Snarkjägerarbeitsplatz

Das Bild rechts im Forbes-Artikel verwende ich schon seit einigen Jahren bei der Darstellung der Gefährdungskategorien, die bei der Gefährdungsbeurteilung eines Arbeitsplatzes berücksichtigt werden könnten. Ich hatte die Illustration vor fünf Jahren in den deutschen Wikipedia-Artikel zur psychischen Belastung eingestellt. In der drögen deutschen Wikipedia überlebte das nicht, aber in der englischsprachigen hat sich dann ein anderer Autor des Bildes angenommen. Auch in Japan darf das Bild ストレス (Stress) erklären. In Frankreich, Israel und Russland wird es ebenfalls verstanden.
Was ich mit der Vewendung des Bildes sagen will, hatte in dieser Woche auch Forbes begriffen:

Workplace stress caused by an unsuitable work environment (Illustration by Henry Holiday in Lewis Carroll’s “The Hunting of the Snark” ) (Photo credit: Wikipedia)

Leider steuert der Artikel dann in die gewohnte Stress-Management-Richtung, also individuelle Verhaltensprävention für’s “Employee Brain” mit Yoga usw. Dabei zeigt Henry Holidays Illustration eigentlich sehr gut, dass man im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumgebung oft schon viel Verbesserungspotential entdecken kann. Übung: Wie beurteilen Sie die Gefährdungen an diesem Arbeitsplatz?

Perfide Methoden

http://news.glb.at/news/article.php/20120612112032281

… Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen
Hohe Arbeitsintensität, lange und unplanbare Arbeitszeiten, bezahlte und unbezahlte Überstunden, Vertrauensarbeitszeiten, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeitsplatzunsicherheit, widersprüchliche Arbeitsaufgaben bzw. –aufträge, unklare Prioritätensetzung, geringe Qualifikationsmöglichkeiten, qualitative und/oder quantitative Über- bzw. Unterforderung, mangelnde Anerkennung und/oder Unterstützung, permanente Umstrukturierungen, ununterbrochene Ausdünnung der Belegschaften, schleichendes stückchenweises – unmittelbar kaum wahrnehmbares – Draufpacken zusätzliche Arbeitsaufgaben prägen den Arbeitsalltag der meisten Beschäftigten. Internet, E-Mails, Facebook, Twitter u.a., Handys, Smartphones ermöglichen den Unternehmern die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen, ja verschwinden zu lassen.
Mit den perfidesten Methoden wird immer mehr Output aus den Menschen gepresst. Der Druck ist subtil. Immer öfter werden sie indirekt gesteuert. Die Selbstständigkeit, der eigene Willen der Beschäftigten werden instrumentalisiert für den Unternehmenszweck. Sie sollen agieren wie Unternehmer. Mehr und mehr Verantwortung wird ihnen übertragen, ohne das sie wirklich Handlungs- und Entscheidungsfreiheit haben. Denn Rahmenbedingungen wie Termine, Kosten, Personal, Qualität legt die Unternehmensleitung fest. Dazu werden auch teilautonome Einheiten, Profitcenter und kleinere GmbHs organisiert. Der Taktgeber für die zur Verfügung gestellte Zeit für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe aber ist und bleibt der Unternehmer. Bezahlt wird nicht mehr nach Arbeitszeit. Was zählt, ist das Ergebnis, und Ergebnis ist nur ein anderes Wort für höheren Profit. Etwas anderes wird nicht geduldet.
Folge ist, dass immer mehr Arbeitsstunden in Projekte und Aufgaben gesteckt, nicht angeordnete, unbezahlte Überstunden erbracht werden. Weil das nicht reicht, um die Motivation der Beschäftigten anzutreiben, wird unverhohlen gedroht, nicht mehr in den Arbeits-, Betriebs- bzw. Unternehmensbereich zu investieren oder das Team/die Abteilung aufzulösen. Um die Konkurrenz untereinander anzustacheln, werden nicht nur Vergleichswerte als Referenzgrößen (Benchmarks) mit anderen Unternehmen angeführt, sondern auch mit anderen Werken, Bereichen, Abteilungen, angeblich vergleichbaren Einheiten. Systematisch vergrößern die Unternehmer und andere Verantwortliche die Kluft zwischen vorgegebenen Zielen und Arbeitsaufgaben einerseits und deren Machbarkeit in der vorgegebenen Zeiteinheit andererseits. Wer da nicht mithalten kann, weiß, dass letztlich seine berufliche Existenz auf dem Spiel steht. Zukunftsangst hat in die einstmals relativ sichere Arbeitswelt genommen. Arbeitsplatzzerstörungen wie sie jetzt für 3000 Schlecker Frauen drohen führen durch die zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit zu weiterem Stress. …
Anne Rieger, Dipl. Psychologin, hat als Arbeits- und Betriebspsychologin gearbeitet, ehem. Bevollmächtige der IG Metall, arbeitet in Graz für den GLB

Anne Rieger beschreibt die gerade wegen ihrer Subtilität besonders perfiden und unehrlichen Methoden in der heutigen Arbeitswelt aus professioneller Sicht, aber fast hätte ich mich nicht getraut, auf diesen Artikel hinzuweisen. Da steckt ja der Gewerkschaftliche Linksblock im ÖGB dahinter. Wird mein Blog dadurch “links”? Aber die Autorin hat in der Sache schlicht recht, ob links oder nicht links. Also putzen Sie ihren Geist erst einmal ordentlich und lesen Sie den Artikel dann ohne irgendeine vorbeugende Ablehnung durch.

Früherkennung von Fehlbelastungen

http://www.mobifair.eu/Meldungen/12_01_05_Belastungen_am_Arbeitsplatz_werden_staerker/


mobifair befasst sich im Rahmen eines Projektes mit dem Thema Psychische Belastung am Arbeitsplatz. In Zusammenarbeit mit der TU Dortmund läuft derzeit ein breit angelegter Praxistest. Ziel ist es, eine zuverlässige Handlungshilfe zur Früherkennung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu entwickeln.

TU Dortmund ist in Ordnung, aber “Früherkennung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz” klingt so, als ob psychische Belastung vermieden werden sollte. Das hat die TU vermutlich nicht vor.
Der Fehler ist derzeit noch immer ziemlich populär. Es ist aber so, dass es ohne psychische Belastungen keine Arbeit für Menschen gäbe. Es geht ja nicht darum, Arbeit abzuschaffen, sondern der Arbeitgeber hat Arbeitsplätze dahingehend zu beurteilen, ob von diesen Arbeitsplätzen ausgehend Fehlbelastungen auf die Mitarbeiter wirken. Gegen Fehlbelastungen, die zu Fehlbeanspruchungen der Mitarbeiter führen (also deren physische und psychische Gesundheit gefährden), müssen dann Maßnahmen ergriffen werden.
Dafür gibt das Arbeitsschutz dem Arbeitgeber die Verantwortung. Aber was nun Fehlbelastungen am Arbeitplatz sind, können Arbeitgeber nicht einfach selbst bestimmen, sondern Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln darüber miteinander. Die Wissenschaft und das Recht bieten dafür einen Rahmen, innerhalb dessen beide Seiten betriebsnahe Lösungen erarbeiten und vereinbaren müssen.

Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen

Was ist der “Arbeitsplatz”, von dem ausgehend psychische Belastungen auf Mitarbeiter wirken?
http://www.refa.de/service/refa-intern/64-136-belastung-durch-arbeitsaufgabe/214-lk-belastung-kantzoura.ppt, S. 41

Einflüsse aus 

  • der Arbeitsumgebung,
  • der Arbeitsorganisation,
  • den Arbeitsmitteln,
  • der Arbeitsaufgabe und
  • dem Arbeitsplatz

werden als psychische und physische Belastungen bezeichnet.

Eine ebenfalls hilfreiche Begriffsklärung zu “Arbeitsbedingungen” fand ich in einer Betriebsvereinbarung der SICK AG:

Zu den Arbeitsbedingungen gehören die

  • Arbeitsstätten,
  • Arbeitsplätze,
  • Arbeitsumwelt,
  • Arbeitsstoffe,
  • Arbeitsmethoden,
  • Arbeitsabläufe,
  • Arbeitszeit und
  • Arbeitsinhalte.

Le petit bleu qui trouble…

Zur Übung: Wie würden Sie als Arbeitsschutzbeauftragter oder als Betriebsratsmitglied bei einer Begehung den auf dem rechten Bild dargestellten Arbeitsplatz beurteilen?

Links: Illustration von Gustave Doré zu John Miltons Paradise Lost, Buch VI, 1866
Rechts: Illustration von Henry Holiday zu Lewis Carrolls The Hunting of the Snark, 1876
Die Illustration von Henry Holiday verwende ich seit einigen Jahren zur Darstellung der verschiedenen Gefährdungskategorien des Arbeitsschutzes. Hier sehen Sie einen Arbeitsplatz, der sich durch ein gewisses Verbesserungspotential auszeichnet: Wir haben hier chemische Belastung (Tinte), biologische Belastung (etliche herumschwirrende Ungeheuer), akustische Belastung (die Pig Band), verschiedene schwebende Lasten, Mobbing und (was vom Arbeitsschutz bisher noch nicht berücksichtigt wird) auch fiskalische Belastung. Der Lehrer des Bibers macht zudem einen nicht allzu entspannten Eindruck.
Übrigens: Im Dezember 2008 gab es dann eine kleine Überaschung für mich. Sehen Sie das Bildzitat? Gibt es noch mehr davon?
Falls auch Sie das Bild mögen, dann können Sie sich den Vergleich auch im Format 4440 x 3000 ansehen.
(“Le petit bleu qui trouble…” ist ein Kommentar von Jean-Michel Frodon, einem der Betreiber der “Artsciencefactory”in Frankreich.)
 

All art is infested by other art.

Leo Steinberg (Art about Art, 1979)
Siehe auch: https://psybel.snrk.de/snarkjaegerarbeitsplatz/