Arbeitsschutzorganisation ist Pflicht

Grundsätze der behördlichen Systemkontrolle, LV 54, 2011-03
Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI)
http://blog.psybel.de/2011/12/29/grundsaetze-der-behoerdlichen-systemkontrolle/
S. 9:

2 .Ziele der behördlichen Systemkontrolle 
Die behördliche Systemkontrolle stellt das Instrumentarium dar, mit dem die zuständige Arbeitsschutzbehörde das Vorhandensein und das Funktionieren einer systematischen Arbeitsschutzorganisation hinsichtlich ihrer Eignung im Sinne des § 3 ArbSchG überprüft. Werden Defizite festgestellt, wirkt die zuständige Arbeitsschutzbehörde auf eine geeignete betriebliche Organisation hin.
Eine geeignete Organisation muss sicherstellen, dass:

  • die Arbeitsschutzvorschriften eingehalten werden,
  • Mängel im Arbeitsschutz festgestellt und beseitigt werden,
  • Schwachstellen in der Arbeitsschutzorganisation einschließlich der organisatorischen Ursachen konkreter Arbeitsschutzdefizite analysiert sowie Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt werden,
  • die innerbetriebliche Kommunikation und die Zusammenarbeit sowie der innerbetriebliche Erfahrungsaustausch im Arbeitsschutz unter Einbeziehung aller Hierarchieebenen erfolgt,
  • die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nachhaltig verbessert werden,
  • sicherheits- und gesundheitsgerechtes Verhalten dauerhaft ermöglicht und gefördert wird.

 
S. 37, Anlage:

4.1 Rechtsgrundlagen 
Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) regelt die Gewährleistung und Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten. Dabei stehen Prävention und Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt. Die Verpflichtung des Arbeitgebers eine geeignete Organisation des Arbeitsschutzes zu schaffen ist in § 3 ArbSchG verankert.
Das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) regelt den Einsatz von Fachkräften für Arbeitssicherheit und
den Einsatz von Betriebsärzten. Damit soll erreicht werden, dass

  • die dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung dienenden Vorschriften den besonderen Betriebsverhältnissen entsprechend angewandt werden,
  • gesicherte arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Erkenntnisse zur Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung verwirklicht werden und
  • die dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung dienenden Maßnahmen einen möglichst hohen Wirkungsgrad erreichen.

Rechtsgrundlagen für die Überwachung der Arbeitsschutzorganisation, die Beratung des Arbeitgebers, die Möglichkeit der Anordnung und weiterer Befugnisse sind das Arbeitsschutzgesetz (§ 21 (1), § 22 ArbSchG) und das Arbeitssicherheitsgesetz (§12, § 13 ASiG) sowie Einzelregelungen in den auf das Arbeitsschutzgesetz gestützten Rechtsverordnungen.
Für die Länderbehörden bedeutet dies, dass

  • die Überwachung der Erfüllung der Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitsschutzorganisation und die diesbezügliche Beratung Kernaufgaben sind,
  • die Erfüllung der rechtlich vorgegebenen Einzelverpflichtungen und deren betriebliche Wirksamkeit zu überprüfen ist und
  • im Rahmen der Beratung mindestens eine funktionierende Arbeitsschutzorganisation bis hin zu einem Arbeitsschutzmanagementsystem als kontinuierlicher Prozess im Betrieb anzustreben ist.

Das heißt für Arbeitnehmervertreter, dass die Implementierung der Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” beim Arbeitsschutz ihres Betriebes schon irgendwie prozesshaft geregelt sein muss. Das Gesetz schreibt dem Arbeitgeber zwar nicht vor, wie er den Einbezug dieser Kategorie in den Arbeitsschutz umsetzt. Aber es muss eine nachvollziebar und prüfbare Organisation dafür aufgebaut werden.
Gibt es Betriebsräte oder Personalräte in dem Unternehmen, dann dürfen sie in die zu dieser Organisation notwendige Dokumentation nicht nur Einsicht nehmen, sondern Arbeitnehmervertreter haben dann sogar die Pflicht zur Mitbestimmung. Diese darf nicht durch eine intransparente Organisation des Arbeitsschutzes behindert werden.

4.3 Zielsetzung
Zielsetzung der behördlichen Systemkontrolle ist die

  • Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Arbeitsprozessen in Betrieben,
  • Stärkung der unternehmerischen Eigenverantwortung,
  • Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften in Betrieben,
  • Feststellung und Abstellung von Mängeln,
  • Verbesserung der betrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation,
  • Integration von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit in die Geschäftsprozesse der Organisation,
  • Förderung der systematischen Wahrnehmung des Arbeitsschutzes in Betrieben,
  • Nachhaltigkeit der behördlichen Überwachungstätigkeit im Betrieb.

 
Siehe auch: http://www.gda-portal.de/de/Betreuung/Leitlinie-Organisation-AS.html

Halbbildung (forts.)

http://www.hauptsache-bildung.de/2012/schlusselthema-burnout-abschlussinterview-mit-burnoutexperte-manuela-starkmann/#more-5283

… Jeder Mensch ist verschieden. Das ist zwar ein Satz, den ich oft höre, doch ich vermisse die dazugehörige, individuelle Behandlung. Man bekommt nun mal seine Mitarbeiter nicht durch das gleiche Raster. Da kann man noch so viele standardisierte Personalbefragungsbögen haben. Mitarbeitergespräche sollten aus einer Mischung grundsätzlicher Einheitlichkeit sowie Anerkennung der persönlichen Stärken bestehen. …

Die gut klingende Aussage, dass jeder Mensch verschieden sei und individuelle Behandlung brauche, finden wir in Argumentationsmustern, die oft als Einwand gegen Verhältnisprävention verwendet werden. Verhältnisprävention sichert die Verhältnisse, die die verschiedenen Menschen brauchen. Menschen legen sowohl auf individuelle Behandlung wert wie auch auf gerechte Gleichbehandlung. Es kommt hier immer auf die Situation an.
Manuela Starkmann will Burnoutexpertin sein, weiß aber nicht, dass Mitarbeiter in den Unternehmen bisher vorwiegend “individuell behandelt” wurden, wenn es um Burnout und um psychische Erkrankungen ging. Hier wird also am ganz falschen Baum gebellt, denn nicht die Zuwendung zum Individuum fehlt, sondern strukturelle Verbesserungen wird ausgewichen. Praktischerweise konnten Arbeitgeber damit ihre Verantwortung zu individuellen Mitarbeitern verschieben, ohne auf kranke Strukturen in ihrem Unternehmen schauen zu müssen. Darum gab es in der Wirtschaft eher starken Widerstand gegen die Verhältnisprävention. Aber der Verhaltensprävention mit ihrer ach so liebevollen Hinwendung zum einzelnen Menschen wandten sich Unternehmer wohl schon im Paläolithikum allzu gerne zu.
Die Burnoutexpertin Starkmann vermittelt also wieder nur Halbbildung: Standardisierte Personalfragebögen beruhen auf Grundlagen, die verschiedenen Menschen gemeinsam akzeptierten. Es geht auch nicht darum, Menschen durch ein gleiches Raster zu bekommen, sondern im Arbeitsschutz geht es darum, die Qualität der Arbeitsplätze (Arbeitsbedingungen) von Menschen zu untersuchen. Starkmann versucht den alten Trick, Mitgefühl mit den geplagten Individuen zu zeigen und die Verhältnisprävention als etwas Unpersönliches darzustellen, das persönliche Stärken vernachlässigt. Das ist Unsinn. Verhältnisprävention setzt an den Rahmenbedingungen an, die wir zur Entfaltung unserer persönlichen Stärken brauchen. Übrigens: Ein menschliches Umfeld muss auch persönliche Schwächen erlauben.
In die Esoterik-Kategorie kommt Frau Starkmann wegen dieses Artikels: http://blog.psybel.de/2012/06/18/ursache-halbbildung/

Wie die BKK eine BPtK-Pressemeldung wiedergibt

Zur jüngsten Veröffentlichung der Bundestherapeutenkammer (BPtK) ist es interessant, zu sehen, was die BKK hinsichtlich der Bedeutung der Arbeitswelt als Ursache für psychische Erkrankungen aus der Meldung herauspickt und wie die in dieser Hinsicht ausgewogener formulierte Pressemeldung der BPtK ursprünglich aussah.
 
BKK
http://www.bkk.de/arbeitgeber/news/?showaktuelles=239507&module=5002C,
aber auch (Quelle der BKK?): http://www.personalwirtschaft.de/de/html/news/details/1885/Studie:-Arbeitnehmer-sind-zunehmend-überfordert/)

… An der zunehmenden Überlastung trage die Arbeitswelt nicht alleine Schuld. Im Gegenteil: Erwerbslose würden im Vergleich zu Erwerbstätigen drei- bis viermal so häufig an psychischen Erkrankungen leiden. In den Betrieben würden vor allem Zeitdruck und zu geringe Kontrolle über die Arbeitsabläufe zu den Risikofaktoren zählen. Eine offene Kommunikation über psychische Belastungen könne in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sein. 
Professionelle Beratung und Unterstützung sowie eine Anleitung zur Selbsthilfe seien wichtig, um der Entwicklung einer seelischen Krankheit zuvorzukommen. “Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie, die insbesondere den psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft gerecht wird”, so die Forderung des BPtK-Präsidenten Prof. Dr. Richter. Nach Angaben der Bundesregierung beliefen sich die Produktionsausfälle aufgrund von psychischen Krankheiten auf jährlich rund 26 Milliarden Euro.

 
BPtK
http://www.bptk.de/presse/pressemitteilungen/einzelseite/artikel/betriebliche.html

06. Juni 2012
Betriebliche Fehltage aufgrund von Burnout um 1.400 Prozent gestiegen
BPtK-Studie „Arbeitsunfähigkeit und psychische Erkrankungen 2012“ 
Die Zahl der betrieblichen Fehltage aufgrund von Burnout ist seit 2004 um fast 1.400 Prozent gestiegen. „Die Menschen fühlen sich in ihrem Leben und bei ihrer Arbeit immer häufiger überfordert“, stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fest. „Die psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft werden erheblich unterschätzt. Seelisch überlastete Personen erhalten zu spät Beratung sowie Hilfe und psychisch Kranke zu spät eine Behandlung.“
Im Jahr 2004 fehlten 100 Versicherte 0,6 Tage aufgrund von Burnout, im Jahr 2011 waren es schon neun Tage. Ihr Anteil an allen Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen ist aber noch gering. Im Jahr 2011 waren 100 Versicherte rund 200 Tage aufgrund seelischer Leiden arbeitsunfähig. Im Vergleich zu psychischen Erkrankungen machen die Ausfälle aufgrund von Burnout also nur 4,5 Prozent der Fehltage aus.
„Im Gespräch mit dem Arzt schildern viele Arbeitnehmer Erschöpfung oder Stress“, erklärt BPtK-Präsident Richter. Solche Schilderungen von Burnout-Symptomen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, weil dahinter meist psychische Erkrankungen stecken.“ Bei 85 Prozent der Krankschreibungen wegen Burnout diagnostizierte der Arzt zusätzlich eine psychische (z. B. Depression, Angststörung) oder körperliche Erkrankung (z. B. Rückenschmerzen). Nur 15 Prozent der Burnout-Krankschreibungen erfolgen ohne eine weitere Diagnose. Auch dann kann Burnout jedoch ein Hinweis auf eine entstehende psychische oder auch körperliche Erkrankung sein.
Aktuell gibt es keine allgemein anerkannte Definition, was unter Burnout zu verstehen ist. Häufig genannte Symptome des „Burnouts“ oder des „Ausgebranntseins“ treten auch bei einer Reihe psychischer Erkrankungen auf: u. a. Antriebsschwäche, gedrückte Stimmung, Reizbarkeit, Erschöpfung. Burnout wird in Deutschland in der ICD-10-GM in einer Zusatzkategorie (Z73) verschlüsselt, in der Faktoren beschrieben werden, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen können, ohne eine eigenständige Erkrankung zu sein. Meist handelt es sich um Überforderungen durch berufliche und private Belastungen. „Eine solche Kategorie ist durchaus sinnvoll, weil sie dem Arzt die Verschlüsselung von psychosozialen Risikofaktoren oder auch von Gründen bzw. Anlässen für eine tatsächliche Erkrankung ermöglicht“, erläutert Richter. „Es muss dann aber auch sichergestellt sein, dass eine diagnostische Abklärung oder eine Behandlung eingeleitet wird.“
Psychische Erkrankungen haben ihre Ursachen nicht nur in der Arbeitswelt. Arbeit kann sogar ein wichtiger Faktor für psychische Gesundheit sein. Berufstätige Frauen erkranken deutlich seltener an einer Depression. Arbeitslose Menschen leiden bei Weitem häufiger an psychischen Erkrankungen als Erwerbstätige. Nach Berechnungen der BPtK erkrankt fast jede fünfte nicht berufstätige Frau ohne minderjährige Kinder im Haushalt an einer Depression (19,5 Prozent), aber nur jede achte berufstätige Frau mit Kindern (12,8 Prozent). Am gesündesten sind berufstätige Frauen ohne Kinder (9,6 Prozent). Arbeitslose sind drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Während gesetzlich krankenversicherte Erwerbstätige durchschnittlich elf Tage je 1.000 Versichertenjahre aufgrund psychischer Erkrankungen stationär behandelt werden, sind es bei Arbeitslosen sechsmal so viele Tage. Arbeitslose Männer erhalten außerdem fast dreimal so häufig Antidepressiva verordnet wie Erwerbstätige.
Die Ursachen für psychische Erkrankungen liegen aber auch in der Arbeitswelt. „Auch die moderne Arbeitswelt der Dienstleistungen und Konkurrenz kennt eine Art Fließbandarbeit. Zeitdruck und zu geringe Kontrolle über die Arbeitsabläufe sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Krankmachend ist, wenn gefährdete oder erkrankte Arbeitnehmer keinen Weg zur Veränderung finden.“ Die Unternehmen können dazu beitragen, dass über psychische Belastungen offen gesprochen werden kann. Es darf nicht dazu kommen, dass in den Betrieben die Meinung herrscht: „Wer ein Problem hat, ist das Problem!“ Wer sich überfordert fühlt, gibt sich häufig selbst die Schuld. Die Erfolgsgeschichten der anderen scheinen dann zu belegen, dass mit der eigenen Leistungsfähigkeit etwas nicht stimmt. „In solchen Situationen reichen Angebote zum Zeit- und Stressmanagement nicht aus“, stellt der BPtK-Präsident fest.
„So belastete Arbeitnehmer brauchen professionelle Beratung und Unterstützung, bevor sich eine seelische Krankheit entwickelt“, empfiehlt Richter. „Nicht jedes Problem bei der Lebensbewältigung erfordert eine Behandlung. Wichtig ist jedoch eine schnelle diagnostische Abklärung, ob eine Krankheit vorliegt. Nur so kann einer Chronifizierung vorgebeugt werden.“ Aber auch dann, wenn noch keine Erkrankung vorliegt, benötigt der Gefährdete eine qualifizierte Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe, die eine Verschlimmerung verhindert. „Die menschliche Psyche hat eine erhebliche Selbstheilungskraft.“, betont BPtK-Präsident Richter. „Die Selbsthilfepotenziale der Menschen werden bisher nicht ausreichend genutzt. Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie, die insbesondere den psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft gerecht wird.“
Hintergrund:
Deutsche Arbeitnehmer erkranken immer häufiger aufgrund von psychischen Erkrankungen. Die Zahl der betrieblichen Fehltage aufgrund von seelischen Leiden ist auch im Jahr 2010 weiter gestiegen. Die ersten Auswertungen zeigen, dass sich dieser Trend auch im Jahr 2011 fortsetzt. Aktuell werden 12,5 Prozent aller betrieblichen Fehltage durch psychische Erkrankungen verursacht. Der Anteil der Fehltage an allen Krankschreibungen hat sich seit dem Jahr 2000 etwa verdoppelt. Psychische Erkrankungen führen zu besonders langen Fehlzeiten von durchschnittlich 30 Tagen. Depressiv erkrankte Arbeitnehmer fehlen durchschnittlich sogar 39 Tage. Nach jüngsten Berechnungen der Bundesregierung entstehen den Unternehmen jährlich durch psychische Krankheiten Produktionsausfälle von 26 Milliarden Euro.

Links und Hervorhebungen wurden von mir nachträglich in beide Zitate eingearbeitet.
Die Therapeuten der BPtK wenden sich dem einzelnen Menschen zu. Der Satz “Aber auch dann, wenn noch keine Erkrankung vorliegt, benötigt der Gefährdete eine qualifizierte Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe, die eine Verschlimmerung verhindert” beschreibt einen Beitrag zur Verhaltensprävention. Aber in der Arbeitswelt kann die Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention (vorgeschrieben im Arbeitsschutz) nicht funktionieren. Fehlt die Verhältnisprävention am Arbeitsplatz, können auch austherapierte Menschen dort schnell wieder erkranken. Darum wäre es gut gewesen, wenn die BPtK deutlicher auf die gesetzlich vorgeschriebene Verhaltensprävention hingewiesen hätte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang beispielsweise ein Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW, dass die Gewerkschaft und die Vereinigung der Betriebsärzte im Jahr 2009 gemeinsam veröffentlichten.
 
Siehe auch:

Perfide Methoden

http://news.glb.at/news/article.php/20120612112032281

… Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen
Hohe Arbeitsintensität, lange und unplanbare Arbeitszeiten, bezahlte und unbezahlte Überstunden, Vertrauensarbeitszeiten, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeitsplatzunsicherheit, widersprüchliche Arbeitsaufgaben bzw. –aufträge, unklare Prioritätensetzung, geringe Qualifikationsmöglichkeiten, qualitative und/oder quantitative Über- bzw. Unterforderung, mangelnde Anerkennung und/oder Unterstützung, permanente Umstrukturierungen, ununterbrochene Ausdünnung der Belegschaften, schleichendes stückchenweises – unmittelbar kaum wahrnehmbares – Draufpacken zusätzliche Arbeitsaufgaben prägen den Arbeitsalltag der meisten Beschäftigten. Internet, E-Mails, Facebook, Twitter u.a., Handys, Smartphones ermöglichen den Unternehmern die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen, ja verschwinden zu lassen.
Mit den perfidesten Methoden wird immer mehr Output aus den Menschen gepresst. Der Druck ist subtil. Immer öfter werden sie indirekt gesteuert. Die Selbstständigkeit, der eigene Willen der Beschäftigten werden instrumentalisiert für den Unternehmenszweck. Sie sollen agieren wie Unternehmer. Mehr und mehr Verantwortung wird ihnen übertragen, ohne das sie wirklich Handlungs- und Entscheidungsfreiheit haben. Denn Rahmenbedingungen wie Termine, Kosten, Personal, Qualität legt die Unternehmensleitung fest. Dazu werden auch teilautonome Einheiten, Profitcenter und kleinere GmbHs organisiert. Der Taktgeber für die zur Verfügung gestellte Zeit für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe aber ist und bleibt der Unternehmer. Bezahlt wird nicht mehr nach Arbeitszeit. Was zählt, ist das Ergebnis, und Ergebnis ist nur ein anderes Wort für höheren Profit. Etwas anderes wird nicht geduldet.
Folge ist, dass immer mehr Arbeitsstunden in Projekte und Aufgaben gesteckt, nicht angeordnete, unbezahlte Überstunden erbracht werden. Weil das nicht reicht, um die Motivation der Beschäftigten anzutreiben, wird unverhohlen gedroht, nicht mehr in den Arbeits-, Betriebs- bzw. Unternehmensbereich zu investieren oder das Team/die Abteilung aufzulösen. Um die Konkurrenz untereinander anzustacheln, werden nicht nur Vergleichswerte als Referenzgrößen (Benchmarks) mit anderen Unternehmen angeführt, sondern auch mit anderen Werken, Bereichen, Abteilungen, angeblich vergleichbaren Einheiten. Systematisch vergrößern die Unternehmer und andere Verantwortliche die Kluft zwischen vorgegebenen Zielen und Arbeitsaufgaben einerseits und deren Machbarkeit in der vorgegebenen Zeiteinheit andererseits. Wer da nicht mithalten kann, weiß, dass letztlich seine berufliche Existenz auf dem Spiel steht. Zukunftsangst hat in die einstmals relativ sichere Arbeitswelt genommen. Arbeitsplatzzerstörungen wie sie jetzt für 3000 Schlecker Frauen drohen führen durch die zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit zu weiterem Stress. …
Anne Rieger, Dipl. Psychologin, hat als Arbeits- und Betriebspsychologin gearbeitet, ehem. Bevollmächtige der IG Metall, arbeitet in Graz für den GLB

Anne Rieger beschreibt die gerade wegen ihrer Subtilität besonders perfiden und unehrlichen Methoden in der heutigen Arbeitswelt aus professioneller Sicht, aber fast hätte ich mich nicht getraut, auf diesen Artikel hinzuweisen. Da steckt ja der Gewerkschaftliche Linksblock im ÖGB dahinter. Wird mein Blog dadurch “links”? Aber die Autorin hat in der Sache schlicht recht, ob links oder nicht links. Also putzen Sie ihren Geist erst einmal ordentlich und lesen Sie den Artikel dann ohne irgendeine vorbeugende Ablehnung durch.

Getrübter Blick bei der WiWo

http://mobil.wiwo.de/;mtpg=5/erfolg_prio/6668030

Bürokrankheit Burn-out
Schwieriger Umgang mit dem B-Wort
Psychische Erkrankungen von Mitarbeitern nehmen zu und verringern die Produktivität. Wie Unternehmen Burn-out vorbeugen und nachsorgen. …

… Fällt ein Mitarbeiter etwa durch Unkonzentriertheit, Leistungsabfall bei extremen Arbeitszeiten oder durch sozialen Rückzug auf, sollten Vorgesetzte ihre Beobachtung aussprechen. Allerdings ohne eine Diagnose zu stellen. Denn was eine zeitweilige Erschöpfung nach hoher Arbeitsbelastung oder eine lebensbedrohliche Depression ist, vermag der Laie nicht zu unterscheiden. Deshalb gilt es, die Betroffenen rasch an professionelle Dritte zu verweisen. …

… Der Blick auf die Eigenverantwortung ist bei psychischen Erkrankungen häufig getrübt. “Da wird die Zuständigkeit für die eigene Gesundheit an den Chef oder den Betriebsarzt delegiert”, sagt Rolf Arera, der die Abteilung Gesundheitsschutz beim Versicherer Ergo leitet.
Hilfe zur Selbsthilfe ist gefragt. Betroffene dabei unterstützen, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen, umfasst nach längerer Krankheit eine sensible, aber rechtzeitige Wiedereingliederung. Je länger die Abwesenheit, desto weniger trauen sich die Mitarbeiter zu. …

Die beiden Absätze stehen stellvertretend für den Stil des Artikels. Was die Wirtschaftswoche hier schreibt, ist ja nicht direkt unwahr. Aber durch das Ausblenden von Fakten werden die Leser desinformiert. Einer dieser Fakten ist: Unternehmer, die Mitarbeiter gerne zu mehr Eigenverantwortung ermahnen, werden oft wissentlich ihren eigenen Verantwortungen im Arbeitsschutz nicht gerecht.
Kritik an Mitarbeitern mit psychischen Erkrankungen wird in dem Wochenblatt aber gerne Raum gegeben. Der Blick auf die Verfehlungen der Arbeitgeber bleiben getrübt. Dabei weiß die WiWo sogar von unserer Bundesarbeitsministerin, dass etwa zwei Drittel der Unternehmen entgegen den Vorschriften psychische Belastungen nicht in den Arbeitsschutz mit einbeziehen. Das Weglassen dieser Fakten kann kein Versehen mehr sein. Dann auch noch von Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung zu fordern, ist Chuzpe vom Feinsten. Wie ich mit früheren Beispielen zeigte, strengt sich die WiWo sogar richtig an, diese Fakten auszublenden.
Wie wird bei denen selbst in der Redaktion mit dem Thema der psychischen Belastungen umgegangen, wenn sie so wenig davon verstehen. Wie sehen dann die vorgeschriebenen Schulungen aus? Wie wird an den Arbeitsplätzen der WiWo der §3 der Bildschirmarbeitsverordnung umgesetzt?

Segeltherapien als Luxus und Burnout als Waffe?

Claudia Tödtmann (2012-05-20): Unternehmen müssen sich vor Burnout-Klagen fürchten – Gastbeitrag von Arbeitsrechtler Jörg Podehl
http://blog.wiwo.de/management/2012/05/15/unternehmen-mussen-sich-vor-burnout-klagen-furchten-gastbeitrag-von-arbeitsrechtler-jorg-podehl/

… Anfang Mai 2012 wurde beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf der Fall einer Wuppertaler Betriebsrätin mit einem widerruflichen Vergleich abgeschlossen. Sie war wegen Burnouts krankgeschrieben, hatte während ihrer Krankschreibung jedoch eine Segelreise unternommen und war hierfür zur Strafe gleich fristlos gekündigt worden. …

Diese beliebte Geschichte wird gerne von Leuten erzält, die weder Ahnung vom Segeln noch Ahnung von Verhaltenstherapie haben. Tatsächlich kann eine Segelreise das Gehirn sehr wohl gut durchputzen. Bei Therapien für Top-Manager funktionierte das bekanntlich schon recht gut. Wo ist also das Problem, wenn auch Betriebsratsmitglieder Methoden anwenden, die sich bei Managern bewährt hatten?
 

… Gefahr für Unternehmen: Burnout als Waffe
Es besteht die Gefahr, dass Arbeitnehmer das Argument „Burnout“ missbräuchlich einsetzen …

Es geht zugegebenermaßen noch schlimmer: http://blog.psybel.de/esoterik/
 

… Ist für den Arbeitgeber eine außergewöhnliche Stressbelastung des Arbeitnehmers im Vergleich zu den gewöhnlichen Anforderungen erkennbar oder liegen bereits Anzeichen einer drohenden Krankheit vor, dann muss der Arbeitgeber wegen dieser deutlichen Anzeichen handeln und den Arbeitnehmer vor übermäßiger Stressbelastung schützen. …

Das ist zu reaktiv. Vor 1996 konnte man vielleicht noch so argumentieren. Der ganzheitliche Arbeitsschutz schreibt jetzt Vorbeugung vor.

… Eine Pflicht zum Einschreiten des Arbeitgebers sollte dem Arbeitgeber nur dann auferlegt werden, wenn erkennbare Störungen und Überlastungen bei den Arbeitnehmern vorliegen. Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter darf nicht am Arbeitsplatz aufhören. Jeder muss dazu beitragen, seine psychische Gesundheit beizubehalten. …

Nein, auch dann ist es oft schon zu spät. Speziell nach OHSAS 18001:2007 zertifizierte Unternehmen können nicht abwarten, bis Störungen und Überlastungen erkennbar sind, denn sie haben sich ja selbst verpflichtet, arbeitsbezogene Ereignisse zu erfassen und zu untersuchen, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten(!) zur Folge haben können. Erkrankungen sind hierbei als erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände definiert, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden. Die “Außergewöhnlichkeit” der Stressbelastung ist kein Kriterium, dass ein Auditor oder ein Richter akzeptieren würde. Wer denkt sich so etwas denn aus? Stimulierender Stress kann außergewöhnlich, und außergewöhnlicher Stress kann stimulierend sein.
Wer entscheidet, welche Ereignisse z.B. Erkrankungen hätten(!) zur Folge haben können? Natürlich kann das der Arbeitgeber nicht alleine entscheiden. Auch das Vorliegen von Fehlbelastungen davon abhängig zu machen, ob sie ausgerechnet vom Arbeitgeber erkennbar sind, wäre ein eher unintelligenter Ratschlag. Aber natürlich kann man das Erkennen auch den Arbeitnehmern nicht alleine überlassen. Unkenntnis, Voreingenomenheit, Parteilichkeit oder (im schlimmsten Fall) auch Missbrauch ist auf beiden Seiten nicht ausgeschlossen. Darum gibt es die Mitbestimmung und Mitwirkung (bei OHSAS 18001:2007 im Absatz 4.4.3.2), die Jörg Podehl mit keinem Wort erwähnt.
Zur Eigenverantwortung der Mitarbeiter: Ja, die Eigenverantwortung der Mitarbeiter darf nicht am Arbeitsplatz aufhören. Jeder muss dazu beitragen, seine psychische Gesundheit beizubehalten. Gerne stimme ich dem zu, denn dazu gehört natürlich auch, sich gegen ansteigende psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen zu wehren. Warum aber kommt die Forderung nach der Eigenverantwortung der Mitarbeiter immer wieder ausgerechnet aus den Kreisen, in denen die Mehrheit der Unternehmer jahrelang ihrer eigenen Verantwortung nicht gerecht geworden sind?
Re-editiert: 2012-11-12

Mehr Eigenverantwortung der Beschäftigten

http://www.gutearbeit-online.de/archiv/beitraege/2009/2009_08_05_07.pdf

Arbeitgeber gegen „Neue Kultur der Arbeit“ 
Eine neue Kultur der Arbeit ist nicht erforderlich, es gibt sie schon. Im Grunde ist die Arbeitswelt völlig in Ordnung, was fehlt, ist lediglich mehr Eigenverantwortung der Beschäftigten. Mit dieser Herangehensweise haben Arbeitgeberverbände nicht nur erwartungsgemäß die Initiativen der Gewerkschaften für Gute Arbeit angegriffen, sondern auch dem gerade erst gestarteten Projekt des Bundesarbeitsministeriums für eine Neue Kultur der Arbeit in der vorgeschlagenen Form eine deutliche Absage erteilt. …

… Die vom BMAS gewählte Bezeichnung „Neue Kultur der Arbeit“ wurde von der BDA rundweg abgelehnt. Sie impliziere eine Kritik an der jetzt schon bestehenden „Kultur der Arbeit“, die nicht akzeptiert werden könne. „Menschenwürdige und menschengerechte Arbeitsbedingungen“ seien in Deutschland eine „Selbstverständlichkeit“, das Arbeitsschutzniveau sei hoch und liege „europaweit über dem Durchschnitt“. Als alternativen Titel schlug die BDA vor: „Für eine moderne Kultur der Arbeit – gemeinsam Arbeits-und Beschäftigungsfähigkeit sichern“. Weiter bestehende „Beschäftigungshemmnisse“ müssten beseitigt werden; dazu wird z.B. eine Fortsetzung der vergangenen Arbeitsmarkt-„Reformen“ angemahnt. Sie dürften nicht „verwässert oder rückgängig gemacht“ werden. …

… Eine auch nur vorsichtige Kritik der Kurzfristökonomie, die die Finanz-und Wirtschaftskrise maßgeblich verursacht hat, wird ebenfalls zurückgewiesen. Die BDA verlangt, den vom BMAS vorgeschlagenen Satz „Mit einer kurzfristig ausgerichteten Wettbewerbstrategie werden Unternehmen den neuen Herausforderungen immer weniger gerecht“ zu streichen. Der Satz enthalte eine „unangebrachte, verallgemeinerte Kritik an den Unternehmen“. …

Beschäftigte sollen mehr „Eigenverantwortung“ zeigen
Eine „moderne Kultur der Arbeit“, wie die Arbeitgeber sie sehen, liegt nach Auffassung der BDA „in der Verantwortung aller“, „insbesondere der Beschäftigten“. Diese „Eigenverantwortung“ der Beschäftigten wird im BDA-Papier in vielen Zusammenhängen immer wieder nachdrücklich hervorgehoben. „Eigenverantwortung“ ist ein neoliberales Lieblingsschlagwort – gemeint ist immer die Verantwortung der anderen, in diesem Fall der Beschäftigten. Der Grundgedanke des Arbeitsschutzgesetzes, dass nämlich der Arbeitgeber die Letztverantwortung dafür trägt, dass die Beschäftigten unter Bedingungen arbeiten, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden nicht beeinträchtigen, ist hier völlig aus dem Blickfeld.
So müssten die Arbeitnehmer „verstärkt Eigenverantwortung und -initiative in der beruflichen Weiterbildung übernehmen“, diese also offenbar in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten absolvieren, weil sie selbst ja auch von ihr profitierten. Auch für den Erhalt ihrer „Arbeits-und Beschäftigungsfähigkeit“ sollen sie „Eigenverantwortung“ übernehmen. Sie sollen z.B. „selbst ihr Möglichstes tun, um ihre Arbeits-und Beschäftigungsfähigkeit bis zur Rente zu erhalten“. Auch die betriebliche Gesundheitsförderung soll dazu beitragen, die „Eigenverantwortung“ zu stärken. „Bei der Gesunderhaltung“, so heißt es im BDA-Papier weiter, „kommt es in erster Linie auf die Eigenverantwortung und die Bereitschaft des Einzelnen zur Mitwirkung an“. Bisherige Regelungen, die den Beschäftigten ein sozialverträgliches früheres Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ermöglichen, sind so gesehen „Fehlanreize“, die diese Eigenverantwortung behindern. Selbst wenn man dem allem zustimmen würde, bliebe doch immer noch die Frage, welchen konkreten Beitrag die Arbeitgeber denn zur Gesunderhaltung der Beschäftigten zu leisten gedenken: Außer der Beteuerung, dass ja schon alles getan werde, findet sich dazu aber kein einziger Gedanke. An einigen Stellen wird lediglich auch an die Verantwortung der Politik erinnert. Die Verantwortung der Arbeitgeber selbst kommt nicht vor. …


Arbeitgeber nicht zur Prävention verpflichtet?
Schließlich wird noch fälschlich die betriebliche Gesundheitsförderung mit Prävention gleichgesetzt. Betriebliche Gesundheitsförderung sei eine freiwillige Maßnahme der Betriebe. Weiter heißt es dann: „Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf deshalb nicht zur Pflicht der Arbeitgeber umgemünzt werden.“ …

Werden Arbeitgeber Arbeitgeber, dann übernehmen sie damit die Veraltwortung für die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Verhältnisprävention. Der letzten Absatz zeigt jedoch, wie die BDA den seit etwa 2005 eindeutig pflichtverletzenden Umgang von etwa 70% der Arbeitgeber mit dem Arbeitsschutz zur Norm erklären möchte. Der Trick der BDA geht aber noch ein bisschen weiter: Sie sieht die Prävention als gesellschaftliche Aufgabe. Darin bettet sie auch die “Betriebliche Gesundheitsförderung” ein. Und die ist tatsächlich eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber. Arbeitgeber können solche Leistungen natürlich viel leichter einstellen oder zurücknehmen, wenn die Arbeitnehmer sich “einmischen”. “Mitbeteiligung” oder “Einbezug des Betriebsrates” finden Arbeitgeber akzeptabel, “Mitbestimmung” mögen sie nicht so sehr. Forderungen der Vertreter der Arbeitnehmer, beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz mitzubestimmen, können sie nicht so einfach mit der Rücknahme vorgeschriebener Leistungen abwehren. Das sollte hier eigentlich die Mitbestimmung sichern.
Die Strategie der Arbeitgeber ist nun, auch den vorgeschriebenen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz in die freiwillige Gesundheitsförderung einzubauen. Bei Unternehmen, die verantwortlich handeln, ist das durchaus sinnvoll. Jedoch bei Unternehmen, in denen wichtige Regeln des Arbeitsschutzes bisher schon beharrlich missachtet wurden, könnte nun versucht werden, zwei Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen – wenn der Betriebsrat nicht sehr kompetent und durchsetzungsfähig ist:

  • Die Verhältnispravention kann gegenüber der Verhaltensprävention leichter marginalisiert werden.
  • Die Grenzen zwischen freiwilligen und vorgeschriebenen Leistungen werden unscharfer, was wiederum die Mitbestimmung erschwert. Auf diese Weise kann die Mitbestimmung elegant behindert werden, ohne dass daraus eine Straftat wird.

Die Gesundheitsförderung wird dabei den Mitarbeitern als ein Angebot verkauft, das sie “eigenverantwortlich”, “erwachsen” und “selbstbestimmt” annehmen können – oder auch nicht. Man kann die Leute ja nicht zu ihrem Glück zwingen. Viele Arbeitgeber, die (leider auch unter den Augen der Gewerbeaufsichten, Berufsgenossenschaften und Krankenversicherungen) ihrer eigenen Verantwortung zum Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz seit vielen Jahren nachhaltig nicht gerecht wurden, könnten nun mit einer Strategie zur Vermeidung eigener Verantwortung und Haftung versuchen, die Gesundheitförderung zur Holschuld der Mitarbeiter zu machen. Wenn die Mitarbeiter diese Angebote nicht eigenverantwortlich nutzen, dann sind die Mitarbeiter daran selbst schuld.
Dazu passt, dass Topmanager ihre Spitzengehälter vorwiegend mit dem rechtfertigen, “was der Markt will”. Dann müssen solche Einkommen nicht mehr mit hoher Verantwortung begründet werden.
 
Links:

 

Immaterielle Normen

Wer bestimmt unsere Arbeitswelt? Wie konstruiert man strukturelle Verantwortungslosigkeit in der Praxis?
http://de.wikipedia.org/wiki/Kommission_Arbeitsschutz_und_Normung

Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) vereint seit 1994 die in Deutschland für den Arbeitsschutz relevanten Institutionen.
Sie hat die Aufgabe, die Normungsarbeit zu beobachten und die Belange des Arbeitsschutzes gegenüber der Normung zur Geltung zu bringen. Ihre Beschlüsse im Bereich von Arbeitsschutz und Normung haben den Charakter von Empfehlungen und stellen den Konsens von Sozialpartnern, Staat, Unfallversicherungsträgern (Berufsgenossenschaften) und des Deutschen Instituts für Normung e. V. dar.
Sie wird vom Verein zur Förderung der Arbeitssicherheit in Europa e. V. (VFA) und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziert.

Suche: http://www.google.de/search?q=”Verein+zur+Förderung+der+Arbeitssicherheit+in+Europa”+VFA
 
Aktualisierung 2012-07-31:
http://www.kan.de/fileadmin/user_upload/docs/KANBericht/KANBericht_DE/Bericht_34/Beri34.pdf

Einflussmöglichkeiten des Arbeitsschutzes auf die ISO-Normung
KAN-Bericht 34
Verein zur Förderung der Arbeitssicherheit in Europa …

Das ist eine interessante Erläuterung, wie die Gestaltung von Normen durch Mitglieder der Normenausschüsse beeinflusst werden kann, z.B. bei der Gestaltung und Änderung der Normen ISO 10075 (psychische Belastung) und ISO 10667 (Arbeitsfähigkeit, Personaldiagnostik usw.).
 
http://www.dguv.de/inhalt/praevention/praev_netz/kan/index.jsp

Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN)
Technische Normen legen in vielen Bereichen sicherheitsrelevante Anforderungen z.B. an Arbeitsmittel und Prüf- und Messverfahren fest. Normen leisten damit einen wichtigen Beitrag, um Unfälle und Erkrankungen zu vermeiden. Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) hat die Aufgabe, die Normungsarbeit aus Sicht des Arbeitsschutzes zu begleiten und dessen Interessen in die Normung einfließen zu lassen.
In der KAN sind die Sozialpartner, der Staat, die gesetzliche Unfallversicherung und das DIN vertreten. Die KAN bündelt die Meinung der verschiedenen Arbeitsschutzkreise – gestützt auf einen breiten Konsens aller Beteiligten – und bringt diese Position über das DIN als Stellungnahmen in laufende und geplante Normungsvorhaben oder zu bereits bestehenden Normen ein. Sie selbst ist jedoch kein Normungsgremium. Auch in normungspolitischen Diskussionen vertritt die KAN die deutsche Arbeitsschutzmeinung. Zusätzlich bringen die in der KAN vertretenen deutschen Arbeitsschutzkreise ihre Positionen über ihre europäischen Partnerorganisationen in die europäische und internationale Normungsdiskussion ein.
Die KAN wird vom Verein zur Förderung der Arbeitssicherheit in Europa e.V. (VFA) getragen und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Mitglieder im VFA sind Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung.

 
http://www.kan.de/uploads/tx_kekandocs/b32-08.pdf
(zu: 10 Jahre KAN; Datei eröffnet: 2004-03, modifiziert: 2007-03)

Reflexionen der in der KAN vertretenen Kreise 
 
Alexander Gunkel, BDA
,,Nach Auffassung der BDA gehört es zu den wichtigen Aufgaben der KAN, einer weiteren Überregulierung im Arbeitsschutz entgegenzuwirken und so einen Beitrag zum dringend notwendigen Bürokratieabbau in Deutschland zu leisten. Eine Deregulierung führt zu mehr Transparenz und Anwenderfreundlichkeit und hat somit unmittelbaren Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im europäischen und internationalen Kontext.”
 
Die europäischen Normen regeln die sicherheitstechnische Beschaffenheit von Arbeitsmitteln. Die EU legt in ihren Richtlinien keine sicherheitstechnischen Details mehr fest, sondern überlässt dies den europäischen Normungsgremien. Dadurch nimmt die Bedeutung der Europäischen Normung erheblich zu. Hier ist das Bewusstsein für die Qualität der Normen, d.h. vor allem ihre Praxistauglichkeit, zu verstärken. Das betrifft die Lesbarkeit, Transparenz und anwenderorientierte Beschaffenheit der Normen.
Kein Normungsgegenstand sind die betrieblichen Belange des Arbeitsschutzes, soweit sie Pflichten des Arbeitgebers, Rechte und Pflichten der Beschäftigten und die Organisation des Arbeitsschutzes betreffen. Diese sind europäisch und national durch verbindliche Vorschriften umfassend und abschließend geregelt. Normen für den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes sind von Seiten der KAN in Übereinstimung mit dem Gemeinsamen Deutschen Standpunkt (GDS) grundsätzlich abzulehnen.
Die Arbeitgeber sehen in der KAN ein sinnvolles Instrument, um einer ausufernden, besonders die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) belastenden Normungstendenz entgegenzuwirken und dazu beizutragen, die Konsensfindung in Bezug auf Arbeitsschutzfragen in der Normung zu erleichtern. Darüber hinaus sehen die Arbeitgeber in der KAN eine Institution zur stärkeren Beteiligung der Sozialpartner am Normungsgeschehen und ein Gremium zur Verbesserung des Informationsflusses bei der Mandatierung von Normen, insbesondere um Fehlentwicklungen der Normung im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz zu verhindern.
Die Entwicklungen im Bereich ,,Arbeitsschutzmanagementsysteme” haben gezeigt, wie wichtig die KAN für die Abstimmung und Durchsetzung gemeinsamer Arbeitsschutzinteressen ist. Diese Aufgabenstellung dürfte noch weiter an Bedeutung zunehmen. Mit wachsendem Trend zu ,,immateriellen Normen” (Dienstleistungsnormen, Qualitätssicherung, psychische Belastungen, auch Normung im Bereich der Ergonomie u. ä.) wird es notwendig, noch stärker im Bereich der Normungspolitik mitzuwirken, dies nicht nur auf nationaler, sondern vor allem auf europäischer und internationaler Ebene. Insbesondere muß es aber auch darum gehen, eine Ausweitung der Normung auf das sozialpolitische Feld – z.B. auf das Thema ,,soziale Verantwortung von Unternehmen” – zu verhindern.

Immaterielle Normen: Was wichtig in Unternehmen ist, ist daran erkennbar, dass auf Messbarkeit Wert gelegt wird. Ohne Normen kann nicht gemessen werden. Arbeitgeber wollen sich im Arbeitsschutz nicht messen lassen, sondern sind mehr an einer ISO/EN 10667 interesssiert, mit der an Arbeitnehmer eine “immaterielle Norm” angelegt werden soll. Die Strategie der Arbeitgeber (die nicht müde werden, Mitarbeiter an ihre “Eigenverantwortung” zu erinnern) ist also ein Ungleichgewicht der Verantwortungen zu ihrem Vorteil und zum Nachteil der Arbeitnehmer anzustreben. Aber ist das eine Überraschung? Es passt dazu, wenn Top-Manager ihre Einkommen nicht mehr mit Verantwortung rechtfertigen, sondern mit dem “Markt”.

Darüber hinaus kann die KAN dazu beitragen, einer weiteren Überregulierung im Arbeitsschutz entgegenzuwirken und so einen Beitrag zum dringend notwendigen Bürokratieabbau in Deutschland zu leisten. Eine Deregulierung führt zu mehr Transparenz und Anwenderfreundlichkeit und hat somit unmittelbaren Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im europäischen und internationalen Kontext.
Normung entbindet den Gesetzgeber von der Erarbeitung detaillierter Rechtsvorschriften. Mit dem Prinzip der Neuen Konzeption ist dies in Europa für den Bereich der Produktnormung realisiert worden. Es liegt im Interesse der Wirtschaft, diesen Ansatz auch auf die internationale Ebene zu transferieren.
Zusammengefasst: Die Arbeitgeber sehen in der KAN

  • eine Institution zur Stärkung der Beteiligung der Sozialpartner an der Normung und zur Verbesserung des Informationsflusses bezüglich Normungsvorhaben,
  • ein Gremium zur Vermeidung von Fehlentwicklungen der Normung im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz,
  • ein wirkungsvolles Instrument zur nationalen Meinungsbildung im Bereich der arbeitsschutzrelevanten Normung,
  • ein Instrument zur Durchsetzung der nationalen Arbeitsschutzposition auf europäischer und internationaler Ebene sowie
  • ein Mittel, um der Überregulierung im Arbeitsschutz entgegen zu wirken.

(Link nachträglich eingetragen)
 
http://www.kan.de/de/normal/themen/uebergreifende-themen/normungspolitik.html#c206

Rolle der Normung in Bezug auf den betrieblichen Arbeitsschutz – Gemeinsamer Deutscher Standpunkt (GDS)
Ansprechpartnerin: Angela Janowitz
Der “Gemeinsame Deutsche Standpunkt (GDS) zur Normung im Bereich der auf Artikel 118a des EG-Vertrags gestützten Richtlinien” trägt der Tatsache Rechnung, dass in diesem sozial-politischen Bereich das Europäische Rechtssystem eine vollständige Harmonisierung nicht vorsieht. Auf europäischer Ebene stützen sowohl die Normung als auch der EU-Vertrag und die EU-Institutionen unverändert die Position, dass im Bereich der Sozialpolitik Normen grundsätzlich nur sehr begrenzt einsetzbar sind. Dennoch stellen nationale, europäische und internationale Normen immer wieder Anforderungen an den betrieblichen Arbeitsschutz. Hier gilt es, dies zu verhindern oder, wenn das nicht möglich ist, eine klare Trennung von Produktanforderungen und betriebliche Anforderungen anzustreben. Gleichzeitig aber stellt die zunehmende Internationale Normung den Arbeitsschutz vor die Aufgabe, seine Strategie zum Thema Normung und betrieblichen Arbeitsschutz weiterzuentwickeln. Als einen Schritt hat die KAN im KANBrief 2/09 die heute bestehenden Grenzen und Spielräume für betriebliche Arbeitsschutznormung dargestellt.
Weitere Informationen:

 
Deregulierung hilft den Betrieben nur dann, wenn die Arbeitgeber ihre Gestaltungspflicht ausfüllen und wenn Arbeitnehmervertretungen stark und kompetent mitbestimmen. In der Praxis zeigt sich, das die Mehrheit der Arbeitgeber ihre Freiheit, die ja mit einer Pflicht verbunden war, als Einladung zum Nichtstun verstanden hat: Selbst die Bundesarbeitsministerin bestätigt heute, dass die Arbeitgeber den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz schleifen ließen.

SAP-Entwickler an der Grenze der Belastbarkeit

http://www.manager-magazin.de/unternehmen/it/0,2828,798354,00.htm

… SAP bestätigte die Ergebnisse [einer Umfrage] und wies darauf hin, man müsse das “Augenmerk stärker auf die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter in der Entwicklung richten”. Entsprechende Schritte seien eingeleitet worden, um die “Eigenverantwortung der Entwicklerteams” zu stärken und “mehr individuellen Gestaltungsraum” zu schaffen, sagte eine Unternehmenssprecherin.

Ein schönes Beispiel für “Neusprech” aus dem Textbausteinekasten der Unternehmenskommunikation. Das Eigenverantwortungsmantra kennen wir ja schon. Es gibt da aber noch ein paar höherpriorige Aufgaben im Arbeitsschutz, für die der Arbeitgeber die Verantwortung hat.
Nebenbei: Ich hoffe, das die Umfrage zur Veröffentlichung vorgesehen war. Ein guter Arbeitsschutz setzt eine vertrauensvolle Zudammenarbeit der Akteure im Betrieb voraus.
Kleiner Tip an den SAP-Betriebsrat (den es ja noch nicht so lange gibt): §3 Abs.1 BetrVG verpflichtet den Betriebsrat, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Ob das geschehen ist, können Mitarbeiter bei SAP selbst überprüfen, z.B. anhand der Umsetzung des §3 der Bildschirmarbeitsverordnung.

Prävention im Wandel der Arbeitswelt

http://www.dnbgf.de/fileadmin/texte/Downloads/uploads/dokumente/2011/Praevention_im_Wandel_der_Arbeitswelt_-_Programm.pdf

Prävention im Wandel der Arbeitswelt
Mensch – Organisation – Technik
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie in Hessen
RKW-Arbeitskreis „Gesundheit im Betrieb“
Donnerstag, 1. März 2012, 9:30 bis 17 Uhr
Kongresszentrum Darmstadtium, Schlossgraben 1, 64281 Darmstadt

 
Hier stimmt das Gleichgewicht:


Workshop 7: Betriebliche Verantwortung und Eigenverantwortung für Gesundheit
Sicherheit und Gesundheit sind ein Ergebnis äußerer Einflüsse, zu denen die Arbeitsbedingungen zählen, als auch das Ergebnis des persönlichen Lebensstils. Beide wirken zusammen auf die Gesundheit der Beschäftigten. So entsteht ein Spannungsfeld, in dem die Verantwortung des Betriebs und die Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre Gesundheit zu bestimmen sind. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: Soll und kann der Betrieb die Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre Gesundheit fördern? Welche Voraussetzungen erfordert eigenverantwortliches Handeln im Betrieb?
Statt einer Kontroverse über einseitige Verantwortungszuschreibung wird das Spektrum betrieblicher und individueller Möglichkeiten der Gesundheitsförderung aufgezeigt. Erfolg versprechend ist die angemessene Kombination aus persönlicher Eigenverantwortung und betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Zu klären sind deshalb die Beiträge, die von beiden Seiten erwartet werden können.
Moderation: Hans Günter Abt (Unfallkasse Hessen),
Dr. Werner Scherer (Vereinigung der hessischen Unternehmensverbände)
Beiträge von: Dr. Martin Kern (Infraserv Höchst)

Bei der Moderation fehlt das Gleichgewicht möglicherweise. Wo ist die Arbeitnehmerseite?