TAZ behauptet Behauptungen

In der TAZ (http://www.taz.de/Psychische-Belastung-und-Arbeit/!114424/) hängt Barbara Dribbusch das Thema Psychische Belastungen und Arbeit an Jobs für Menschen mit “Macken” auf. Der Psychater Michael Linden fordert “mackengerechte” Jobs. Auf das Hauptproblem geht die TAZ nicht ein: In 80% der Betriebe werden nicht einmal jene Belastungen beurteilt, die von ausgehend von Arbeitsplätzen auf durchschnittliche Mitarbeiter wirken. Diese Unternehmen missachten damit seit 1996 wichtige Regeln des Arbeitsschutzes. Mangels Ressourcen konnten die Aufsichtsbehörden den Einbezug psychischer Belastungen in den Betrieben aber bisher kaum durchsetzen.
 
Psychosoziale Belastungen (bzw. psychische Belastungen im Sinn der ISO 10075: mental workload) sind Gegenstand des gesetzliche Arbeitsschutzes. Im Arbeitsschutz kommen aber nicht die Arbeitnehmer auf die Couch, sondern ihre Arbeitsplätze. Es gibt nämlich auch Arbeitsplätze mit “Macken”. Psychische Belastungen wirken von mehr oder minder gut gestalteten Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen ausgehend auf Menschen. Bildzeitungsmäßig gibt die TAZ dem Thema des ganzheitlichen Arbeitsschutzes ausgerechnet mit dem Geschichtchen eines Menschen mit Angststörungen den falschen Rahmen, und kommt dann in dem Artikel noch zu allgemeingültig klingenden Aussagen.
Die TAZ schreibt:

Macht die Arbeit heute seelisch krank, wie die Gewerkschaften behaupten?

Richtig ist zwar, das es Leute gibt, die das behaupten, auch Gewerkschafter. Das sind aber nicht “die Gewerkschaften”. Aber es ist ein alter Trick, sich Behauptungen “der Gewerkschaften” oder von sonst wem auszudenken, um sie dann widerlegen zu können.
Die Gewerkschaften zeigen, das schlechte Arbeit krank macht. Den Unsinn, dass Arbeit schlechthin krank macht, werden “die Gewerkschaften” nicht von sich geben.
Linden warnt vor den Verallgemeinerungen in der Burn-Out-Debatte, die in der Diskussion aber nicht die entscheidende Rolle spielen:

Man muss aufhören zu sagen, das Leid kommt von der Arbeit.

Wer ist “man”? Linden versucht den Trick wieder und verfälscht Argumente, um sie dann kritisieren zu können. Richtig lautet das Argument: Leid kommt nicht von der Arbeit, sondern von schlechter Arbeit. Das haben übrigens auch die Arbeitgeber bemerkt, denn schlechte Arbeit bereitet auch ihnen Probleme. Woran sowohl sie wie auch die Mitarbeiter sich noch gewöhnen müssen: Was schlechte Arbeit in einem konkreten Betrieb ist, vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes miteinander.
 
Was nun kritisieren “die Gewerkschaften” tatsächlich? Die Gewerkschaften beklagen zusammen mit unterausgestatteten Gewerbeaufsichten, das zu viele Unternehmen die Regeln des Arbeitsschutzes misachten. Das Hauptproblem ist nämlich, dass etwa 80% der Betriebe schon überhaupt nicht hinsehen wollen, wie es bei ihnen zugeht. Entgegen ihren Verpflichtungen beziehen sie psychische Belastungen nicht in die Gefährdungsbeurteilungen ihrer Arbeitsplätze ein. Daran verzweifelt sogar eine überforderte Gewerbaufsicht, was auch TAZler bitte einmal in der Bundestagsdrucksache 17/10229 nachlesen möchten.
Die TAZ schreibt:

Die Gewerkschaften fordern mehr „Gefährdungsbeurteilungen“ für die psychische Belastung in Betrieben. Bei diesen Beurteilungen werden die Beschäftigten unter anderem nach Stressbelastung, Betriebsklima und Führungsstil im Unternehmen befragt. Arbeitsmediziner weisen allerdings daraufhin, dass solche Befragungen angesichts der aktuellen Burn-Out-Debatte einen suggestiven Charakter entfalten könnten.

Das ist schlicht falsch. Die Gewerkschaften fordern nicht “mehr” Gefährdungsbeurteilungen, sondern (zusammen mit den Gewerbeaufsichten) den vielerorts noch fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung. Missachtet ein Arbeitgeber diese Pflicht, dann begeht er mindestens eine Ordnungswidrigkeit. In dieser Weise verstoßen derzeit die schon genannten 80% der Unternehmen gegen die Vorschriften das Arbeitsschutzes. Diese Anarchie herrscht seit 1996.
Die Gefährdungsbeurteilung ist keine neue Erfindung der Gewerkschaften. Als wesentliche Grundlage für die Ableitung und Durchführung von Arbeitsschutzmaßnahmen braucht die Gefährdungsbeurteilung nicht in ihr von der TAZ verpasten Gänsefüßchen daherzuwatscheln.
Gefährdungsbeurteilungen sind außerdem nicht “solche Befragungen”, sondern eine Befragung ist nur eine von sehr vielen anderen Möglichkeiten, zu einer Gefährdungsbeurteilung zu kommen. Und wenn es Befragungen gibt, dann gibt es auch Verfahren, in denen Mitarbeiter über Fehlbelastungen durch Unterforderung und zu wenig Stress berichten können. So simpel, wie die TAZ das darstellt, ist das Thema nämlich nicht. Bei der Auswertung solcher Befragungen sind dann Organisationspsychologen geeigneter, als eher am einzelnen und zu heilenden Menschen orientierten Psychater.
Die TAZ schreibt ja auch, dass die Beschäftigten zur Beurteilung ihrer Situation “unter anderem” nach Stressbelastung, Betriebsklima und Führungsstil im Unternehmen befragt werde. Dann lässt Barbara Dribbusch die Fehlermöglichkeiten bei Befragungen thematisieren, aber weist nicht darauf hin, wie Psychologen solche Fehler vermeiden können und wie sonst noch “unter anderem” Gefährdungsbeurteilungen (Gefährdungsermittlungen und Risikobewertungen) im Bereich der arbeitsbedingten psychischen Belastungen durchgeführt werden können. Mit ihrer Darstellungsweise stellt sie damit die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen schlechthin in Frage. Was für ein Journalismus ist das?
 
Bitte an die TAZ: Vor dem Schreiben des nächsten Artikels zum Thema der psychischen Belastungen die GDA-Leitlinien lesen: “Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz”, “Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation”und “Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes” (http://www.gda-portal.de/de/Downloads/Downloads-Leitlinien.html). Wenn das zu kompliziert ist, dann überlasst das Thema bitte Anderen.
Übrigens: Gäbe es bei der TAZ eine ordentliche Unterweisung der Mitarbeiter (also auch mit Einbezug psychischer Belastungen) und einen Betriebsrat, der bei der Gestaltung und Durchführung dieser vorgeschriebenen Unterweisung kompetent mitbestimmt, dann würde die Autorin des Artikels die Gefährdungsbeurteilung besser verstehen. Auch als TAZ-Genosse wünsche ich mir, dass sich TAZ-Mitarbeiter sich damit ein bisschen besser auskennen.

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