Burnout in der IT-Branche (2)

http://www.heise.de/resale/artikel/Burnout-in-der-IT-Branche-1736491.html

Burnout in der IT-Branche
Was Arbeitgeber tun können und müssen
Marzena Sicking – 29.10.12
Diplom-Ingenieur Tim Sturm hat im Rahmen seines Studiums “Supervision & Coaching” an der Donau-Universität Krems eine Studie über das tatsächliche Ausmaß der Burnout-Gefährdung in der IT-Branche durchgeführt. Mit Heise Resale sprach er über die Ergebnisse. 
Für ihre Masterarbeit zum Thema “Burnout in der IT-Branche: Sind Reflexion, Coaching und Supervision wirksame Instrumente zur erfolgreichen Prävention?” haben Sie die Daten von 1.155 Arbeitnehmern aus der IT-Branche ausgewertet. Wieso haben Sie ausgerechnet die IT-Branche unter diesem Aspekt beleuchtet?

(“Supervision” kann sich hier wohl nicht auf jene Supervisoren beziehen, die in Deutschland langjährig ausgebildete und erfahrene Psychotherapeuten sind, die die offizielle Befähigung haben, angehende Psychotherapeuten in der Ausbildung anzuleiten. Diese Befähigung kann erst einige Zeit nach dem Studium erlangt werden.)

… Wie können Unternehmen Ihrer Meinung nach die MitarbeiterInnen unterstützen, Burnout zu vermeiden?
Sturm: Ich halte einen Aufklärungs- und Maßnahmenprozess für essentiell und fasse diesen unter dem Begriff “Burnout Management” zusammen:

  1. Eine kompetente Aufklärungskampagne, mit der Unternehmen und MitarbeiterInnen ein Basiswissen über Burnout vermittelt wird.
  2. Mechanismen zur Prävention, wie etwa Workshops zur Förderung des Selbst-Bewusstseins und der Selbstwahrnehmung.
  3. Ein gezieltes Informationsprogramm für Betroffene, KollegInnen und ManagerInnen um die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nach längerer Abwesenheit konstruktiv und auf offener Basis zu gestalten.
  4. Notwendig erscheint ein Evaluierungssystem wie den Fragebogen meiner Arbeit, um gefährdete Personen zu identifizieren und diesen Hilfeleistungen anbieten zu können.

Als “Burnout-Management” mag das vielleicht reichen. Aber “Notwendig erscheint ein Evaluierungssystem wie den Fragebogen meiner Arbeit, um gefährdete Personen zu identifizieren und diesen Hilfeleistungen anbieten zu können” ist nicht der Ansatz des (auch in Österreich) vorgeschriebenen Arbeitsschutzes. Entsprechend auch der Kommentar eines Lesers bei Heise:

1. November 2012 08:36
“Fragebogen […], um gefährdete Personen zu identifizieren”
Codehunter (mehr als 1000 Beiträge seit 26.09.02)
Ganz ehrlich, bekäme ich von meinem Arbeitgeber einen Fragebogen zu
meinem Geisteszustand, er würde doch in hohem Bogen in die kreisrunde
Ablage fliegen.

Die Leute mögen keine fürsorgliche Belagerung.
Ein dem vorgeschriebenen Arbeitsschutz entsprechender Ansatz ist: “Notwendig erscheint ein Evaluierungsverfahren, um gefährdende Aufgabenstellungen und Arbeitssituationen zu identifizieren und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen anbieten zu können”. Es gibt hier ein reichhaltiges Angebot getesteter Verfahren zur Verhältnisprävention. In seiner Hompage schreibt Tim Stark: “Als besondere Dienstleistung biete ich anonymisierte, individuelle Unternehmens- sowie Betriebsanalysen mittels online Fragebogen an….”. Wichtig dabei wäre es, verhältnispräventive Verfahren zu verwenden, die den Kriterien der BAuA gerecht werden. Individualisierungen (Anpassung an die Bedürfnisse einzelner Betriebe) sind dabei möglich. Das kann meiner Ansicht nach aber nur zusammen mit kompetenten und von erfahrenen Arbeitspsychologen beratenen Arbeitnehmervertretern funktionieren.
“Eine kompetente Aufklärungskampagne, mit der Unternehmen und MitarbeiterInnen ein Basiswissen über Burnout vermittelt wird” ist eine feine Sache als ein Element der im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Unterweisung. Vermittelt werden muss vor Allem, wie durch eine menschengerechte Arbeitsgestaltung psychische Fehlbelastungen zu vermeiden sind.
Der Schwerpunkt von Tim Sturms “Institut für Individuelles Wachstums” liegt logischerweise auf dem Individuum. Es ist auch klar, dass ein Coach für Coaching wirbt. In seiner Homepage schreibt Tim Stark allerdings auch, sein Ziel sei, “ein fundiertes Verständnis zum Begriff Burnout zu vermitteln sowie die Achtsamkeit und Verantwortung gegenüber MitarbeiterInnen neu zu entdecken.” In Deutschland ist das Problem jedoch, dass Firmenleitungen das Thema der psychischen Belastungen oft schon längst entdeckt haben (spätstens seit 2005), aber sich sehr unwohl fühlen, wenn sie durch transparente und nachvollziehbare Arbeitsschutzprozesse für Fehlbelastungen tatsächlich verantwortlich gemacht werden können. Ein guter Coach sollte keine Betriebe betreuen wollen, die sich weigern, ernsthaft vor (oder spätestens parallel) zu individiellem Coaching einen vorschriftsmäßigen, mitbestimmten, prozesshaft organisierten und verhältnispräventiv orientierten Arbeitsschutz zu implementieren. Die Stärkung der Resilienz einzelner Mitarbeiter kann nicht funktionieren, wenn gleichzeitig die Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes missachtet werden.
Links:

Burnout in der IT-Branche (1)

http://www.heise.de/resale/artikel/Burnout-in-der-IT-Branche-1589637.html

Service-Personal besonders gefährdet.
Marzena Sicking – 08.06.12
Diplom-Ingenieur Tim Sturm hat im Rahmen seines Studiums “Supervision & Coaching” an der Donau-Universität Krems einen Fragebogen entwickelt, mit dessen Hilfe er eine wissenschaftlich fundierte Aussage über das tatsächliche Ausmaß der Burnout-Gefährdung in der IT-Branche machen wollte. Weiteres Ziel war es, zu überprüfen, ob Reflexion, Coaching und Supervision tatsächlich wirksame Präventions-Instrumente sind. Teilgenommen haben insgesamt 1.155 IT-Mitarbeiter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Damit handelt es sich bei der Studie um eine der bisher größten und aussagekräftigsten Arbeiten zum Thema Burnout im IT-Bereich.

Beide Artikel: http://blog.psybel.de/stichwort/tim-sturm/