Arbeitgebermentalität?

arbeitgeber.org mag nicht repräsentativ für die Arbeitgebermentalität sein. Aber es scheint wohl doch einen Markt für die Anregungen zu geben, die arbeitgeber.org anbietet:
http://arbeitgeber.org/Betriebsratswahl/
Die Seite sollte nicht mit dem moderateren Auftritt der BDA verwechselt werden: http://arbeitgeber.de/.

Thema des Monats Mai: Psychische Gesundheit

http://www.dgfp.de/de/content/articles/thema-des-monats-mai-2011-psychische-gesundheit-2025/, Deutsche Gesellschaft für Personalführung:

Thema des Monats Mai 2011: Psychische Gesundheit
Herausforderung für Mitarbeiterbetreuung und Führungskultur
Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. Für Personalmanager und Führungskräfte ergeben sich daraus neue Herausforderungen: Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen? Wie gehe ich mit ihnen um? Was kann/muss ich tun und wo sind Grenzen? In diesem DGFP “Thema des Monats” setzen wir uns mit diesen Fragen auseinander und stellen mögliche Lösungsansätze bereit.

Stop!

“Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. … Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?”

  1. Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?
  2. Kann ich bei meinen Arbeitsplätzen die hohe psychische Belastung erkennen?

Beide Fragen sind natürlich legitim. Gesetzlich vorgeschrieben ist im Arbeitsschutz jedoch ausgerechnet die fehlende zweite Frage. Ohne sie zu beantworten, fehlen wichtige Lösungen für das Thema des Monats Mai.
 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/burn-out-wenn-seele-und-koerper-bei-der-arbeit-nicht-mehr-mitmachen-1948/:

Zwar ist es die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, zu entscheiden, wie weit er oder sie sich aufzehrt und wo die persönlichen Grenzen des Engagements für das Unternehmen liegen. Doch gerade an dieser Selbstreflexion mangelt es offenbar bei den vom Burn-out Betroffenen.

Auch diese Klage ist berechtigt. Doch schon wieder fehlt etwas. Hat das vielleicht System? Bei der Deutschen Gesellschaft für Personalführung sind nicht die berechtigten Fragen, die sie stellt, das Problem, sondern die wichtigen Fragen, denen sie ausweicht: Warum halten Arbeitgeber, bevor sie immer wieder “Eigenverantwortung” einfordern, sich nicht erst einmal an die Mindestvorgaben des Arbeitsschutzes?
 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/dgfp-studie-zur-psychischen-beanspruchung-von-mitarbeitern-problem-in-fast-jedem-unternehmen-2024/ (2011-06-07: Die Links scheinen sich zu ändern. Probieren Sie’s mal hier: http://blog.psybel.de/fehlberatung-belastung-und-beanspruchung/):

Was den Umgang der Führungskräfte mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern angeht, so scheint es dort erhebliche Defizite zu geben. 76 Prozent der befragten Personalmanagern sind der Ansicht, dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen nur unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Beanspruchung zu erkennen. 87 Prozent der Befragten beobachten, dass die Führungskräfte unsicher sind, wie sie sich im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern adäquat verhalten. 56 Prozent der befragten Personalmanager haben den Eindruck, dass die Führungskräfte die psychische Beanspruchung ihrer Mitarbeiter tabuisieren.

Die Führungskräfte in ihrem Unternehmen sind vielleicht unzureichend darauf vorbereitet, psychische Beanspruchung zu erkennen. Insbesondere sind sie aber von einem Berufsverband schlecht beraten, der ihnen die falschen Prioritäten vorgibt. Denn wenn sie unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Fehlelastungen zu erkennen, dann kommen Sie mit dem Gesetz in Konflikt und werden sich irgendwann auch mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen.
Es ist fast schon faszinierend, wie hier das Thema der psychischen Belastung umschifft (tabuisiert?) wird. Das mag an einer verbesserungsfähigen Kenntnis des Arbeitsschutzes liegen, denn die Klage über “psychische Beanspruchung” geht sogar viel zu weit. Ein Arbeitgeber hat nämlich ein gutes Recht, seine Mitarbeiter zu belasten! Arbeitnehmer werden dafür bezahlt, sich von psychischen Belastungen beanspruchen zu lassen und daraus etwas Nützliches zu machen. Es geht nicht um die Vermeidung von psychischen Belastungen (in der ISO 10075 steht mental workload), sondern es ist die gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber, psychische (und andere) Fehlbelastungen zu vermeiden oder wenigstens zu mindern.
Aussagen zur Gefährdungsbeurteilung in der Studie fand ich nur auf Seite 17: Nach Angabe der DGFP setzen 60% von 212 Unternehmen die Instrumente “Arbeitsplatzanalyse/Gefährdungsbeurteilung” zu “Maßnahmen zur Prävention bzw. zum Umgang mit psychischer Beanspruchung” ein. Und dann:

Erstaunlich ist, dass die am besten bewertete Maßnahme (individuelle Belastungs und Beanspruchungsanalyse), die von 92 Prozent der Anwender als positiv bewertet wird, in nur 12 Prozent der Unternehmen engesetzt wird.

Nach dem zuvor Gesagten erstaunt mich hier nichts mehr. 12 Prozent sind noch viel zu viel. Klar ist es einfacher, sich den einzelnen Mitarbeitern fürsorglich zuzuwenden und psychische Probleme bei ihnen individuell zu verorten. Da sind wohl 15 Jahre Arbeitsschutz spurlos an der DGFP vorbeigegangen: Beim ganzheitlichen Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht die Mitarbeiter!
“Im Vordergrund des Arbeitskreises standen dabei psychische Beanspruchungen, eine mögliche Vorstufe psychischer Erkrankungen.” Das ist Unsinn. Nicht “psychische Beanspruchungen” sind ein Problem, sondern “psychische Fehlbeanspruchungen”. Diese “Studie” ist Desinformaton und manipulativ.
Es gibt wesentlich seriösere Arbeiten. Wie man sich ernsthaft und kritisch (auch gegen Gewerkschaftspositionen) mit dem Thema des psychischen Belastung auseinandersetzen kann, zeigen A. Hofmann, K.- J. Keller und R. Neuhaus in Die Sache mit der psychischen Belastung, Eine praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen in Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (Nr. 367/368/369/370 April 2002).

Unbequem

http://www.arbeitgeber.org/Betriebsrat/dem-betriebsrat-kuendigen.html:

Betriebsräten kann man nicht kündigen!
… Oder doch??
Sie können!
So trennen Sie sich von unbequemen
Betriebsratsmitgliedern

Wechseln Sie von offener und emotional geführter Konfrontation auf ein geschmeidiges Aufeinanderzugehen!

Sie werden nicht klein beigeben! Sie werden die Führung des Unternehmens nicht dem Betriebsrat überlassen! Sondern Sie werden auch künftig Ihr Unternehmen nach Ihren Vorstellungen führen!

Macht Mitbestimmung Spaß?

Der erweiterte Bürokratiebegriff

Bericht der Kommission Mitbestimmung der Wirtschaftsverbände BDA und BDI (2004):

Mitbestimmung modernisieren
8. Teil: Betriebsverfassung entbürokratisieren

Die Mitbestimmung im Rahmen des Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) entwickelt sich in der Rechtsprechung zu einer gefährlichen Generalklausel. Die Konkretisierung von Arbeitsschutzvorgaben ist nicht Sache des Betriebsrats. Sie ist Aufgabe der Berufsgenossenschaft, die hierfür auch arbeitstechnisch und -medizinisch qualifiziert ist. Der Betriebsrat kann die Interessen der Belegschaft schon jetzt durch seinen Kontakt zur Berufsgenossenschaft (§ 89 BetrVG) wahren. Mehrfache Bürokratie ist nicht sinnvoll und kann zu sachwidrigen Koppelungsgeschäfte führen.

Der BDI und die BDA leisten sich hier bei der Benutzung des Begriffes “Bürokratie” anscheinend eine recht große künstlerische Freiheit. In ihrer Welt schließt dieser Begriff anscheinend die mitbestimmte Ausgestaltung des Arbeitsschutzes mit ein. Aber wie bereits erläutert, bedeutet Entbürokratisierung beim Arbeitsschutz, dass früher vom Staat vorgenommene Regelungen jetzt in den Betrieben vorgenommen werden müssen. Sicherlich führt die Gestaltung betriebsnaher Regelungen zu Arbeitsaufwand. Die zur Erhaltung einer Zivilgesellschaft notwendige Arbeit bekommt man nicht umsonst. Die Gerichte haben erkannt, dass betriebsnahe Regelungen etwa gleich starke Verhandlungspartner auf der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite benötigen. Darum schützen sie die Mitbestimmung.
BDI und BDA haben das Arbeitsschutzgesetz nicht verstanden, wenn sie den Eindruck entstehen lassen, dass nach Auffassung der Gerichte die Konkretisierung von Arbeitsschutzvorgaben Sache des Betriebsrats sei. Es ist keineswegs die Auffassung der Gerichte, dass die Konkretisierung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes mit Einbezug psychisch wirksamer Belastungen Sache der Betriebsräte sei. Die BDI und BDA bellen hier am falschen Baum. Für die Konkretisierung tragen immer noch die Arbeitgeber die Verantwortung. Die Betriebsrate passen darauf auf, dass die Arbeitgeber Schutzgesetze beachten. Diese Arbeit wird ihnen von den Betriebsräten nicht abgenommen. Aber wenn die Arbeitgeber ihre Pflichten missachten, dann helfen ihnen logischerweise die Arbeitnehmer (Betriebsräte oder Personalräte) mit konkreten und konstruktiven Vorschlägen ein bisschen weiter, denn Politiker sorgen dafür, dass die Berufsgenossenschaften schon für ihre Aufsichtspflicht nicht genügend Ressourcen haben. Dass sich der BDI und die BDA dann auch noch über die Hilfe der Betriebsräte beschweren, ist doch etwas zu undankbar.
Siehe auch. http://blog.psybel.de/betriebsverfassungsgesetz/

Widerstand gegen mitbestimmten Arbeitsschutz

Es ist wichtig, die Position der Arbeitgeber zum Einbezug der psychisch wirksamen Belastungen in den Arbeitsschutz zu kennen und ihren Widerstand gegen die Mitbestimmung im Arbeitsschutz zu verstehen. Es scheint inzwischen so zu sein, dass dieser Widerstand vieler (nicht aller!) Unternehmen gegen den auf Arbeitsbedingungen fokussierenden Arbeitsschutz insbesondere in vier Formen auftritt:

  1. “Entbürokratisierung”.
  2. Strukturelle Verantwortungslosigkeit: Verlagerung von Verantwortung (und Haftungsrisiken) in die untersten Führungsebenen, ohne diese jedoch mitbestimmt mit geeigneten Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten auszustatten.
  3. Mißachtung von Vorschriften oder Verschleppung ihrer Umsetzung: Souveräne (weil offene und die Zurückhaltung der Aufsichtsbehörden nutzende) Mißachtung wichtiger Aufgaben des Arbeitsschutzes z.B. durch beharrliche Verschleppung des Einbezugs psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz. Konkret wehren sich viele Unternehmen insbesondere gegen den mitbestimmten Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung und in die vorgeschriebene Unterweisung der Mitarbeiter.
  4. Verkehrte Prioritäten im Gesundheitsmanagement: Versuch, über “betriebliches Gesundheitsmanagement” (BGM) und intensive “Kommunikation” der Unternehmer und ihrer Verbände (an Belegschaften, an Politiker, an die Öffentlichkeit und an sich selbst), den Fokus des Arbeitsschutzes von der Verhältnisprävention umzulenken auf die als fürsorglich und freiwillig darstellbare Verhaltensprävention mit Betonung der “Eigenverantwortung” der Mitarbeiter. In ihre Strategie des Agenda Setting konnten die Unternehmer auch das Bundesgesundheitsministerium unter Philip Rösler (FDP) erfolgreich mit einbinden.

Mit diesen Ansätzen kann einerseits versucht werden, unerwünschte Bestimmungen des Arbeitsschutzes zu umgehen und die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu schwächen, andererseits kann ein Unternehmen mit einem werbewirksam gestalteten betrieblichen Gesundheitsmanagement behaupten, es ginge damit über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus. Mit diesem Trick nehmen Unternehmen auch an Wettbewerben teil, womit sie Engagement zeigen können ohne jedoch psychische Belastungen ausreichend mitbestimmt in den Arbeitsschutz einbeziehen zu müssen. Die Kür überdeckt die Pflicht.
Wettbewerbe und Selbstdarstellung
Die werbewirksame Teilnahme an Wettbewerben zur Ablenkung vor den ungeliebten Pflichten des Arbeitsschutzes ist natürlich auch für die Anbieter solcher Wettbewerbe ein Problem. Wie gehen sie damit um? Einerseits sollen sich Unternehmen einer bewertung durch Wettbewerbsanbieter unterwerfen. Andererseits sind sie auch zahlende Kunden dieser Wettbewerbsanbieter.
Ein positives Beispiel für einen der eher verantwortungsvolleren Anbieter von Wettbewerben im Gesundheitsmanagement ist Great Place to Work® Deutschland (GPTW). Dieses Unternehmen bezieht Betriebsräte ein und fördert mit einem “Sonderpreis Gesundheit” den mitbestimmten Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung. Achten Sie also darauf, ob ein Unternehmen versucht, diesen Sonderepreis zu bekommen, denn im “Kulturaudit” von GPTW können Unternehmen selbst dann gute Noten bekommen, wenn sie die Regeln des Arbeitsschutzes missachten.
Am Standard-Ranking von GPTW dürfen jedoch meines Wissens nach auch solche Unternehmen teilnehmen, die sich über das Recht stellen und psychisch wirksame Belastungen weder in die Gefährdungsbeurteilung noch in die Unterweisung mitbestimmt einbeziehen. Wenn GPTW glaubwürdig bleiben will, sollten diese Arbeitgeber nur dann an dem GPTW-Ranking teilnehmen dürfen, wenn es eine Betriebsvereinbarung gibt, die den Weg zur Einhaltung der Arbeitsschutz-Vorschriften messbar regelt. Solange Arbeitgeber es entgegen den Vorschriften vermeiden können, Mitarbeiter ordentlich über die Bedeutung der Verhältnisprävention und ihre Priorität im Arbeitsschutz zu unterrichten, haben Mitarbeiterbefragungen im GPTW-Stil nur eine beschränkte Aussagekraft.
Die mir bekannten jüngsten Veranstaltungen zum Gesundheitsmanagement fallen hinter Anbieter von Wettbewerben zurück: In Tagungen zum Gesundheitsmanagement stellen sich Unternehmen werbewirksam dar. Die Mitbestimmung durch Arbeitnehmer, deren Vertretungen die eigentlichen Treiber dieser Thematik sind, wird entsprechend der Zielsetzung der Wirtschaftsverbände marginalisiert, nun auch mit Hilfe des Gesundheitsministers.