Es droht der kollektive Burn-out

WirtschaftsWoche, http://www.wiwo.de/erfolg/management/dammanns-jobtalk-wenn-der-job-krank-macht/6049084.html

Dammanns Jobtalk 
Wenn der Job krank macht
Kolumne von Angelika Dammann
Die deutsche Wirtschaft trotzt tapfer der Eurokrise. Doch wie lange noch? Forscher warnen bereits, dass ein großer Teil der Unternehmen wie Menschen permanent an ihrer Leistungsgrenze wirtschafte. Es drohe der kollektive Burn-out. Was Unternehmen tun können, damit es nicht soweit kommt. …

… Erste Gehversuche, Zeitoasen für die notwendige Regeneration der Mitarbeiter zu schaffen, unternimmt zurzeit Autobauer Volkswagen. Die Blackberries von rund 1.100 tarifgebundenen Mitarbeitern werden künftig strikte Nachtruhe einhalten müssen, darauf verständigten sich VW-Management und Betriebsrat im Dezember 2011. Die E-Mail-Server werden nach Feierabend abgeschaltet und keine elektronische Post mehr auf die Firmen-Smartphones zwischen 18.15 Uhr und sieben Uhr morgens übermittelt.
Das erklärte Ziel: Die Kollegen sollen ihre Ruhezeit genießen und für sich nutzen. Das Unternehmen will so Burn-Outs vorbeugen. Es wird sich allerdings zeigen müssen, ob derartige wohlgemeinte Maßnahmen langfristig tatsächlich helfen, denn zum einen wird in der Differenzierung zwischen Tarif-Mitarbeitern und Anderen eine Zweiklassen-Gesellschaft geschaffen, welche die z.T. hohen Verantwortlichkeiten auch im Tarifbereich nicht unbedingt widerspiegelt; zum anderen wird man abwarten müssen, wie wir damit in einer global vernetzten und extrem schnellen Arbeitswelt langfristig zurechtkommen. Auf keinen Fall jedoch können kollektive Maßnahmen Ersatz für verantwortliches Führungsverhalten sein. …

(Link nachträglich eingetragen)
Mit “Auf keinen Fall jedoch können kollektive Maßnahmen Ersatz für verantwortliches Führungsverhalten sein” erweckt Angelika Dammann den Eindruck, dass man sich schon dagegen wehren müsse, dass kollektive Maßnahmen verantwortliches Führungsverhalten ersetzen sollen. So kann man als Journalist Falsches in die Welt setzen ohne nachweisbar die Unwahrheit zu sagen.
Angelika Dammann bellt am falschen Baum: Die Mehrzahl der Unternehmen missachtet gerade bei kollektiven Maßnahmen die Vorschriften des Arbeitsschutzes. Noch dominiert die fürsorgliche Belagerung “auffälliger Mitarbeiter”. Seit vielen Jahren schon haben psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einbezogen zu werden. Die meisten Unternehmen tun’s aber einfach nicht. Diese Dreistigkeit ging nun wohl zu weit: Jetzt weist sogar die Bundesarbeitsministerin von der Leyen darauf hin, dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen.
In der Hauptsache hat Angelika Dammann recht: Überlastung wird ein kollektives Problem. Und was muss bei VW den Arbeitgeber und den Betriebsrat geritten haben, darauf mit kollektiven Maßnahmen speziell für Tarifmitarbeiter zu reagieren? Das kann man doch mit einer Betriebsvereinbarung für die ganze Belegschaft regeln, vielleicht sogar mit Einbezug der leitenden Angestellten (was gegebenenfalls auch bisher unausgesprochene Unterschiede transparenter darstellbar machen könnte). Oder wird hier zwischen gemeinem Stress und Edel-Stress unterschieden?
Die Diagnosen in Angelika Dammans Beitrag sind weitgehend richtig. Die Prävention und die Therapie sind jedoch mangelhaft beschrieben, denn Damman vergisst eine wichtige Medizin: den ganzheitlichen Arbeitsschutz. Warum strengen sich Magazine wie die WIWO so fürchterlich an, bei der Prävention und Therapie gegen Fehlbelastungen die Pflichten der Arbeitgeber im Arbeitsschutz zu marginalisieren?

Übertarifliche, sofort ans Telefon!

Im seinem abeitstattstress-Blog hat macht Dr. Stephan List auf eine putzige Betriebsvereinbarung bei VW aufmerksam: http://www.arbeitstattstress.de/2012/01/verhaeltnis-statt-verhaltenspraevention/

Kurz vor dem Jahreswechsel erreichte uns die Meldung über eine bemerkenswerte Betriebsvereinbarung: Bei VW haben Blackberrys Feierabend. Diese besagt, dass 30 Minuten nach Feierabend keine E-Mails mehr an Mitarbeiter versendet werden, für die ein Tarifvertrag gilt. …

Auch mich macht diese Meldung etwas stutzig. Gilt das Arbeitszeitgesetz bei VW nur für tarifliche Mitarbeiter? Es macht doch erst bei leitenden Angestellten eine Ausnahme. (Es gibt da noch andere ausgenommene Arbeitnehmergruppen, aber die wird man bei VW wohl nicht finden.)
Übrigens: Im Gegensatz zum Arbeitszeitgesetz gilt das Arbeitsschutzgesetz für alle Beschäftigten im Betrieb. Geschützt werden also nicht nur tarifliche und außertarifliche Mitarbeiter, sondern selbst leitende Angestellte dürfen nicht krank gemacht werden.