Übertriebene Werbung der Unfallkasse des Bundes

https://osha.europa.eu/fop/germany/de/news/neues/2_quartal_2014/article.2014-04-03

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung – Eine Handlungshilfe der Unfallkasse des Bundes
[Quelle/Urheber: Unfallkasse des Bundes, März 2014]
Wie eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung rechtssicher durchgeführt wird, wird in der Broschüre der Unfallkasse des Bundes gezeigt. Sie stellt ein einfaches, aber zuverlässiges Vorgehen vor, das ohne externe Experten auskommt.
Was können Arbeitgeber konkret tun, damit ihre Beschäftigten gesund bleiben? Das hängt stark vom betrieblichen Umfeld ab. Eine Bestandsaufnahme ist deshalb immer der erste Schritt: Welche Gefahren für die psychische Gesundheit gibt es in den Dienststellen? Was genau stresst die Beschäftigten bei der Arbeit?
Eine erprobte Methode für eine solche Bestandsaufnahme ist die Gefährdungsbeurteilung. Sie liefert einen guten Überblick über die Arbeitsbedingungen im Betrieb. Außerdem zeigt sie dem Arbeitgeber auf, was er tun kann, um die Gefahren zu beseitigen.
Diese Broschüre unterstützt Arbeitgeber dabei, die Gefährdungsbeurteilung Psyche mit verlässlichen Ergebnissen bei minimalem Aufwand vorzunehmen. Zentrales Instrument ist die Prüfliste Psychische Belastung, die sich seit Jahren in der Bundesverwaltung und darüber hinaus als Instrument bewährt hat. Es ist ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren, das die strengen Normkriterien an Fragebögen erfüllt.
Diese Broschüre berücksichtigt die Leitlinie der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie hinsichtlich der Überwachungspraxis durch die Unfallversicherungsträger zu psychischer Belastung und bietet den Unternehmen damit einen Rahmen für rechtssicheres Handeln. …

VORSICHT: Die Prüfliste der Unfallkasse des Bundes wird von der Kasse als ein Instrument gepriesen, für das der Arbeitgeber keine externe Beratung braucht. Solche von Laien durchführbaren “Screening-Verfahren” (bzw. “orientierende Verfahren”) haben ihre Berechtigung, sie aber ohne eine gute Beschreibung ihrer Grenzen anzupreisen, ist unseriös. In der Broschüre wird sogar behauptet:

Die Prüfliste können wir Ihnen guten Gewissens ans Herz legen, denn sie ist wissenschaftlich geprüft. Die besagten Vorteile haben Sie also garantiert. Die Prüfliste ermöglicht zwar lediglich einen Überblick über das Belastungsgeschehen, das aber macht sie zuverlässig. Zu diesem Ergebnis kommt die TU Dresden, die im Jahr 2002 in einer Studie mit mehr als 300 Beschäftigten aus einer Bundes- und einer Landesbehörde die Prüfliste einem wissenschaftlichen Qualitäts-Check unterzogen hat. (Mühlpfordt, S., Richter, P. & BAuA (Hrsg.) (2003). Evaluation eines orientierenden Verfahrens zur Erfassung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag. Erschienen ist dieses Buch in der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unter der Kennung Forschung FB 995.) Soweit bekannt, ist die Prüfliste damit das einzige orientierende Verfahren zur Erfassung psychischer Belastung, das wissenschaftlich überprüft wurde und die strengen Norm-Kriterien an die Messqualität von Fragebögen nachweisbar erfüllt.

Das ist schlicht unwahr. Es gibt inzwischen eine Vielzahl an Testverfahren, die sich gut bewährt haben und den Empfehlungen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie sowie den Anforderungen der Norm ISO 10075 gerecht werden.
In einer im Jahr 2014 veröffentlichten Broschüre zu behaupten, die Prüfliste der Unfallkasse des Bundes sei das einzige orientierende Verfahren zur Erfassung psychischer Belastung, das wissenschaftlich überprüft wurde und die strengen Norm-Kriterien an die Messqualität von Fragebögen nachweisbar erfülle, grenzt an Unverschämtheit. Da rettet auch ein “soweit bekannt” die Verfasser der Broschüre nicht mehr. Wenn der Kasse aber tatsächlich die anderen Verfahren nicht bekannt sein sollten, dann hat sie schlicht keine Ahnung von Verfahren, die bei Gefährdungsbeurteilung im Bereich der Psychischen Belastungen helfen können.
Eine “Prüfliste” kann noch so “wissenschaftlich überprüft” sein, Rechtssicherheit bei der Gefährdungsbeurteilung kannd das Instrument alleine nicht garantieren. Auch die Auswahl eines Testverfahrens sowie die Planung, Durchführung und Auswertung muss rechtssicher sein, und zwar nicht nur hinsichtlich des Arbeitsschutzgesetzes, sondern auch mit Respekt für das Betriebsverfassungsgesetz: Der Personalrat bestimmt hier mit und sollte deswegen auch andere Tesverfahren kennen. Schon bei der Auswahl eines geeigneten Testverfahrens kann man viel lernen.
Ich rate den von einem derart unserös dargestellten Testverfahren betroffenen Personalräten darum dringend, sich einen eigenen Berater zuzulegen. Kompetente Berater helfen Betriebsräten und Personalräten auch, ihr Recht auf eine externe und vom Arbeitgeber unabhängige Beratung durchzusetzen. Letztendlich geht es am Ende einer Befragung der Mitarbeiter immer auch um die Interpretationsmacht.
In meinem Blog gibt es mehrere Artikel zu Testverfahren. Mein persönlicher Favorit unter den Screening-Verfahren ist der IMPULS-Test.

Trick 18

Können Unternehmen ein Zertifikat z.B. nach OHSAS 18001 für ihr Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) vorzeigen, dann fühlt sich die behördliche Aufsicht bei vom Unternehmen eigeninitiierten Überwachungsmaßnahmen entlastet und prüft darum weniger sorgfältig. Das kann zu Problemen für die zu schützenden Arbeitnehmer führen, denn die Zertifikatoren haben eine unterschiedliche Qualität. Deswegen sollt sich die behördliche Aufsicht nicht zu naïv auf Zertifikate verlassen.
Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL, 2007-09 – 2010-04) sehen immer noch so aus:

Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema »Psychische Belastungen« als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.

Diese Impulsgeber sind auch unter den Akteuren, die daran interessiert sind, eine hohe tatsächliche Qualität des Einbezugs psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz zu sehen:

  • Arbeitsschutzbehörden,
  • Berufsgenossenschaften,
  • Arbeitnehmer (ggf. vertreten durch den Betriebsrat oder den Personalrat).

Es gibt eine ganz gute Tradition der Zusammenarbeit zwischen diesen drei Beobachtern. Einen weiterer Akteur ist jedoch hinzugekommen:

  • Zertifizierungsgesellschaften


 
Mit diesen Zertifizierungsgesellschaften sind Arbeitnehmer und ihre Vertreter oft viel weniger gut vertraut. Das Thema ist den Betriebsräten und Personalräten zu trocken und zu kompliziert. Sie nehmen es nicht ernst. Das ist ein Fehler. Denn nun schreiben die Arbeitsschutzbehörden in ihren Grundsätzen der behördlichen Systemkontrolle (LASI: LV 54, Anhang, S. 42):

5. Umgang mit zertifizierten Systemen
Der erfolgreiche Abschluss einer Prüfung der Wirksamkeit eines Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) oder vergleichbaren Systems soll zu Entlastungen bei eigeninitiierten Überwachungsmaßnahmen führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betrieb Bescheinigungen, Gütesiegel oder andere Zertifikate, die die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes bewerten, vorlegt und diese die Inhalte und Anforderungen des Nationalen Leitfadens erfüllen. Anlassbezogene Maßnahmen der zuständigen staatlichen Behörden bleiben unberührt. Über die Ergebnisse werden die Unfallversicherungsträger ggf. informiert.

Trick 18: Gesundheit und ethische Überlegungen haben für viele Arbeitgeber im Arbeitsschutz einen niedrigeren Stellenwert, als die Notwendigkeit, Vorschriften einhalten zu müssen. Der Hauptmotivator ist also Rechtssicherheit. Diese zu gewinnen ist für Unternehmer ein wichtiger Grund, sich nach OHSAS 18001 zertifizieren zu lassen. Der Kontrolldruck durch überlastete Berufsgenossenschaften und Arbeitsschutzbehörden auf die Betriebsleitungen wird schwächer, wenn Betriebe eine Zertifizierung nach OHSAS 18001 (oder ähnliche Zertifikate) vorzeigen können. Damit gehen den Betriebsräten und den Personalräten die Berufsgenossenschaften und Arbeitsschutzbehörden als wichtige Partner teilweise verloren. Diese Organe werden aber zur Stärkung der Mitbestimmung benötigt. Mitarbeiter haben das Recht, sich an die Behörden wenden zu können, nicht aber in gleicher Weise an Zertifikatoren. Zertifizierten Unternehmen könnte es so gelingen, mit dem von einem Unternehmen der Privatwirtschaft erteilten Vorzeigezertifikat die Rechte der Arbeitnehmer zu schwächen, darunter auch das Recht auf Mitbestimmung.
Gegenstrategien:

  • Arbeitnehmervertreter arbeiten sich z.B. in OHSAS 18001:2007 ein, oder besser noch in OHSAS 18002:2008 (ein kleines und gut lesbares Lehrbüchlein). Wenn sie ganz professionell vorgehen wollen, dann lassen sie sich als interne Auditoren ausbilden. Das sollte innerhalb einer Woche zu schaffen sein. Wenn die Gewerkschaften aufwachen (es gibt da schon Leute, die’s gemerkt haben), dann könnten auch sie möglicherweise solche Auditoren trainieren, ggf. in Zusammenarbeit mit Zertifizierungsgesellschaften.
  • Kontrolle nach LV 54, ob sich das Unternehmen an die von ihm selbst gewählten Regeln hält.
  • Arbeitnehmervertreter müssen darauf achten, dass sich behördliche Aufsichtspersonen nicht unkritische auf zertifizierte Arbeitsschutzmanagementsysteme verlassen.
  • Arbeitnehmervertreter beteiligen sich an Audits und können den § 81 des Betriebsverfassungsgesetzes nutzen, um für eine kritische Überprüfung Einblick in Auditberichte zu erhalten.

 


http://netkey40.igmetall.de/homepages/sued-niedersachsen-harz/hochgeladenedateien/Dokumente/metallzeitung/2011/2011_06_LS_SNH.pdf

… Deshalb achtet der Betriebsrat besonders auch auf den Gesundheits und Arbeitsschutz. So sind die Seesener nach »OHSAS 18001« und Sicherheit mit System (SMS) zertifiziert und innerhalb der Ardagh-Group-Metal mit dem »Safety-Award 2010« ausgezeichnet. Zudem hat der Betriebsrat durchgesetzt, dass kostenlose Wasserspender aufgestellt wurden. …

Gratulation an den kämpferischen Betriebsrat.
Es gibt Unternehmen mit einem stolz vorgezeigten Zertifikat für OHSAS 18001, die jedoch die Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” noch überhaupt nicht in ihrem Arbeitsschutz kennen. So ein Zertifikat wirkt schon ziemlich dämpfend auf die Aufmerksamkeit der Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften.

OHSAS 18001: Änderungen in 2007 gegenüber 1999

Update 2015-12: Viele unten angegebene Links funktionieren nicht mehr.
Probieren Sie es mal mit

 


Zertifikate nach OHSAS 18001:1999 verloren Ende Juni 2009 ihre Gültigkeit.
http://www.agimus.de/index.php?id=262

… Analog zur ISO 14001 wird eine Bewertung der Einhaltung rechtlicher Anforderungen gefordert. … 

http://www.agimus.de/index.php?id=167

… Für ein Umweltmanagementsystem nach ISO 14001 oder EMAS oder ein Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagementsystem nach OHSAS 18001 ist die Einhaltung des geltenden Umwelt- bzw. Arbeitssicherheitsrechts eine Grundvoraussetzung für die Zertifizierbarkeit. … 

OHSAS 18001 setzt eine Bewertung der Einhaltung rechtlicher Anforderungen voraus. Haben Betriebe ein OHSAS-18001-Zertifikat, aber fehlt der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz, dann sollten sich Arbeitnehmervertreter den Vorgang nocheinmal genauer ansehen.
Beispiele für die Bedeutung der Beachtung gesetzlicher Vorschriften im OHSAS 18001:

  • Berücksichtigung rechtlicher Verpflichtungen bei der Risikobewertung und Implementierung von Kontrollmaßnahmen. (4.3.1)
  • Organisation ist verpflichtet, gesetzliche Vorschriften einzuhalten. (4.3.3)
  • Top-Management kann Aufgaben im Gesundheits- und Arbeitsschutz delegieren, aber nicht die Verantwortung. (4.4.1)
  • Top-Management ist verantwortlich für Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. (4.6)

(Quelle: BSI Management Systems)
Beispiele für sonstige wichtige Neuerungen:

  • Die Änderung der Definition 3.9 macht deutlicher, dass nicht nur Unfälle Gegenstand des Arbeitsschutsmanagements sind, sondern alle Vorfälle, die Erkrankungen verursachen könnten, und zwar unabhängig von der Schwere der Erkrankungen. Das gilt natürlich auch für psychische Erkrankungen.
  • Mitwirkung und Mitbestimmung (4.4.3.2)

Siehe auch:

Gut gefällt mir übrigens auch dieser Hinweis von AGIMUS:
http://www.agimus.de/index.php?id=262

… Der Begriff „Gefährdung“ wurde als „Quelle, Situation oder Handlung, die eine Verletzung oder Erkrankung oder eine Kombination davon verursachen können“ definiert. „Schäden an Eigentum oder am Arbeitsplatz“ haben keinen direkten Bezug zum Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagement, sondern gehören eher in den Bereich des Immobilienmanagements … 

OHSAS 18001 hilft auf dem Weg zur Rechtssicherheit, garantiert sie aber nicht

Es gibt Unternehmen, die nach OHSAS 18001 zertifiziert sind, aber psychische Belastungen nicht in ihr Arbeitsschutzmanagementsystem integriert haben. Obwohl sie damit gegen gesetzliche Arbeitsschutzvorschriften verstoßen, bekommen sie ein Zertifikat für OHSAS 18001:2007. Das ist ein Konflikt mit den im Standard gesetzten Bedingungen.
Linde Corporate Responsibility Report, 2005, S. 95
(Zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz der Linde AG kann ich nichts sagen. Den Text habe ich wegen der klaren Bekenntnis zu einem wichtigen Ziel ausgewählt: Gewinnung von Rechtssicherheit.)
http://boeckler.b-99.de/wp-content/uploads/2008/01/linde_cr_dt_2005.pdf


OHSAS 18001 (Occupational Health and Safety Assessment Series) ist der Standard für ein Sicherheitsmanagementsystem, das unter anderem der Senkung der Unfallzahlen durch Systematisierung aller arbeitssicherheits- und gesundheitsschutzrelevanten Tätigkeiten dient, aber auch der Gewinnung von Rechtssicherheit durch konse­quente Einhaltung aller relevanten rechtlichen Vorschriften.

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)
 
http://www.tuev-sued.de/uploads/images/1169631371329739190773/TUV_Thema_Arbeitsschutz_final.pdf


Noch häufig ein Tabuthema: Stress am Arbeitsplatz
Arbeits- und Gesundheitsschutz bedeutet auch, die geistige und psychische Unversehrtheit der Arbeitnehmer zu bewahren und zu fördern. In vielen Firmen ist das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz aber immer noch tabu, so die Erfahrung von TÜV SÜD. Obwohl es nach dem Arbeitsschutzgesetz schon seit 1996 in die Gefährdungsbeurteilung hätte einbezogen werden müssen. Selbst wenn man gesetzliche Verpflichtung und Fürsorgegedanken außen vor lässt: Der Unternehmer profitiert davon, wenn er auch den Komplex “Stress am Arbeitsplatz” umfassend anpackt. Denn: 18 Millionen Arbeitsausfalltage pro Jahr in Deutschland sind größtenteils auf Ängste und Depressionen zurückzuführen. Der Ausfall eines Mitarbeiters kostet ein Unternehmen mindestens 400 bis 500 Euro pro Tag.
Hilfe durch Systematik
Eine immer komplexere Arbeitsausstattung; mehr Flexibilität und mehr Verantwortung durch Deregulierung auf EU- und allen staatlichen Ebenen; neue Anforderungen durch Internationalisierung des Themas Arbeitsschutz – Stichwort International Labour Organisation; psychische Belastung am Arbeitsplatz als Kostenfaktor. Wie soll ein Unternehmen da den Überblick behalten? Mit einem guten Arbeitsschutzmanagementsystem, so die Antwort der Spezialisten von TÜV SÜD.
Unternehmen, die das Thema Qualität mit der Norm ISO 9001 angehen und den Umweltschutz nach ISO 14001, stoßen im Zusammenhang mit Arbeitssicherheit schnell auf OHSAS 18001 (Occupational Health and Safety Assessment Series), die international anerkannte Norm zum Thema Arbeitsschutzmanagement. OHSAS wurde unter der Federführung des britischen Normungsinstituts von einem Konsortium von Normungs- und Zertifizierungsgesellschaften entwickelt. Lutz Wilink von TÜV SÜD Management Service: “OHSAS ist ein Standard, der weltweit beachtet wird.” Der analoge Aufbau zu ISO 9001 und ISO 14001 erleichtere Unternehmen, die mit diesen Managementsystemen arbeitem, die Integration wesentlich. Auch hier ist der kontinuierliche Verbesserungsprozess systemimmanent und baut auf den Säulen Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterorientierung auf. “Immer mehr Unternehmen erkennen, dass Arbeitsschutz eine wichtige Führungsaufgabe ist”, betont TÜV SÜD-Fachmann Wilink.

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
 
“Selbst wenn man gesetzliche Verpflichtung und Fürsorgegedanken außen vor lässt: Der Unternehmer profitiert davon, wenn er auch den Komplex ”Stress am Arbeitsplatz” umfassend anpackt.” Das zeigt, welche Argumentation der TÜV-SÜD für notwendig hält, um Unternehmer zur Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften zu motivieren.
Ein auf Basis des BS OHSAH 18001 zertifiziertes Arbeitsschutzsystem kann dem Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz dienlich sein. Dieser Einbezug selbst wird mit OHSAS 18001 aber nicht bestätigt, denn es werden auch Unternehmen zertifiziert, die psychische Belastungen noch nicht in vorschriftsmäßiger Weise in ihr Arbeitsschutzmanagementsystem integriert haben. Das ist zwar ein bisschen seltsam, aber heute ist soetwas eben möglich.
Für Arbeitnehmervertreter und die Aufsichtspersonen der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaft kann OHSAS 18001 trotzdem nützlich sein: Die Systematik des BS OHSAS 18001 hilft auf dem Weg zur Rechtsicherheit des Unternehmens und zur Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes, garantiert diese Rechtssicherheit und diese Einhaltung der Schutzvorschriften aber trotzdem nicht. Den Grad der Einhaltung der gesetzliche Arbeitsschutzvorschriften in einem Unternehmen können Arbeitnehmervertreter und Aufsichtspersonen aber mit OHSAS 18001 nun besser überprüfen, soweit sie das auch wollen. Die Systematik des Standards stellt insbesondere auch an die Dokumentation nach § 7 ArbSchG hohe Ansprüche und erleichtert damit den Personalräten und Betriebsräten ihre Aufgabe, “sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden” (§ 89 BetrVG).

Wie ein Betriebsrat die Mitarbeiter entrechten kann

Mit der steigenden Aufmerksamkeit für das Thema der psychischen Belastung werden zunehmend mehr Unternehmen in diesem Bereich vor Allem Rechtssicherheit anstreben. Arbeitnehmervertreter müssen hier besonders gut aufpassen, dass sie dabei nicht in Projekten das Gesundheits- und Arbeitsschutzes unfreiwillig instrumentalisiert werden.
 
Das Ziel: Die Verbesserung der Rechtssicherheit des Arbeitgebers ist ein legitimes Ziel von erfolgreich abzuschließenden Projekten zur Einführung der Kategorie der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz. Erst mit dem wirksamen Einbezug dieser Belastungskategorie wird aus dem Arbeitsschutz der vorgeschriebene ganzheitliche Arbeitsschutz. Dazu muss vor Projektbeginn klar sein, wie der Erfolg des Projektes gemessen wird.
Der Start: Werden die Regeln des Arbeitsschutzes zu Beginn des Projektes noch nicht vollständig eingehalten, dann sollte das in der Betriebsvereinbarung, die solche Projekte regelt, ebenfalls dokumentiert sein. Das Projekt selbst ist nicht notwendigerweise schon eine Verbesserung des Schutzes der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber darf erst dann die von ihm angestrebte Rechtssicherheit bekommen, wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde.
 
Tatsächlich müssen Unternehmen eine mangelhafte Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen nicht sehr fürchten. Zunächst ist das nur eine Ordnungswidrigkeit. Es muss schon viel passieren, bis die Kriterien für eine Straftat erfüllt sind. Worum es den Unternehmen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz natürlich auch geht, ist die Beschränkung ihres Haftungsrisikos. Es ist darum auch eine Aufgabe der Arbeitnehmervertretung, sicherzustellen, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiter krank machen, im Einzelfall zur Verantwortung gezogen werden können. Dazu muss der Grad der Einhaltung der Atrbeitsschutzbestimmungen auch dann geklärt werden, wenn das zu Konflikten führt. Oder umgekehrt: Wenn schon die Beschreibung der Vergangenheit und der Ausgangssituation eines Projektes zu Konflikten führt, dann stellt das auch ein gemeinsames und vertrauensvolles Erreichen des Ziels in Frage.
Warum ist die Beurteilung und Dokumentation des Grades der Einhaltung von Bestimmungen zur Vermeidung psychischer Fehlbelastungen immer wieder wichtig? Psychisch Erkrankte werden so gut wie nie nachweisen können, dass wesentliche Ursachen für ihre Erkrankung im Handlungsspielraum des Arbeitgebers liegen, also möglicherweise eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Körperverletzung vorliegt. Leichter ist es, einen fehlenden oder einen ungenügenden Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nachzuweisen, wenn dieser Einbezug tatsächlich ungenügend war oder ganz fehlte.
Wie die Missachtung von Arbeitsschutzbestimmungen im Einzelfall zu einem Urteil über fehlbelastende Arbeitsbedingungen als Auslöser einer psychischen Erkrankung beiträgt, ist natürlich die Frage. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Ursula von der Leyens “knallharter Strafkatalog” trotz zunehmender psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz fast völlig ungenutzt blieb. Die Arbeitnehmer haben hier einfach schlechte Karten. Vielleicht haben die Gewerkschaften doch Recht mit ihren Forderungen nach schärferen Arbeitsschutzregeln im Bereich der psychischen Belastungen.
Wenn Betriebs- und Personalräte nicht aufpassen, dann kann ihre unvorsichtige und naïve Beteiligung an Arbeitsschutzprojekten und an Audits (Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsicht, Zertifizierungsunternehmen usw.) dazu führen, dass Unternehmen zwar wichtige Regeln des Arbeitsschutzes weiterhin missachten, davon betroffene Mitarbeiter eine Missachtung von Arbeitsschutzbestimmungen aber praktisch kaum noch nachweisen können. In solch einem Fall hätte die Arbeitnehmervertretung die durch schlechte Arbeitsbedingungen erkrankten Mitarbeiter entrechtet und deren ohnehin schlechten Chancen noch zusätzlich geschwächt. Dann wäre es für diese Mitarbeiter vielleicht besser gewesen, wenn es keine Beteiligung des Personalrats oder des Betriebsrats gegeben hätte, auf die sich der Arbeitgeber berufen könnte. (Dabei ist zu auch beachten, dass die Zeit zwischen arbeitsbedingter psychischer Verletzung und sich manifestierender psychischer Erkrankung viele Jahre betragen kann.)
 
Zusammengefasst das Wichtigste für Projekte zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz: Nicht nur die Kriterien für die Zielerreichung von Arbeitsschutzprojekten müssen zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretungm vereinbart werden, sondern auch die Ausgangssituation und die Vergangenheit muss klar dokumentiert sein. Eine wichtige Messgröße ist dabei der Grad der Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen. Wenn ein Arbeitgeber trotz tatsächlich ungenügender Beachtung dieser Bestimmungen (womöglich noch unter Berufung auf die Mitwirkung des Betriebsrates) behaupten kann, er beziehe psychische Belastungen bereits vorschriftsmäßig in seinen Arbeitsschutz ein, dann schwächt das sowohl die Mitarbeiter wie auch die Bedeutung von Projekten, mit denen der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz erst erreicht werden soll.