Kauder hat Stress mit Nahles

Die Union ist gegen die von Andrea Nahles vorangetriebene Anti-Stress-Verordnung. “Gerade heute brauchen die Unternehmer die Flexibilität ihrer Mitarbeiter”, so zitierte das Handelsblatt heute den Unions-Fraktionschef Volker Kauder. “Da arbeiten Menschen aus vielen Ländern der Welt an einem Projekt, manchmal 14 Tage am Stück”, und danach nähmen sie sich mehrere Tage frei – meint Kauder. Unternehmen gingen – angesichts des Fachkräftemangels – ohnehin sorgsam mit ihren Mitarbeitern um, da leuchte ihm die Notwendigkeit einer Anti-Stress-Verordnung nicht ein.
Eine gut gemachte Anti-Stress-Verordung schränkt die Flexibilität der Unternehmen aber überhaupt nicht ein. Die Verordnung soll doch nur dafür sorgen, dass seit Jahren geltendes Recht zu tatsächlich umgesetzten Recht wird, so wie sich das in einem Rechtsstaat nun einmal gehört. Psychische Belastungen werden dabei aber gar nicht verboten. Das ist in Ordnung, denn ohne psychische Belastungen gibt es keine Arbeit. Psychische Fehlbelastungen müssen jedoch gemindert werden, und zwar nachprüfbar. Kauder mag das nicht, aber im vorigen Jahrhundert mussten man sich ja auch erst daran gewöhnen, dass physische Fehlbelastungen nicht mehr hingenommen werden müssen. Heute sind vermeidbare psychische Fehlbelastungen nicht mehr akzeptabel.
Gerade heute brauchen die Menschen angesichts der von den Unternehmen benötigten Flexibilität eine gesunde Psyche. Andrea Nahles weiß, wie man Themen in’s Gespräch bringt.
 


Aus einem Interview im heutigen Handelsblatt wird (von der Agentur AFP?) herausgelesen, dass der Unionsfraktionschef Kauder “strikt” gegen die von Arbeitsministerin Nahles geplante Anti-Stress-Verordnung sei. Es ginge auch ohne neue Regeln. Das stimmt: Für die Mehrheit der Unternehmer und die überforderten Gewerbeaufsichten ginge es auch ohne neue Regeln, weiterhin ungestraft gegen das Arbeitsschutzgesetz zu verstoßen. Das Unterfangen, das Thema “psychische Belastung am Arbeitsplatz” möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten blieb dank dieser Situation zu lange ungestört.
Thema des Interviews mit Volker Kauder, das im Handelsblatt fast eine ganze Seite füllt, war “Mehr Mut für neue Ideen”. In einem kleinen Absatz sagte Kauder auch etwas zur Anti-Stress-Verordnung. Unter dem Titel “Stress mit dem Arbeitsschutzgesetz” schrieb Frank Specht dann noch einen Artikel neben dem Interview über die Ablehnung einer Anti-Stress-Verordnung durch die Union und die Arbeitgebervereinigung BDA. Specht schreibt, der Generalsekretär der CDU, Wolfgang Steiger warne davor, die Freiheiten von Unternehmernund Arbeitnehmern weiter einzuschränken. Das Argumentationsmuster ist bekannt, aber eine Anti-Stress-Verordung könnte beiden Parteien ja auch weiterhelfen, ihre Freiheiten besser zu nutzen.
Noch als Arbeitsministerin erkannte Ursula v.d. Leyen “Unwissenheit und Hilflosigkeit” beim Thema der arbeitsbedingten psychischen Belastungen. Das ist keine gute Basis für die Nutzung der Freiheit, die das Arbeitsschutzgesetz den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern als Rahmengesetz gewährt und die Frakn Specht verteidigen will. Der sich aus dieser Freiheit ergebende Gestaltungsbedarf wurde von 1996 bis etwa 2011 kaum befriedigt. Da kann man schon auf die Idee kommen, mit einer Verordnung ein bisschen nachzuhelfen.
Wie kann man gegen eine Verordnung sein, die es noch gar nicht gibt? Es kommt doch darauf an, wie eine solche Verordnung dafür sorgt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber endlich in die Puschen kommen. Eine solche Verordnung könnte ja nicht nur Hilfestellung bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes geben, sondern auch helfen, den § 89 BetrVG (Mitbestimmung im Arbeitsschutz) zeitgemäß umzusetzen, und zwar auch in Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung.
So könnte man z.B. Betriebe fördern, in denen mindestens ein Arbeitnehmervertreter (oder Arbeitnehmer, wenn es keinen Betriebsrat gibt) das Arbeitsschutzmanagement nach ISO 19011 gut qualifiziert und professionell auditieren kann. Arbeitsschutz-Audits müssten explizit als “Besichtigungen” im Sinne des § 89 definiert werden, um die Teilnahme der Mitarbeiter (bzw. deren Vertreter) an Audits sicherzustellen. Die Arbeitnehmer müssten nicht nur das Recht haben, die in Audits gewonnenen Erkenntnisse zu erfahren, sondern sie müssten dieses Recht auch in der Praxis nutzen können.
Ich finde, dass Festlegungen von Belastungsgrenzen in einer Anti-Stress-Verordnung wenig Sinn machen. Die Grenzen müssten sehr hoch liegen, um allgemeinverbindlich zu sein. Belastungsgrenzen sollten tatsächlich die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber betriebsnah miteinander vereinbaren. Wichtiger ist es, im Arbeitsschutz glaubwürdige Prozesse zu haben, die nicht nur auf dem Papier stehen, sondern Fehlbelastungen tatsächlich vorbeugen und auch für die Arbeitnehmer vollständig transparent und nachvollziehbar sind. Um an der Gestaltung mitwirken zu können, brauchen insbesondere die Arbeitnehmer jedoch mehr Wirkungsmöglichkeiten und auch eine bessere Qualifikation. Wer mitbestimmen will, muss sich in der mitbestimmten Thematik gut auskennen. Daran hapert es auch bei vielen Arbeitnehmervertretern. Hier könnte eine praxisnah gestaltete Anti-Stress-Verordnung ebenfalls weiterhelfen.

Nahles nähert sich der Anti-Stress-Verordnung

Heute in den Nachrichten:

Arbeitsministerin Andrea Nahles will 2015 Kriterien für eine Anti-Stress-Verordnung vorlegen. “Es gibt unbestritten einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen, das haben mittlerweile auch die Arbeitgeber anerkannt. Wir haben dazu auch wissenschaftliche Erkenntnisse”, […]

sagte Nahles im Sommer-Interview der Rheinischen Post (Rehna Lehmann, Eva Quadbeck): http://www.rp-online.de/politik/ministerin-andrea-nahles-spd-eine-anti-stress-verordnung-ist-mein-ziel-aid-1.4477441

[…] Ich habe dafür gesorgt, dass die Prüfung einer Anti-Stress-Verordnung in den Koalitionsvertrag hineinkommt. Es gibt unbestritten einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen, das haben mittlerweile auch die Arbeitgeber anerkannt. Wir haben dazu auch wissenschaftliche Erkenntnisse. Dennoch ist es eine Herausforderung, diese gesetzlich rechtssicher umzusetzen. Daher haben wir die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin beauftragt, fundiert aufzuarbeiten, ob und wie es möglich ist, Belastungsschwellen festzulegen. Wir brauchen allgemeingültige und rechtssichere Kriterien, bevor wir den Betrieben etwas vorschreiben. […]

“Belastungsschwellen” sind von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Das Problem ist nicht das Fehlen von “Belastungsschwellen”, sondern vielmehr das Fehlen nachvollziehbarer, transparenter und mitbestimmter Prozesse für den Umgang mit psychischen Belastungen im Arbeitsschutz. Die Gefährdungsbeurteilungen werden nicht einmal so durchgeführt, wie die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) es ihren Mitgliedern empfiehlt. Deswegen fehlen in vielen Betrieben auch viele Jahre nach dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (1996) immer noch Daten über das tatsächliche Belastungsspektrum. Es gibt auch heute noch genug Arbeitgeber, die das Belastungsspektrum lieber nicht dokumentiert haben wollen. Sie beseitigen zwar hier und da Mißstände, aber nicht (wie vorgeschrieben) auf Basis einer Gefährdungsbeurteilung, sondern eventuelle Fehlbelastungen nicht dokumentieren zu müssen.
Eine Anti-Stress-Verordnung sollte die Stärkung der Mitbestimmung im Arbeitschutz fördern und die überforderte Gewerbeaufsicht viel besser in die Lage versetzten, überhaupt einmal zu verstehen, was in den Betrieben los ist. Das Problem ist nicht fehlendes Wissen, sondern es herrscht Anarchie: Arbeitgeber meinen in Ihrer großen Mehrheit, sie stünden über dem Gesetz: 80% der Betriebe konnten sich sanktionslos herausnehmen, psychische Belastungen nicht in der vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung zu erfassen. Wenn die Belastungen gar nicht nicht erst gesehen werden, dann helfen auch keine “Belastungsschwellen”.
 
http://www.stern.de/politik/deutschland/psychische-erkrankungen-nahles-will-anti-stress-verordnung-fuer-arbeitnehmer-2133478.html und http://www.wiwo.de/erfolg/beruf/anti-stress-verordnung-nahles-sagt-dem-arbeitsstress-den-kampf-an/10608904.html

[…] SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte gesagt, er sehe bei diesem Thema vor allem Arbeitgeber und Gewerkschaften und nicht den Gesetzgeber in der Pflicht. Die stellvertretende Bundestags-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann und Nordrhein-Westfalens SPD-Arbeitsminister Guntram Schneider hatten sich hingegen für ein Gesetz stark gemacht, das die Verfügbarkeit von Arbeitnehmern grundsätzlich regeln soll. […]

Was der Stern und die WiWo nicht schreiben: Gabriel äußerte sich hier nur zu einem Unterthema aus dem Bereich der Psychischen Belastungen, nämlich um den Dauerbrenner “ständige Erreichbarkeit”. Ganz unrecht hat Gabriel zwar nicht, aber er hat die Betriebsräte vergessen. Nicht die Gewerkschaften, sondern die Betriebsräte bestimmen bei der Umsetzung der Forderungen des Arbeitsschutzgesetzes mit. Vielen Betriebsräten fehlt hier aber noch die erforderliche Kompetenz.

Stress selbst verschuldet?

http://klarspueler.com/das-maerchen-vom-selbstverschuldeten-stress/ (2014-08-19)

Das Märchen vom selbstverschuldeten Stress
Aus einer Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ging vor einigen Tagen hervor, dass 2012 die Zahl aller auf psychische Probleme und Verhaltensstörungen zurückgehenden Arbeitsunfähigkeitstage bei rund 61,5 Millionen lag. Ein Rückgang um 3 % im Vergleich zu 2011, ein Anstieg um 83% im Vergleich zu 2001. Na und? – werden Sie achselzuckend sagen und liegen mit dieser Problembeurteilung voll im Trend. Noch lange kein Grund die Pferde scheu zu machen, wie es Jutta Krellmann von der Linksfraktion mit einer “Anti-Stress-Verordnung” fordert. Denn leider dominiert in der Diskussion um Arbeitsstress immer noch das Erklärungsmodell der Ignoranten. Und das heißt: selber schuld! Weiterlesen →

 
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fehlzeiten-wegen-psychischer-belastungen-steigen-stark-a-985340.html (2014-08-11)

Stress führt zu immer höheren Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Nach SPIEGEL-Informationen haben sich die Ausfälle wegen psychischer Probleme seit 2001 fast verdoppelt.
Hamburg – Arbeitsdruck und Stress belasten die Erwerbstätigen in Deutschland. Im Jahr 2012 lag die Zahl aller Arbeitsunfähigkeitstage, die auf psychische Probleme und Verhaltensstörungen zurückgehen, bei rund 61,5 Millionen. Mehr als jeder sechste Krankheitstag fällt in diese Kategorie. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, die dem SPIEGEL vorliegt. […]

 
Beides gehört zur gleichen Geschichte. Die Antwort des BMAS liegt nicht nur dem SPIEGEL vor, sondern auch in der Datenbank des Bundestages. Ich vermute, dass es um den folgenden Vorgang geht:

 
Auch beim SPIEGEL gibt es einen Kommentar von Frank Patalong: http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/stress-im-job-die-probleme-sind-hausgemacht-a-985400.html (2014-08-11)

[…] Der Druck, orakelt dazu das Arbeitsministerium, resultiere aus Digitaltechnik und Globalisierung.
Mit Verlaub: Das ist Humbug. Mein Stress erwächst aus meiner Ambition, aus Gewöhnung an ein sich stetig erhöhendes Arbeitstempo und aus Anpassung an die Taktzahlen um mich herum. Er ist auch das Resultat meiner Mentalität und Ausdruck einer Arbeitsethik, die die Selbstverheize zum Wert erhebt. Ist das bei Ihnen vielleicht anders?
Vielleicht sollten wir uns öfter klarmachen, dass wir uns damit den Spaß im und am Leben verderben. Wir brauchen keine Stressverordnung. Vielleicht sollten wir uns ab und zu fragen: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben?
Denn das könnte morgen schon vorbei sein

Frank Patalong wendet sich dem einzelnen Menschen zu, nicht dem Humbug von der sich verändernden Arbeitswelt. Ach wie human das doch klingt. Das passiert, wenn man die Tatsachen nicht kennt: Frank Patalong ignoriert die Fakten und die Forschung zum Thema. Leider spielt in der Diskussion um Arbeitsstress tatsächlich immer noch das Erklärungsmodell der Ignoranten eine Rolle. Da waren selbst die Arbeitgeber im Jahr 2000 schon weiter, auch wenn der Linksfraktion die praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen wohl nicht in allen Punkten gefallen wird.
Frank Patalong ist jetzt ein freier Journalist, aber in der SPIEGEL-Redaktion könnte eine Beurteilung psychischer Gefährdungen sicherlich nicht schaden. Vorgeschrieben ist sie ja ohnehin (als Teil der ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung).
Meine Position zur “Antistressverordnung”: Es ist richtig, eine Antistressverordnung zu fordern. Das Thema der psychischen Belastungen und Fehlbelastungen wurde jahrelang verschleppt. Wahrscheinlich brauchen wir die Drohung mit dem Verordnungsknüppel, um dann hoffentlich doch irgendwann einmal auf bessere Ideen zu kommen, z.B. eine Stärkung der Mitbestimmung der Arbeitnehmervertretungen im Arbeitsschutz insbesondere durch Aufbau von Kompetenz und Auditfähigkeit (ISO 19011). Hier haben nämlich nicht nur die Arbeitgeber, sondern insbesondere auch die Betriebs- und Personalräte noch Hausaufgaben zu erledigen, die lieber einzelne Mitarbeiter fürsorglich beraten, anstatt sich mit der Komplexität des ganzheitlichen Arbeitsschutzes auseinanderzusetzen. Die Ansichten von Frank Patalog findet man leider zu oft noch bei den Arbeitnehmern und ihren Vertretern selbst.

Die "Anti-Stress-Verordnung" jetzt auf den Weg bringen

http://www.cda-bund.de/news/alle-news/news/alle-news/news-detailansicht/?L=gsnoqvyy&tx_ttnews%5Btt_news%5D=2725&cHash=64b8f366c904c0c3a38049d9c249e967

CDA-Vize Christian Bäumler: Die “Anti-Stress-Verordnung” jetzt auf den Weg bringen
Montag, 11. August 2014
Christian Bäumler, erster stellvertretender CDA-Bundesvorsitzender, unterstützt die Forderung nach einer „Anti-Stress-Verordnung“: „Die Unions-Fraktion darf das Thema nicht der SPD überlassen. Sie muss der Arbeitsministerin signalisieren: Wir wollen jetzt verbindliche Regeln zum Schutz der Psyche im Job. Die ‚Anti-Stress-Verordnung‘ steht schließlich im Koalitionsvertrag: CDU/CSU und SPD benennen sie explizit als Option, die seelische Gesundheit in der Arbeitswelt besser zu schützen. Das Ministerium muss jetzt einen Entwurf erarbeiten – gemeinsam mit den Sozialpartnern.
Die Politik darf sich nicht hinter vermeintlich fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen verstecken, sondern muss handeln. Denn immer mehr Beschäftigte gehen vor Stress und Druck in die Knie. Das belegen zum Beispiel der Stress-Report der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin oder der DGB-Index Gute Arbeit. Nicht umsonst wird auch im Koalitionsvertrag die Zunahme psychischer Erkrankungen als ‚Herausforderung für den Arbeitsschutz‘ bezeichnet.“

Herantasten an die Antistress-Verordnung

http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Psychische-Gesundheit-Stress/Projekt.html

Projekt “Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt”
Seit Mitte der Neunzigerjahre sind die psychischen Arbeitsanforderungen angestiegen und haben sich seit etwa 2005/2006 auf hohem Niveau stabilisiert. Gleichzeitig ist eine Zunahme des frühzeitigen Erwerbsausstiegs und der Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Störungen und Erkrankungen zu beobachten. Nach heutigem Wissensstand ist davon auszugehen, dass diese Veränderungen nicht unabhängig voneinander sind. Zugleich wird eine gute mentale Gesundheit immer mehr zur Voraussetzung einer dauerhaften und erfolgreichen Teilhabe am Erwerbsleben. Umso wichtiger ist es, Arbeit so zu gestalten, dass psychische Beeinträchtigungen vermieden werden und die mentale Gesundheit und Leistungsfähigkeit erhalten bleiben.
Demgegenüber besteht eine zum Teil erhebliche fachliche Unklarheit insbesondere darüber wie deutlich steigenden Anforderungen an die kognitive und emotionale Leistungsfähigkeit zu bewerten sind. Gerade im Zusammenhang mit der Frage einer möglichen Regelung von psychischer Belastung bei der Arbeit bleibt offen, inwieweit der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis hinreichend ist, um mögliche Gefährdungen in ihrer Komplexität klar zu definieren und zu erfassen und auf dieser Basis moderne Arbeitsformen menschengerecht zu gestalten.
Die BAuA hat dementsprechend in Abstimmung mit dem BMAS und den Beratungsgremien der BAuA das Projekt “Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung” aufgelegt, in dem der aktuelle Forschungsstand aufbereitet und im Diskurs mit der Wissenschaft und Arbeitsschutzpraxis konsolidiert werden soll. Sie soll Aufschluss über den gesicherten Stand des Wissens zu potenziell gefährdenden, aber auch potenziell förderlichen Belastungswirkungen geben und aufzeigen, welche Messstandards und die Möglichkeiten von Grenzwertempfehlungen zur Verfügung stehen. Zudem soll das gesicherte praxisbezogene Wissen zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung beschrieben werden.
Das Projekt “Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung” ist im 1. Quartal Jahr 2014 an dem Start gegangen und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Weitere Informationen liefert das Forschungs- und Entwicklungsprogramm der BAuA (S. 28f.).

 
http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/studie-psychische-gesundheit.html

Bei einer Veranstaltung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ein Forschungsvorhaben zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt vorgestellt. Die Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) soll eine systematische Übersicht über psychische Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt schaffen. Zugleich soll sie konkrete Handlungsempfehlungen für die Bereiche Arbeitsschutz, betriebliche Gesundheitsförderung und betriebliche Mitbestimmung liefern. Das Forschungsprojekt ist auf einen Zeitraum von drei Jahren angelegt.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles:

Nur wenn es den Beschäftigten gut geht, kann es auch den Betrieben gut gehen. Deshalb freue mich sehr, dass die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Leitlinien für gesunde Arbeit entwickelt. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt zum Schutz der Beschäftigten. Die Sozialpartner und die Politik haben sich mit der gemeinsamen Erklärung zur psychischen Gesundheit bereits darauf verständigt, die seelischen Belastungen bei der Arbeit genauso verringern zu wollen, wie die körperlichen Belastungen. Zugleich macht die gemeinsame Erklärung deutlich, dass gute Arbeit positiv für die psychische Gesundheit ist. Gerade Menschen mit psychischen Einschränkungen brauchen Arbeit: Sie gibt ihnen Halt.

Daten und Fakten zur psychischen Gesundheit:
Der Anteil der Menschen, die aufgrund seelischer Leiden frühzeitig in Rente gehen, ist von 15,4 % im Jahr 1993 auf 42 % im Jahr 2012 angestiegen. Psychische Erkrankungen sind inzwischen die Hauptursache für Frühverrentungen. Die Betroffenen sind im Durchschnitt erst 48 Jahre alt. Die Anzahl der Arbeitstage, die aufgrund psychischer Erkrankungen ausgefallen sind, hat sich im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt: 2001 lag sie bei 33,6 Millionen und 2012 bereits bei 59,5 Millionen.

TAZ zur "Anti-Stress-Verordnung"

Die TAZler finden sich wohl zu cool für eine ernsthaftere Berichterstattung zum Thema. http://www.taz.de/!135121/
Siehe auch zu einem wichtigen Thema bei den anstehenden Betriebsratswahlen: http://www.morgenweb.de/nachrichten/wirtschaft/regionale-wirtschaft/mitarbeiter-wahlen-ihre-vertreter-1.1427675
BMAS zum Thema “Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt”: http://www.bmas.de/DE/Themen/Schwerpunkte/Psychische-Gesundheit-Arbeitsplatz/inhalt.html
 


2014-06-04
Nach dem Artikel von Eva Völpel hat Barbara Dribbusch versucht, nachzubessern: http://www.taz.de/!117359/

[…] Eine neue Anti-Stress-Verordnung im Arbeitsschutzgesetz, die auch mehr Gewicht auf die Wiedereingliederung von psychisch Labilen legt, ist zu begrüßen. […]

Das ist zwar gut gemeint, aber dass es beim Thema der arbeitsbedingten psychischen Arbeitsbelastung um “psychisch Labile” geht, spukt anscheinend immer noch in vielen Köpfen herum. Es geht jedoch nicht um den Schutz nur von “psychisch Labilen”, sondern der Gesetzgeber verlangt die Reduzierung von psychischen Fehlbelastungen für alle Arbeitnehmer! Seit 1996 scheiterte das aber an der Umsetzung des Gesetzes. Diesen jämmerliche Zustand soll die Anti-Stress-Verordnung beenden. Darum wird es auch keine Anti-Stress-Verordnung “im Arbeitsschutzgesetz” geben, sondern benötigt wird eine Durchführungsverordnung zur deutlich konsequenteren Umsetzung des Gesetzes.
Das muss nicht umbedingt zu neuen Vorschriften für die Arbeitgeber führen, sondern so eine Verordnung könnte auch die behördliche Aufsicht verbessern. Man kann eigentlich nicht sagen, dass die Forderungen nach einer Verbesserung der Aufsicht übereilt wäre. Blicken wir hier doch einmal in das Jahr 1927 zurück:
Das Problem ist seit etwa 2004 bei den Arbeitgebern (wieder) gut bekannt, theoretisch schon seit 1996. Aber erst jetzt beginnen genügend viele Betriebsräte, durchzublicken. Sie sind zwar der Haupttreiber des Themas in den Betrieben, aber im Jahr 2013 gab auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) eine lesenswerte Handlungshilfe heraus: »Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz - Besonderer Schwerpunkt: Psychische Belastung - Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber«. Betriebsräte sollten diese Veröffentlichung wenigstens kennen. Leider sind die Gewerbeaufsichten bei diesem Thema immer immer noch unterausgestattet und überfordert (siehe Bundestagsdrucksache 17/10229 vor etwa zwei Jahren). Oft werden sie auch politisch ausgebremst. Dabei forderte schon der fränkische Abgeordnete Müller »die Einstellung einer größeren Anzahl speziell ausgebildeter Gewerbeärzte..., die die Schädigung durch physische und psychische Ermüdungserscheinungen besonders zu beobachten hätten.« (Müller und Genossen, Reichstag Berlin, 10. März 1927.)

DGB mit neuem Vorstoß gegen Psychostress

http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/arbeitsbedingungen-dgb-mit-neuem-vorstoss-gegen-psychostress-12772999.html

Arbeitsbedingungen
DGB mit neuem Vorstoß gegen Psychostress
28.01.2014 · Schon länger wünschen sich Gewerkschaften eine Anti-Stress-Verordnung, die Arbeitnehmer vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz schützen soll. Weil heute Zahlen zu Fehlzeiten wegen seelischer Leiden herauskommen, gewinnt die Debatte an Fahrt. […]

Zum FAZ-Artikel:

"Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten"

Ein großes Problem für die Unternehmen: Sie haben zwar inzwischen begriffen, dass psychische Fehlbelastungen ihrem Geschäft schaden, aber manche Unternehmer stört die Möglichkeit der Arbeitnehmer, über die starke Mitbestimmung im Arbeitsschutz den Führungsstil im Unternehmen wirksam beeinflussen zu können. So kann es dann zum Beispiel bei der Umstellung von Regelwerken für den Arbeitsschutz und bei der Einführung von Formularen zur Gefährdungsbeurteilung zu strafbaren Handlungen kommen, wie z.B. die Behinderung der Mitbestimmung. Das wird wohl einer der wichtigsten Gründe des Widerstandes mancher Arbeitgeber gegen die Thematisierung der psychischen Belastung in den Betrieben sein.
http://www.aerztezeitung.de/news/article/852903/kommentar-dihk-umfrage-gesundheit-bleibt-chefsache.html (2014-01-09)

Kommentar zur DIHK-Umfrage
Gesundheit bleibt Chefsache
Bei der Gesundheitsförderung in Unternehmen hat sich “einiges getan”, lobt der Wirtschaftsverband DIHK. Doch es wachsen Zweifel, wenn es gerade in kleinen Betrieben vor allem vom Chef abhängt, ob Gesundheitsvorsorge angeboten wird.
Von Florian Staeck
Ein Lob vorab: Dass der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) den Stand der Gesundheitsförderung in 1500 Unternehmen ermittelt hat, ist zu begrüßen. Die Umfrage bietet eine Datengrundlage, auf der aufgebaut werden kann.
Freilich nutzen Verbände dieses Instrument auch immer, um pro domo Politik zu machen. Das ist beim DIHK nicht anders. Sein Motto lautet: Das vorhandene Engagement der Betriebe ist beeindruckend, weitere gesetzliche Regelungen schaden nur. Dies zeigt sich besonders deutlich in dem Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten.
[…]
Der DIHK hat seiner Umfrage die Überschrift “An Apple a Day….” gegeben – wenn das denn mal so einfach wäre mit der Gesundheit im Betrieb.

(Die Kursivschrift und den Fettdruck habe ich nachträglich in den Kommentar eingearbeitet.)
Der Kommentar wurde von einem Durchblicker geschrieben. Davon müsste es mehr geben.
 
http://www.dihk.de/presse/meldungen/2014-01-08-unternehmensbaromter-gesundheitsfoerderung

[…] Verstärkt auf der politischen Agenda stehe das Thema psychische Gesundheit, berichtete der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer [Achim Dercks] weiter. Die Zahl entsprechender Diagnosen und Krankschreibungen steige; mit Blick auf die vielfältigen Einflussfaktoren sei es jedoch “verfehlt, das Arbeitsumfeld für diese Entwicklungen allein verantwortlich zu machen”. […]

Der Trick, den Dercks hier versucht, wird langsam langweilig. Die Herumweinerei der Arbeitgeber, dass das Arbeitsumfeld “allein” für psychische Erkrankungen verantwortlich gemacht werde, ist unredlich. Dercks weiß natürlich, dass das nicht der Hauptvorwurf an die Arbeitgeber ist. Mit seiner Klage lenkt er nur vom eigentlichen Vergehen der Mehrheit der Arbeitgeber ab: 80% dieser Unternehmer wollen die psychischen Belastungen an den Arbeitsplätzen ihrer Betriebe nicht einmal beurteilen.
Das ist das “Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten”. Etwa 80% der Arbeitgeber sehen unter den Augen der Gewerbeaufsicht in gesetzeswidriger Weise weg, sind aber sind dreist genug, trotzdem Aussagen zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu machen. Dabei nutzen sie die Überforderung der Auditoren der Gewerbeaufsicht und der Zertifizierungsunternehmen. In einigen Ländern stehen die Aufsichtspersonen der unteren Behörden unter großem Druck unternehmerfreundlicher Ministerien, so dass zur Überforderung der Aufsichtspersonen (durch einen wohl nicht mehr ganz versehentlichen Ressourcenmangel) noch Angst dazu kommt.
Es ist doch klar, dass zum Rechtsbruch bereite Arbeitgeber sich vor strengeren Vorschriften fürchten. Es ist erwiesen, dass im Arbeitsschutz der Zwang, Vorschriften zu beachten, der stärkste Motivator ist. Das Gerede der Wirtschaftsverbände, die Unternehmen seien selbst an gesunden Mitarbeitern interessiert, dient vorwiegend dazu, strengere und deutlichere Vorschriften zu vermeiden. Die Arbeitgeber wehren sich gegen eine Dokumentation, die ihr Haftungsrisiko erhöht. Die Ärztezeitung erkennt:

[…] Nichts fürchten die Wirtschaftsverbände mehr als die von den Gewerkschaften geforderte “Anti-Stress-Regelung” – direkte Interventionen in die Betriebe via Gesundheitsförderung wären dem DIHK ein Gräuel. […]

Das stimmt übrigens nicht ganz. Bei der “Anti-Stress-Verordnung” geht es um die Durchsetzung des vorgeschriebenen Arbeitsschutzes, nicht aber um die freiwillige Gesundheitsförderung. Direkte Interventionen in die Betriebe via Arbeitsschutz wären dem DIHK ein Gräuel.
Die Unternehmen gehen über den Arbeitsschutz hinaus. Leider ging dabei eine große Mehrheit der Arbeitgeber gleich über wichtige Teile des Arbeitsschutzes hinweg.
Die Unternehmer stellen sich neue Hausaufgaben im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und des betrieblichen Gesundheitsmanagements, weil sie die ihnen vorgeschriebenen Aufgaben nicht mögen. In der 12 seitigen Schrift des DIHK wird darum auch wieder dieser Trick probiert: Gleich drei mal geht man dort sinngemäß “über den gesetzlichen Arbeitsschutz hinaus”. Die Unternehmen gehen aber nicht nur über den Arbeitsschutz hinaus, sondern die große Mehrheit der Arbeitgeber durfte unter den geschlossenen Augen der Gewerbeaufsicht über wichtige Teile des Arbeitsschutzes hinweg gehen, weil sie das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus dem Arbeitsschutz heraushalten wollten. Gehalt und Arbeitszeit sind unangenehm gut mess- und verhandelbar, da blieb den Unternehmen nur noch übrig, mit einer höheren Arbeitsbelastung mehr aus den Leuten herauszuholen. Das ist ein angenehm komplexes Gebiet. Genaueres Hinsehen im Arbeitsschutz stört hier nur.
Die Klientel des DIHK hat in einem freien Land zwar das Recht, Gesetze für schlecht zu halten, aber es muss den von ihr vertretenen Unternehmern wieder abgewöhnt werden, für sich aus ihrer Meinung heraus einfach das Recht abzuleiten, sich über demokratisch beschlossene Gesetze und Vorschriften zu stellen.
 
Ein Lob zum Schluss: Es gibt Unternehmer und Arbeitgeberverbände, die den Arbeitsschutz auch im Bereich der psychischen Belastungen respektieren. Die BDA hat dazu sogar einen sehr guten Praxisleitfaden herausgegeben. Achim Dercks hätte sich den gründlich durchlesen sollen.

"Anti-Stress-Verordung" im Jahr 2014?

Jetzt wird das für den Arbeitsschutz zuständige Bundesministerium von der SPD geführt. Mal sehen, ob Andrea Nahles endlich für eine mutigere Arbeitsschutzaufsicht sorgen kann. Inzwischen halte ich eine schärfere “Anti-Stress-Verordnung” leider doch für erforderlich. Die Unternehmen sind zwar jetzt im “Betrieblichen Gesundheitsmanagement” und der “Betrieblichen Gesundheitsförderung” schon viel aktiver und machen heftig Werbung dafür. Aber es scheint, dass das zum Teil auch dazu dienen soll, den vorgeschriebenen Arbeitsschutz mit der dazugehörigen starken Mitbestimmung zu marginalisieren. Den Unternehmen ist die Kür lieber als die Pflicht.
Zur Pflicht: Noch im Jahr 2012 konnte im Bundestag dokumentiert werden, dass etwa 80% der Unternehmen in Deutschland die von einem Arbeitsplatz ausgehenden Gefährdungen im Bereich der psychische Belastungen nicht beurteilen. Und noch heute trauen sich selbst die Gewerbeaufsichten nicht, Arbeitgeber zu kritisieren, die Arbeitnehmer bedrohen, die dem Arbeitgeber psychische Gefährdungen melden.
Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein Arbeitnehmer nach einer Fehlbelastungsmeldung abgemahnt wurde. Eine Abmahnung ist eine der schärfsten Waffen, die ein Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer einsetzen kann. Entsprechend hoch ist der Druck, der mit einer Abmahnung auf Arbeitnehmer ausgeübt wird. Obwohl sich die Abmahnung als unberechtigt erwiesen hatte, der Arbeitgeber die Abmahnung zurücknehmen musste und der Fall der Gewerbeaufsicht bekannt war, sind der Arbeitnehmervertretung keine Berichte der Gewerbeaufsicht bekannt, in denen der Vorfall auch nur erwähnt wurde. Die Gewerbeaufsicht interessierte sich für den Fall nicht.
Der Arbeitgeber, der seinen Mitarbeiter mit dem Abmahnungsversuch mehrere Monate lang bedrohte, behauptet, alle Vorfälle zu erfassen und zu bewerten, die Erkrankungen (ohne Berücksichtigung der Schwere) hätten zur Folge haben können. Im Widerspruch dazu versucht das Unternehmen mit allen Kräften, den Abmahnungsversuch aus der Berichterstattung zu Arbeitsschutz herauszuhalten. Nicht nur die Gewerbeaufsicht duldete das, sondern auch der privatwirtschaftlich arbeitende (bei der DAkkS akkreditierte) Zertifizierer des Arbeitsschutzmanagementsystems erkannte die fehlende Erfassung des Falls nicht als Abweichung. Das zeigt: Sowohl die behördliche und privatisierte Arbeitsschutz-Aufsicht versagt selbst bei krassen Fällen psychischer Fehlbelastung. Im Gegensatz zur Behauptung der Arbeitgeber reichen die bestehenden Regeln also nachweislich nicht aus.
In Bayern traut sich die Gewerbeaufsicht sogar nicht einmal mehr zu schreiben, dass bei Abweichungen von Arbeitsschutzvorschriften mit den entsprechenden Unternehmen Zielvereinbarungen getroffen werden. Anstatt genauer hinsehen zu wollen, ist die Aufsicht nun noch ängstlicher geworden. Die unteren Aufsichtsbehörden in Bayern scheinen unter dem Druck höherer Behörden zu stehen, die auf gute Beziehungen zur “Wirtschaft” großen Wert legen. Darauf machte mich ein Bekannter aufmerksam. Er leitet im immer noch ausreichend konservativen Hessen eine untere Aufsichtsbehörde und berichtete mir von den Schwierigkeiten seiner übervorsichtigen bayerischen Kollegen.
Angesichts der Kleinmütigkeit der Gewerbeaufsichten halte ich eine “Anti-Stress-Verordnung”, die den Gewerbeaufsichten mehr Durchsetzungskraft verschafft und den Aufsichtspersonen ein angstfreieres Arbeiten ermöglicht, für dringend erforderlich. Wie können Politiker behaupten, dass die bisherigen gesetztlichen Regeln ausreichen, wenn sie offensichtlich eben nicht ausgereicht haben? Nach langjährigen Umsetzungsproblemen ist nun wirklich eine Verordnung fällig, die insbesondere die Aufsicht durch Behörden (und auch durch Betriebsräte) stärkt.