Psychische Belastung bei Daimler

http://www.daimler.igm.de/news/meldung.html?id=58230

BRennglas 01 / 2013
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Psychische Belastung: Was kann ich tun?, Seite 6
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http://www.daimler.igm.de/downloads/artikel/attachments/ARTID_58230_0ZoQkP?name=info.pdf, S. 6:

Psychische Belastung: Was kann ich tun?
Der BR im Erfahrungsaustausch mit den Verantwortlichen der Sozialberatung Frau Braun und dem Werksarzt Dr. Ickler.
Zu dem Thema Psychische Belastung und Burnout hat der „neue“ Suchtberater des Betriebsrates Stefan Pilz einige Fragen […]

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Pilz: Der Leistungsdruck verlangt den Beschäftigten einiges ab! Durch die „Vitale Fabrik“ bietet Daimler verschieden Möglichkeiten Stressfaktoren abzubauen. Was raten Sie unseren KollegInnen präventiv zu tun?
Fr. Braun/Dr. Ickler: Betriebliche Aktivitäten, wie z. B. gemeinsames Wandern in der Natur, sind auf jeden Fall positiv für die Stressreduzierung. Nutzen der Achstiv-Angebote, wie z. B. Rückenschule oder Spinning. Sport ist im Allgemeinen sehr gut zum Stressabbau. Dabei spielt auch die soziale Einbindung eine wichtige Rolle.

Was ist das denn für ein Interview? Schläft der Betriebsrat bei Daimler? Ein Betriebsrat könnte gerade den Werksarzt und die Sozialberatung fragen, wie sie darauf achten, dass es zu den Arbeitsplätzen der Betroffenen ordentliche Gefährdungsbeurteilungen gibt.
Was können Mitarbeiter tun, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz psychische Fehlbelastungen vermuten? Wenn sie sich nicht an ihre Führungskraft wenden möchten, dann können sie den Betriebsrat bitten, mit ihnen zusammen die Gefährdungsbeurteilung für die Arbeitsplatzgruppe zu überprüfen, zu der ihr Arbeitsplatz gehört. Muss die Gefährdungsbeurteilung aktualisiert werden? Bevor überhaupt individuell verhaltenspräventiv wirkenden Maßnahmen ergriffen werden, muss die Verhältnisprävention überprüft werden. Im Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht aber die Mitarbeiter.
Auch in nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben geht es erst einmal um die Beurteilung der Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen bevor überhaupt daran gedacht werden darf, sich mit den Befindlichkeiten einzelner Mitarbeiter zu befassen: Sind Vorfälle und Gefährdungen in der betroffenen Arbeitsplatzgruppe gemäß OHSAS 18001 ordentlich erfasst und dokumentiert worden? Sind die internen Audits nach OHSAS 18001 glaubwürdig? Das kann ein Betriebsrat schon einmal fragen, ohne die Mitarbeiter individuell zu benennen. Dazu braucht man kompetente und aufgeweckte Betriebsräte.

Tätigkeitsstrukturanalyse

Die Tätigkeitsstrukturanalyse kann auch eine Struktur für die Gefährdungsbeurteilung bieten.
http://www.daimler.igm.de/downloads/artikel/attachments/ARTID_40453_42McH4?name=WS_6_Arbeitspolitik_DaimlerAG_Spies.pdf
Arbeitspolitik in der Daimler AG (Jörg Spies).

Mitbestimmung am Beispiel der Tätigkeitsstrukturanalyse

  • Information und Beteiligung des Betriebsrates
  • Information und Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter
  • Methode muss Anonymität der Daten gewährleisten
  • Kein Abgleich mit der Zeiterfassung der Mitarbeiter
  • Daten die Personenbezug haben werden dem Auftraggeber nicht zur Verfügung gestellt und werden nach Projektabschluss gelöscht
  • Keine Leistungs- und Verhaltenskontrolle einzelner Mitarbeiter
  • Plausibilitäts- und Praktikabilitätsprüfung der Ergebnisse
  • Kommunikation veränderter Tätigkeitsstrukturen an Mitarbeiter

Schon mal drüber nachgedacht?

  • Tätigkeitsstrukturanalysen,
  • Aufgabenbeschreibungen,
  • Prozessbeschreibungen,
  • Projektbeschreibungen,
  • Projektretrospektiven

generieren ohne viel Zusatzaufwand Daten, auf denen Gefährdungsbeurteilungen aufbauen können, wenn man von Anfang an daran denkt. Die letzten beiden Punkte sind besonders hilfreich, wenn Mitarbeiter in einer “Matrix” arbeiten. Es kann dann schwierig werden, Arbeitsplätze und Gefährdungssituationen unter “gleichartigen Arbeitsbedingungen” zusammenzufassen. Die vom Arbeitsplatz und den Arbeitsbedingungen ausgehenden Gefährdungsrisiken ergeben sich dann aus sich für Prozess- und Projektplanungen ergebenden Gefährdungsbeurteilungen, die wiederum auch beim Risikomanagement für Prozesse und Projekte weiterhelfen.
Weiter bei Jörg Spies:

  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
    • § 80 rechtzeitige und umfassende Information über alle Maßnahmen
    • § 87 Abs. 1 Nr. 6: Mitbestimmung bei Einsatz technischer
      Einrichtungen zur Datenermittlung, insbes. wenn
      Rückschlussmöglichkeit auf einzelne Mitarbeiter besteht
    • § 90 Unterrichtungs- und Beratungsrecht bei der Gestaltung von
      Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung
    • §111 Betriebsänderung (Organisation, Methoden, Verfahren)
  • Tarifvertrag ERA
  • Gesamtbetriebsvereinbarungen „betrieblichen Vorschlagswesen“, „kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ und „ERA“
  • MPS- und TOS-Methodenhandbücher

Es geht um Arbeitspolitik. Hier greift außerdem auch noch die ganze Mitbestimmungspflicht (Gestaltungsimperativ) beim Einbezug der psychisch wirksamen Belastungen (mental workload nach ISO 10075) in den Arbeitsschutz.

Daimler: Nachhaltigkeitsbericht 2010 – hohe Anforderungen des Unternehmens und des Gesamtbetriebsrats

http://nachhaltigkeit.daimler.com/reports/daimler/annual/2010/nb/German/405010/unser-health-_amp_-safety-report-sowie-weitere-kennzahlen-und-projekte.html

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Im Blick auf die gesetzlichen Anforderungen hat sich Daimler frühzeitig mit möglichen Ansatzpunkten zur Ermittlung psychischer Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auseinandergesetzt. Eine intensive Beschäftigung mit bestehenden Verfahren zur Erkennung psychischer Belastungen ergab, dass es kein geeignetes Instrument gab, das den hohen Anforderungen des Unternehmens und des Gesamtbetriebsrats entsprach. Daher wurde gemeinsam mit der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Heidelberg ein Verfahren entwickelt, das es einem interdisziplinären Expertenteam ermöglicht, die Arbeitsbedingungen objektiv auf mögliche psychische Fehlbelastungen hin zu untersuchen. Dies bietet kein bisher bekanntes Verfahren. Basierend auf einer gründlichen Pilotierung wird das Verfahren nun seit dem Jahr 2008 flächendeckend eingesetzt. Damit nimmt Daimler weiterhin eine Vorreiterrolle in dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Themenfeld der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ein.

Hier ist endlich einmal ein Unternehmen, das klar das Thema der Gefährdungsbeurteilung anspricht. Das gehört zur Verhältnisprävention, in der der Arbeitsschutz nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern fragt, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen. Bei Daimler wird das Thema nicht in einem komplexen Projekt zur Gesundheitsförderung versteckt. Und auch das Wort “Betriebsrat” ist kein Tabu.
Aber natürlich gibt es auch ein Gesundheitsmanagement bei Daimler. Darin bietet das Unternehmen unter Anderem ein interessantes Konzept im Bereich der Verhaltensprävention an, das nicht-privat versicherten Mitarbeitern bei der Lösung des Wartezeitenproblems bei der Behandlung psychischer Erkrankungen hilft. So sieht ein gutes Beispiel für eine glaubwürdige Ausgewogenheit zwischen Verhältnisprävention und Verhaltensprävention aus.
Siehe auch http://www.baua.de/de/Bibliothek/Informationsdienste/Gefaehrdungsbeurteilung.pdf, BAuA 2005-2008, S. 6

ND: 061315 AU: Braun, P.
TI: Psychische Belastungen werden bei der Daimler AG jetzt systematisch erhoben
SO: Gute Arbeit CN: ZS0845 IM: 20 (2008) Nr. 4, S. 30‐31 (1 Abb.)
CT: Automobilindustrie; Gefährdungsbeurteilung; Psychische Belastung 
Seit 2008 werden bei der Daimler AG in Deutschland psychische Belastungen am Arbeitsplatz nach einheitlichen Kriterien systematisch erfasst. Grundlage hierfür ist eine Rahmenbetriebsvereinbarung. Zuvor wurden psychische Belastungen nicht oder nur teilweise z.B. bei der Suche eines passenden Arbeitsplatzes für leistungsgewandelte Mitarbeiter berücksichtigt. In Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg wurde ein Fragenkatalog zur Erfassung der psychischen Belastung entwickelt, der für einzelne Standorte und Arbeitsbereiche angepasst werden kann. Neben Arbeitsanforderungen bei geringem Handlungsspielraum werden weitere Stressindikatoren wie Zeitregime, Rate der Arbeitsunterbrechungen, Kooperationserfordernisse usw. erfasst. Die Universität Heidelberg begleitet den Prozess der Erfassung und wertet die Daten aus. Am Verfahren beteiligt sind daneben der Gesamtbetriebsrat, der werksärztliche Dienst, Fachkräfte für Arbeitsschutz und die Daimler‐Sozialberatung. Erste Erfahrungen mit aus den Daten abgeleiteten Maßnahmen liegen noch nicht vor

 
Siehe aber auch: http://www.labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/gh/daimler.html

… Gesundheitsmanagement der Daimler AG weist datenschutzrechtliche Mängel auf
“Die Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich hat die datenschutzrechtliche Überprüfung des Gesundheits- und Fehlzeitenmanagements (im folgenden: Gesundheitsmanagement) der Daimler AG im Werk Untertürkheim Ende letzten Jahres abgeschlossen. (…) Die Aufsichtsbehörde hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit folgende datenschutzrechtliche Mängel festgestellt: 1. Die Daimler AG hat im Zuge der Rückkehrgespräche wegen auffälliger Fehlzeiten zum Teil Daten erhoben, die sie nicht hätte erheben dürfen, beispielsweise konkrete Krankheitsdiagnosen und Befunde sowie Krankheitsursachen, die im privaten beziehungsweise persönlichen Bereich wurzeln und keinen betrieblichen Bezug aufweisen….“ Pressemitteilung der Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich vom 05.01.2009 …

 

Siemens: Arbeitssicherheit und Gesundheit

http://www.siemens.com/sustainability/de/mitarbeiter/sicherheit.htm:

Der traditionelle Arbeitsschutz hat bei Siemens durch die Verringerung von Arbeitsunfällen und die Prävention von Berufskrankheiten entscheidend zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz beigetragen. Dennoch sind weitere Potentiale vorhanden, die Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern, um damit krankheitsbedingte Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern:

  • Die gesamte Belegschaft muss einbezogen werden (Partizipation).
  • Betriebliche Gesundheitsförderung muss bei allen wichtigen Entscheidungen und in allen Unternehmensbereichen berücksichtigt werden (Integration).
  • Alle Maßnahmen und Programme müssen systematisch durchgeführt werden: Bedarfsanalyse, Prioritätensetzung, Planung, Ausführung, kontinuierliche Kontrolle und Bewertung der Ergebnisse (Projektmanagement).
  • Betriebliche Gesundheitsförderung beinhaltet sowohl verhaltens- als auch verhältnisorientierte Maßnahmen.
  • Sie verbindet den Ansatz der Risikoreduktion mit dem des Ausbaus von Schutzfaktoren und Gesundheitspotentialen (Ganzheitlichkeit).

Darüber hinaus erhalten die Mitarbeiter notwendige Kompetenz, Schulung und Ausstattung, um ihrer Verantwortung für Gesundheit und Sicherheit zu entsprechen, Gefahren und Risiken zu vermeiden und die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

“Dennoch sind weitere Potentiale vorhanden…” und der Hinweis auf den “traditionellen Arbeitsschutz” fürt zu der Frage, ob psychisch wirksame Arbeitsbelastungen mittbestimmt in den Arbeitsschutz aufgenommen wurden.
“Betriebliche Gesundheitsförderung beinhaltet sowohl verhaltens- als auch verhältnisorientierte Maßnahmen” ist dann redlich, wenn Mitarbeiter, die Fehlbelastungsmeldungen abgeben, nicht auf die Couch geschickt werden, sondern ersteinmal vorschriftsmäßig die Arbeitsbedingungen mitbestimmt analysiert werden. Wenn verhaltens- als auch verhältnisorientierte Maßnahmen parallel laufen sollen (was bei guter Absicht auch Sibnn machen kann), dann ist zum Beispiel der Weg von Daimler empfehlenswert: Dort können sich nach meiner Kenntnis Mitarbeiter an eine externe ärztliche Einrichtung wenden, die keine individuellen Daten an Daimler weitergibt.
Hinweis: Zu Schulungen gibt es (nicht von Siemens) eine Handlungshilfe für Aufsichtspersonal der Berufsgenossenschaften. Sie beschreibt sowohl die Ziele der Unterweisung wie auch die Bedeutung der Unterweisung für die Gefährdungsbeurteilung:

  • „Die Gefährdungsbeurteilung ist gemäß §5 Arbeitsschutzgesetz durchzuführen. … Als Gefährdung ist dabei mit einzubeziehen, wie gut die Qualifikation und die Unterweisung der Beschäftigten ist und wie gut das Unterweisungswesen im Betrieb funktioniert. Es kommt darauf an, die Abläufe und die Organisation der Unterweisung sowie die gelebte Praxis zu untersuchen.“
  • „Die Unterweisung muss ausreichend und umfassend sein, d.h. die Beschäftigten müssen danach in der Lage sein, Gefährdungen zu erkennen, d.h. körperliche und psychische, um dann entsprechend zu handeln.“