Führungskräfte widersprechen Dieter Hundt

http://www.haufe.de/personal/hr-management/fuehrung-fuehrungskraefte-warnen-vor-psychischer-belastung_80_160540.html

… Arbeit verursache Zufriedenheit und keine psychischen Erkrankungen, hatte Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ vom 10. Januar bekundet. Hundts Aussage steht im Widerspruch zu den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung, aber auch Erkenntnissen von Krankenkassen und dem „Stressmonitor“ des Arbeitsministeriums. Auch der Verband „Die Führungskräfte“ DFK hat sich jetzt zu Wort gemeldet. …

Gemäß haufe.de meint der DFK, dass Arbeit nicht der einzige Stressfaktor sei, aber durchaus zu psychischen Erkrankungen beitragen könne. Arbeit als Ursache psychischer Erkrankungen auszuschließen, hieße vielmehr, sich der Realität zu verschließen.
 
An den heute zutage tretenden Fehlern im Umgang mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz sind diese Führungskräfte des DFK auch selbst schuld. Sie korrigieren Dieter Hundts eristische Rhetorik, aber machen es selbst kaum besser:

… Ansatzpunkte sieht der DFK jedoch im Betrieblichen Gesundheitsmanagement und bei den Mitarbeitern. Diese sollten darin bestärkt werden, selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Und könnten darin von den Arbeitgebern unterstützt werden …

Nicht nur Dieter Hundt, sondern auch diesen Führungskräftevertretern (z.B. Bernhard von Rothkirch, Vorsitzender des DFK) sind die Zusammenhänge nicht klar. Sie empfehlen Betriebliches Gesundheitsmanagement mit sich selbst schützenden Mitarbeitern, vergessen aber davor, ihre Pflicht zu erledigen: Den im Arbeitsschutz vorgeschriebenen verhältnispräventiven Gesundheitsschutz.
Nicht das Betriebliche Gesundheitsmanagement liefert die grundlegenden “Ansatzpunkte”, sondern der Arbeitsschutz und die Rechtsprechung liefern Vorschriften, die vor Allem verlangen, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammensetzen und in ihren Betrieben einen betriebsgerechten Arbeitsschutz vereinbaren. Dass das Arbeitsschutz als Rahmengesetz es keine konkrete Regeln gibt, ist kein Freibrief zum Nichtstun, sondern liefert die Begründung für die von den Arbeitnehmern mitbestimmte betriebsnahe Implementierung des Arbeitsschutzes: Das Arbeitsschutzgesetz gibt eine Gestaltungspflicht. Bis 1996 wurde der Arbeitsschutz für das ganze Land geregelt, danach wurde der Gestaltungsprozess in die Betriebe verlagert. Das hat die große Mehrheit der Führungskräfte seit 1996 immer noch nicht begriffen.

… Der Verband hat bei den eigenen Mitgliedern demnach die Erfahrung gemacht, dass gerade das mittlere Management in der Sandwich-Position zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stark unter Druck steht. Bei den Managern werde das Gefühl erzeugt, „zerrieben“ zu werden. Das schlage auf die Psyche. Der Vorschlag, einen Anti-Stress-Paragraphen ins Arbeitsrecht aufzunehmen, wie ihn im letzten Sommer die IG Metall mit einer „Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit“ vorgelegt hatte, sei wenig praktikabel. …

Eine solche Verordnung sehe ich auch kritisch, sie scheint aber doch notwendig zu sein. Auf sie können sich Führungskräfte berufen, wenn ihnen die eigene Courage fehlt, Mißstände anzusprechen. Ich kenne nämlich Betriebe, in denen Führungskräfte im Arbeitsschutz zwar Verantwortung übertragen wird, aber in den vorgeschriebenen Unterweisungen des Arbeitsschutzes an Mitarbeiter und Führungskräfte fehlt der Bereich der psychischen Belastungen völlig. (Auch die Gewerbeaufsicht übersieht diesen Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz.) Trotzdem fordert keine Führungskraft die ihr fehlende Weiterbildung ein. Erfordert das vielleicht mehr Mumm, als die Mitarbeiter zum eigenverantwortlichen Schutz ihrer eigenen Gesundheit aufzufordern?

… Damit spielt der Verband auf die nur schwer zu bestimmenden Ursachen von psychischen Erkrankungen und Burnout an. Einschlägige Vorschriften sind dadurch kaum umzusetzen und damit nicht wirksam. Ansatzpunkte sieht der DFK jedoch im Betrieblichen Gesundheitsmanagement und bei den Mitarbeitern. Diese sollten darin bestärkt werden, selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Und könnten darin von den Arbeitgebern unterstützt werden.

Nach meiner Erfahrung wehren sich Führungskräfte ziemlich nachhaltig gegen die Bestimmung von Ursachen für arbeitsbedingte psychische Erkrankungen. (Es gibt Fälle, in denen nach psychischen Fehlbelastungen schnell Verbesserungsmaßnahmen getroffen wurden, damit die Belastungen nicht diskutiert werden. Eine Gefährdungsbeurteilung wurde in gesetzeswidriger Weise vermieden.) Hier jammern Führungskräfte über Schwierigkeiten, die sie selbst verursachen. So fehlt nun eine valide Begründung, warum die einschlägigen Vorschriften kaum umzusetzen seien. Widerlegt wird die Behauptung durch Betriebe, in denen die Vorschriften umgesetzt wurden. Schwachen Führungskräften fällt aber hier nichts anderes ein, als ihre eigene Verantwortung auf die Mitarbeiter abzuschieben.
Wie kann man die Arbeitnehmer dazu auffordern, Verantwortung zu übernehmen, wenn die Arbeitgeber und die Führungskräfte sich weigern, ihre Pflichten zu erfüllen? Warum nun wehren sich so viele Arbeitgeber und Führungskräfte gegen den modernen Arbeitsschutz, wo sie selbst doch ständig ihr eigenes Interessan an gesunden und leistungsfähigen Mitarbeitern bekunden? Die Antwort: Es geht um ihre Autonomie bei der Führung. Das eigentliche Problem für Führungskräfte ist nämlich: Die im Arbeitsschutz geforderten Beobachtungs- und Beurteilungsverfahren machen Führungsstile transparent. Für so manche Führungskraft geht es hier ans Eingemachte.
Übrigens: Entgegen der Auffassung des DFK sind die Mitarbeiter noch “gestresster” als ihre sich selbst bemitleidenden Führungskräfte.

Mitarbeiter gestresster als ihre Chefs

http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/mitarbeiter-sind-gestresster-als-ihre-chefs-a-857768.html

Psychische Belastung: Mitarbeiter häufig gestresster als ihre Chefs
[Bildunterschrift] Entspannt im Büro: Leitende Angestellte empfinden weniger Stress, je mehr Kontrolle sie besitzen
Sie tragen Verantwortung, müssen schnell Entscheidungen treffen und sollen dabei noch ihre Angestellten motivieren: Dass Manager unter Stress leiden, gilt als ausgemacht. Doch eine neue Studie zeigt, dass Chefs offenbar häufig weniger gestresst sind als ihre Untergebenen.

Siehe auch: http://www.pnas.org/content/early/2012/09/19/1207042109.abstract
Es ist immer wieder interessant, wenn Forscher in neuen Studien entdecken, was die vom Gegenstand der Studie Betroffenen schon seit vielen Jahren beobachten konnten. Es reicht eben nicht, dass die in den Studien beschriebenen Fakten klar beobachtbar sind. Ohne Autoritäten können wir anschheinend manches, was wir durchaus sehen, trotzdem nicht wahrnehmen. Ob sich das verbessern lässt?

Unterste Ebene am stärksten unter Druck

Das die unteren Führungskräfte besonders unter Druck sind, war bisher eine häufige (und auch meine) Annahme. Ich muss dazulernen: Bei den Geführten – also den Mitarbeitern auf der untersten Ebene – drückt’s noch mehr.
Burnout-Studie: Mitarbeiter stärker betroffen als Führungskräfte, Nicole Hövel
http://www.newsummits.de/single-view/article/burnout-studie-mitarbeiter-staerker-betroffen-als-fuehrungskraefte/