- Verhaltensprävention (Stärkung der individuellen Beanspruchbarkeit) und Verhältnisprävention (im Arbeitsschutz vorgeschriebene Vermeidung von Fehlbelastungen) überlappen sich.
- Verfahren zur Verhaltensprävention kann man indirekt zur Verhältnisprävention verwenden. Von der Beanspruchungsanalyse kann man indirekt auf Belastungen zurückschließen. Rechtlich ist das wegen der komplizierten Beweislage aber kaum möglich.
- Verfahren zur Verhältnisprävention kann man direkt zur Verhältnisprävention verwenden. Von der Beanspruchungsanalyse kann man direkt auf Belastungen zurückschließen. Das ist wohl ziemlich einfach zu verstehen.
- Der Arbeitsschutz verlangt Verhältnisprävention. Hinsichtlich der Prävention ist das Arbeitsschutzziel die Vermeidung von Fehlbelastungen.
- Der ABI/WAI misst Beanspruchungen und dient gemäß BAuA der Verhaltensprävention.
- Belastungen messen beispielsweise ISTA und COPSOQ. Solche Verfahren dienen gemäß BAuA der Verhältnisprävention.
- Also ist es nicht so optimal, im Arbeitsschutz den ABI/WAI einzusetzen, wenn doch geeignetere Verfahren verfügbar sind. (Mit Anonymisierung und zusammen mit einem verältnisorientierten Verfahren sind Nutzungen in der Verhältnisanalyse möglich.)
So, das sollte jetzt verstanden worden sein.
Aber trotzdem mögen Arbeitgeber Verhaltensprävention lieber als Verhältnisprävention. Man kann Belegschaften mit fürsorglichen Fragebögen zur Verhaltensprävention so beschäftigen, dass für die Verfahren für die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Verhältnisprävention keine Lust übrig bleibt.
Testanbieter bewerben ihre scheinfürsorglichen Testverfahren intensiv und sprechen damit Unternehmen auf deren Flucht vor der ungeliebten Verantwortung an:
- Great Place to Work (Allerdings muss GPTW zugute gehalten werden, das wenigstens mit dem Sonderpreis Gesundheit der mitbestimmte Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz gewürdigt werden kann. Im Kulturaudit kann es jedoch vorkommen, dass Unternehmen gelobt werden, obwohl sie psychische Belastungen im Arbeitsschutz nicht berücksichtigen. GPTW würde in solch einem Fall tolerieren, dass ihr Klient eine Ordnungswidrigkeit begeht.)
- INSIGHTS Discovery: Das ist ein verdaulicher gemachter und farblich aufgehübschter Myers-Briggs Type Indicator (MBTI). Simplifizierung sowie Spaßfaktor helfen beim Marketing dieses Verfahrens, und die Gruppendynamik macht kritisch denkende Teilnehmer zu Spaßverderbern. Das sind Methoden, die auch Sekten zu ihrem Erfolg verhelfen.
- Der WAI/ABI: Der Test ist nicht verhältnispräventions- sondern verhaltenspräventionsorientiert, erfüllt aber Qualitätskriterien für dieses Anwendungsfeld. Darum findet man die Werbeschrift auch hier: http://www.baua.de/de/Publikationen/Broschueren/A51.pdf. “Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) fördert und unterstützt gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) die Anwendung und Verbreitung des WAI“, aber eben primär für die Verhaltensprävention. Was in der Werbung nicht steht: BAuA und INQA unterstützen mindestens so deutlich auch Verfahren der Verhältnisprävention, die im Arbeitsschutz das Mittel der Wahl sind.
Fazit: Verhaltensprävention kann eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber sein, aber Verhältnisprävention ist vorgeschrieben. Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention ist ein Indikator für Verantwortungsflucht des Arbeitgebers. Unternehmen, die ihr Gesundheitsmanagement mit Verfahren der Verhaltensprävention (z.B. ABI/WAI) beginnen, fangen bewusst am falschen Ende an. Kompetente Betriebsräte lassen sich hier nicht einseifen, sondern achten darauf, dass sich kein Unternehmen mit fürsorglich aussehenden (aber dem Individuum die Verantwortung zuweisenden) Verfahren zur Verhaltensprävention seinen Pflichten zur Verhältnisprävention entziehen kann.