Firmen sollen Burn-out bekämpfen

http://www.sueddeutsche.de/karriere/seelische-gesundheit-in-unternehmen-firmen-sollen-burn-out-bekaempfen-1.1510394

Seelische Gesundheit in Unternehmen
Firmen sollen Burn-out bekämpfen
30.10.2012, 17:24
Von Guido Bohsem und Sibylle Haas
Der Arbeitsschutz in Deutschland stammt aus einer anderen Zeit: Es geht vor allem um die körperliche Unversehrtheit schwer arbeitender Männer. Doch inzwischen ist nicht mehr der Körper das größte Problem, sondern ist die Seele. Darum soll nun das Gesetz um den Schutz der seelischen Gesundheit ergänzt werden.
Eine Gruppe SPD-regierter Länder will das Arbeitsschutzgesetz erweitern. Über eine Bundesratsinitiative soll das Gesetz um den Schutz der seelischen Gesundheit der Beschäftigten ergänzt werden.

Im Juni hatte schon Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angekündigt, den Umgang mit Handys strikter regeln zu wollen. Das Arbeitsschutzgesetz verlange mit seinem “knallharten Strafenkatalog” von jedem Chef, dass er “Körper und Geist seiner Mitarbeiter aktiv schützt”, sagte die Ministerin.

(Links nachträglich eingetragen)
Es muss ja nicht immer etwas Neues sein, über das eine Zeitung berichtet.
Schön, dass die SZ am Ball bleibt. Hier ist eine Erinnerung durchaus notwendig. Ein Personalratsmitglied schrieb mir:

… bei uns gibt es Erfahrungen mit Gesundheitsprogrammen. Leider aber keine wirklich positiven.
Es gab Versprechen und Ansätze, die aber nie verwirklicht wurden. Insbesondere mit der Einbeziehung von psychischen Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung tut man sich sehr schwer. …

Viele Unternehmen wollen psychische Belastungen nicht wirklich in ihren Arbeitsschutz einbeziehen. Vor Allem wollen sie nicht dokumentieren, dass es arbeitsbedingte Fehlbelastungen gibt. Mitarbeiter, die solche Vorfälle melden, werden sogar noch zusätzlich unter Druck gesetzt. Selbstverpflichtungen (z.B. durch Zertifizierungen nach OHSAS 18001) zur Vorfallsuntersuchung sind dann nur Makulatur. Es gibt eben einen Konflikt zwischen Haftungsabwehr und ehrlicher Gefährdungsbeurteilung. Außerdem macht ein konsequenter ganzheitlicher Arbeitsschutz Führungsstile in einer Weise transparent, an die sich Unternehmensführungen wohl erst noch gewöhnen müssen.
Die Vorschriften des Arbeitsschutzes und die Rechtsprechung reichen eigentlich aus, um den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz durchzusetzen. Aber das läuft in der Praxis viel zu zäh. Mehr als 15 Jahre der sehr beharrlichen Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften durch viele Unternehmen sind ein Beweis für die Anarchie, die hier herrscht. Darum ist die Initiative der vier Länder leider wohl notwendig.

1999: Gewolltes Unwissen, erlernte Hilflosigkeit

Psychischer Stress in der Arbeitswelt. Erkennen – Mindern – Bewältigen, RKW-Fachtagung, 127 S., 1999-11-24, http://www.infoline-gesundheitsfoerderung.de/global/show_document.asp?id=aaaaaaaaaaagejg

Die nach dem Arbeitsschutzgesetz geforderte Gefährdungsbeurteilung verlangt vom Arbeitgeber u.a., dass psychische Belastungen ermittelt, Maßnahmen zur Regulierung eingeleitet und deren Wirksamkeit überprüft werden. Ein Schritt, um einen ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verwirklichen, liegt deshalb im Erkennen und in der Beurteilung von kognitiven, psychosozialen und emotionalen Belastungsfaktoren. Hierzu gibt es eine Reihe von Methoden und Instrumenten, die jedoch nur zögerlich in der Praxis eingesetzt werden. Vielen betrieblichen Praktikern fehlen zum einen die Kenntnisse, angemessene Ermittlungsmethoden auszuwählen; zum anderen sind viele Verfahren noch wenig erprobt und erfüllen eher wissenschaftliche als praktische Ansprüche. …

… Die gesetzlichen Entwicklungen tragen den veränderten Arbeitsbedingungen und der merklichen Belastungsverschiebung in der Arbeitswelt Rechnung und korrespondieren mit der notwendigen Verständniserweiterung. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) vertritt diese ganzheitliche Sicht und gibt ihr die rechtliche Legitimation. Ein Gesetzesauszug, der diese systemische Auffassung repräsentiert, lautet “Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen; […].” (§ 4, Nr. 4 ArbSchG). Das betriebliche Arbeitsschutzhandeln soll demnach auf ein ganzheitliches Arbeitsschutzhandeln ausgerichtet sein und neben den technischen Bedingungen die der Arbeitsorganisation und sozialen Beziehungen berücksichtigen.
Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist das Erkennen der verschiedenen Quellen betrieblicher Gesundheitsgefährdungen, um daraus präventive und korrektive Arbeitsschutzmaßnahmen abzuleiten. Ein wichtiges Instrument und eine wesentliche Entscheidungsgrundlage dafür ist die gesetzlich geforderte Gefährdungsbeurteilung. Nach § 5 Abs. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, “durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.” Dies schließt psychische Belastungen mit ein. Gefährdungen, verstanden als Quelle möglicher arbeitsbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen oder arbeitsbedingter Unfälle, werden beispielhaft in § 5 Abs. 3 aufgeführt, u.a. mit der Spezifizierung: “Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch […] (die) Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken”, d.h. eben diese Elemente eines Arbeitssystems, die mit dem Konzept der psychischen Belastungen erfasst werden. Ganz explizit genannt, werden psychische Belastungen bisher als Kriterium bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen in § 3 der Bildschirmarbeitsverordnung.

… obwohl für die Ermittlung der belastenden Arbeitsbedingungen als auch die der Beanspruchungen können zwei Erhebungsstrategien unterschieden werden: Bei der ersten Variante führt ein externer Experte, d.h. eine Person, die nicht unmittelbar von den Arbeitsbedingungen betroffen ist, die Analyse und Bewertung durch. Im Betrieb kann das die Fachkraft für Arbeitssicherheit sein oder der Betriebsarzt [Leider kann es vorkommen, dass sich beide dem Arbeitgeber verpflichteter fühlen, als den Arbeitnehmern], im Fall der überbetrieblichen Einrichtungen, die staatlichen und technischen Aufsichtsbeamten [die bis heute vorwiegend technisch geblieben sind!] oder ein Unternehmensberater. Diese Vorgehensweise wird auch häufig als “objektiv” bezeichnet, in Abgrenzung zu den subjektiven Verfahren. Bei der zweiten Ermittlungsstrategie erfolgt die Analyse und Bewertung durch die Beschäftigten. Am bekanntesten ist hier wohl die Methode der fragebogengestützten Mitarbeiterbefragung. …

(Hervorhebungen und Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingetragen)
Das war also schon im Jahr 1999 klar. Aber Ursula von der Leyen billigt den Unternehmern heute “Unwissen und Hilflosigkeit” zu. Es war aber eine nachhaltig gewolltes Unwissen und gut erlernte Hilflosigkeit. Auch in den Gewerbeaufsichten schein das Unwissen von den politischen Führungen gewollt und durch “Verschlankung” so erfolgreich erreicht worden zu sein, wie sich die Unternehmerverbände das wünschten. Dabei rufen die vielen Unternehmer, die erst dann Handlungsbedarf sehen, wenn es rechtlich für sie brenzlig wird, geradezu nach scharfen Kontrollen. Sie sollten sich nicht beschweren. Immerhin hatten sie eine Chance gehabt. Statt dessen hören wir von zu vielen Unternehmern, die ihrer eigenen unternehmerische Verantwortung selbst nicht gerecht werden, Aufforderungen an die Mitarbeiter, sich “eigenverantwortlich” um ihre Gesundheit zu kümmern. Wird Frechheit wieder einmal siegen?

Weniger Beanstandungen mit weniger Gewerbeaufsicht

2012-06-17: In verschiedenen Berichterstattungen (basierend auf einer zur Westdeutsche Allgemeine Zeitung gehörenden Quelle?) war zu lesen, dass die Zahl der von den für die Arbeitsschutz-Aufsicht zuständigen Länderbehörden jährlich inspizierten Betriebe von 2005 bis 2010 auf 25 Prozent gesunken sei. Im letzten Jahr dieses Zeitraums sollen nur noch 1220000 Betriebe kontrolliert worden sein.
Hintergrund dieser Entwicklung sei ein deutlicher Personalabbau: Von 2005 bis 2010 sei jede sechste Stelle in der Arbeitsschutz-Aufsicht gestrichen worden. Übriggeblieben waren dann im letzten Jahr dieses Zeitraums noch etwa 3200 Aufsichtsbeamte der Länder, die bundnesweit 4,9% der Betriebe besucht und dabei 509000 Beanstandungen festgestellt haben sollen. Gegenüber dem Jahr 2006 seien das 60% weniger gewesen.
Das sind dann so um die 380 Betriebe, die eine Aufsichtsperson in einem Jahr kontrolliert. Und die soll dann auch noch überprüfen, wie in den Betrieben mit dem Thema der psychischen Belastungen umgegangen wird? Wie sieht es da mit den psychischen Fehlbelastungen aus, denen Ausichtsbeamte selbst ausgesetzt sind? Da stimmt etwas nicht mit der Meldung. Aber dazu komme ich später.
Die Daten wurden in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage genannt. In der Antwort soll es auch geheißen haben, dass dieser Personalabbau “nicht ohne Sorge” betrachtet werde. Sogleich musste ich an die Meldung denken, die ich nach Stöbern in Bundestagsdrucksachen einen Tag zuvor gebracht hatte und schaue noch einmal in die dort zitierte Bundestagsdrucksache hinein. Da meint die um ihre Bürger rührend besorgte Bundesregierung (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf bzw. http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf, 2012-07-03):

Es gibt weder im nationalen Recht noch in europäischen oder internationalen Vereinbarungen konkrete quantitative Anforderungen an den Umfang einzusetzender Personal- oder sonstiger Ressourcen für die Aufsichtstätigkeit, so dass diesbezügliche konkrete Anforderungen an die Länder nicht gestellt werden können. Gleichwohl beobachtet die Bundesregierung den Personalabbau bei der Arbeitsschutzaufsicht der Länder nicht ohne Sorge.

Wie peinlich. Die Regierung findet keine europäischen oder internationalen Vorgaben für sich und macht dann halt nix. Aber die Drucksache ist sehr lesenswert. Interessant ist dabei, dass es um das Arbeitsschutzthema “psychische Belastungen” ging. Auch wurde nicht berichtet, wer die Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte. Was sind denn das für Journalisten? Liebe blog.psybel.de-Leser, nehmen Sie sich doch mal Zeit für die ganze Bundestagsdrucksache und überprüfen Sie die oben angegebenen Zahlen.

Im Jahr 2010 haben die Aufsichtsbeamtinnen und -beamten der Länder insgesamt 300252 Besichtigungen in 121990 Betrieben durchgeführt.

1220000/10=122000. (Ein anderer WAZ-Beitrag macht hier vorsichtshalber keine Angeben.)
Bevor Sie sich davon ab- und dann der Drucksache zuwenden, hier noch ein weiteres Geständnis unserer Regierung:

[Es] wird deutlich, dass der Schwerpunkt bei den Besichtigungen im „Technischen Arbeitsschutz“ liegt. Das Sachgebiet „Arbeitsplatz, Arbeitsstätte, Ergonomie“ wird bei jeder zweiten Besichtigung thematisiert, das Sachgebiet „Arbeitszeit“ bei jeder zehnten Besichtigung. Das Sachgebiet „psychische Belastung“ wird hingegen im Durchschnitt bei jeder neunzigsten Besichtigung behandelt.

Na toll. Wenn kaum geprüft wird, dann weiß man doch gleich, was unsere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit ihrem “knallharten Strafkatalog” unseres “strengen Arbeitsschutzgesetzes” machen kann, wenn’s nicht zu anstrengend ist.
-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag

Wie "streng" ist das Arbeitsschutzgesetz wirklich?

Ursula von der Leyen in einem SZ-interview, 2012-07-20, S. 5

… Wir haben ein strenges Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitgeber verpflichtet, auch den psychischen Arbeitsschutz ernst zu nehmen. Die Handynutzung ist nur eine Synonym für dieses große Thema. Das Wort psychischer Arbeitsschutz ist so sperrig, das versteht erst mal keiner, übrigens auch Unternehmen selten. Oder man hat ein Vorurteil und sagt, das sind die, die ein Psychoproblem haben. Das stimmt aber alles nicht. Mir geht es darum, die Diskussion anzufachen, dass es ein Problem gibt, um dann zusammen mit den Arbeitgebern, Gewerkschaften, Ländern und Gewerbeaufsicht eine Strategie zu entwickeln, was wir tun können, um den Schutz für die Arbeitnehmer zu verbesern. …

(Link und Kursivsatz nachträglich eingetragen)
Wie streng kann das Arbeitsschutzgesetz sein, wenn heute noch etwa zwei Drittel der Unternehmen psychische Belastungen nicht in ihren Arbeitsschutz einbezogen haben?
 


Antwort aus dem BMAS (2012-07-31) auf eine von mir an das BMAS gestellte Frage:

Das Gesetz ist streng, wie die BM’in das deutlich gemacht hat.
Richtig ist aber auch, dass es noch nicht flächendeckend und vollständig angewandt wird insbesondere bei Gesundheitsrisiken durch psychische Belastungen.
Diesem Defizit, das Sie zu Recht ansprechen, wollen wir, Bund, Länder und UVT, im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) begegnen. Wir haben uns mit den Sozialpartnern ab 2013 auf das Ziel “Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen” verständigt.
Ich erwarte, dass wir in diesem Feld schnell Fortschritte erzielen werden.
Die breite öffentliche Diskussion dazu sehe ich schon als einen solchen Fortschritt an.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/gda-leitlinie-beratung-und-ueberwachung-bei-psychischer-belastung-am-arbeitsplatz/

Laut propagierter Anspruch an Selbstverantwortlichkeit

Matthias T. Meifert, Mathias Kesting: Gesundheitsmanagement Im Unternehmen: Konzepte – Praxis – Perspektiven (2003), ISBN 978-3-540-00583-4
books.google.de/books?id=LmZGzGYleg0C&pg=PA165&lpg=PA165
Mathias Kesting (von der Kienbaum-Unternehmensberatung) schrieb in dem Kapitel Selbstmanagement – Zwischen Selbstverantwortung und äußeren Sachzwängen im Fazit auf Seite 165:

… Der heute so laut propagierte Anspruch an Selbstverantwortlichkeit von Mitarbeitern ist in den vergangenen Jahren in vielen Unternehmen im Keim erstickt worden, in dem ein übergroßer Moloch an Bürokratie und bevormundender Einschränkung vorherrschte. …

Vielleicht ist das eigentliche Problem aber, dass Unternehmensführungen ihrer eigenen unternehmerischen Eigenverantwortung (im ganzheitlichen Arbeitsschutz seit etwa 2005 wissentlich) nicht gerecht wurden und (bei gleichzeitig überproportional steigendem Einkommenfür sich selbst) versuchten, die Verantwortung, der sie selbst nicht gerecht wurden, den Mitarbeitern als “Eigenverantwortung” zuzuschieben.
Kesting versuchte auch, den Mitarbeitern “erlernte Hilflosigkeit” (nach Seligman, 1979) zuzuschreiben, was aber nur eine Erklärung sei, keine Entschuldigung. Da muss ich an Ursula von der Leyens Versuch denken, das unternehmerische Versagen im ganzheitlichen Arbeitsschutz mit “Unwissenheit und Hilflosigkeit” zu entschuldigen bzw. zu erklären.
Als Kesting an dem Buch mitschrieb, war das in den Unternehmen missachtete Thema der psychischen Belastungen allerdings noch nicht so auf dem Radar, wie heute.

Anti-Stress-Verordnung als Weckruf

Ich habe http://blog.psybel.de/arbeitgeber-gegen-anti-stress-verordnung/ überarbeitet und aktualisiert.
 
Das der Entwurf der IGM einer Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit irgendwann einmal zu einer tatsächlichen Verordnung wird, glaube ich nicht so recht. Das Fuchteln mit dem Verordnungsknüppel ist aber eine Möglichkeit, das Thema der psychischen Belastung ein bisschen konkreter in das Gespräch zu bringen.
Das eigentliche Problem bringt Stephan List in seinem Blog auf den Punkt:
http://www.arbeitstattstress.de/2012/07/anti-stress-verordnung-ja-oder-nein/

Warum neue Vorschriften, wenn noch nicht einmal die alten umgesetzt werden? Worin bestehen denn die Erkenntnislücken, von denen das Ministerium spricht?

Genau das sind die richtigen Fragen. Es gibt zum Beispiel gute Anweisungen an Aufsichtsbeamte. Die Kontrolleure, die ich kenne, möchten das auch liebend gerne umsetzen, aber irgendwie schien das bisher politisch nicht so recht gewünscht gewesen zu sein. Eine Gewerbeaufsichtlerin meinte einmal zu mir, sie dürfte erst tätig werden, wenn die Mitarbeiter eines Unternehmens aus dem Fenster springen. Einer ihrer Kollegen machte seinem Frust sogar öffentlich Luft.
Wenn man sich ansieht, seit wann sich die Arbeitgeber mit dem Thema der psychischen Belastungen auseinandersetzen, dann wird klar, dass sich seit spätestens 2005 die Mehrheit der Arbeitgeber ziemlich bewusst entschlossen hat, bestehende Vorschriften nicht umzusetzen. Sie konnten das, weil politisch ausgebremste Aufsichtsbehörden nicht ausreichend kontrollieren durften. Wenn Ursula von der Leyen beklagt, dass etwa 70% der Unternehmen das Thema der seelischen Belastungen “schleifen ließen”, dann beklagt sie damit das Versagen der Aufsicht. Verantwortlich ist ein breites rot-grün-schwarz-gelbes Spektrum von überforderten und desinteressierten Politikern.
 
Noch einen guten Blog-Beitrag finden sie hier:
http://www.persolog-blog.de/allgemein/anti-stress-verordnung-fuer-gesunde-mitarbeiter/

Anti-Stress-Verordnung für gesunde Mitarbeiter?
Artikel von Anna Dieckhoefer ….

 
Eine weitere Bloggerin ließ sich von der IGM überzeugen:
http://youpec.de/blog/2012/07/gesetzliche-regelung-des-feierabendverkehrs-im-email-postfach/

„So ein Quatsch“. Damit war meine spontane Privatmeinung bis jetzt knapp aber treffend zusammenzufassen. …

… Die europäische Sozialpartnervereinbarung von 2004 zu Stress am Arbeitsplatz beinhaltet keine verbindlichen Richtlinien. Trotzdem gibt es konkrete gesetzliche Vorgaben zur Verminderung von Stress am Arbeitplatz inzwischen in 13 EU-Ländern. Deutschland gehört nicht dazu. …

… So viel also zu meiner Anfangsmeinung… Anscheinend ist die Idee der gesetzlichen Regelung doch nicht so verkehrt.
Die IG-Metall hat nun in Form einer „Anti-Stress-Verordnung“ auch eine etwas konkretere Diskussionsgrundlage im Hinblick auf Regelungen zum Thema “arbeitsbedingter Stress” vorgelegt. Darin wird u.a. auch der „Gefährdungsfaktor Arbeitszeitgestaltung“ berücksichtigt (S.13f). …

 
PS: Die Gewerkschaft scheint’s ernst zu meinen: Ich kann den Entwurf vom Gewerkschafts-Server nicht herunterladen. Wochenendarbeitsverbot? Mein Server läuft noch. Hier ist eine Kopie: http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/docs_ig_metall_xcms_188529__2.pdf.

Gefährdungsbeurteilung und Erreichbarkeit

http://www.bwr-media.de/arbeitssicherheit/10690_psychische-belastungen-ursula-von-der-leyen-zur-arbeitszeit/

Von Martin Weyde, 19.06.2012
Psychische Belastungen: Ursula von der Leyen zur Arbeitszeit
Frage: Gehören psychische Belastungen durch Handy, E-Mail oder SMS außerhalb der Arbeitszeit in die Gefährdungsbeurteilung?
Antwort: Ja. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat gerade die Trennung von Arbeitszeit und Freizeit angemahnt. Geschäftliche Telefonate und Korrespondenz per Handy, E-Mail oder SMS außerhalb der Arbeitszeit werden als Arbeitszeit gerechnet. Sie gehören deshalb in Ihre Gefährdungsbeurteilung „Psychische Belastungen“. …

Von BWRmed!a landen oft einige nicht sehr zimperliche Ratschläge für Arbeitgeber in meiner E-Mail. Man kann dieses Unternehmen aber nicht vorschnell in den Arbeitnehmerfeinde-Topf schmeißen. Die Ratschläge sind oft ziemlich interessant – und immer gut gewürzt, gelegentlich auch skurril.
Sachlich ist der Hinweis zur Gefährdungsbeurteilung richtig. Und er hilft auch den Arbeitgebern, denn Gefährdungen zu beurteilen bedeutet nicht, dass alle Belastungen abgebaut werden, sondern dass eine Basis geschaffen wird, mit Risiken richtig umzugehen und dabei gesund zu bleiben.
Wichtig ist dabei allerdings die Mitbestimmung. Wehe den Arbeitnehmern, die keine guten Betriebsräte oder Personalräte haben! Ohne kompetente Arbeitnehmervertreter kann die Gefährdungsbeurteilung selbst zu einer Gefährdung der Mitarbeiter werden.
BWRmed!a weiter:

… Und behalten Sie im Auge, wie sich von der Leyens Worte auf die Arbeitspraxis auswirken.

Interessant wird auch sein, wie sich ihre Worte auf die Taten bei der Durchsetzung der Arbeitsschutzvorschriften auswirken. Kann und darf die Gewerbeaufsicht in den Ländern jetzt wirklich ernsthaft prüfen? Oder werden die Behörden noch weiter ausgedünnt?

Ursula von der Leyen: Beispiele zu Betriebsvereinbarungen

http://orf.at/stories/2125338/2125324/

… Von der Leyen kündigte an, nun zunächst mit einer Informationskampagne gezielt auf Unternehmen zuzugehen. Den Firmen müsse dabei klar werden, dass das Arbeitsschutzgesetz „ein sehr scharfes Gesetz“ ist. Auch sollten Beispiele zu Vereinbarungen in den Betrieben aufgezeigt werden. Im kommenden Jahr solle das Thema dann im Rahmen von Gesprächen zur Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutz-Strategie besprochen werden. Diese wird vom Bund, den Ländern und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung beraten. …

Endlich auch einmal eine Anerkennung der Betriebsratsarbeit. (Ich will ja nicht nur meckern.)
Die Liste der Arbeitsministerin muss sich allerdings an Dr. Gerays schon seit langer Zeit gepflegter Liste messen lassen: http://buero-fuer-arbeitsschutz.de/fuer-die-praxis/alles-auf-einen-blick/

Arbeitgeber knausrig mit flexiblen Arbeitszeitmodellen

http://www.tagesspiegel.de/meinung/kontrapunkt-ausgleichende-gerechtigkeit/6747134.html

Kontrapunkt
Ausgleichende Gerechtigkeit
14.06.2012 00:00 Uhr
von Anna Sauerbrey …

… Laut dem IT-Branchenverband Bitkom sind bereits 88 Prozent der Arbeitnehmer auch in ihrer Freizeit erreichbar, der DGB spricht von 60 Prozent, die nach Dienstschluss noch verfügbar sind.
Das kann Fluch oder Segen sein, zurzeit ist es für die Arbeitnehmer eher noch ein Fluch. Zwar erwarten viele Arbeitgeber ein hohes Maß an Flexibilität (Reisen, unorthodoxe Arbeitszeiten, lebenslanges Lernen), sind aber mit flexiblen Arbeitszeitmodellen eher knausrig. Zu lesen war dieser Tage die Geschichte der Leiterin des Marburger Kulturdezernats. Die Alleinerziehende möchte sich den Job gern teilen, der Oberbürgermeister ist einverstanden, doch das Regierungspräsidium sagte nein. Das ist Alltag.
Hier sollte Arbeitsmarktpolitik ansetzen. Statt den Chefs Anrufe bei ihren Mitarbeitern nach 18 Uhr zu verbieten, sollte von der Leyen sie dazu bewegen, bei Arbeitszeitmodellen endlich kreativer zu werden. …

Konsequenzen aus dem Burn-out-Ranking

Fortsetzung von http://blog.psybel.de/2012/06/08/manager-magazin-burn-out-ranking/:
Habe mit heute einmal die Tabelle angesehen: Die Asklepios-Kliniken vermuten, dass von von den mehr als 1,5 Millionen Mitarbeitern in DAX-Unternehmen etwa 47000 bis 100000 Mitarbeiter vom Burn-out betroffen sind. Das sind etwa 3.1% bis 6.4%, also im Durchschnitt 4.7%. Basis ist eine im manager magazin 2012-06 veröffentlichte Tabelle – mit allerdings ziemlich mutigen Extrapolationen möglicherweise etwas magerer Daten.
Auch etwas belastbarere Daten zeigen, dass so abschreckend der angeblich seit schon vielen Jahren mögliche “knallharte Strafkatalog” nicht zu wirken scheint. Es wird vermutlich sogar keine einzige knallharte Strafe für eine von mangelhafter Prävention verursachte psychische Erkrankung gegeben haben.
Die Beunruhigungspille der Ministerin Ursula von der Leyen ist in Wirklichkeit eine Beruhigungspille an die Unternehmer: Ernstaft unternimmt die Politik nichts. Sie wedelt nur ein bisschen mit einem Strafkatalog zur Volksberuhigung, wird die ernsthafte Anwendung dieses Katalogs aber auch weiterhin bremsen.
Die eigentliche Konsequenz aus dem Burn-out-Ranking ist, dass Prävention ernsthafter betrieben und genauer beurteilt werden muss. Das ist zuverlässiger als gewagte Statistiken:

  • Ernsthafte und kompetente Kontrollen der Unternehmen durch Aufsichtsbehörden.
  • Überprüfung der Übereinstimmung der Prozessbeschreibung eines Unternehmens zur Umsetzung der Bildschirmarbeitsverordnung mit der tatsächlichen Umsetzungspraxis.
  • Veröffentlichung der Protokolle von behördlichen Kontrollen eines Unternehmens an alle Mitarbeiter des Unternehmens (also nicht nur an den Betriebsrat).
  • Ernsthafte Überprüfung der vorgeschriebenen Arbeitsschutz-Dokumentation und darin insbesondere der Gefährdungsbeurteilungen. (Kennen und Verstehen die Mitarbeiter den Inhalt und die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilungen zu ihren Arbeitsplätzen inzbesondere hinsichtlich des Einbezugs psychischer Belastungen? Kennen sie die Bildschirmarbeitsverordnung und wird sie tatsächlich eingehalten?)
  • Ernsthafte Überprüfung der vorgeschriebenen Arbeitsschutz-Unterweisungen an das untere Management. (Versucht das Top-Management, Verantwortung in das untere Management zu verlagern, ohne die Mitarbeiter und Vorgesetzten über ihre Pflichten und Rechte aufzuklären? Werden nur Webtrainings gegeben, die wenig wirksame Pflichtübungen zum formalen Abhaken von Vorschriften sind?)
  • Proaktive behördliche Unterstützung der Betriebsräte bei der Ausübung der Pflicht zur Mitbestimmung im Arbeitsschutz. (Betriebsräte sind angesichts der Realität des Umgangs mit dem Arbeitsrecht und mit den Schutzrechten für Arbeitnehmer in Deutschland in einer Zwickmühle: Sprechen sie im Betrieb Regelwidrigkeiten an, dann beschwert sich die Arbeitgeberin, der Betriebsrat würde die harmonische Zusammenarbeit stören und Führungskräfte persönlich angreifen. Halten sie sich zurück – womöglich in Anwesenheit von Aufsichtspersonen der Berufsgenossenschaften oder der Gewerbeaufsicht -, dann missachten sie ihre Pflicht zum Schutz der Mitarbeiter und geben u.U. auch noch stillschweigend ihr Einverständnis zu Dingen, mit denen sie nicht einverstanden sein dürfen.)
  • Stärkung der Unabhängigkeit von Betriebsärzten und Arbeitsschutzbeauftragten. (Der Arbeitgeber hat auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen. Wie kommt es, dass diese Vorschrift (§3 ArbMedVV) von der Mehrheit der Unternehmen in Deutschland beim Einbezug psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz noch nicht beachtet wird? Haben die Betriebsärzte Angst, eine vollständige Gefährdungsbeurteilung einzufordern, obwohl ihnen die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung als Grundlage der Primärprävention bekannt ist? Was haben sie zu befürchten, wenn sie den Arbeitgeber auffordern, ihnen diese Grundlage nicht weiterhin zu verwehren? Entstehen den Arbeitsschutzbeauftragten Nachteile, wenn sie psychische Belastungen (unter Beachtung der betrieblichen Mitbestimmung) in Gefährdungsbeurteilung einbeziehen und damit ihre Aufgabe pflichtgemäß erfüllen?)
  • Haftung des Unternehmens gegenüber psychisch erkrankten Mitarbeitern mit Erschöpfungsdepression schon dann, wenn der Arbeitgeber zwar nur ein möglicher Mitverursacher der Erkrankung ist, aber dazu aktuell oder in den Jahren vor der Erkrankung (deswegen müssen auch vergangene Pflichtverletzungen in den Unternehmen untersucht werden!) noch erhebliche Mängel beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz festgestellt wurden. Wichtig wäre es auch, dass Berufsgenossenschaften, Berufsunfähigkeitsversichererer und Krankenversicherer sich leichter Versicherungsleistungen erstatten lassen können, die von fahrlässig ihre Mitarbeiter körperverletzenden Unternehmen verursacht wurden.

Wenn Unternehmen einen ordentlichen Arbeitsschutz betreiben, dann braucht sie irgendein “Burn-our Ranking” nicht zu interessieren.
Ich weiß nicht, ob die von Gewerkschaften geforderte Anti-Stress-Verordnung oder sonstige neue Bestimmungen etwas bringen. Eine Stärkung der Arbeitnehmervertretungen könnte helfen, mit den bestehenden Arbeitsschutzvorschriften auszukommen. Es gibt ja bereits seit 1996 ein Gesetz. Es gibt darauf aufbauende Verordnungen und gerichtliche Beschlüsse. Nur wurden die Regeln in der Praxis kaum durchgesetzt obwohl beispielsweise die Bildschirmarbeitsverordnung sehr gut überprüfbar ist. Davon wird aber kaum Gebrauch gemacht. So kann es passieren, dass Aufsichtspersonen in einem Betrieb, von dem sie wissen, das psychische Belastungen nicht ordnungsgemäß beurteilt werden, es durchgehen lassen, dass in Gefährdungsbeurteilungen steht, die Bildschirmarbeitsverordnung werde eingehalten. Uns fehlen keine Schutzgesetze, sondern der Respekt vor ihnen ist abhanden gekommen.
(Nachbearbeitung: 2011-06-17)