Burnout in der Familie

Heute in den Medien: “Burnout” ist ansteckend.

Verdeutlichung bestehender Pflichten

http://derstandard.at/1379291332126/Psychische-Belastungen-im-Job-Es-geht-nicht-nur-um-Naechstenliebe

Psychische Belastungen im Job: “Es geht nicht nur um Nächstenliebe”
Interview | Oliver Mark, 20. September 2013, 17:00
Martina Molnar, Arbeits- und Gesundheitspsychologin und Gründerin der Firma Humanware.
[…]
derStandard.at: Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, das eine verpflichtende Evaluierung von Gefahren und Belastungen am Arbeitsplatz vorschreibt, wurde um den Punkt psychische Belastungen erweitert. Ist das schon in den Köpfen der Unternehmer angekommen?
Molnar: Unternehmen müssen das eigentlich schon seit dem Jahr 1995 machen, das ist EU-Recht, allerdings geschah das in der Praxis zu selten. Das Gesetz ist davon ausgegangen, dass die gesamte Arbeitssituation zu evaluieren ist. Nachdem das allerdings im Bereich der psychischen Belastungen kaum passiert ist, bietet es eigentlich nur eine Verdeutlichung, dass die Begriffe physische und psychische Belastungen jetzt vorkommen. Der Mensch besteht aus mehr als nur aus Knochen, Gelenken und dem Blutkreislauf.
derStandard.at: Wie werden psychische Belastungen definiert?
Molnar: Leider wird psychische Belastung häufig verwechselt mit psychischer Erkrankung. […]

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Das gilt auch für die bevorstehende Änderung des Arbeitsschutzgesetzes in Deutschland. Zwei Tage vor der Bundestagswahl hat der Bundesrat das bereits im Juni auf den Weg gebrachte Gesetz zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen (BUK-NOG) verabschiedet. Hinter der Überschrift der Gesetzesänderungsantrages zur Fusionen der gesetzlichen Unfallversicherung und Erleichterungen der Betriebsprüfung versteckt sich auch eine Konkretisierung der Gefährdungsbeurteilung (“Beurteilung der Arbeitsbedingungen”) im deutschen Arbeitsschutzgesetz. Die Österreicher waren da ein bisschen schneller.
Bevorstehende Änderungen im deutschen ArbSchG:

§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes von folgenden allgemeinen Grundsätzen auszugehen:
1.Die Arbeit ist so zu gestalten, daß eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird;
[…]
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
[…]
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch
[…]
6. psychische Belastungen bei der Arbeit

Die Anmerkung von Martina Molnar zum ausdrücklichen Einbezug psychischer Belastung in das österreichischen Arbeitnehmerschutzgesetz, dass damit nur bereits seit vielen Jahren bestehenden Verpflichtung verdeutlicht werden, gilt natürlich auch für die vorgesehenen Änderungen im deutschen Arbeitsschutzgesetz. Hinter beiden Gesetzen steckt die gleiche europäische Richtlinie.

Maßnahmen gar nicht so kostenintensiv

http://derstandard.at/1362107167574/Auch-den-psychischen-Druck-der-Arbeit-reduzieren

[…] Das Gesetz sieht vor, dass dafür Präventivfachkräfte, also Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkräfte, sowie sonstige Fachkräfte – dazu gehören Arbeitspsychologen – diese Evaluierung vornehmen können. […]

[…] Die Maßnahmen, die die Arbeitssituation verbessern, so die Erfahrung der Arbeitspsychologin, seien meistens gar nicht so kostenintensiv wie vom Unternehmen zuvor angenommen. “Oft sind es Kleinigkeiten bei den Arbeitsabläufen, die vereinfacht werden können, oder auch nur veraltete Formulare, die für die Mitarbeiter keinen Sinn ergeben und dennoch ausgefüllt werden müssen”, sagt Blattner. […]

Bauarbeiter vs. Büroarbeiter

http://derstandard.at/1353208970337/30-Prozent-der-Beschaeftigten-psychisch-stark-belastet

… Angestellte sind laut AK-Studie weniger betroffen – Bauarbeiter und Fabriksarbeiter spüren psychische Belastung am stärksten
Psychische Belastungen im Job sind kein reines Managerphänomen, wie manche Experten suggerieren, sondern längst ein branchenübergreifendes Problem, das sehr viele Beschäftigen tangiert.


http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/oesterreich/508655_Psychische-Belastung-am-Arbeitsplatz-nimmt-zu.html

Wien. Das Vorurteil hält sich hartnäckig, aktuelle Zahlen belegen jedoch das Gegenteil: Psychische Be- oder Überlastung ist keineswegs vorwiegend auf Management-Ebene zu verorten. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind vier von zehn Arbeitern betroffen. Als Gründe werden in erster Linie Zeitdruck, Monotonie und Unsicherheit genannt, erläuterte AK-OÖ-Präsident Johann Kalliauer am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien.
Burn-out und ähnliche Erschöpfungszustände werden im Allgemeinen meist mit beruflichen Funktionen in Zusammenhang gebracht, die hohe Verantwortung mit sich bringen. Diese Last stellt zwar laut Arbeiterkammer-Studie einen nicht unwesentlichen Faktor für psychische Belastungen dar (17 Prozent), Zeitdruck (21 Prozent) und hohe Konzentration (19 Prozent) liegen allerdings davor.

 
http://www.arbeiterkammer.com/online/arbeiter-psychisch-belastet-70344.html

AK-Präsident Dr. Johann Kalliauer: „Die Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, die eine Evaluierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz verlangt, ist voranzutreiben. Die daraus resultierenden Verbesserungsvorschläge sind in den Betrieben verpflichtend umzusetzen.“

Abnormale Situationen in vielen Firmen

http://derstandard.at/1348285670307/Wartung-Die-Psyche-soll-zum-Kopierer-werden

Wartung: Die Psyche soll zum Kopierer werden
Oliver Mark, 15. Oktober 2012, 10:00
“Es ist Krieg.” Es klingt martialisch, wenn Peter Hoffmann von der Arbeiterkammer Wien über den Arbeitsmarkt redet. Zu seinem Befund kommt er nach unzähligen Mobbingberatungen, der Grund: “Wie viele abnormale Situationen erleben wir täglich?” Abnormale Situationen sind für den Psychologen die Zustände in vielen Firmen. Die Anforderungen an Arbeitnehmer steigen, Stress und Druck nehmen immer mehr zu, kritisierte er bei einer Tagung der Arbeiterkammer, die unter dem Motto “Arbeit – Psyche – Stigma” in Wien stattfand. Das Resultat der steigenden Belastung: Psychische Erkrankungen nehmen zu. …

… Wartung nur für Hardware
“Wie oft ist der Kopierer defekt?” fragt Hoffmann: “Es ist dauernd ein Techniker da, der die Geräte wieder in Ordnung bringt.” Und: “Ich möchte, dass die Psyche genauso als Arbeitsmittel betrachtet wird wie ein Kopierer.” Bei Problemen engagieren Unternehmen eher externe Leute, die Mitarbeiter wieder “herrichten”, so Hoffmann, anstatt die Ursache zu bekämpfen, nämlich die Arbeitsbedingungen zu verbessern. …

Der Unterschied: Die Vorbeugung gegen psychische Fehlbelastungen geht viel mehr an’s Eingemachte, als die vorbeugende Wartung von Kopierern. Es gibt Führungskräfte, die den ganzheitlichen Arbeitsschutz als missbräuchlichen Angriff auf ihre Führungsmethoden verstehen.
Übrigens: Ein Techiker, der in verschiedenen Unternehmen Kopierer wartet, erzählte mir einmal, dass er am Zustand der Kopierer gut erkennen kann, wie die Stimmung in einer Firma ist. Er habe hier deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen bemerkt. Schlecht steht es um solche Betriebe, in denen Mitarbeiter an den Geräten ihre Wut ablassen und die Kopierer treten oder sogar die LCD-Anzeige zerschlagen.

Nett, aber kein Arbeitsschutz

http://derstandard.at/1348285103865/Arbeitsmediziner-Nutzen-nicht-nur-laestige-Pflicht

… Der Arbeitsmediziner dürfe nicht nur als der “Hausdoktor” eines Betriebes gelten, sondern es müsse selbstverständlich seien, welch wichtige Rolle ihm in Hinsicht auf Prävention zukomme. “Das ist auch praktischer Nutzen für die Wirtschaft, nicht nur lästige Pflicht”, so Klien in Hinblick auf die stetig steigenden Ausfälle von Arbeitnehmern durch psychische Erkrankungen. Es gebe Firmen, die böten zwar psychische Betreuung für Mitarbeiter an, was “nett ist, aber nichts an den Arbeitsbedingungen ändert”. …

Kamillentee kochen gegen das Burnout

http://derstandard.at/1343745014031/Burnout-Anti-Burnout-Trainings-Maslach

… Das Problem all dieser Angebote Burnout-Trainings, Yoga usw.: Ihre Wirksamkeit ist kaum erforscht. “Wer daran glaubt”, schreibt ein Betroffener in einem Lebenshilfe-Forum, “der kann sich auch Kamillentee kochen gegen das Burnout.” Er dürfe dann nur nicht behaupten, dass er allein durch den Tee geheilt worden sei. (Peter Illetschko, STANDARD, 17.8.2012) …

Auch Der Standard hätte sich mit der Recherche ein bisschen mehr anstrengen sollen: In Österreich gibt es einen Arbeitsschutz, in den der Gesetzgeber jetzt auch explizit psychische Belastungen mit einbeziehen wird. (In Deutschland ergibt sich dieser Einbezug zwar aus der Rechtsprechung und der Bildschirmarbeitsverordnung, aber ich halte die österreichische Lösung für sauberer.)

Ohne strenge Vorschriften geht es wohl nicht

http://derstandard.at/1336697945107/Psyche-wird-relevanter-Schaerfere-Gesetze-gegen-Stress-im-Job

Schärfere Gesetze gegen Stress im Job
25. Mai 2012, 14:48


Kern der Neuerungen, die ab 2013 wirksam werden sollen, ist die Erweiterung der Evaluierungsverpflichtung, heißt es von der Arbeiterkammer in einer Aussendung: Es kommt eine klare und eindeutige Verpflichtung, psychische Belastungen der Arbeit zu erheben, zu beurteilen und geeignete Maßnahmen zur psychischen Gesundheit der Arbeitnehmer festzulegen und umzusetzen. Arbeits- und Organisationspsychologen sollen diese Evaluierung vornehmen. Das ist neu, denn bisher mussten Arbeitgeber nur sicherstellen, dass der Arbeitsplatz nicht körperlich krank macht.

Wie in Deutschland, so war es vermutlich auch in Österreich durchaus bereits Pflicht, alles was krank machen kann, zu evaluieren – egal, ob pychische Fehlbelastungen oder schwebende Lasten die Gesundheit gefährden. Das ist zwar logisch, aber freiwillig geht’s eben doch nicht. Man muss den Arbeitgebern offensichtlich klar vorschreiben, was sie zu tun haben. Sie brauchen Anleitung und Aufsicht, sonst beschränkt sich ihre Verantwortung erfahrungsgemäß auf kurzfristiges Kostensenken.
Siehe auch:

Wirklich ein Nervenarzt?

http://derstandard.at/plink/1326503017843?sap=2&_pid=24470401#pid24470401

horse with no name
18.01.2012 16:11
Als Nervenarzt erlaube ich mir anzumerken, dass die permanente Propagierung des Burn-out-Begriffes durch “Experten” aus verschiedenen Interessensgruppen (Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten, Gesundheitsökonomen, Arbeitnehmervertreter, etc.) und der willige und kritiklose Transport dieser Inhalte durch die Medien wesentlich zum derzeitigen Zustand beigetragen haben. Das “Burn-out” ermöglicht es jedem, den Grund für seine Unzufriedenheit mit der Lebenssituation, egal welche Gründe sie nun wirklich hat, ausschließlich in der Arbeitssituation zu verankern und sich gleich selbst eine psychiatrische Diagnose zu stellen. Und die “Märkte” haben auch sofort darauf reagiert: Die vielen “Burn-out-Kliniken” sind ja kein Zufall…

Ich zitiere diesen Beitrag aus einem Diskussionsforum des österreichischen Standard, um einmal zu zeigen, wie und mit welchen rhetorischen Kunstgriffen über das Burn-out-Thema immer noch diskutiert wird. Ob dieses Beispiel eristischer Argumentation aber wirklich von einem echten Nervenarzt geschrieben wurde, können wir natürlich nicht wissen.