Harter Tobak: Belastung und Erkrankung

http://sifa-lernt-von-sifa.blogspot.com/2012/01/berichte-aus-dem-arbeitskreis-fur_28.html

… Überlegen Sie einmal: Wer hätte noch vor zehn Jahren einen Unterschied zwischen psychischen Belastungen und Erkrankungen gemacht? Doch inzwischen wird schließlich auch von jeder Fachkraft für Arbeitssicherheit erwartet, dass sie die Unterscheidung vornehmen und einer Erkrankung durch geeignete Frühwarnsysteme vorbeugen kann. Arbeitsschützer sind aufgefordert, auch in diesem Sektor ihren fachlichen Beratungsbeitrag für die Geschäftsführung zu leisten. Nicht zuletzt verankert ist das Thema in der „neuen“ Sifa-Ausbildung, die eine Analyse körperlicher und seelischer Einflüsse bei der Arbeit auf die Gesundheit fordert. „Das ist für manchen harter Tobak“, so die Aussage der Gäste am INQA-Stand, „wenn die eingefleischte Elektrofachkraft oder die Technische Leitung das auch noch im Blick haben soll“. …

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)

Dienstleistungen für die Arbeitsmedizin und den Arbeitsschutz

“Bauhof-Online” präsentiert sich als “Infoportal für kommunale Entscheider”. http://www.bauhof-online.de/it/arbeitssicherheit-medizin/arbeitsmedizin/ listet Dienstleisungsangebote für die Arbeitsmedizin (und den Arbeitsschutz) auf. Die Angebote zeigen recht gut, was in diesem Bereich erforderlich ist. Ein Thema ist auch die DGUV Vorschrift 2.

Ambitionierte Smartology

In der deutschen Wikipedia steht unter “SMART (Projektmanagement)“: Spezifisch, Messbar, Akzeptiert, Realistisch, Terminierbar (klare Terminvorgabe). Das klingt nach jener anständigen und soliden Projekplanung, die es vor dem Zeitalter des Voodoo-Managements wohl einmal gegeben haben soll.
S.M.A.R.T. stand vor vielen Jahren nämlich für Specific, Measurable, Attainable, Realistic, Tangible. Ausgedacht haben soll sich das unter Anderen Paul J. Meyer (1965, Quelle: John Haggai, Lead On!, 1986). Das war der Erfinder des Goal Setting. Die erste dokumentierte Verwendung soll bei George T. Doran in There’s a S.M.A.R.T. way to write management’s goals and objectives zu finden gewesen sein (Management Review 70/11, 2008-10-15, S. 35-36.) Es gibt aber auch ein paar andere Namen. Was soll’s.
(Mehr zur Geschichte von S.M.A.R.T.: http://rapidbi.com/management/history-of-smart-objectives/)
Es ist aber doch interessant, wie über die Geschichte des Akronyms diskutiert wird. Es wird um seinen “wahren” Ursprung gerungen, also um seine augenblicklich benötigte Auslegung. Gerne wird auch an den Glaubenslehren herumgedichtet, gerade so wie man’s braucht. Darum werden heute den einzelnen Buchstaben in den Akronymen auch andere Begriffe zugeordnet.
Nehmen wir mal das “A”, um zu zeigen, worum es geht. In er englischsprachigen Wikipedia wird das Akronym seit 2004-03-27 aufgelistet. Das “A” stand damals nur für “Achievable“. Mit Datum 2008-11-06 zog dann kommentarlos zu “Appropriate, Achievable, Attainable, Assignable , Actionable, Action-oriented” der Begriff “Ambitious (yet Achievable)” aus dem Wiktionary in den Wikipedia-Artikel ein, wobei “(yet Achieavable)” allerdings dem Umzugschwund zum Opfer fiel. Dass die Erreichbarkeit der Projektziele nun eher schnurz ist, könnte man dann immerhin in der vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung dokumentieren, wenn die Vorschriften irgendwann einmal nicht mehr schnurz sind.
Die Managementlehren werden derweil immer alberner.

Zeitbombe Arbeitsstress

Zeitbombe Arbeitsstresshttp://www.gute-arbeit-praxis.de/gute-arbeit-praxis/index.php

Herausgeber:
Lothar Schröder / Hans-Jürgen Urban
Gute Arbeit – Ausgabe 2012
Zeitbombe Arbeitsstress
Bund-Verlag, 496 Seiten, gebunden, 39,90 EUR
ISBN: 978-3-7663-6107-3

 
http://netkey40.igmetall.de/homepages/igm-service/

Sonderausgabe nur für Mitglieder der IG Metall:
€ 6,40 zzgl. € 3,95 Versandkosten
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(Login im Extranet erforderlich)

Psychische Fehlbelastungen durch Leistungsbeurteilungen

http://www.compleo.de/news-archiv/news-archiv-2010/die-angst-vor-subjektiven-leistungsbeurteilungen

Die Angst vor subjektiven Leistungsbeurteilungen
25.10.2010 – 10:25
Immer mehr Arbeitnehmer können aufgrund psychischer Erkrankungen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Die Bundestherapeutenkammer gab im März 2010 Zahlen bekannt, wonach sich die Anzahl der Fehltage, die auf psychische Erkrankungen zurückgehen, seit 1990 mehr als verdoppelt habe.
Mittlerweile lassen sich ca. 11 Prozent aller Fehltage auf psychische Erkrankungen zurückführen. Grund dafür seien oftmals die spezifischen Bedingungen und Belastungen der modernen Arbeitswelt. Nun ist die Feststellung, dass gehäuft anfallende Überstunden oder auch Mobbing zu arbeitsbedingtem Stress und psychischen Erkrankungen führen können, in der modernen Arbeitsmedizin nichts Neues. Diesen bekannten Ursachen für psychische Erkrankungen fügt der an der renommierten Anderson School of Management (University of California, Los Angeles) lehrende Psychologe Samuel A. Culbert nun in seiner neuesten Buchveröffentlichung einen weiteren Grund hinzu: die Leistungsbeurteilung.

(Hervorhebung und Link nachträglich eingefügt)
Tatsächlich ist der Prozess der Leistungsbeurteilungen eine der offensichtlicheren Quellen psychischer Belastungen im Betrieb. Darum haben Arbeitgeber die psychischen Belastungen in ihren Prozessen für Leistungsbeurteilungen (und natürlich auch Verhaltensbeurteilungen) vorschriftsmäßig zu beurteilen, um Fehlbelastungen vermeiden zu können.
Da diese Pflicht inzwischen der Kenntnisstand im Arbeitsschutz ist, wäre es kein Versehen mehr, wenn die psychischen Belastungen bei Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen nicht beobachtet würden, sondern es läge eine vorsätzliche Missachtung der Regeln des Arbeitsschutzes vor. Die Missachtung des Arbeitsschutzes könnte in diesem Fall also nicht nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat geahndet werden.
Psychisch belastet werden bei Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen nicht nur die beurteilten Mitarbeiter, sondern auch die beurteilenden Vorgesetzten. Der damit verbundene Sozialstress ist bekannt. Deswegen haben Arbeitgeber sicherzustellen, dass aus den mit Leistungsbeurteilungen verbundenen psychischen Belastungen keine psychischen Fehlbelastungen werden. Auch für diesen Prozess ist folglich eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.
In Unternehmen mit Arbeitnehmervertretungen müssen Betriebs- und Personalräte unabdingbar darauf achten, dass die Arbeitgeber diese Pflicht erfüllen. Das können sie beispielsweise zusammen mit einer Betriebsvereinbarung zur Leistungsbeurteilung regeln.

… Culbert begründet seine These damit, dass derartige Beurteilungen oftmals auf rein subjektiver Ebene durchgeführt werden. …

Arbeitgeber werden darum argumentieren, dass ihre Beurteilung objektiv seien. Damit das auch tatsächlich so ist, und sich beispielsweise gerade bei Verhaltensbeurteilungen hinter objektiv aussehenden “Kopfnoten” nicht subjektive Einschätzungen verstecken, müssen in den Beurteilungsprozessen sehr wirksame Korrekturmechanismen eingebaut sein, mit denen sich Mitarbeiter gegen Fehlbeurteilungen wehren können. Das diese Korrekturmechanismen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch praktisch funktionieren, können Arbeitnehmervertreter mit guten Betriebsvereinbarungen sicherstellen.
Wer es noch nicht verstanden hat, warum Leistungsbeurteilungen einiges an psychischen Belastungen zu bieten haben, kann hier weiterlesen: http://blog.psybel.de/nachdenken-uber-beurteilungssysteme/

Förderung der Förderung: 500 € pro Mitarbeiter

Dank § 20a SGB V kann die Betriebliche Gesundheitsförderung mit derzeit 500 € pro Mitarbeiter gefördert werden.
http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/Themen/Gesundheitsfoerderung/wissen,did=251740.htm

… Seit 01.01.2009 gilt § 3 Nr. 34 EStG: Demzufolge können rückwirkend zum 01. Januar 2008 Ausgaben von bis zu 500 Euro im Jahr pro Arbeitnehmer steuerfrei bleiben, wenn zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn eine Leistung des Arbeitgebers der betrieblichen Gesundheitsförderung zugute kommt. Unter die Steuerbefreiung fallen sowohl Ausgaben für unternehmensinterne Angebote als auch Zuschüsse des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer, wenn diese extern durchgeführte Maßnahmen nutzen. Damit sollen insbesondere kleinere oder mittlere Unternehmen erreicht werden, die keine eigenen Gesundheitsförderungsmaßnahmen durchführen können und daher auf bestehende, externe Angebote angewiesen sind. 
Die Übernahme bzw. Bezuschussung von Mitgliedsbeiträgen an Sportvereine und Fitnessstudios ist nicht steuerbefreit. Das gleiche gilt für Leistungen, die unter Anrechnung auf den vereinbarten Arbeitslohn oder durch Umwandlung des vereinbarten Arbeitslohns erbracht werden. …

 


2013-04-18:

 

Zermalmt von der Last

Interessanter Aspekt: Belastung zur Rechtfertigung absurder Einkünfte.
Jean-Martin Büttner, Berner Zeitung, 2010-01-09
Interview mit Thomas Knecht
Sie kommen, nehmen und gehen wieder
http://www.bernerzeitung.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/
Sie-kommen-nehmen-und-gehen-wieder/story/13502254


Oft fühlen sich die Täter [narzistische Manager] als Opfer und reden von ihrer Verantwortung. Damit rechtfertigen sie Jahreslöhne in mehrfacher Millionenhöhe.
Das ist ein kampfrhetorisches Manöver. Um dermassen absurde Einkünfte zu rechtfertigen, reicht der Hinweis auf die Intelligenz und Arbeitsleistung nicht mehr. Man braucht eine pseudomoralische Rechtfertigung, die zugleich die eigene Grandiosität ausdrückt, im Sinne: Wenn ich das nicht täte, würde das ganze System zusammenbrechen. Ich werde als Verantwortungsträger fast zermalmt von der Last, aber ich tue das für euch, nicht für mich. Ich opfere mich auf für die Gemeinschaft.

Grundsätze der behördlichen Systemkontrolle

Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik
http://blog.psybel.de/lasi-veroeffentlichungen/#LV54, Inhalt:

1. Einleitung 9
2. Ziele der behördlichen Systemkontrolle 9
3. Bestandteile der behördlichen Systemkontrolle 10
3.1 Vorgehen 10
3.2 Inhalte 11
3.3 Bewertung 14
3.3.1 Bewertungssystematik 14
3.3.2 Gesamtbewertung 15
Anhang 17
Bewertungssystematik für die Arbeitsschutzorganisation 19
Verfahrensanleitung zur Systemkontrolle 35

Vorwort:

Das Ziel des Arbeitsschutzgesetzes ist, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. Maßnahmen des Arbeitsschutzes, einschließlich der Maßnahmen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit, können in den Betrieben längst nicht mehr von Einzelinitiativen und Zufällen abhängig gemacht werden. Die komplexen Anforderungen an den Arbeitsschutz bei neuen Technologien und Prozessen sowie die notwendige weitere Reduzierung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen drängen zu einem effizienten und systematischen Arbeitsschutz in den Betrieben. Dieser trägt zur langfristigen Kostenentlastung der Betriebe sowie der sozialen Sicherungssysteme bei.
Angesichts dieser Entwicklungen in der Arbeitswelt kann auch die Aufsichtstätigkeit (Überwachung und Beratung) der staatlichen Arbeitsschutzbehörden nicht mehr bei Einzelmaßnahmen ansetzen. Vielmehr müssen Betriebe als Systeme betrachtet und als „Organisationsgebilde“ verstanden werden. Ursachen für Arbeitsschutzmängel müssen aufgedeckt werden. Dabei kann die Ursachenprüfung nicht beim Fehlverhalten des Arbeitnehmers enden, denn allzu häufig finden sich Fehler in der Delegationskette, in der Bereitstellung von Informationen, oder es sind Zuständigkeiten oder Abläufe unklar.
Die vorliegende LASI-Veröffentlichung „Grundsätze der behördlichen Systemkontrolle“ (LV 54) konkretisiert die Ziele, das Vorgehen und die Inhalte der Überwachung und Beratung durch die staatlichen Arbeitsschutzbehörden zur Arbeitsschutzorganisation. Sie ersetzt teilweise die im Jahr 2003 erschienene LASI-Veröffentlichung LV 33 [Teil A; Teil B der LV 33 wird noch überarbeitet].
Die Neufassung dieser LASI-Veröffentlichung verdeutlicht den hohen Stellenwert, den die behördliche Systemkontrolle für die Arbeitsschutzbehörden der Länder hat.
Die Aufsichtstätigkeit der staatlichen Arbeitsschutzbehörde hat insbesondere die wirksame Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtungen im Blick. Der Bewertung der Arbeitsschutzorganisation im Betrieb kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Durch die LV 54 wird die Überwachung und Beratung von Betrieben als kontinuierlicher Prozess der Behörden angelegt, der die Verbesserung des Niveaus der Arbeitsschutzorganisation im Betrieb anstrebt. Gleichzeitig wird im Rahmen der staatlichen Beratung eine funktionierende Arbeitsschutzorganisation bzw. ein Arbeitsschutzmanagementsystem als kontinuierlicher Prozess im Betrieb gefördert.
Bremen / Hannover im März 2011

(Hervorhebung, Hyperlinks und Anmerkung in eckigen Klammern nachträglich eingefügt)
Siehe auch:

Von der Leyen kündigt Kampagne an

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/von-der-leyen-plant-kampagne-gegen-burn-out-1.2652967
Wie auch die Saarbrückener Zeitung meldet, plant Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eine breit angelegte Kampagne zur Bekämpfung psychischer Überbelastungen in der Arbeitswelt. Mit den Tarifpartnern, Sozialversicherungsträgern sowie Länderexperten wolle sie im kommenden Jahr “wirksame Maßnahmen” gegen diese Probleme entwickeln, kündigte von der Leyen der Zeitung zufolge an.
Strengere Gesetze seien, so die Zeitung, nach Ansicht von der Leyens nicht nötig.

Schon jetzt gebe es strenge Arbeitsschutzbestimmungen auch mit Blick auf seelische Belastungen.
Studien zeigten aber, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit“. Daher müsse man besser informieren und Lösungswege aufzeigen. Dies solle die von ihr geplante “breit angelegte Kampagne” erreichen.

(Link und Hervorhebung nachträglich eingefügt)
Hier stimmt fast alles, vielleicht auch die “Hilflosigkeit”. (Gibt es erlernte Hilflosigkeit auch bei Organisationen?) Aber die “Unwissenheit” wurde von zu vielen Arbeitgebern geradezu proaktiv gepflegt. Mitarbeiter und Betriebsräte, die auf das Thema aufmerksam machten, wurden unter Druck gesetzt. Dokumentiert wird die Absichtlichkeit des Unwissens der Arbeitgeber einfach dadurch, dass die Gewerkschaften das Thema schon vor Jahren aufgriffen. Das ist gut dokumentiert. Die Arbeitgeber wussten, was sie taten und was sie unterließen: Tausendmal diskutiert, und doch ist nichts passiert.
Sehr gut ist, dass die Arbeitsministerin strengere Gesetze nicht für nötig hält. Strengere Gesetze wären meiner Ansicht nach sogar schädlich. Aber Arbeitgeber, die ohne einen ausreichenden Arbeitsschutz die Gesundheit ihrer Mitarbeiter riskieren, müssen leichte in Haftung genommen werden können.
Woran wir uns wieder gewöhnen müssen, ist ein Rechtsstaat, in dem Unternehmen geltene Schutzgesetze zu beachten haben und in dem Aufsichtbehörden diese Schutzgesetzen durchsetzen können und dürfen. Dabei gibt es häufig noch ein Problem: Manche Arbeitgeber schaffen es gerade noch, Betriebsräte “einzubeziehen”, das Wort “Mitbestimmung” fehlt dann häufig sogar schon in ihrem Vokabular. Das behindert die Umsetzung der als Rahmenbestimmungen formulierten Regeln des Arbeitsschutzes. Betriebsräte bestimmen mit. Es herrscht sogar Mitbestimmungspflicht! Es geht also nicht nur um mehr Respekt vor Schutzgesetzen, sondern auch um das Betriebsverfassungsgesetz und um die Förderung der Betriebsräte beim Aufbau der für ihre Aufgaben erforderlichen Kompetenzen.
Komplettes Interview: http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/interview-vdl-saarbruecker-zeitung-2011_12_27.html
 
Anmerkung: In der Süddeutschen Zeitung wurde im Oktober eine vermeintlich hysterische Verwendung des Begriffes “Burn-out” kritisiert. Die nüchtern geschriebene Meldung der Saarbrückener Zeitung gaben die Süddeutschen unter dem Titel “Von der Leyen plant Burn-out-Gipfel” wieder.

Tödliche Höflichkeit

Das Thema der psychisch wirksamen Belastung ist in Unternehmen oft eine “heiße Kartoffel”. Vorsicht und Höflichkeit sind gefragt. Ist das hilfreich? Wie kommt es, dass das Thema in vielen Unternehmen jahrelang herumgeschleppt wurde, obwohl zumindestens die Entscheider sahen, dass es angefasst werden muss? Wie gehen wir in Unternehmen mit anderen “sensiblen” Themen um?
Mir geht es nicht darum, der Unhöflichkeit das Wort zu reden. Aber moderne und auf Effizienz getrimmte Unternehmen sind so künstliche Umwelten wie die Cockpits von Flugzeugen. Mit einer Kommunikation, wie sie bei Hofe nötig war, kommen wir hier nicht weiter. Wir können auch ohne Höflichkeit miteinander sprechen ohne uns zu verletzen. Aber wir müssen die Kosten der Höflichkeit wohl erst noch besser verstehen. Dazu leistete Katrin Blawat in der Süddeutschen Zeitung heute einen Beitrag.
http://www.sueddeutsche.de/wissen/kommunikationspannen-die-dunkle-seite-der-hoeflichkeit-1.1244262

Die dunkle Seite der Höflichkeit
2011-12-27, 10:40
Von Katrin Blawat

Manche Menschen riskieren ihr Leben, weil sie nicht unhöflich sein wollen. Die vermeintliche Tugend kann irritieren, zu Missverständnissen führen und manchmal sogar tödlich sein.
Der Kapitän hat die Eisschicht offenbar nicht bemerkt, die Teile der Boeing 737 bedeckt. Vielleicht will er sie auch ignorieren und endlich abheben, immerhin hat der Flug fast zwei Stunden Verspätung. Während sie auf die Starterlaubnis warten, beginnt der Erste Offizier zaghaft, auf die Gefahr hinzuweisen. “Sieh mal, wie da hinten überall das Eis hängt”, sagte er. Pause. Dann der nächste Anlauf: “Siehst du all die Eiszapfen da hinten?” Und schließlich sein letzter Versuch: “Junge, das ist eine verlorene Schlacht hier.”
Dem Ersten Offizier war offenbar bewusst, dass ein derart vereistes Flugzeug zur Lebensgefahr werden kann. Warum aber wurde er nicht deutlicher? Wollte er vermeiden, den in der Hierarchie höher gestellten Kapitän durch harsche Kritik zu verärgern? Blieb er deshalb trotz der brenzligen Situation zurückhaltend und höflich? Endgültig klären lässt sich das nicht mehr. Kurz nachdem das vereiste Flugzeug vom Washington National Airport in Virginia gestartet war, stürzte es in den Potomac. 78 Menschen, unter ihnen der Erste Offizier und der Kapitän, starben an diesem 13. Januar 1982.

Es gibt noch andere Höflichkeitprobleme. Ich hatte insgesamt fast fünf Jahre in Japan gelebt, wo die Höflichkeit – um es höflich zu sagen – sehr ausgeprägt ist. Oft war es dort sehr schwierig, auf den Punkt zu kommen. Auch im Bereich der Nuklearenergie wurden dort wohl viele Probleme nicht angesprochen. Im früheren Japan war es für weniger mächtige Menschen sicherlich oft sehr ungesund, Mißstände offenzulegen. Mit den Technologien und Verfahren von heute ist es ungesund, das nicht zu tun.
 
Links (im Artikel nicht enthalten):

 
Weitere Artikel in der Süddeutschen Zeitung:

  • Emotionale Intelligenz in der Gehaltsverhandlung – Mehr Geld für die Sensiblen, 2011-10-31
  • Folgen von Doppelleben – Wenn das halbe Leben eine Lüge ist, 2011-09-15
  • Vernunft und Risikobereitschaft – Ablasshandel mit der eigenen Psyche, 2011-08-03
  • Absturz der Air France 447 – Ratlos im freien Fall, 2011-07-29
  • Absturz der Air France 447 – Tödliche Fehlerkette, 2011-07-29
  • Air-France-Katastrophe – Dreieinhalb Minuten Absturz, 2011-05-27
  • Sprechen über Gehälter – Nur Fische sind schweigsamer, 2011-02-06
  • Frau am Steuerknüppel – Emanzipation über den Wolken, 2010-12-28
  • Verhaltensforschung und Umweltschutz – Der Nachbar als Motivator, 2010-10-15
  • Beziehungsintelligenz – Wie Kollegen zu Verbündeten werden, 2010-09-29