Die TAZ sagt auch noch etwas dazu

Mit acht Tagen Verspätung füllt die TAZ (die tageszeitung) auf Seite 6 noch ein kleines Spaltenstückchen mit einer Meldung über die Arbeitsministerin van der Leyen, die jetzt etwas gegen Überlastung am Arbeitsplatz tun will. Zwei Spaltensegmente auf Seite 16 belegte dazu noch Simone Schmollack unter dem Kommentartitel “Ministerin ganz ohne Burnout“. Sehr originell. Schmollack maulte, dass sich die Arbeitsministerin in Themen der Familienministerin und der Gesundheitsministers einmische. Dann widmete sie sich dem Burn-Out als Modebegriff. Das ist nach all den Ungenauigkeiten in der Diskussion zu dem Thema eben im Augenblick die Mode.
Klar, das Thema war in den letzten Monaten populärer geworden, und dann musste nach langer Enthaltsamkeit zu diesem Thema auch die TAZ etwas dazu sagen. Schmollak machte das wie Kristian Weber in der Süddeutschen Zeitung (2011-10-22, S. 24), nur kürzer.
Angesichts ihrer Zuständigkeiten im Arbeitsschutz auf Bundesebene kann man der Arbeitsministerin legitim eigentlich nur vorwerfen, dass sie die Überlastung am Arbeitsplatz erst jetzt aufgreift und nicht deutlich genug macht, dass die Mehrheit der Arbeitgeber seit 1996 (und trotz wichtiger BAG-Beschlüsse im Jahr 2004) ihre Pflichten im ganzheitlichen Arbeitsschutz fortgesetzt und wissentlich mißachtet hatte. Nicht nur die Bundesfamilienministerin und der Bundesgesundheitminister kamen der Bundesarbeitsministerin zuvor, sondern besonders deutlich (hoffentlich auch weiterhin) wurde hier bereits Christine Haderthauer, die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
Es ist zwar ein bisschen verkehrt herum, aber die TAZ könnte vielleicht auch noch nach dem Kommentar etwas recherchieren. In der Redaktion weiß man vermutlich nicht, dass die große Mehrheit der Unternehmen seit Jahren gegen die Arbeitsschutzbestimmungen verstößt, weil diese Arbeitgeber die psychisch wirksamen Belastungen in ihn nicht mit einbeziehen. Wenn man Kommentare über die Arbeitsministerin und Burn-out schreibt, könnte es nicht schaden, die Aufgaben der Arbeitsministerin zu kennen. Möglicherweise ist das Thema der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz aber auch nur uninteressant für die taffe TAZ. Oder vielleicht rafft sich ja doch aus dieser so vorbildlichen Redaktion noch jemand zu einer ordentlichen Recherche auf. (Ich hatte die Redaktion auch als TAZ-Genosse schon früher darum gebeten.) Zu der These “Zu viele Organisationen drücken sich vor dem Arbeitsschutz” könnte die TAZ damit in Berlin beginnen, also noch in Simone Schmollaks Nähe.
Anmerkung: Die Begeisterung der FDP-Gesundheitsminister für das Betriebliche Gesundheitsmanagement ist mit Vorsicht zu genießen. Siehe: Gesundheitsmanagement als Schleier.

Von der Leyen kündigt Kampagne an

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/von-der-leyen-plant-kampagne-gegen-burn-out-1.2652967
Wie auch die Saarbrückener Zeitung meldet, plant Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eine breit angelegte Kampagne zur Bekämpfung psychischer Überbelastungen in der Arbeitswelt. Mit den Tarifpartnern, Sozialversicherungsträgern sowie Länderexperten wolle sie im kommenden Jahr “wirksame Maßnahmen” gegen diese Probleme entwickeln, kündigte von der Leyen der Zeitung zufolge an.
Strengere Gesetze seien, so die Zeitung, nach Ansicht von der Leyens nicht nötig.

Schon jetzt gebe es strenge Arbeitsschutzbestimmungen auch mit Blick auf seelische Belastungen.
Studien zeigten aber, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit“. Daher müsse man besser informieren und Lösungswege aufzeigen. Dies solle die von ihr geplante “breit angelegte Kampagne” erreichen.

(Link und Hervorhebung nachträglich eingefügt)
Hier stimmt fast alles, vielleicht auch die “Hilflosigkeit”. (Gibt es erlernte Hilflosigkeit auch bei Organisationen?) Aber die “Unwissenheit” wurde von zu vielen Arbeitgebern geradezu proaktiv gepflegt. Mitarbeiter und Betriebsräte, die auf das Thema aufmerksam machten, wurden unter Druck gesetzt. Dokumentiert wird die Absichtlichkeit des Unwissens der Arbeitgeber einfach dadurch, dass die Gewerkschaften das Thema schon vor Jahren aufgriffen. Das ist gut dokumentiert. Die Arbeitgeber wussten, was sie taten und was sie unterließen: Tausendmal diskutiert, und doch ist nichts passiert.
Sehr gut ist, dass die Arbeitsministerin strengere Gesetze nicht für nötig hält. Strengere Gesetze wären meiner Ansicht nach sogar schädlich. Aber Arbeitgeber, die ohne einen ausreichenden Arbeitsschutz die Gesundheit ihrer Mitarbeiter riskieren, müssen leichte in Haftung genommen werden können.
Woran wir uns wieder gewöhnen müssen, ist ein Rechtsstaat, in dem Unternehmen geltene Schutzgesetze zu beachten haben und in dem Aufsichtbehörden diese Schutzgesetzen durchsetzen können und dürfen. Dabei gibt es häufig noch ein Problem: Manche Arbeitgeber schaffen es gerade noch, Betriebsräte “einzubeziehen”, das Wort “Mitbestimmung” fehlt dann häufig sogar schon in ihrem Vokabular. Das behindert die Umsetzung der als Rahmenbestimmungen formulierten Regeln des Arbeitsschutzes. Betriebsräte bestimmen mit. Es herrscht sogar Mitbestimmungspflicht! Es geht also nicht nur um mehr Respekt vor Schutzgesetzen, sondern auch um das Betriebsverfassungsgesetz und um die Förderung der Betriebsräte beim Aufbau der für ihre Aufgaben erforderlichen Kompetenzen.
Komplettes Interview: http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/interview-vdl-saarbruecker-zeitung-2011_12_27.html
 
Anmerkung: In der Süddeutschen Zeitung wurde im Oktober eine vermeintlich hysterische Verwendung des Begriffes “Burn-out” kritisiert. Die nüchtern geschriebene Meldung der Saarbrückener Zeitung gaben die Süddeutschen unter dem Titel “Von der Leyen plant Burn-out-Gipfel” wieder.

Endlich oben angekommen

http://blog.betriebsrat.de/burn-out/von-der-leyen-mehr-arbeitsschutz-gegen-burn-out/

Von der Leyen: Mehr Arbeitsschutz gegen Burn-out
Endlich scheint es auch in oberen Kreisen angekommen zu sein: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen kündigte an, sie wolle den Schutz vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zum Schwerpunkt der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) im nächsten Jahr machen. …

Arbeitsministerin warnt vor Großraumbüros

http://www.welt.de/wirtschaft/article13773959/Von-der-Leyen-sagt-Burn-out-den-Kampf-an.html

… Die Arbeitsministerin warnte auch vor Großraumbüros, die ein „nicht zu unterschätzendes Gefährdungspotenzial“ in sich bergen: „Nicht nur durch Lärm und Reizüberflutung. Ein Großraum lässt den Mitarbeitern keinen Rückzugsraum, sie können sich nicht mehr abgrenzen.“ Selbst kurze Erholungsphasen seien dort nicht mehr möglich. …

Anmerkung:
Für vertrauliche Gespräche in Großraumbüros gibt es schon seit den 60er-Jahren eine innovative Lösung.

Die Betriebe in die Pflicht nehmen

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_wirtschaft/article13774163/Burn-out-als-Chefsache.html

Von der Leyen kündigt Kampagne gegen psychische Belastung am Arbeitsplatz an
Ministerin will kein schärferes Gesetz, sondern Firmenstrategien
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will Arbeitnehmer besser vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz schützen und dabei die Betriebe in die Pflicht nehmen. “Das ist für mich eines der großen Ziele im Arbeitsschutz”, sagte von der Leyen “Welt Kompakt”. “Wir sind in den letzten Jahrzehnten weit vorangekommen, um schwere körperliche Schäden durch Arbeit, etwa durch Fließbandarbeit, deutlich zu reduzieren. Das können wir bei den psychischen Belastungen auch schaffen.
Im kommenden Jahr werde die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie mit den Ländern und den Unfallversicherungsträgern einen Schwerpunkt setzen und die Konzepte mit Hilfe der Arbeitgeber und Gewerkschaften in die Betriebe hineintragen, kündigte die Ministerin an”

Sich beispielsweise an die seit 1996 bestehende Gesetze zum Arbeitsschutz zu halten, könnte eine gute Firmenstrategie sein. Angesichts der bestehenden Zustände wäre das sogar ziemlich innovativ. Bisher nämlich griff die große Mehrheit der Arbeitgeber das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) nicht auf, worauf die Arbeitsministerin wider besseren Wissens nicht hinweisen möchte.
Noch ein sachlicher Fehler, der aber ziemlich weit verbreitet ist: Es geht nicht um die Abschaffung psychischer Belastungen. Eine Kampagne gegen psychische Belastungen am Arbeitsplatz würde Arbeitsplätze beseitigen. Was die Ministerin wohl meint, ist eine Kampagne gegen psychische Fehlbelastungen. Fallweise kann auch ein Mangel an stimulierenden psychischen Belastungen eine Fehlbelastung sein.

Liebe Ministerin für Arbeit und Soziales…

An die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
 
Sehr geehrte Frau Dr. Ursula von der Leyen,
Seit 1996 haben Arbeitgeber die psychische Belastung am Arbeitsplatz in den ganzheitlichen Arbeitsschutz einzubeziehen. Trotzdem missachtet die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland die Vorschriften des Arbeitsschutzes.
Als Bundesministerin für Arbeit und Soziales (und auch als Ärztin) haben Sie auf Bundesebene die Verantwortung für den Arbeitsschutz. Sie mögen nun auf die Zuständigkeit der BAuA und der Landesbehörden verweisen wollen, die sehr gutes Informationsmaterial zur Verfügung stellen. Aber offensichtlich dient die Arbeit dieser Organe nicht der Durchsetzung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes.
In den Gewerbeaufsichten und in den Berufsgenossenschaften gibt es Aufsichtspersonen, die besser prüfen würden, wenn sie den Rückhalt und die Ressourcen dafür hätten. Beispielsweise ist es ziemlich einfach, sich in den Betrieben zeigen zu lassen, wie die psychisch wirksame Arbeitsbelastung in die Gefährdungsbeurteilungen einbezogen werden. Mängel sind hier klar zu erkennen. Verbesserungsmaßnahmen können entsprechend eingefordert werden. Das muss jetzt dringend geschehen, und zwar flächendeckend. Es ist seit 1996 schon zu viel Zeit verloren gegangen.
Wann wird es aus aus Ihrer Sicht soweit sein, dass Unternehmen die Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutz beachten und insbesondere der Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention geben? Denn der Arbeitsschutz fragt nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen.
Mit freundlichen Grüßen
Götz Kluge
 
PS aus einem Kommentar auf Seite 4 in der SZ 2010-08-03, der an ihren Kollegen (auch ein Arzt) gerichtet ist:

… Die Vorbehalte [der Firmen] gegenüber guter Prävention zeigen auch wieder, dass die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler falsch sind, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einzufrieren. Damit würden künftig die Arbeitnehmer alleine dafür zahlen, dass Firmen durch schlechte Vorsorge die Gesundheit ihrer Belegschaft gefährden.

(Link nachträglich eingefügt)