayern, aber wohl auch in anderen Ländern) trotzdem nicht behaupten, dass die Gewerbeaufsicht ihnen bestätigt habe, dass sie psychische Belastungen pflichtgemäß in den Arbeitsschutz einbeziehen. Das Ministerium verweist uns hier an die Arbeitnehmervertretungen und an die Betriebsärzte.
        Von den beiden genannten Akteuren im Arbeits- und Gesundheitsschutz haben nun wiederum die Arbeitnehmervertretungen die besseren Durchsetzungsmöglichkeiten. (Für die Fachkräfte der Arbeitsschutzes in den Betrieben ist das nicht so einfach.) Wehe den Mitarbeitern der Betriebe, in denen die Betriebsräte oder der Personalräte zu schüchtern oder/und zu schlecht ausgebildet sind, um Ihrer Mitbestimmungspflicht im Arbeitsschutz gerecht zu werden!
Falsches Verständnis von vertrauensvoller Zusammenarbeit: Angesichts der Bedeutung der Betriebs- und Personalräte für die Kontrolle des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es besonders bedenklich, wenn der Arbeitgeber und die Arbeitnehmervertretung vertrauensvolle Zusammenarbeit falsch verstehen und gemeinsam bei Besichtigungen durch Auditoren, durch die Gewerbeaufsicht und durch die Berufsgenossenschaft jene Vorfälle und Gefährdungen verheimlichen, die als arbeitsbezogene Ereignisse auftraten oder auftreten können, obwohl diese Vorfälle und Gefährdungen zum Beispiel physische und psychische Verletzungen oder Erkrankungen (bei OHSAS 18001 ohne Berücksichtigung der Schwere!) zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. (Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert.)
        Solche Arbeitnehmervertretungen sind vielleicht sogar gefährlicher als gar keine Arbeitnehmervertretungen, denn sie nehmen den von ihnen vertretenen Mitarbeitern grundlegende Rechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ein ziemlich entsetzliches Beispiel: Von konkreten Fällen starker psychischer Fehlbelastung betroffene Mitarbeiter werden alleine gelassen, damit die harmonische Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat bei gemeinsamen Projekten nicht gestört wird.
        Betriebsräte, die (vielleicht in guter Absicht) einer Betriebsleitung helfen, Fälle psychischer Fehlbelastngen und das Fehlen wirklich wirksamer Beurteilungen psychischer Belastungen unter den Teppich zu kehren, werden am Ende zum Dank auch noch über den Tisch gezogen: Wenn der Arbeitgeber sich nach geschickter Vorbereitung und Vertuschungsarbeit in kleinen und unauffälligen Schritten sicher genug fühlt, wird er behaupten, dass sein Arbeitsschutz schon lange ganzheitlich gewesen sei, denn der Betriebsrat hätte ja in der Vergangenheit bei Besuchen der Gewerbeaufsicht die Aufsichtspersonen pflichtgemäß auf Defizite aufmerksam machen können. “Offensichtlich” habe es aber keine Defizite gegeben. Zum Schluss können der Arbeitgeber und die Gewerbeaufsicht den schwarzen Peter so zum Betriebsrat schieben – und zwar zu Recht!
Andererseits: Auch Betriebsräte können ausbrennen.
Noch einmal der Hinweis: LASI-Veröffentlichungen

Grüße aus Bayern

http://www.arbeitsschutz-aktuell.de/de/Grusswort_02.html

Schriftliches Grußwort der Schirmherrin, Frau Staatsministerin Christine Haderthauer, anlässlich der Messe und des Kongresses „Arbeitsschutz Aktuell 2012“ vom 16. – 18. Oktober 2012 in Augsburg

Unsere Arbeitswelt ist aktuell gravierenden Änderungen unterworfen. Das bringt auch im Bereich des Arbeitsschutzes neue Herausforderungen mit sich. Neben der Prävention von Verletzungen und Erkrankungen infolge von Unfällen, gewinnt auch die Reduzierung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz an Bedeutung. Dazu müssen wir im Arbeitsschutz neue Wege gehen.
Wir müssen den arbeitenden Menschen ganzheitlich betrachten. Es gilt, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Menschen ein Arbeitsleben lang und darüber hinaus zu erhalten. Deswegen müssen wir das Themenfeld psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Gewerbeaufsicht integrieren. Auch der Schwerpunkt der Fortbildung der Gewerbeärzte und der Gewerbeaufsichtsbeamten muss sich aktuell auf die Vermeidung von psychischen Belastungen konzentrieren. Wir bauen dabei auch auf die Eigenverantwortung der Beschäftigten, besonders aber der Arbeitgeber und Führungskräfte.

So ganz klappt das mit dem Unterschied zwischen Fehlbelastungen und Belastungen noch nicht. Aber der Trend stimmt. Gut ist, dass die Ministerin die bereits von Fachleuten der Gewerbeaufsicht seit einigen Jahren geforderte Weiterbildung der Gewerbeärzte und der Gewerbeaufsichtsbeamten unterstützt.

Qualifizierung der Bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamten

http://www.verwaltung.bayern.de/egov-portlets/xview/Anlage/4038079/Jahresbericht der Gewerbeaufsicht des Freistaates Bayern 2010.pdf, S. 59

Qualifizierung der Bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamten zur Thematik „arbeitsbedingte psychische Belastungen“
Arbeitsbedingte psychische Belastungen: eine Herausforderung für die Gewerbeaufsicht …

… Schwerpunktaktionen zu psychischen Belastungen hat es zwar in Bayern schon in einzelnen Branchen und Tätigkeitsfeldern gegeben (siehe www.lgl.bayern.de), sie wurden aber ausschließlich von Gewerbeärzten in Zusammenarbeit mit dem LGL durchgeführt. Die technischen Beamten – und damit das Gros des Personals der Gewerbeaufsicht – waren nicht eingebunden. …

 
S. 60

… Alle technischen Aufsichtsbeamten erhalten bis Ende 2011 eine Basisschulung zum Baustein I (siehe Tabelle 3). 2012 sollen alle technischen Aufsichtsbeamten zum Baustein II qualifiziert werden. Der Baustein III dient dem Erfahrungsaustausch der Aufsichtsbeamten und wird voraussichtlich 2013 durchgeführt.
Verbindliche Schulungsinhalte für alle Mitarbeiter mit Revisionstätigkeiten
== Schulungsangebot ==
Basisschulung Baustein I
Basisschulung Baustein II
Erfahrungsaustausch und 'Gefährdungsbeurtei lung'
Basisschulung Baustein III
Erfahrungsaustausch
== Lernziele ==
Aneignung von: Grundkenntnissen zum Themenfeld psychische Belastungen (pB) Integrationsansätzen in die Besichtigungstätigkeit
I. Festigung des erworbenen Wissens, Austausch von Erfahrungen
II.Befähigung zur Information, Beratung und Überwachung zur Gefährdungsbeurteilung (Teil 'Psychische Belastung')
 Festigung des erworbenen Wissens,
 Austausch von Erfahrungen
 == Inhalte ==
  Begriffklärung Stress, Belastungs-Beanspruchungs-Konzept
 Risikofaktoren: Begriffe, Beispiele, Bedeutung
 Ressourcen: Begriffe, Beispiele, Bedeutung
Indikatoren von pB im Betrieb
Kurz- und langfristige Folgen von psychischen Belastungen
Tätigkeitsmerkmale der Arbeitsgestaltung
Gestaltungsempfehlungen, Handlungsfelder, Beispiele, Lösungen, Erfah-
rungsaustausch
Relevanz der Erkenntnisse für die Arbeitsschutzverwaltung
Erste Schritte im Betrieb: Wie spreche ich mit dem Arbeitgeber
eigene Rolle und Grenzen
 I. Erfahrungen unter anderem zu/zum
  Bedingungen im Betrieb, Fallbeschreibung
 Vorgehen im Betrieb
 II.Gefährdungsbeurteilung:
Methodenübersicht
  Vorstellung praxisnaher Instrumente
 Prozess und Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung
 Beurteilung der Gefährdungsbeurteilung Teil 'Psychische Belastung' entsprechend der 'Leitlinie'
Wie gehe ich konkret im Betrieb vor?
 Erfahrungen unter anderem zu/zum
  Bedingungen im Betrieb, Fallbeschreibung
 Vorgehen im Betrieb
Handlungsbedarf, Risikofaktoren, Ressourcen
Gestaltungsmaßnahmen
Förderliche und hemmende Faktoren
Reaktion des Unternehmens
Möglichkeiten der verbesserten Einbindung in die Besichtigungstätigkeit
== Methoden ==
 Lehrdialog, moderierte Diskussionen, Fallbeispiele, Aktionsplan 'Transfer'
 Lehrdialog, moderierte Diskussionen, Demonstration, Übung
Fallbeispiele, Aktionsplan zur Umsetzung im Betrieb
Praxisbegleitender Erfahrungsaustausch, intern oder extern moderiert
== Dauer ==
 8 Lerneinheiten/ 2 Tage
 8 Lerneinheiten/ 2 Tage
 4 Lerneinheiten/ 1 Tag oder kontinuierlich praxisbegleitend
Tabelle 3: Curriculum für die Qualifizierung von Aufsichtskräften zum Thema 'psychische Belastungen'
Curriculum für die Qualifizierung von Aufsichtskräften zum Thema “psychische Belastungen”

Diese Tabelle finden Sie auch auf Seite 19 in der LV 52 (LASI).